Angekommen an der Basis: Wie Geld den unteren Amateurfußball verändert

Geld floss im Amateurfußball schon immer – vor allem deshalb, weil es lange Zeit nur das gab: Bis weit in das 20. Jahrhundert hielt der DFB am Amateurideal fest und ließ ein Berufsspielertum nicht wirklich zu. Doch natürlich kamen die Spieler der höchsten Ligen schon in der Weimarer Republik, während der ersten großen Boomphase des Fußballs in Deutschland, an ihr Geld – auf verschlungenen Wegen. Heute sind es nicht mehr die besten Spieler des Landes, die zum Schein angestellt werden, damit Zahlungen möglich sind. Es sind die besten Spieler des Landkreises, wenn überhaupt. Die Bezahlkultur hat sich bis in die untersten Ligen des Amateurfußballs ausgebreitet – und sie bringt dort einiges durcheinander.

Von Tim Frohwein

Ein mir bekannter Journalist wollte sich kürzlich in einem Artikel dem Thema Bezahlung im Amateurfußball widmen. Als er beim zuständigen Fußball-Regionalverband um Informationen bat, wurde seine Anfrage dort, so berichtete er mir später, mit dem Argument abmoderiert, dass sich in den vergangenen 30 Jahren diesbezüglich eigentlich nichts verändert habe – warum also über das Thema schreiben?

Ich möchte hier die Gegenthese aufstellen: Es hat sich etwas verändert, insbesondere in der jüngeren Vergangenheit. Die Bezahlkultur hat sich weiter denn je in die unteren Ligen ausgebreitet – und wirkt sich dort nicht gerade positiv aus. Doch bevor ich das näher ausführe, lohnt zunächst ein Blick in die Vergangenheit – auch, wenn die Entwicklungsgeschichte der Monetarisierung des Amateurfußballs in Ermangelung wissenschaftlicher Befunde nur ungenau nachzuzeichnen ist.

Das Thema Bezahlung im Amateurfußball ist so alt wie der deutsche Fußball selbst. Schon in der Weimarer Republik, als der Fußball in Deutschland an der Schwelle zum Massensport stand, wurde im Amateurfußball Geld an Spieler gezahlt – nur, dass damals gemäß den offiziellen Bestimmungen eben auch Spieler der höchsten Klasse den Status des Amateurfußballers besaßen. Ein Profifußball-Segment gab es schlichtweg nicht, da der DFB am Amateurideal festhalten und ein Berufsspielertum verhindern wollte. Im Jahrbuch des DFB von 1925 formulierte der ranghohe Funktionär Georg P. Blaschke die Haltung des DFB so: „Wir bekämpfen das Berufsspielertum aus ethischen Gründen, denn wir sehen in unseren Fußballveranstaltungen etwas anderes als bloße Schaustellungen, die der Unterhaltung dienen. Es wäre ein Frevel an unserer deutschen Jugend, wollten wir das Berufsspielertum in Deutschland auch nur im geringsten begünstigen.“

Und auch, wenn der DFB damals Verstöße gegen dieses Statut teilweise rigoros ahndete: Geld an die Spieler floss natürlich trotzdem. Allerdings geschah das selten – und hier lässt sich eine Linie zur Gegenwart ziehen – offiziell: Mit Scheinanstellungen, Schwarzgeldzahlungen oder der Überlassung von Kiosken und Tabakläden an Spieler – in dieser Zeit wurde auch der Ausdruck „Tabakladen-Amateurismus“ geprägt – versuchten die Spitzenvereine, das DFB-Verbot zu unterlaufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Amateurideal zu erodieren, bevor dann mit der Einführung der Bundesliga und dem Lizenzspielertum im Jahr 1963 eine halbwegs sichtbare Trennlinie zwischen Amateur- und Profifußballlager gezogen wurde. Freilich wurde der Amateurfußball dadurch nicht zur geldfreien Zone. Weiterhin wurde Geld als Mittel genutzt, um auch im unteren und gehobenen Amateurfußballbereich fähige Spieler anzulocken und sportlichen Erfolg zu ermöglichen. Wissenschaftliche Studien, die genaue Aussagen darüber zulassen, wie weit die Bezahlkultur in den 1960er und 70er Jahren verbreitet war und welche Summen flossen, gibt es leider nicht. Einzelberichte in Zeitungen lassen aber zumindest oberflächliche Einblicke zu. In einem in Ausgabe 13 des Zeitspiel-Magazins abgedruckten Kicker-Artikel aus dem Jahr 1973 beschwert sich beispielsweise der Vorstand eines rheinischen Verbandsligisten über gestiegene finanzielle Ansprüche im Amateurfußball: „Die Amateure der Verbandsliga-Klubs verdienen und verlangen zum Teil mehr als Regionalligaspieler.“ Die Regionalliga war damals die zweithöchste Spielklasse in Deutschland.

Machen wir einen Sprung ins 21. Jahrhundert. Als ich im Jahr 2010 beschloss, das Thema Bezahlung im Amateurfußball als einen Nebenaspekt in meiner Diplomarbeit zu untersuchen, waren noch immer keine aussagekräftigen empirischen Befunde dazu verfügbar. In meinen Recherchen stieß ich stattdessen auf einen kurz zuvor veröffentlichten Text von Christoph Metzelder, der in seiner Kolumne für 11FREUNDE schrieb: „Wenn ich höre, dass in Bezirksligen (achte Spielklasse) Spieler bis zu 600 Euro dafür bekommen, dass sie (Hobby-)Fußball spielen, dann ist das schon ein starkes Stück. Nur mal zum Vergleich: In meinem ersten Seniorenjahr bei Preußen Münster, 1999/2000 in der dritten Liga, bekam ich als 18-jähriger Vertragsspieler 630 Mark steuerfrei. Das war als Abiturient sehr viel Geld. Aber wir reden hier von der dritten Liga und der Arbeit unter Profibedingungen.“

Den Spieler, der im Amateurfußball mehr verdient als in den höchsten Leistungsklassen des Landes – ihn fand man im Jahr 2010 also nicht mehr nur im gehobenen Amateurfußball, sondern bereits in der achten Liga. Meine 2011 veröffentlichte Untersuchung, für die ich rund 200 Münchner Amateurfußballer per Fragebogen um anonyme Auskunft zum Thema Bezahlung gebeten hatte, bestätigte diesen Trend: Alle damals befragten Bezirksligaspieler, 55,2 Prozent der Kreisligaspieler und immerhin noch 30,8 Prozent der Spieler in der darunterliegenden zehnten Liga, der Kreisklasse, wurden von ihren Vereinen entlohnt. Informationen zur Höhe der Bezahlungen hatte ich damals – auch, weil ich mit Auskunftsverweigerungen rechnete – nicht abgefragt.

Nun sind seit der Veröffentlichung der Ergebnisse schon wieder ein paar Jahre ins Land gezogen. Meine Untersuchung ist immer noch die einzige, die Zahlen zum Thema liefert – weshalb ich erfreulicherweise immer noch Interviews geben darf. Die Reaktionen auf diese Interviews liefern Hinweise darauf, dass seit 2010 die Monetarisierung des Amateurfußballs weiter vorangeschritten ist. In einem Leserbrief, erschienen im Straubinger Tagblatt im August 2018, schreibt beispielsweise Oliver Brzycki, Teamchef des niederbayerischen Kreisklassisten DJK Straubing: „Ich führte die letzten zwei Jahre mit einigen guten Spielern aus der Region Gespräche zwecks Vereinswechsel und immer wieder scheiterte eine Verpflichtung am Schluss am lieben Geld, da bei der DJK Straubing kein einziger Spieler Zahlungen erhält.“ Wohlgemerkt: Die Kreisklasse entspricht im Fußballkreis Niederbayern Ost, in dem der DJK gemeldet ist, der zweiten Liga – von unten.

Die Bezahlkultur sorgt also dafür, dass ein ganz bestimmter Spielertypus, dem der Soziologe Heinrich Väth 1994 einen passenden Namen gegeben hat, in immer tiefere Gefilde des Amateurfußballs vorstößt: Der Spielertypus des „Wechslers“. Es gibt heute in den unteren Ligen immer mehr Amateurfußballer, die ständig Augen und Ohren für lukrative Angebote auf dem Markt offenhalten, die sich mit selbstproduzierten YouTube-Videos bei anderen Vereinen anbiedern – und entsprechend bei sich bietender Gelegenheit schnell wieder weg sind. Spieler, die jedes halbe Jahr die Mannschaft wechseln, sind keine Seltenheit mehr. Ich habe im Laufe meiner 17-jährigen Laufbahn im unteren Münchner Amateurfußball so einige von ihnen kennengelernt. Um den Zusammenhang mit der Bezahlkultur deutlich zu machen: Meine Untersuchung zeigte, dass bezahlte Spieler im Schnitt nur 2,8 Jahre bei einem Verein bleiben, während Spieler, die nicht bezahlt werden, alle 5,6 Jahre den Verein wechseln.

Wenn Amateurfußballer auf den Markt reagieren und dieses Kalkül an den Tag legen, ist es nur logisch, dass sie keine starke Verbindung zu dem Verein aufbauen, dessen Trikot sie gerade überstreifen. Auch dafür fanden sich in meiner Untersuchung Belege: Spieler, die fürs Kicken bezahlt werden, schätzen die Geselligkeit in ihrem Verein viel weniger. Verglichen mit den unbezahlten Spielern gaben sie beispielsweise an, seltener nach dem Training im Vereinsheim sitzen zu bleiben; auch private Sorgen und Probleme wurden im Vergleich nicht so häufig mit Vereinskollegen besprochen.

„Es hat sich da vor einigen Jahren eine Spirale in Gang gesetzt, aus der wir nicht mehr rauskommen“, erzählte mir der sportliche Leiter eines Kreisligavereins aus dem Raum München, den ich anlässlich dieses Artikels interviewt habe. Als vor einigen Jahren zunehmend auch niederklassige Amateurfußballvereine angefangen hätten, Spieler mit Geld zu ködern, seien – um konkurrenzfähig zu bleiben – immer mehr Vereine auf diesen Zug aufgesprungen. „Es hat sich hier in der Gegend über die Jahre hochgeschaukelt – und heute zahlen Vereine bereits in der Kreisliga 400 Euro Fixgehalt zuzüglich Prämien und Fahrtkosten. Wer da als Verein nicht mitspielt, bekommt eben keine oder weniger gute Spieler.“ Natürlich könne sich das aber nicht jeder Verein leisten. Und da sprechen wir noch nicht einmal von den Möglichkeiten, die manch mäzengeführter Verein besitzt: Hier kommt es schon mal vor, dass Spieler – ganz wie zu Zeiten der Weimarer Republik – im Betrieb des Mäzens zum Schein angestellt werden, damit auch höhere Summen fließen können.

Beim letzten Treffen der sportlichen Leiter aus dem Fußballkreis München sei diese Entwicklung, so berichtete mir der befreundete weiter, sogar vom anwesenden Verbandsvertreter deutlich kritisiert worden. „Die Mehrheit der sportlichen Leiter hat sich dann auch dafür ausgesprochen, hier entgegenzuwirken. Aber keiner weiß so richtig, wo man ansetzen soll.“ Eine Idee: Eine Art Kodex, zu dem sich die Vereine im unteren Amateurfußballbereich bekennen und sich damit verpflichten, auf Zahlungen an Spieler zu verzichten. „Aber was macht man dann mit den Vereinen, die aus dem gehobenen und erfolgsorientierteren Bereich absteigen? Die wollen ja wieder hoch – und dafür nehmen sie Geld in die Hand“, entgegnete mein Interviewpartner.

Die Bezahlkultur hat sich – Stand 2019 – bis in die unteren Segmente des deutschen Ligasystems ausgebreitet. Zwar kann man bei den Summen, die in Kreis- oder Bezirksliga gezahlt werden, nicht von Berufsspielertum sprechen. Ob man dort aber dem oben formulierten Amateurideal noch gerecht wird und sich entsprechend benennen darf, sei dahingestellt.

Autoreninfo: Tim Frohwein setzt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit 2018 organisiert er die Veranstaltungsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“, die die gesellschaftliche Bedeutung des Amateurfußballs stärker in den Mittelpunkt rücken will. Die nächste Ausgabe der Veranstaltung findet am 10. Mai im Stadion von Greuther Fürth statt, Thema: „(Sozio-)Demografischer Wandel im Amateurfußball“. Frohwein ist außerdem Mitglied in der Münchner Interessengemeinschaft „Sport ist wichtig“ und schnürt seit über zwanzig Jahren für seinen Heimatverein, den FC Dreistern in München, die Fußballschuhe.

Disclaimer: Eine Kurzfassung dieses Artikels ist bei unserem Partner „Zeitspiel – Magazin für Fußballzeitgeschichte“ erschienen.
Das Titelfoto zu diesem Beitrag stammt vom Autor selbst.

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