Christoph Wagner – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 08 Jan 2020 20:10:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Die 60 wichtigsten Episoden der deutschen Fußballgeschichte, Teil 5 https://120minuten.github.io/die-60-wichtigsten-episoden-der-deutschen-fussballgeschichte-teil-5/ https://120minuten.github.io/die-60-wichtigsten-episoden-der-deutschen-fussballgeschichte-teil-5/#respond Sun, 15 Dec 2019 07:55:08 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6753 Weiterlesen]]> Fußball wird seit etwa 150 Jahren in Deutschland gespielt, das heißt, in den Grenzen des damaligen Kaiserreiches. Zunächst waren es vor allem englische Händler, Studierende undTouristen, die das ihnen vertraute Spiel aus der Heimat auch hier gemeinsam spielten. Dort war die reglementierte Fassung des Spiels seit einem halben Jahrhundert bekannt. Diese Serie beschreibt die 60 wichtigsten Momente des Fußballspiels in Deutschland. Im fünften Teil geht es um die Jahre 1990 bis 2005. (Die Teile 1, 2, 3 und 4 sind hier, hier, hier und hier zu finden.)

von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de)

unter Mitarbeit der 120minuten-Redaktion | Dezember 2019

1990
Die Nationalmannschaft der Herren wird Weltmeister

Die WM 1990 fand in der Hochzeit des Defensiv-Fußballs statt. So wundert es nicht, dass auch das Finale am 8. Juli 1990 zwischen Argentinien und der Bundesrepublik Deutschland in Rom durch einen Elfmeter gewonnen wurde. Andy Brehme konnte ihn in der 85. Minute verwandeln. Es war das erste WM-Finale, das durch einen Elfmeter in der regulären Spielzeit entschieden worden ist. Franz Beckenbauer wurde der zweite Nationaltrainer nach Mario Zagallo aus Brasilien, der sowohl als Spieler als auch als Trainer Weltmeister wurde – wobei Zagallo den Titel als Spieler sogar zweimal holte (1958 und 1962).

1990
Eingliederung des DDR-Fußballs in die BRD

Die Organisation der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten ging schneller voran, als man im DFV gedacht hatte. Das letzte Spiel der DDR-Nationalmannschaft der Männer fand am 12. September 1990 in Brüssel statt, Kapitän Matthias Sammer schoss beide Tore. Eigentlich sollte es Spiel ein Qualifikationsspiel für die EM 1992 sein, doch der DFV hatte das DDR-Team bereits abgemeldet. Um Schadenersatzforderungen zu umgehen, spielte man das Match als Freundschaftsspiel aus. Ohne Wiedervereinigung hätte die DDR-Mannschaft nach Belgien gegen die Nationalmannschaft der BRD gespielt (für den 21. November 1990 terminiert). So löste sich einen Tag vorher, am 20. November 1990, der DFV auf. Die DDR-Nationalelf der Männer kam auf 293 Länderspiele mit 501 Toren und 345 Gegentoren (ohne die bei Elfmeterschießen erzielten Tore) – 138 Siege, 69 Unentschieden und 86 Niederlagen. Das abgesagte EM-Qualifikationsspiel zwischen der nun ehemaligen DDR und der BRD wurde zunächst nicht als Freundschaftsspiel wiederholt, aus Sorge vor Ausschreitungen. Erst zwanzig Jahre später kam es zu einem Freundschaftsspiel zwischen DDR-Nationalspielern der 1990er Jahre und der BRD-Nationalelf, die an der WM 1990 teilgenommen hatte. Wie bereits 1902 spielte die gesamtdeutsche Mannschaft ihr erstes Spiel, ein Freundschaftsspiel gegen die Schweiz.

1990
Gründung der Frauenbundesliga

Seit Mitte der 1980er Jahre wurde über die Einführung einer überregionalen Spielklasse im Frauenfußball diskutiert, um die Leistungsunterschiede zwischen regionalen Spitzenmannschaften und den Niedrigerplatzierten auszugleichen. In West- und Norddeutschland wurden bereits 1985 beziehungsweise 1986 verbandsübergreifende Spielklassen gegründet und auf dem DFB-Bundestag 1986 wurde die Organisation einer deutschen Spielklasse fast einstimmig beschlossen. Es dauerte aber noch über die Frauen-EM 1989 in Deutschland hinaus, bis der DFB seine Idee in die Tat umsetzte. Für die Saison 1990/91 wurde die Frauen-Bundesliga eingeführt. Zunächst gab es zwei Ligen (Nord/Süd) mit je zehn Mannschaften – die der Landesverbände nach Abschluss der Saison 1989/90. Das waren in der Nordliga Fortuna Sachsenross Hannover, SC Poppenbüttel, Schmalfelder SV, SV Wilhelmshaven, VfR Eintracht Wolfsburg (alle zuvor Oberliga Nord), SSG Bergisch Gladbach, KBC Duisburg, VfB Rheine, TSV Siegen (Regionalliga West) und der 1. FC Neukölln (Oberliga Berlin). In der Südliga waren die SG Praunheim (später 1. FFC Frankfurt, künftig Eintracht Frankfurt) und der FSV Frankfurt (Oberliga Hessen), SC 07 Bad Neuenahr (Verbandsliga Rheinland), VfR 09 Saarbrücken (Verbandsliga Saarland), TuS Niederkirchen (Verbandsliga Südwest), SC Klinge Seckach (Verbandsliga Baden), TuS Binzen (Verbandsliga Südbaden), VfL Sindelfingen und VfL Ulm/Neu-Ulm (Verbandsliga Württemberg) und Bayern München (Bayernliga) die Gründungsmitglieder.

Seit 1997 gibt es eine Liga mit zwölf Teams für Gesamtdeutschland. Gründungsmitglieder waren zum Teil dieselben wie 1990: FSV Frankfurt, SG Praunheim, FCR Duisburg, Grün-Weiß Braunweiler, Sportfreunde Siegen, SSV Turbine Potsdam, FC Eintracht Rheine, 1. FC Saarbrücken, TuS Niederkirchen, SC 07 Bad Neuenahr, SC Klinge Seckach und der Hamburger SV. Das waren die vier besten der beiden vorherigen Ligen und die Siegerteams aus einem Wettbewerb, an dem alle anderen 16 Teams teilnahmen. Zur Saison 2004/05 wurde dann eine zweite Liga eingeführt, die bis zur Saison 2017/18 zweigleisig (Nord/Süd) geführt wurde. Mittlerweile gibt es eine zweite Liga für das gesamte Deutschland.

1995
Marc Bosman revolutioniert den Transfermarkt

Sportlich gesehen ist die Profi-Karriere des Belgiers Marc Bosman unbedeutend. Seine Verdienste um den Fußball hat Bosman durch eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung erworben. Anfang der 1990er wollte er den Verein wechseln, doch sein Arbeitgeber wollte ihn nicht ziehen lassen, ohne eine überhöhte Ablöse zu erhalten. Vor dem so genannten Bosman-Urteil war es Gang und Gäbe, dass der aktuelle Klub einem Vereinswechsel zustimmen musste und eine Ablöse verlangen konnte, selbst wenn der Vertrag des Spielers ausgelaufen war. Auch gab es in den Ligen weitreichende Bestimmungen, die die Anzahl ausländischer Profis in den Kadern limitierten. Bosman fand, dass ihn das in der Wahl seines Arbeitsplatzes einschränkte, klagte dagegen und bekam schlussendlich vor dem Europäischen Gerichtshof Recht. Das Urteil schuf einen Präzedenzfall. Es brachte den Profis mehr Selbstbestimmung, internationalisierte den Transfermarkt und befeuerte die Transferaktivitäten der Klubs, die sich nun einfacher mit Neuverpflichtungen einig werden konnten. Insofern ist dieses Urteil einer der Faktoren, die die Entwicklung hin zu den heutigen globalen Transfermärkten und -summen möglich machten. Der Spieler selbst hat von der Regelung nicht mehr profitiert – bei der Urteilsverkündung war Bosmans Karriere so gut wie beendet.

1996
Europameister dank Golden Goal

„Andersrum!“ Das soll Marco Bode in der 95. Minute des EM-Finals 1996 Oliver Bierhoff zugerufen haben. Bierhoff legte sich den Ball nicht auf Rechts sondern auf Links, zog ab – und Torhüter Kouba rutschte die Kugel über die Hände. Das erste Golden Goal der Fußballgeschichte machte Deutschland zum Europameister. Beim 2:1 Sieg erzielte der eingewechselte Bierhoff beide Tore. Der Legionär, der sein Geld in Italien verdiente, debütierte erst im Februar 1996 in der Nationalmannschaft und wird durch seine Tore wohl immer mit diesem Titelgewinn verbunden werden.
Es waren aber andere Spieler im deutschen Kader, die dem Turnier ihren Stempel aufdrückten – auch wenn Bundestrainer Berti Vogts im Turnierverlauf nicht müde wurde zu betonen, der Star sei die Mannschaft. Im Tor war Andreas Köpke sicherer Rückhalt, obwohl er gerade mit Eintracht Frankfurt aus der Bundesliga abgestiegen war. In der Abwehr organisierte Matthias Sammer das Spiel und im defensiven Mittelfeld lernten die Deutschen, Dieter Eilts zu lieben. Alle drei wurden in die Elf des Turniers, Sammer gar zum Spieler des Turniers gewählt. Der Kader bestand aus erfahrenen Spielern und wurde von Berti Vogts aufgrund des beinahe unheimlichen Verletzungspechs voll ausgeschöpft. Wer das Turnier verfolgt hat, erinnert sich sicher an die Nachnomminierung von Jens Todt, die der DFB-Auswahl zugestanden wurde. In die Vorrunde startete die Auswahl mit zwei Siegen, bevor ihr im letzten Gruppenspiel gegen Italien die Grenzen aufgezeigt wurden: Der 0:0-Endstand war mehr als schmeichelhaft. Im Viertelfinale konnte Kroatien überwunden werden, im Halbfinale gelang gegen England eine Revanche für das WM-Finale 1966. In Wembley zog die DFB-Auswahl gegen Gastgeber England nach Elfmeterschießen ins Finale ein, nachdem vor allem die englische Yellow Press in den Tagen zuvor nicht mit offensiven bis geschmacklosen Schlagzeilen gegeizt hatte.
Die EM 1996 markierte den zweiten großen Titel innerhalb von sechs Jahren. Es war das Turnier des Matthias Sammer und die mannschaftliche Geschlossenheit täuschte darüber hinweg, dass im deutschen Fußball bereits einiges im Argen lag. Im Kader fand sich nur eine Handvoll Spieler unter 25 Jahren und die folgenden Turniere sollten zeigen, dass es dem DFB an talentiertem Nachwuchs und guten Ideen mangelte.

1997
Schalke und Dortmund gewinnen die UEFA-Klubwettbewerbe

Für einen kurzen Augenblick im Mai 1997 war das Ruhrgebiet der Nabel des europäischen Fußballs. Schalke 04 errang mit Trainer Huub Stevens den UEFA-Pokal, Borussia Dortmund besiegte wenige Tage später in München Juventus Turin im Finale der Champions League. In der Saison 96/97 trat Schalke zum ersten Mal seit den 1970ern in einem kontinentalen Wettbewerb an. Im Laufe der Saison übernahm Huub Stevens den Trainerposten, der zuvor mit Roda Kerkrade in der ersten Runde gegen die Schalker ausgeschieden war. Mit kampfbetontem Fußball kam die Mannschaft Runde um Runde weiter. Gegen den FC Brügge wurde erst in letzter Minute das Weiterkommen ins Viertelfinale gesichert. Die Schalker Außenseiter, die kaum über internationale Erfahrung verfügten, traten im Finale gegen das mit Stars gespickte Inter Mailand an. Das Hinspiel in Gelsenkirchen gewann man knapp, das Rückspiel im Guiseppe Meazza ging ins Elfmeterschießen – Marc Wilmots versenkte den entscheidenden Elfmeter.
Borussia Dortmund verfügte über einen erfahreneren Kader und fokussierte sich im Frühjahr 1997 auf die Champions League, nachdem der BVB in der Bundesliga den Anschluss an die Tabellenspitze verloren hatte. Unvergessen bleibt das vorentscheidende 3:1 im Finale durch Lars Ricken nur wenige Sekunden nach seiner Einwechslung. Der Titelgewinn unter dem scheidenden Meistertrainer Ottmar Hitzfeld konnte aber nur kurzzeitig übertünchen, dass es erhebliche Spannungen im Mannschaftsgefüge gab. Das Team, das Hitzfeld aufgebaut hatte, war bereits über seinen Zenit hinaus.

1999
Bayern München, Manchester United und die Nachspielzeit

Die Dramaturgie des Finales der Champions League 1999 zwischen Bayern München und Manchester United war eine ganz besondere. Schon nach wenigen Minuten ging der FC Bayern durch einen Freistoß von Mario Basler in Führung. Fortan sah es fast 90 Minuten lang so aus, als würden die Münchner als Sieger vom Platz gehen. Sie erspielten sich einige
Chancen und verwalteten den knappen Vorsprung. Der Spielverlauf sprach eine deutliche Sprache – das Endergebnis war ein anderes. In der 81. Minute wurde der inzwischen 38-jährige Lothar Matthäus ausgewechselt, bei Manchester United brachte Manager Alex Ferguson zeitgleich Stürmer Ole Gunnar Solskjær. Zuvor hatte er schon Teddy Sheringham eingewechselt. Die Joker stachen. In der ersten Minute der Nachspielzeit glich Sheringham nach einem Eckball aus. Die Münchner wirkten paralysiert und kassierten in der 3. Minute der regulären Nachspielzeit das 1:2 – wieder nach einem Eckball, diesmal traf Solskjær. Der Sieg sicherte Manchester United zum zweiten Mal nach 1968 (damals unter dem legendären Trainer Matt Busby) den wichtigsten kontinentalen Titel und hinterließ Spieler, Fans und Verantwortliche des FC Bayern fassungslos.

2002
Die Kirch-Pleite

Für eine Weile war der Medienunternehmer Leo Kirch der heimliche Herrscher der Bundesliga. Über eine Milliarde Euro ließ er sich die Übertragungsrechte der höchsten deutschen Spielklasse für vier Jahre kosten. Das war um die Jahrtausendwende gleichzusetzen mit einem Geldregen für die Klubs: Borussia Dortmund investierte innerhalb von drei Spielzeiten etwa 100 Millionen Euro in Neuzugänge und die Spielergehälter stiegen ligaweit deutlich. Kirch und sein Pay-TV-Sender Premiere diktierten die Anstoßzeiten und die Regeln für die Berichterstattung im Free-TV. Doch seine Rechnung ging nicht auf: die Anzahl der Abonnenten stieg nicht wie gewünscht und so verbrannte der Sender jeden Monat Millionen. Hinzu kamen weitere kostspielige Investitionen für Sportrechte, die sich ebenso wenig rentierten. Im April 2002 hatte KirchMedia mehrere Milliarden Euro Verbindlichkeiten angehäuft und ging in Insolvenz. Die Vereine, von denen einige Investitionen in neue Stadien getätigt hatten, saßen auf dem Trockenen. Ein Fond der DFL für Krisenzeiten sollte Abhilfe schaffen, doch schlussendlich entgingen der Liga durch die Pleite etwa 200 Millionen Euro, die fest eingeplant gewesen waren. Vor der Saison 2003/04 verkleinerte fast die halbe Bundesliga ihre Etats und die Transferausgaben sanken um zwei Drittel. Die Kirch-Pleite verpasste der Liga einen spürbaren finanziellen Dämpfer.

2003
Die Nationalmannschaft der Frauen wird Weltmeister

Die Fußballweltmeisterschaft 2003 sollte ursprünglich in China stattfinden, wurde aber wegen der Pandemie der Infektionskrankheit SARS kurzfristig in die USA verlegt. Die deutsche Frauen-Nationalelf dominierte das Turnier, das vom 20. September bis 12. Oktober 2003 ausgetragen wurde. Der auf den ersten Blick eher ungewöhnliche Zeitraum des Turniers begründet sich in der Tatsache, dass die chinesischen Fußballligen im Herbst enden. Sowohl die im Nachhinein als beste Spielerin als auch die als beste Torhüterin des Turniers ausgezeichneten Spielerinnen gehörten zum deutschen Team: Birgit Prinz (1. FFC Frankfurt) und Silke Rottenberg (FCR 2001 Duisburg). Ebenso waren unter den vier besten Torschützinnen vier Deutsche, nämlich neben der alleinigen Torschützenkönigin noch die Stürmerinnen Maren Meinert (Boston Breakers) und Kerstin Garefrekes (FFC Heike Rheine). Der Erfolg des deutschen Teams beruhte aber nicht nur auf den Torschützinnen und der Torfrau, sondern war auch eine herausragende Teamleistung. Durch sie konnte das deutsche Team im Halbfinale das amtierende Weltmeisterteam und Favorit USA mit 3:0 eindrucksvoll besiegen.
Eine überzeugende Leistung zeigte das deutsche Team auch im Finale gegen Schweden, hatte zudem aber Glück, denn auf beiden Seiten gab es einige Chancen. So ging das Spiel mit 1:1 in die Verlängerung. Keine zehn Minuten später standen die deutschen Frauen als neue Weltmeisterinnen fest, denn die Innenverteidigerin Nia Künzer (1. FFC Frankfurt) erzielte das 2:1 – das letzte Golden Goal vor der Abschaffung im Sommer 2003. Nia Künzers Tor wurde zum Tor des Jahres in Deutschland gewählt. Es war der erste WM-Titel der deutschen Frauennationalmannschaft. Trainerin Tina Theune (damals Theune-Mayer), die aktiv für Grün-Weiß Brauweiler spielte, erwarb nach ihrer aktiven Laufbahn als erste Frau in Deutschland eine Fußballlehrerlizenz und übernahm im gleichen Jahr den Trainerinnenjob des deutschen Teams. 2003 gehörte auch die ehemalige Bundesligaspielerin Silvia Neid zu ihren Assistentinnen. Neid übernahm 2005 das Amt der Bundestrainerin von Theune und wurde 2007 erneut Weltmeisterin.

WM-Finale 2003, Quelle: Curt Gibbs, CC BY 2.0 via flickr.

2005
Schiedsrichter-Wettskandal

Hoyzer. Vor 15 Jahren ein junger, ambitionierter und hochgelobter DFB-Schiedsrichter mit Vornamen Robert, heute ein Schimpfwort. Den meisten ist das Männer-DFB-Pokalspiel des Hamburger Sportvereins gegen den SC Paderborn ein Begriff. Es war die erste Runde des DFB-Pokals der neuen Saison, der HSV verlor mit 4:2 nach eigener 2:0-Führung. Hoyzer hatte auf zwei haltlose Strafstöße für Paderborn entschieden, ein weiteres Tor des SCP hätte er wegen eines vorangegangenen Foulspiels nicht geben dürfen. Es verging ein halbes Jahr, bis die Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich, Manuel Gräfe, Olaf Blumenstein und Felix Zwayer den DFB am 19. Januar 2005 über die Spielmanipulationen informierten. Robert Hoyzer bestritt für ein paar Tage die Vorwürfe, um dann aber ein umfangreiches Geständnis abzulegen. Er nannte dabei auch Dominik Marks, der ebenfalls 2005 Spiele der 2. Männer-Bundesliga und des Männer-DFB-Pokal schiedste. Auch er hatte Spiele durch seine Entscheidungen manipuliert. Der DFB sperrte Hoyzer und Marks lebenslang und der Bundesgerichtshof verurteilte Hoyzer zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft (ohne Bewährung) und Marks zu einem Jahr und sechs Monaten (auf Bewährung). Ein Revisionsgesuch wurde abgelehnt. Obwohl die Haftdauer ohne Bewährung festgesetzt worden war, wurde Hoyzer bereits nach 14 Monaten, am 18. Juli 2008, wegen guter Führung aus der Haft entlassen.Vor dem Haftantritt hatte der DFB gegen Robert Hoyzer Schadenersatzansprüche von 1,8 Millionen Euro gestellt, nach der Haftstrafe einigten sich beide Parteien auf einen Vergleich: 450.000 Euro in 15 Jahren, wobei ihm der DFB später gut zwei Drittel der Summe erstattete. Dafür muss Hoyzer Auflagen erfüllen, darf zum Beispiel keinen Profit aus dem Fall ziehen, indem er ein Buch darüber schreibt oder sein Leben um den Skandal verfilmen lässt. Der Schiedsrichterskandal rund um Robert Hoyzer hat heute vor allem zwei Konsequenzen: „Hoyzer“ oder „hoyzern“ ist ein Schimpfwort gegenüber Schiedsrichter*innen und führt zum Platzverweis, wenn Spieler*innen oder Verantwortliche es nutzen. „Hoyzern“ wurde zudem das Kunstwort des Jahres 2005. Zum anderen rotieren die meist festen Schiedsrichter*innen-Gespanne in zufälliger Reihenfolge. Das bedeutet, dass am Spieltag die vorher festgelegte Zusammensetzung aus Schiedsrichter*in und Assistent*innen getauscht wird. So sollen Absprachen unterbunden und weiteres „Verschiedsen“ möglichst unmöglich gemacht werden.

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Anmerkung:

Die Texte zum Bosman-Urteil, dem EM-Titel 1996, dem Gewinn der Klub-Wettbewerbe 1997, des Champions-League-Finales 1999 sowie der Kirchpleite (2002) stammen aus der Feder von 120minuten-Redaktionsmitglied Endreas Müller.

Beitragsbild: gemeinfrei

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Rassismus in Italiens Stadien: Rückschritt in düstere Zeiten https://120minuten.github.io/rassismus-in-italiens-stadien/ https://120minuten.github.io/rassismus-in-italiens-stadien/#respond Sat, 07 Dec 2019 11:00:58 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6706 Weiterlesen]]> Rassismus: Etwas, das in der Vergangenheit zuhauf mit den meisten italienischen Ultraszenen in Verbindung gebracht wurde. Den Anfang macht in diesem Zusammenhang eine Nachricht zu „Diabolik“ – dem langjährigen Capo der „Irriducibili“ vom Hauptstadt-Klub Lazio Rom: Fabrizio Piscitelli. Am helllichten Tag wurde der 53-Jährige im Parco degli Acquedetti im Südosten Roms erschossen, aus nächster Nähe in den Kopf. Zu Beginn der neuen Spielzeit brannte es in der italienischen Fankultur an mehreren Orten. Denn gleich mehrere Ereignisse überschatteten den Fußball im Stiefelland. Seit einigen Wochen ist das Thema Rassismus so aktuell wie seit gefühlt einigen Jahren nicht mehr. Eine Analyse von Joachim Schultheis.


Piscitelli war in Italien nahezu jedem Fußballfan ein Begriff. Sein Spitzname stammt von einer italienischen Comicfigur, die als Antiheld und Vertreter des Bösen in der Unterwelt unterwegs war. Nicht nur, dass Piscitelli die rechtsextreme und zu großen Teilen faschistische Szene der Laziali anführte, nein, er hatte mutmaßlich auch gute Kontakte in die italienische Unterwelt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er Drogengeschäfte mit der neapolitanischen Mafia machte. So schmuggelte er Kokain von Spanien nach Italien und landete nicht nur deshalb für einige Zeit im Gefängnis. Die Ermittler waren sich recht schnell sicher, dass sein Mord mit diesen Drogenmachenschaften zu tun haben musste.

Piscitelli: „Wir haben bereits einen schwarzen Spieler“

Sein offen rechtsextremes Gedankengut stellte Piscitelli immer wieder zur Schau. So erlangte er schon Anfang der 2000er traurige internationale Berühmtheit, als er es sich bei einem TV-Beitrag nicht nehmen ließ, die Affenlaute der Lazio-Kurve gegenüber Lilian Thuram nicht zu verurteilen. Er sagte damals: „Der Gedanke, Italien könnte zu einer gemischtrassigen Nation, wie zum Beispiel England, werden, stört mich.“

Thuram, ein schwarzer Fußballstar, in Guadalupe aufgewachsen, stand sogar kurz vor einem Wechsel zu den Laziali. Piscitelli dazu: „Natürlich habe ich nichts gegen Thuram. Er ist ein guter Fußballer. Wir haben ja bereits einen Schwarzen bei uns – im Jugendteam.“

Piscitelli war trotz alledem für viele Jugendliche ein Vorbild, ein Idol. Kai Tippmann bloggt seit vielen Jahren bei „altravita.com“ über die Zustände in italienischen Stadien – auf und neben dem Platz. „Piscitelli war eine unglaublich respektierte, gefeierte Person“, sagt Tippmann. Er habe vielen den Weg vorgegeben, weil er sich auch immer vernünftig artikulieren konnte. Deshalb, so Tippmann, hätten seine „Irriducibili“ auch außerhalb des Stadions ihre rechtsextreme Politik betrieben. Sei es auf Aufmärschen in der Stadt oder der Kommunalpolitik in kleinen Vororten: „Irriducibili“ mischten überall mit und verbreiteten rechtes Gedankengut.

Kai Tippmann vom "Altravita"-Blog

Kai Tippmann vom “Altravita”-Blog

Lukaku wird von Cagliari-Fans mit Affenlauten bedacht

Während in Rom die Lazio-Szene wegen ihres gefallenen Anführers trauerte, ploppte das Thema Rassismus unmittelbar später nicht nur neben, sondern direkt auf dem Platz auf. In Cagliari nämlich. Dort, wo Inter Mailand am ersten Spieltag zu Gast war. Die Ultras von Inter sind ebenfalls in größten Teilen rechtsextrem. Es wundert fast nicht, dass Inter und Lazio seit Jahren gute Kontakte pflegen. Auch wegen Piscitelli – dem sie mit dem Spruchband „Fabrizio mit uns“ übrigens gedachten. Doch das war nicht der Vorfall, der Aufsehen erregte.

Vielmehr erschütterte das Verhalten vieler Sarden, also Cagliari-Fans. Romelu Lukaku erfuhr, weshalb schwarze Spieler im so fußballverrückten Land noch immer nicht das gleiche Ansehen erfahren, wie ihre weißen Mit- und Gegenspieler. Cagliari-“Anhänger“ bedachten ihn beim Heimspiel gegen die Nerazzurri mit lautem Affengebrüll. Der italienische Fußball hatte damit seinen ersten von vielen Rassismus-Eklats binnen weniger Wochen.

Lukaku wehrte sich – wie schon einige Fußballer zuvor – verbal und auch in den sozialen Medien. Sein Verein solidarisierte sich mit ihm, andere Klubs taten dasselbe. Die meisten italienischen Medien nahmen sich selbstverständlich des Themas an.

Noch fassungsloser als die Tatsache, dass der italienische Fußballverband zum wiederholten Male über offensichtlich rassistische Rufe hinwegsah und keine signifikante Bestrafung aussprach, macht ein Statement einer Ultragruppierung der Curva Nord von Inter Mailand, also Lukakus eigenem Verein. Der Belgier habe die Rufe völlig missverstanden. Vielmehr waren die Affenlaute Rufe, damit er schlechter spiele. Mit „echtem Rassismus“ habe das nichts zu tun.

Wie kann es sein, dass sich ein paar Norditaliener dazu berufen fühlen, offensichtlichen Rassismus seitens der sardischen Fans von Cagliari zu relativieren? Und ihrem eigenen Spieler dabei auch noch die Meinung zu geigen, er solle doch bei Affenlauten nicht sofort an Rassismus denken? Für den Blogger Kai Tippmann ist offensichtlich, was diesen Leuten am meisten fehlt: Bildung. „Das Problem ist nicht in Stadien zu lösen, auch wenn hier Verband, Vereine und Spieler natürlich dazu beitragen können und müssen. Um den Alltagsrassismus zu bekämpfen, führt aber kein Weg um Bildung und gesamtgesellschaftliche Debatte herum“, sagt er.

Immer wieder Hellas Verona

Dritter Spieltag: Der nächste rassistische Vorfall im italienischen Fußball ereignete sich dann einige Wochen später. Ultras von Hellas Verona, einem Klub gespickt mit Rassisten und Faschisten auf den Rängen, ließen Affenlaute gegenüber Franck Kessie vom AC Mailand vom Stapel. Unüberhörbar. Schon kurze Zeit später meldete sich Mailand zu Wort und verurteilte diese Rufe auf der Social-Media-Plattform „Twitter“ aufs Schärfste.
 
Es folgte die schier unglaubliche Reaktion seitens Hellas Verona: Der Verein kommentierte die Szene auf seinem Twitter-Kanal damit, dass jemand wohl mit der lauten Stimmung der „Gialloblu“ im Stadion nicht zurechtgekommen sei. Vielmehr forderten sie Respekt für ihre Tifosi ein. Binnen kürzester Zeit griffen andere Vereine diesen Auszug auf ihren Social-Media-Kanälen ihre Meinung kund. Hellas ruderte zurück, nachdem auch die italienische Presse das Thema aufgriff, beließ es aber dabei, dass es doch keine rassistischen Gesänge gegen Kessie gegeben haben soll. Strafen wurden nicht ausgesprochen.

Diese Entwicklungen, dass sich zum Beispiel Leute „gezwungen“ sehen, auf offensichtlich rassistische Gesänge zu reagieren, lassen die Annahme zu, dass sich der Fußball in Italien immer mehr in Richtung noch dunklerer Zeiten bewegt. Tippmann merkt an: „Offensichtlich ist diese Hinbewegung für uns und viele andere. Die Wortmeldungen von Kurven, Vereinen und Verband in Italien zeigen aber, dass es nicht so offensichtlich für sie ist.“ Die gesellschaftliche Diskussion über Rassismus finde auf viel niedrigerer Ebene statt als beispielsweise in Deutschland, „wo sich in den letzten 20 Jahren ja viel zum Guten verschoben hat, was zumindest Wahrnehmung und Benennung von Rassismus und Sexismus angeht“, beschreibt Tippmann die Situation. In Italien sei das nicht so.

Experte: In Italien wird Rassismus anders wahrgenommen

In Deutschland würden Vorfälle wie das Rufen von Affenlauten gegenüber schwarzen Spielern ganz eindeutig als Rassismus benannt. In Italien hingegen „wird auch ganz eindeutiger Rassismus in vielen Zusammenhängen gar nicht als solcher wahrgenommen und wenn, dann heruntergespielt“. Solange sich der gesellschaftliche Kontext nicht ändere, werden Tippmann zufolge die Stadien da keine Ausnahme sein.

Vierter Spieltag: In der Partie zwischen Atalanta Bergamo und der AC Florenz wurde mit einem Spielabbruch gedroht, sollten rassistische Gesänge gegenüber Dalbert, einem Brasilianer in den Reihen der Gäste, nicht sofort aufhören. Schiri Daniele Orsato setzte die Begegnung erst nach einigen Minuten Unterbrechung wieder fort.
 
Drei ganz aktuelle Beispiele für rassistische Vorfälle im italienischen Spitzenfußball. Die Reaktion seitens des Fußballverbandes in Italien? Eine wirkliche gab es vorerst nicht. Die Vorfälle von Cagliari und Verona wurden vom FIGC gar als „nicht diskriminierend“ bewertet. Wundern tut es die meisten nicht. „Warum sollte sich ausgerechnet der italienische Verband bewegen?“, fragt Kai Tippmann und liefert die Antwort gleich mit. „Es ist immer noch derselbe Verband, dessen Ex-Präsident Tavecchio von Bananen fressenden ‘Opti Pobàs’ sprach, die gestern noch auf dem Baum saßen und heute einen Stammplatz einfordern? Derselbe Verband, dessen Offizielle den Frauenfußball gerne mal als “Vier Lesben” bezeichnen.

„Das Problem Rassismus erst einmal als solches anerkennen“

Zwar wurden in der Vergangenheit immer mal wieder Kurven bzw. Stadien gesperrt. Doch solche Maßnahmen würden Tippmann zufolge das wahre Problem nicht lösen. „Um da ganz ernsthafte Bemühungen zu veranstalten, müsste man das Problem Rassismus tatsächlich als solches erst einmal anerkennen.“ Und genau deshalb ist auch die Gesellschaft außerhalb des Stadions gefragt.
 
Tippmann beobachtet, dass sich im italienischen Fußball erst dann etwas bewegt, wenn die Nachricht andere Länder erreicht und es seitens UEFA- oder FIFA-Offiziellen Äußerungen zu Vorfällen gibt. So in etwa nach dem Vorfall in der Partie zwischen Atalanta und Florenz (2:2). Kurze Zeit später nämlich meldete sich FIFA-Präsident Gianni Infantino zu Wort. Dem öffentlich-rechtlichen Sender Rai2 sagte er: „In Italien hat sich die Situation nicht verbessert, sie ist ernst.“ Ein vernichtendes Urteil – könnte man meinen. Dieses Zitat stammt vom 22. September.

Curva Sud des AC Milan
 
Dabei ging leider unter, dass beim Derby della Madonnina einen Tag zuvor die beiden Mailänder Klubs AC und Inter eine gemeinsame Aktion aufgrund der Ereignisse aus den Vorwochen starteten. Die Spieler beider Klubs versammelten sich hinter dem Banner „Derby against Racism“. Für ein so wichtiges Duell eine Geste, die zumindest Hoffnung darauf macht, dass den meisten Vereinen bewusst ist, worum es geht.

Kritik wurde mit jedem Vorfall in Italien lauter

Verband und Liga äußerten sich zum Vorfall bei Atalanta gegen Florenz zunächst nicht. Es hatte den Anschein, man wolle versuchen, die rassistischen Vorfälle auszusitzen oder totzuschweigen. Nur: Die Kritik wurde immer lauter. Viele Fans und Verantwortliche von Vereinen warfen der Liga zum Beispiel vor, viel mehr gegen illegale Streams vorzugehen, als sich um das Thema Rassismus zu kümmern.
 
Als Miralem Pjanic von Juventus Turin beim Auswärtsspiel in Brescia als „Zigeuner“ verunglimpft wurde, erhielt der Aufsteiger als erster Klub in der aktuellen Spielzeit eine Strafe. Ein Geisterspiel, das allerdings für ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt wurde. Eine kaum ernstzunehmende Bestrafung also.
 
Es dauerte dann bis zum 7. Oktober, bis sich Luigi De Siervo, seines Zeichens Vorstandsvorsitzender der Serie A, zum Problem mit einem konkreten Lösungsvorschlag äußerte. „Da sind Rassisten in unseren Stadien und wir, die null Toleranz zu diesem Thema zeigen, wollen sie [die Rassisten] einer nach dem nächsten finden.“ Mit der modernen Video-Technologie könnten Personen „dank Gesichtserkennung“ ausfindig gemacht werden.

Mit dem Videobeweis Tätern auf der Spur

Der FIGC veranlasste rund eine Woche später, dass genau diese Methode ab sofort eingesetzt werden möge. „Es interessiert mich nicht, wie viele Fans sich den Gesängen anschließen. Auch im Einzelfall muss man eingreifen. Dank der heutigen Technologie können Klubs rassistische Fans verfolgen“, erklärte Verbandspräsident Gabriele Gravina am 18. Oktober.

Am 3. November schoss Mario Balotelli beim Gastspiel gegen Hellas Verona aus dem Spiel heraus einen Ball in die Zuschauerränge. Der Stürmer von Brescia Calcio wurde immer wieder mit unüberhörbaren Affenlauten bedacht und wollte nicht mehr weiterspielen. Der schwarze Italiener, der aufgrund seiner Hautfarbe in der Vergangenheit immer wieder ekelhafte Anfeindungen über sich ergehen lassen musste, wurde von seinen Mitspielern bedrängt, weiterzuspielen.

Affenlaute im Stadion? „Wir haben nichts gehört“

Der Hellas-Vorstandsvorsitzende Maurizio Setti sagte anschließend Reportern: „Wir haben nichts gehört. Wenn es Fälle von Rassismus gibt, verurteilen wir sie als Erster, aber man sollte nicht verallgemeinern und von rassistischen Gesängen und Fans sprechen, wenn von 20.000 Zuschauern vielleicht zwei oder drei etwas sagen.“ Trainer Ivan Juric ergänzte: „Heute ist nichts passiert. Keine rassistischen Gesänge, überhaupt nichts.“

Die Sätze der Verantwortlichen und Offiziellen der Liga und des Verbandes sind einmal mehr offensichtlich nur leere Worthülsen. Wenn es sich Trainer, Funktionäre und selbst gesamte Vereine herausnehmen können, unüberhörbare rassistische Entgleisungen von Fans auf den Rängen zu entkräften, dann bewegt sich die italienische Liga immer stärker in eine völlig falsche Richtung. Es bleibt sich am Ende nur noch zu fragen: Was muss erst noch geschehen, damit endlich eingegriffen wird? Man mag es sich gar nicht vorstellen.

Bildrechte: © Joachim Schultheis, AUSSER das Bild von Kai Tippmann: © PZ-Media

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Buchbesprechung: 90 Minuten 1.FC Magdeburg https://120minuten.github.io/buchbesprechung-90-minuten-1-fc-magdeburg/ Tue, 19 Nov 2019 19:03:18 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6661 Weiterlesen]]> Wie soll, wie kann man die Geschichte des Herzensvereins in 90 Minuten oder 90 Momenten auch nur annähernd beschreiben, ohne dabei etwas zu vergessen? Oder anders gefragt, ist es denn überhaupt möglich, eine Vereinsgeschichte auf 90 Momente zu reduzieren? Reduktion bedeutet, etwas kompliziertes zu vereinfachen, um zum Kern durchzudringen. In Bezug auf dieses Buch besteht das Resultat darin, dass der 1. FC Magdeburg auf etwas mehr als 90 Momente reduziert wird, auf Leid und Freude, Euphorie und Schmerz. Hierbei werden Details ausgeblendet und im Mittelpunkt stehen die Spiele und die Momente.

Die Auswahl an Spielen des 1. FC Magdeburg ist sicher keine einfache gewesen, was noch einmal den Aufwand hinter diesem Buch unterstreicht. Wir erfahren, wie dicht Freud und Leid beieinander liegen. Nur ein Beispiel: 2001 steigt der Club in die Regionalliga, der damals dritthöchsten deutschen Spielklasse auf, um kurz darauf nur durch eine einmalige Spendenaktion der Fans und dank der Bürgschaft zweier Banken in der neuen Spielklasse überhaupt an den Start gehen zu können. Ein Jahr später folgt dann der Kollaps und die daraus resultierende Insolvenz.

Ein grober Schnitzer unterläuft dem Autoren doch. Der FC Bayern München kam 1974 nach Magdeburg um gegen den Club im Pokal der Landesmeister anzutreten, nicht im UEFA-Pokal. So ein Fauxpas wäre nicht weiter schlimm, würden sich nicht Geschichten um dieses Spiel aus den 1970ern ranken. Die Bayern hatten beispielsweise Angst vor Manipulation ihrer Mahlzeiten und hatten deswegen ihre eigene Verpflegung mitgebracht. Mehr noch, auch der Infrastruktur im Magdeburger Interhotel traute man nicht und zwang die Mannschaft, im Bus zu essen. Die Stasi ließ nichts unversucht, dem Klassenfeind eins auszuwischen und so wurde die Kabine der Bayern verwanzt und die Bänder wurden Heinz Krügel angeboten, welcher dankend ablehnte. Magdeburg schied aus. Die Revanche folgte allerdings fast 30 Jahre später als der Club die Bayern aus dem DFB-Pokal schoss. Dies sind nur zwei Momente, die im Buch festgehalten werden. Über den einen (1974) schüttelt man heute den Kopf, an den anderen (2000) erinnert man sich als Zeitzeuge gern zurück. Überhaupt ist die Mischung aus selbst Erlebtem und Historischem die Stärke dieses Bandes. Selbst die A-Jugend wird erwähnt nachdem sie 1999 den DFB-Pokal ihrer Altersklasse gewinnen konnte. Die zweite Mannschaft hat ebenfalls ihren Platz im Buch, legte sie doch den Grundstein für solche Abende, an die sich jeder erinnert: gegen Köln, Bayern und Karlsruhe 2000/01.

Hinzu kommen Fotos zu jeder einzelnen Spielminute, die das Spiel illustrieren und Erinnerungen hervorrufen. Alles in allem entsteht aus diesen ausgewählten Momenten ein facettenreiches Bild vom Club, welches die Geschichte der letzten 54 Jahre wunderbar darstellt. Dieses Buch reiht sich nahtlos ein in den wachsenden Literaturkanon zum 1. FC Magdeburg, dem einzigen Europapokalsieger der ehemaligen DDR und gehört in jede gut sortierte Bibliothek.

Infos zum Buch und Transparenzhinweise
Das Buch “90 Minuten 1. FC Magdeburg” ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und zudem bei jedem gut sortierten Buchhändler erhältlich.

Der Autor des Buches, Alexander Schnarr ist Redaktionsmitglied von 120minuten. Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Rezensionsexemplar kostenfrei zur Verfügung gestellt.

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Small Worlds – Amateurfußball als Forschungsprojekt https://120minuten.github.io/small-worlds-amateurfussball-als-forschungsprojekt/ https://120minuten.github.io/small-worlds-amateurfussball-als-forschungsprojekt/#respond Fri, 15 Nov 2019 11:10:41 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6650 Weiterlesen]]> Schätzungen aus dem Jahr 2006 zufolge sind etwa 265 Millionen Menschen aktive Fußballspieler. Die wenigsten davon sind Profis. Während diese kleine Gruppe professioneller Spieler die meiste Aufmerksamkeit (und das meiste Geld) bekommt, wird die große Masse ignoriert. Das Forschungsnetzwerk “Small Worlds” möchte dem Amateurfußball die Aufmerksamkeit widmen, die er verdient.

Sonntagskick im Victoria Park, Leicester 2005

Von Kristian Naglo

Amateurfußball: Ein wenig untersuchtes Phänomen

Zieht man die offiziellen Zahlen des Fußballweltverbandes FIFA heran, haben sich ungefähr 1,12 Milliarden Menschen das Finale der Weltmeisterschaft 2018 in Russland zwischen Frankreich und Kroatien angeschaut, davon circa 884,37 Millionen im Fernsehen und etwa 231,82 Millionen auf öffentlichen Events und auf digitalen Plattformen. Diese Statistiken deuten auf die Popularität des organisierten Fußballs weltweit hin. Doch wie viele Menschen spielen eigentlich Fußball unter dem allumfassenden Schirm des Weltverbands?

Die jüngsten Schätzungen aus dem Jahr 2006 sprechen von circa 265 Millionen organisierten Fußballer*innen weltweit. Doch offensichtlich ist nur ein sehr geringer Prozentsatz dieser Spieler*innen als professionell zu bezeichnen. Für die überwiegende Mehrheit spielt sich die Teilnahme am Fußball im nicht-professionellen (oder Amateur-)Bereich ab. Die Feststellung, dass dem nicht-professionellen Fußball in der akademischen Forschung nur wenig Beachtung geschenkt wird, ist dabei schlichtweg eine Untertreibung: Die Amateurspieler*innen auf lokaler Ebene, insbesondere wenn sie oder er nicht in die formale Organisationsstruktur von Vereinen und Verbänden eingebunden ist, sind weitgehend ein marginales und wenig untersuchtes/verstandenes Phänomen.

Das internationale Forschungsnetzwerk “Small Worlds: Football at the Grassroots in a Comparative European and Global Perspective” wurde im Jahr 2015 von Forschern aus Deutschland, Großbritannien und Irland ins Leben gerufen, um neue, innovative Perspektiven zum nicht-professionellen Fußball aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln der Sozialwissenschaften einen Raum beziehungsweise diskursiven Rahmen zu geben. Unsere Gruppe beschäftigt sich daher vornehmlich mit dieser nur selten untersuchten Dimension der Fußballkultur.

Kultureller und medialer Wandel

Das Fußballspiel hat sich zu einem bedeutsamen Alltagsphänomen mit globaler Reichweite und beachtlichem Potential für soziale Mobilisierung entwickelt. Als populäre Kultur des Globalen und Nationalen ist Fußball stark medial inszeniert und ohne die modernen Massenmedien schlechthin nicht mehr vorstellbar. Historisch kann man seit den späten 1980ern und dem Aufkommen des Privatfernsehens von einem tiefgreifenden Wandel im Sinne einer Beschleunigung von Kommerzialisierungsprozessen sprechen – vor allem aber mit Beginn der 1990er Jahre und der schrittweisen Übernahme der Übertragungsrechte des Profifußballs durch Pay TV-Sender etwa in Deutschland und Großbritannien. Fraglos hat die Form der Darstellung des professionellen Fußballs im Fernsehen und Internet wesentliche Auswirkungen darauf, wie die Beteiligten das globale Spiel wahrnehmen, was sie darüber wissen, und auch, wie sie sich dem Spiel gegenüber verhalten.

Solche Entwicklungsschübe des Fußballs haben eine große Anzahl an akademischen Studien hervorgebracht, die sich mit den Funktionen und Konsequenzen des Spiels auf der höchsten Ebene auseinandergesetzt haben. Im Anschluss an diese Arbeiten lässt sich formulieren, dass der professionelle Fußball Menschen zusammenbringt und Kommunikation stimuliert. Er beeinflusst Identitätsbildungsprozesse sowie Prozesse sozialer Integration und Exklusion, weil er das Potential besitzt, soziale Konflikte gleichzeitig zu entschärfen und zu befeuern. Außerdem kann er für Fans Aspekte einer Zivilreligion annehmen. Er ist dann oft nicht nur (bedeutsame) Trivialität in ihrem Alltag und eine Quelle kultureller Bereicherung, sondern häufig auch ein zentraler Referenzpunkt, gleichsam der wichtigste Teil ihres Lebens.

Der Ausgangspunkt der Small Worlds-Gruppe ist nun folgende Beobachtung: Die globale Fußballforschung setzt sich vor allem mit dem elitären, professionellen Spiel auseinander. Diejenigen, die auf den unteren Ebenen am Spiel partizipieren, angefangen bei semi-professionellen und hochklassigen Amateur*innen bis hin zu denjenigen, für die das Spiel im Wesentlichen eine Freizeitbeschäftigung oder eine Form der Teilhabe an der lokalen Gemeinschaft ist, werden bislang kaum berücksichtigt. Unsere Gruppe möchte dieses Ungleichgewicht angehen, indem wir Forscher_innen zusammenbringen, die ein gemeinsames Interesse an unterschiedlichen Interpretationen des nicht-professionellen Fußballs haben. Die Mitglieder*innen unseres Netzwerks untersuchen verschiedene Aspekte in verschiedenen nationalen Konstellationen mit dem Anspruch, Forschungsansätze zu etablieren, die international vergleichende Perspektiven ermöglichen sollen.

Forschungsfragen, Konzepte und Beispiele

Wie entwickelte sich der nicht-professionelle Fußball in unterschiedlichen nationalen Kontexten? Welche Ziele verfolgen Amateurvereine und wie versuchen sie, diese zu erreichen? Wie versuchen sie ihr Potential auf und jenseits des Spielfeldes in den jeweiligen regionalen und nationalen Kontexten umzusetzen? Welche Werte sind den teilnehmenden Akteur*innen dabei wichtig? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich in den verschiedenen nationalen Zusammenhängen verdeutlichen? Das sind einige der Fragen, denen sich die Gruppe unter Einbindung diverser Forschungsansätze und Perspektiven (Kulturgeschichte, Sozialwissenschaften) widmet.

Small Worlds of Football können in diesem Zusammenhang allgemein den Bereich des organisierten und nicht-organisierten Fußballs bezeichnen und somit die kleine Welt der Verbände und Vereine, der Spieler*innen, Trainer*innen, Funktionär*innen, Zuschauer*innen und Spielorte umreißen. Mit einem soziologischen Ansatz kann man kleine Welten des Fußballs auch als soziale Welten konzeptualisieren. Soziale Welten sind in diesem Sinne unterteilt in verschiedene Handlungs- und Wahrnehmungssphären, die jeweils ihren eigenen Wissens- und Bedeutungsvorrat haben und Muster sozialer Praktiken und Beziehungen aufweisen. In der Regel sind diese Welten und Subwelten um formale Organisationen herum angeordnet und kreisen um spezifische Kernaktivitäten (‚Fußball spielen‘). Beide Versionen kleiner Welten sind relevant für unsere Gruppe.

Beispielhaft lässt sich die Produktion von Bedeutung und Wissen auf unterschiedlichen Ebenen des Fußballs anhand des „katholischen“ schottischen Fußballvereins Celtic Glasgow verdeutlichen, dessen Gründung gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einem irischen Priester initiiert wurde: Narrative betonen nun einerseits die Herkunft des Clubs durch die Hervorhebung der vermeintlichen Bedeutung des irischen Katholizismus. Die Fans von Celtic beziehen sich während der Spiele – insbesondere während des „Old Firm Derby“ in der konflikthaften Auseinandersetzung mit dem „protestantischen“ Stadtrivalen Glasgow Rangers – symbolisch auf die irische Geschichte durch Lieder oder popkulturelle Versatzstücke: Songs wie „Fields of Athenry“ behandeln Themen wie die große irische Hungersnot (1845–1852) und die britische Besatzungszeit im 19. und 20. Jahrhundert, sie beziehen sich auf paramilitärische Gruppierungen (wie die Irisch Republikanische Armee, IRA) oder positiv auf die katholische Kirche (zum Beispiel durch Vergleiche zwischen dem gegenwärtigen Trainer Neil Lennon und dem Papst). Andererseits agiert der Verein als Global Player und verfolgt Investmentstrategien, die auf die Rekrutierung von Spielern und Zuschauern auch außerhalb des lokalen, spezifisch historisch-kulturell geprägten Raums abzielen. Auf der Ebene internationaler Wettkämpfe zwischen Nationalmannschaften, wie etwa bei Fußballweltmeisterschaften, lässt sich wiederum auf die symbolhafte Konstruktion nationaler Stile und Praktiken verweisen, etwa beim Singen der Nationalhymne oder der medialen Betonung historischer Rivalitäten (Deutschland – England), die letztlich die imaginierte Gemeinschaft „Nation“ als homogen erscheinen lassen, obwohl soziale Heterogenität offensichtlich Normalität ist.

Besonders spannend werden diese Zusammenhänge von Wissen und Bedeutung aber im Bereich des Amateurfußballs. In der Folge werde ich das am Beispiel der Symbolik von Kunstrasenplätzen skizzieren. Kunstrasenplätze als Spielflächen, die in den 1960er Jahren zunächst in den USA im American Football eingesetzt wurden und die seit den 1970er Jahren auch in Deutschland für Hockey und im Fußball angeboten werden, sind insbesondere im Profifußball als reguläre Wettkampfstätten umstritten. Der Plan des Weltfußballverbands FIFA beispielsweise, die Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada im Jahr 2015 auf Kunstrasenplätzen auszutragen, hat bei den Beteiligten Proteste hervorgerufen und dazu geführt, dass eine Gruppe von Spielerinnen eine Klage gegen den Weltverband, unter anderem wegen vermeintlich erhöhter Verletzungsgefahr, anstrengte. Dennoch fand die Veranstaltung auf Kunstrasenplätzen statt, gedacht wohl auch als Testlauf für zukünftige Wettbewerbe der Männer. Während der frühere FIFA-Präsident Sepp Blatter Kunstrasenplätze für die „Zukunft des Fußballs“ hielt – und übrigens auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) seit den frühen 2000er Jahren offensiv für den Bau von Kunstrasenplätzen wirbt –, bezeichneten die protestierenden Spielerinnen den Belag als „Untergrund zweiter Klasse“ und fühlten sich diskriminiert.

Im Amateurfußball nimmt die Diskussion nun eine andere Stoßrichtung. Hier werden Kunstrasenplätze in der Regel als Ausdruck eines Modernisierungsprozesses der Vereine im Sinne einer existenzsichernden Maßnahme gedeutet. Die Krise, die es zu überwinden gilt, wird in der Wahrnehmung der Akteure meist durch die nicht mehr zeitgemäßen Tennenflächen („Aschenplätze“) ausgelöst, die durch die neuen Astro Turfs ersetzt werden. Der Bau von Kunstrasenplätzen im Amateurbereich gilt dann als Prestigeobjekt. Seine Einweihung – z.B. durch einen Priester oder die Traditionsmannschaft eines Bundesligisten – wird in der Regel als großes Event gefeiert. Dies schließt in zweifacher Hinsicht an Entwicklungen im Bereich des professionellen Fußballs an: Zum einen haben sich Stadien in Deutschland seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 zu Vorzeigeobjekten des öffentlichen Raums entwickelt. Zum anderen symbolisieren diese Plätze häufig eine „hochgradig funktionale Differenzierung “, da sie einen Bereich repräsentieren, der vornehmlich für den Fußball und die lokale Gemeinschaft konstruiert wurde. Ihr Bau wird im Rahmen spezifischer Diskurse („Existenzsicherung durch Konkurrenzvorteil“ beziehungsweise „Gleichziehen mit der lokalen Konkurrenz“, „Grundlage für künftigen sportlichen Erfolg“, „Möglichkeit der Anwerbung besserer Spieler durch attraktiven Bodenbelag“) als alternativlos und Errungenschaft des Vereins dargestellt.

Die optische Gleichartigkeit der Kunstrasenplätze drückt dabei eine zunehmende Standardisierung und damit Homogenisierung des Raums aus, die dem Stadionprinzip im professionellen Fußball nahe kommt. Kunstrasenfelder bieten in dieser Hinsicht ein ideales Umfeld für die zunehmend kommunikative und praktische Modernisierung des Spiels, auch in den untersten Amateurbereichen und im Jugendfußball. Ihre Eigenschaften lassen daher vermehrt an Versatzstücke anschließen, die aus der kulturellen, medialen Zirkulationssphäre des Profifußballs stammen. Gleichzeitig wird im Rahmen von Legitimitätsdiskursen die Integration der lokalen Gemeinschaft betont. Paradoxerweise lösen also ausgerechnet „Plastikplätze“ – die ja ebenso gut lila eingefärbt sein könnten – ein Authentizitätsversprechen ein, indem sie einerseits die Teilnahme am großen Fußball suggerieren und andererseits das Lokale integrieren.

Eine besonders interessante Wendung nimmt die Diskussion um Kunstrasenplätze gegenwärtig, da Teile des zum Bau verwendeten Materials (‚Granulat‘) als umweltschädlich angesehen und von einer EU-Behörde auf seine Umweltverträglichkeit (Stichwort: Mikroplastik) geprüft werden. Während (eigentlich offensichtliche) umweltpolitische Belange oder gar Bedenken bislang überhaupt keine Rolle bei entsprechenden, in der Regel lokalpolitischen Genehmigungsprozessen und beim Bau der Astro Turfs spielten, könnte nun europaweit ein Verfahren eingeleitet werden, indem Vereine verpflichtet werden, das Granulat durch alternatives Material (z.B. Kork) zu ersetzen. Dies dürfte mit erheblichen Kosten verbunden sein. Es wird daher interessant sein, zu sehen, wie die unterschiedlichen Interessen (z.B. Modernisierungsbestrebungen vs. Umweltschutz) in den jeweiligen Kontexten (europaweit, national, lokal) moderiert werden.

Welten des nicht-professionellen Fußballs sind also ambivalente und hochinteressante Bedeutungsräume, da sie Repräsentanten einer gesellschaftlichen Tendenz sind, die durch die Dialektik zwischen Effizienzgedanken, Optimierungsprozessen und gesellschaftlich erzeugtem Druck (‚Fortschritt‘; ‚mithalten können‘; ‚Imitation‘) einerseits, sowie der Forderung, unter kontrollierten Bedingungen Spaß zu haben andererseits, charakterisiert werden kann. In der komplexen, aber regulierten Welt des Fußballs ist es nahezu unmöglich, klar zu differenzieren zwischen guter Leistung, (taktischer) Disziplin, Konzentration, Selbstbeherrschung und der alles überlagernden Forderung nach Spaß. Hier findet sich ein Bezug zur klassischen soziologischen Annahme, dass soziale Standards zunehmend internalisiert und in verschiedenen Bereichen kreativ umgesetzt werden (Norbert Elias). Entsprechend ist der nicht-professionelle Fußball charakterisiert durch seine spezifische Form der Institutionalisierung und Bürokratisierung (Verbände und Vereine), gleichzeitig aber auch durch die soziale Welt des Vereinsfußballs und die rahmensetzende Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft wird immer wieder neu definiert und neu geschaffen durch die Praktiken der involvierten Akteur*innen.

Demzufolge stellen der nicht-professionelle Fußball und seine Einbettung in die Vorstellung einer lokalen Identität die dominante Idee von Globalisierung als eindimensionalem Prozess, der vor allem durch Standardisierung gekennzeichnet wird, in Frage. Gleichzeitig sind lokale Praktiken und Wahrnehmungen im Amateurfußball durchaus stabil (z.B. Werte, Traditionen, Mythen) und beeinflussen Modernisierungsprozesse der Vereine unterhalb der professionellen Ebene. Aus diesem Zusammenhang lässt sich schließen, dass das Globale einen Bereich von Wahrnehmungen darstellt, der letztlich auf der lokalen Ebene interpretiert und analysiert werden muss. Unsere Annahme ist folglich, dass auf der Ebene des nicht-professionellen Fußballs ähnliche, gleichsam transnationale Wahrnehmungen existieren, die häufig von der globalen Welt des professionellen Fußballs beeinflusst werden. Von zentraler Bedeutung sind daher, aus unserer Sicht, unterschiedliche Annäherungen an den Gegenstand, die sich etwa mit der Geschichte, mit Spielern, mit Praktiken, Politiken oder der Wahrnehmung von Legitimität und Loyalität beschäftigen.

Unsere Analyse, wie auch unser Netzwerk, beruht damit auf der Idee des internationalen Vergleichs, auch wenn dieser nicht immer explizit geäußert wird: Das Ziel der Small Worlds besteht nicht in der Beschreibung einzelner Phänomene, sondern in der Ausweitung unserer inhaltlichen Basis, um zukünftig systematische und vergleichende Analysen zu ermöglichen. Dies beinhaltet vor allem die Suche nach Ähnlichkeiten und Differenzen, nach Mustern, Parallelen, Analogien und Ambivalenzen.

Special Issue: Small Worlds: Football at the Grassroots in Europe

In einem kürzlich erschienenen Sonderheft der Zeitschrift Moving the Social haben wir unter dem Titel ‚Small Worlds: Football at the Grassroots in Europe‘ erste in der Diskussion entwickelte Gedanken zum organisierten, nicht-professionellen Fußball in Deutschland, England und Irland ausgearbeitet. Diese drei Länder boten sich zunächst zur vergleichenden Analyse an. Fußball hat hier wenigstens seit 150 Jahren eine zentrale Position innerhalb der jeweiligen nationalen Gesellschaft eingenommen, mit jedoch teilweise stark unterschiedlichen Ausprägungen. Die einzelnen Beiträge des Bandes beschäftigen sich etwa mit der Quellenlage der historischen Forschung zum grassroots football in England und den sich aus der entsprechenden Forschung ergebenden Möglichkeiten (Dilwyn Porter, Leicester) oder mit der Entwicklung und Einordnung des nicht-professionellen Spiels in der Donegal League zwischen 1971-1996 im irischen Kontext (Conor Curran, Dublin). Ein Beitrag aus soziologischer Perspektive thematisiert die Bedeutung von Krisen (Symbolik von Kunstrasenplätzen), Events (Hallenfußballturnier) und Kernaktivitäten (Spielzug) in einem ethnografisch-soziologischen Rahmen anhand von Fallbeispielen im deutschen Kontext (Dariuš Zifonun/Kristian Naglo, Marburg). Ein weiterer Artikel aus wissenssoziologischer Perspektive fokussiert Eltern im deutschen Kinderfußball (Jochem Kotthaus, Karsten Krampe, Nina Leicht, Sina-Marie Levenig, Sebastian Weste, Dortmund). Ebenfalls soziologisch ist die Perspektive von Nina Degele (Freiburg) in ihrem Beitrag, der sich mit deutschen nicht-professionellen Spielern und Sportjournalisten und deren Positionen gegenüber Homophobie im Fußball auseinandersetzt. In einem review article bietet Jürgen Mittag (Köln) schließlich eine Übersicht der neuesten Entwicklungen im Bereich der Fußballforschung im Hinblick auf Protestbewegungen im lokalen und globalen Kontext.

Workshops

Der mittlerweile dritte Workshop im Rahmen unseres Netzwerks (nach Köln 2015 und Belfast 2018) fand am 12. Oktober 2019 in der Universität Bayreuth statt, und zwar unter dem Titel Non-Elite Football in a Comparative Context. Wesentliches Ziel der Diskussionen war die Etablierung international vergleichender Perspektiven in diesem Forschungskontext. Folgende Wissenschaftler_innen stellten ihre aktuellen Forschungsprojekte zur Diskussion: Den ersten Vortrag des Tages hielt Kristian Naglo aus Marburg, und zwar zur Frage integrativer Potentiale im Bereich des nicht-professionellen Fußballs (‚Sport as a Universal Language? Perspectives on Lower League Football and Integration‘). Benjamin Perasovic, Marko Mustapic und Dino Vukusic aus Zagreb sprachen im Anschluss über Entwicklungen im kroatischen Fußball, insbesondere über Neugründungen von Teams durch Fans (“Youth, Stigma and Non-elite Football: Notes from the Field”; “Futsal Dinamo – Example of a Fan-Ran Club”). Tarminder Kaur aus Johannesburg gab in ihrem Vortrag “Black Swallows FC: Ethnographic notes on how to get adopted by a football club in a remote South African village” ethnographisch orientierte Einblicke in die Fußballwelt einer südafrikanischen Dorfmannschaft, während Nina Leicht und Sina-Marie Levenig aus Dortmund Annahmen zu Perspektiven von Eltern und Kinder im Jugendfußball formulierten (“The Discovery of Talent – A mundane phenomenology of hopeful parents in non-professional soccer”). Dem folgend beschäftigte sich Michael Wetzels aus Berlin vor allem auch theoretisch mit Fragen nach Affekten, Gefühlen und Emotionen im Fußball (“Affect, Feeling, and Emotion as Processes of Belonging in the Cultural Field of Football”), und Christian Brandt aus Bayreuth referierte über Gründe und Hintergründe des Vereinssterbens im nicht-professionellen Fußball (“How does a club die? – First findings from the world of amateur football”). Jürgen Mittag aus Köln vermittelte Eindrücke hinsichtlich eines Projekts zu Ruhrgebiets-Bolzplätzen, die in Kürze zum Weltkulturerbe ernannt werden sollen. Dilwyn Porter und Kristian Naglo aus Leicester und Marburg stellten dann abschließend einen vergleichenden Forschungsansatz zur Untersuchung des deutschen und englischen Amateurfußballs vor (“Small soccer clubs as social entrepreneurs: some Anglo-German perspectives”).

Für den nächsten Workshop im kommenden Jahr sind bereits Veranstaltungsorte in Kroatien und England im Gespräch. Für weitere Informationen zu unserem Netzwerk richtet Euch bitte direkt an Dr. Kristian Naglo (k.naglo@dshs-koeln.de).

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Die Veröffentlichung dieses Beitrags wurde auch durch die Unterstützung des 120minuten-Lesekreises möglich. Vielen Dank dafür! Du möchtest 120minuten ebenfalls aktiv unterstützen? Dann bitte hier entlang!

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Autor*innen-Information: Dr. Kristian Naglo ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Kultur- und Sprachsoziologie mit besonderem Fokus auf dem Gebiet des Sports mit den Schwerpunkten Ethnografien von Fußballwelten und Konzepte von Mehrsprachigkeit und Interkulturalität. Seit 2015 ist er gemeinsam mit Professor Dilwyn Porter Leiter der internationalen Forschungsgruppe Small Worlds: Football at the Grass Roots in a Comparative European and Global perspective.

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Du hast auch ein Thema, das Dich bewegt und das gut zu 120minuten passen könnte? Dann wäre vielleicht unser Call for Papers etwas für Dich!

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Ins Heft geschaut: ballesterer 146 https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-146/ https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-146/#respond Fri, 01 Nov 2019 17:06:35 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6615 Weiterlesen]]> Fußball in Berlin

Fußball in Berlin – Der Schwerpunkt der Ausgabe 146 des ballesterer Fußballmagazins. Pünktlich zum 30. Jahrestag des Mauerfalls blickt alle Welt wieder nach Berlin, so wie es einst Willy Brandt gefordert hat. Die Kolleg*innen vom ballesterer schauen sich dabei den Fußball vor und nach dem Mauerfall an und liefern eine Bestandsaufnahme 30 Jahre danach.

Kurz vor dem Spiel Hertha gegen Union am 2. November passt dieses Spezial auch tagesaktuell sehr gut. Seit 1989/90 gibt es in Berlin nur noch Union und/oder Hertha; der DDR-Seriensieger BFC ist komplett abgetaucht und scheint sich damit arrangiert zu haben. TeBe spielt mittlerweile gar keine Rolle mehr außerhalb der Stadtgrenzen.

Die Beziehung der Berliner zum Fußball und ihren Clubs ist einzigartig, so sehr, dass selbst Unionen und Herthaner unison sagen, dass Berlin keine Fußballstadt, sondern eben Berlin sei. Um eine Fußballstadt zu werden, braucht es das Derby, umso schöner, dass es jetzt endlich dort stattfindet, wo es die meisten sehen: in der 1. Bundesliga.

Polizeigewalt ist ein weiteres Thema im Heft und womöglich ein dringenderes. Einer Studie der Ruhr-Uni Bochum zufolge erfahren Fußballfans und Demonstrationsteilnehmer*innen sehr oft Polizeigewalt am eigenen Leib; in nur 25% der Fälle wird auch Anzeige erstattet. Besonders auffällig dabei ist die fehlende flächendeckende Kennzeichnungspflicht der Polizeibeamten, was eine Anzeige erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht.

Abgerundet wird die Ausgabe durch Geschichten aus Mainz, wo Karim Onisiwo sich in derzeit bestechender Form befindet und mit 120minuten-Kollegin Mara Pfeiffer über seine Höhen und Tiefen spricht. Oder aus Nairobi/Linz, wo Helmut Köglberger 2013 die Fußballakademie Acakoro gegründet hat und dort neben dem Fußball vor allem Sozialarbeit leistet.

Wie wichtig Stadien für den Fußball sind, erfahrt ihr ebenfalls in dieser Ausgabe; dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch das Heft, denn auch der SC Wiener Neustadt hat ein neues Stadion bekommen, während das Linzer Stadion zusehends verfällt. Auch Hertha hat Probleme mit der eigenen Spielstätte. Es ist nur dreimal pro Saison voll: Wenn Bayern und Dortmund kommen, sowie zum Derby. Union hat dagegen in Zusammenarbeit mit den Fans das Stadion erneuert, während die Heimspielstätte des BFC Dynamo, der gute alte Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark, abgerissen werden soll.

Wo gibt’s das Ding?

Den ballesterer Nummer 146 findet ihr in Österreich bereits im gut sortierten Zeitschriftenladen und bald auch in Deutschland im Bahnhofsbuchhandel. Wer nicht so lange warten will, kann das Heft auch bestellen. Oder gleich abonnieren.

Den ballesterer gibt es seit kurzer Zeit aber nicht nur zu lesen, sondern auch auf die Ohren. In Kooperation mit 120minuten erscheint zu jeder Ausgabe eine neue Podcast-Folge “ballesterer in 120minuten”. Es geht vielleicht nicht unbedingt über die volle Distanz der zwei Stunden, aber hörenswert ist es allemal. Denn die Autor*innen des Magazins, Expert*innen und Gäste vertiefen in diesem Gespräch das Titelthema. Der Podcast zu diesem Heft erscheint in Kürze. Alle bisher erschienenen Folgen könnt ihr hier nachhören.

(Transparenzhinweis: Der aktuelle „ballesterer“ wurde uns von der Chefredaktion unentgeltlich und vorab zur Besprechung zur Verfügung gestellt.)

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Rezension: Reds https://120minuten.github.io/rezension-reds/ https://120minuten.github.io/rezension-reds/#respond Mon, 28 Oct 2019 08:00:23 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6618 Weiterlesen]]> Die Geschichte des FC Liverpool

Der FC Liverpool scheint die Mannschaft der Stunde in England zu sein. In der vergangenen Saison wurden die „Reds“ hinter Manchester City mit 97 Punkten in der Premier League die beste zweitplatzierte Mannschaft in der Geschichte des englischen Fußballs. Nur wenig später gewann die Mannschaft von Jürgen Klopp zum sechsten Mal die Champions League. Mit 24 Punkten aus acht Spielen ist man zudem ungeschlagen Tabellenführer. Einzig der Auftakt im Europapokal 19/20 wurde mit einer 2-0 Niederlage in Neapel vergeigt; man kann nicht alles haben.

Solch eine Momentaufnahme ist immer schön anzuschauen, doch wie sah es in der Geschichte dieses Vereins aus? Wer waren die Gründungsväter? Wie kommt der Name „Anfield“ zustande? Was war in Heyse passiert? Hillsborough? Auf diese und noch viel mehr Fragen gibt „Reds. Die Geschichte des FC Liverpool“ von Dietrich Schulze-Marmeling Auskunft. Der Autor ist kein Unbekannter, liegen doch von ihm bereits Werke zu Fußballinstitutionen wie Manchester United, Celtic und George Best vor.

In insgesamt sechs Kapiteln wird die Geschichte von der Gründung, die ersten Gehversuche, die ersten Erfolge, die Wiedergeburt unter Shankly, die Katastrophen, die Zeit seit der letzten Meisterschaft 1990 sowie die Zeit mit Klopp beleuchtet. Aufgelockert werden die Kapitel von insgesamt 19 Einwürfen von Gastautoren wie Uli Hesse, Hardy Grüne, Pit Wuhrer und Malte Oberschelp, die sich mit je einem Aspekt des FC Liverpool, z.B. dem Wappen der Vereins, der Musikszene der Stadt, der Geschichte der Vereinshymne „You’ll Never Walk Alone“ und noch viel mehr beschäftigen. Herausgekommen ist ein Buch, welches durchaus als Standardwerk bezeichnet werden kann.

Einzig das letzte Kapitel ist etwas dünn geraten, weil den meisten diese Ereignisse noch gut in Erinnerung sein werden; es handelt sich um die Ära Klopp, von Oktober 2015 bis zum Sieg in der Champions League 2019 und die Saison 2018/19 in der Premier League. Jedoch dieser kleine Schwachpunkt soll den geneigten Leser nicht davon abhalten, die vorhergehenden fünf Kapitel zu lesen. Sie sind lesenswert.

Der rote Faden durch dieses Buch ist die Beziehung der Stadt Liverpool mit dem Club, mit ihren Clubs, denn es gibt ja noch den FC Everton, welches ein ganz besonderes Verhältnis geworden ist im Zuge der De-Industrialisierung der 1980er Jahre und einer Regierung, die es auf die Abschaffung der Stadt abgesehen hatte. Insbesondere im Nachgang der Hillsborough-Katastrophe wurde deutlich, dass die Stadt hinter dem Verein steht; 30 Jahre später sind die Vorwürfe widerlegt aber noch längst nicht alle Wunden geheilt. Natürlich sind die Fans von Liverpool keine Heiligen; unter ihnen gab und gibt es Rassisten und Hooligans, die nichts weiter im Sinn hatten und haben, als Unruhe zu stiften. Das wird in diesem Werk nachdrücklich erwähnt, besonders auch im Zusammenhang mit Heysel 1985. Trotzdem erwähnt Schulze-Marmeling, dass es eine bittere Ironie ist, dass ausgerechnet die Fans des FC Liverpool so gebrandmarkt wurden, sie die die modernen Fangesänge erfunden haben und eher durch Wortwitz als Schlagkraft auffielen.

Ein durchweg lobens- und lesenswertes Buch zu einem der größten und populärsten Vereine im Weltfußball.

Infos zum Buch
Das Buch “Reds. Die Geschichte des FC Liverpool” ist im Werkstatt-Verlag erschienen. Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.
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Ins Heft geschaut: ballesterer 145 https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-145/ https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-145/#respond Fri, 20 Sep 2019 11:36:23 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6525 Weiterlesen]]> Die Ausgesperrten der Liga

Stadionverbote – Der Schwerpunkt der Ausgabe 145 des ballesterer Fußballmagazins nähert sich einem der großen Themen, die Fußballfans umtreiben. Wie geht es den „Ausgesperrten“? Wie sieht die Rechtslage aus? Bringen Stadioverbote etwas? Das und noch viel mehr lest ihr in der aktuellen Ausgabe, in die wir einen Blick vorab werfen durften.

Fußballfans sind Gewohnheitstiere. Ihre Gewohnheit besteht darin, alle zwei Wochen ins Stadion zu gehen, um ihren Herzensverein anzufeuern, sie fahren auswärts mit, gucken sich vielleicht sogar Jugendspiele an. Kurzum, sie geben viel für den Verein; der Verein ist ihre Gewohnheit. Was geschieht aber, wenn diese Gewohnheit weggenommen wird? Wie geht es Fans auf Entzug? Die Titelgeschichte im aktuellen ballesterer geht genau dieser Frage nach und nähert sich diesem Thema auf einer fiktiven Ebene. So interessant das klingt, wirft es auch die Frage auf, warum fiktiv? Warum nicht die Erfahrungen von tatsächlich Ausgesperrten einzuholen? Derer gibt es in Österreich „nur“ 122, in Deutschland sind es über 4000. Das sind viele Stimmen für einen Erfahrungsbericht.

Im folgenden Interview erläutert Helmut Mitter von der Rechtshilfe Rapid, wie sinnvoll Stadioverbote sind: nämlich gar nicht: „Mehr Polizei bedeutet nicht mehr Sicherheit, mehr Regeln bedeuten nicht, dass weniger passiert“, sagt er. Überhaupt ist das Wort Stadionverbot erst seit den frühen 2000er Jahren in aller Munde, seit die ersten verhängt wurden. Für ein Mitglied der Faninitiative Innsbruck sind Stadioverbote vor allem eines, die Aushebelung eines rechtsstaatlichen Prinzips, der Unschuldsvermutung.

Mario Kempes war einer der Stars der WM 1978 in Argentinien. Zum 125-jährigen Geburtstag des First Vienna FC weilte er im August in Wien und gab Auskunft über seine Zeit bei der Albiceleste sowie in Österreich. Interessant ist bei diesem Interview vor allem die Aussage, dass er es bedauert, dass die Frauennationalmannschaft seines Landes so schlecht behandelt wird und dass es bei Beschwerden der Spielerinnen sogleich Ausschlüsse aus dem Team gab.

Jeder, der sich mit Fotografie beschäftigt, kennt das Problem des Filmwechsels. Mitten in einer tollen Landschaft, während unglaublicher Momente ist der Film voll und muss gewechselt werden. Die Motive, das Licht, der Moment – alles weg. Mit dem Projekt Goal Click stehen die Protagonist*innen, allesamt Spieler*innen, vor der Aufgabe, ihre Geschichte in nur 27 analogen Fotos zu erzählen. Es gibt nur eine Einwegkamera. Männer wie Frauen, Profis wie Amateure haben für dieses Projekt ordentlich auf den Auslöser gedrückt und heraus kamen eine ganze Menge interessanter Fotoessays.

Daneben gibt es noch eine Zahl anderer Geschichten, die ebenso lesenwert sind. Da ist die Geschichte von Guiseppe Koschier, der mit dem Wiener SC Meister und Pokalsieger wurde und später das Schneiderhandwerk lernte. Als Stopper war er robust, als Schneider legte er Wert auf Eleganz. Toni Polster dürfte jedem noch ein Begriff sein. Derzeit ist er Trainer der Wiener Viktoria und hat den Club in die Regionalliga geführt. Wichtig für den Erfolg ist die Mischung aus familiärem Flair und internationalem Scouting. Die Ultra-Szenen in Italien sind hochpolitisiert und -organisiert. Die Bandbreite der Verstrickungen der Lazio-Kurve in das organisierte Verbrechen wurde durch die Ermordung des Anführers, Fabrizio Pisticelli deutlich.

Wo gibt’s das Ding?

Den ballesterer Nummer 145 findet ihr seit dem 19. September 2019 in Österreich im gut sortierten Zeitschriftenladen und bald auch in Deutschland im Bahnhofsbuchhandel. Wer nicht so lange warten will, kann das Heft auch bestellen. Oder gleich abonnieren.

Den ballesterer gibt es seit einiger Zeit aber nicht nur zu lesen, sondern auch auf die Ohren. In Kooperation mit 120minuten erscheint zu jeder Ausgabe eine neue Podcast-Folge “ballesterer in 120minuten”. Es geht vielleicht nicht unbedingt über die volle Distanz der zwei Stunden, aber hörenswert ist es allemal. Denn die Autor*innen des Magazins, Expert*innen und Gäste vertiefen in diesen Gesprächen die Titelthemen. Der Podcast zu diesem Heft erscheint in Kürze. Alle bisher erschienenen Folgen könnt ihr hier nachhören.

(Transparenzhinweis: Der aktuelle „ballesterer“ wurde uns von der Chefredaktion unentgeltlich und vorab zur Besprechung zur Verfügung gestellt.)

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Die 60 wichtigsten Episoden der deutschen Fußballgeschichte, Teil 2 https://120minuten.github.io/die-60-wichtigsten-episoden-der-deutschen-fussballgeschichte-teil-2/ https://120minuten.github.io/die-60-wichtigsten-episoden-der-deutschen-fussballgeschichte-teil-2/#respond Fri, 20 Sep 2019 06:00:25 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6499 Weiterlesen]]> Fußball wird seit etwa 150 Jahren in Deutschland gespielt, das heißt, in den Grenzen des damaligen Kaiserreiches. Zunächst waren es vor allem englische Händler, Studierende und Touristen, die das ihnen vertraute Spiel aus der Heimat auch hier gemeinsam spielten. Dort war die reglementierte Fassung des Spiels seit einem halben Jahrhundert bekannt. Diese Serie beschreibt die 60 wichtigsten Momente des Fußballspiels in Deutschland. Im zweiten Teil geht es um die Jahre 1904 bis 1934.

von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de) unter Mitarbeit der 120minuten-Redaktion | September 2019

1904
Deutschland wird in die FIFA aufgenommen

Am 21. Mai 1904 wurde in Paris die FIFA (Fédération Internationale de Football Association) gegründet. Zu den Gründungsverbänden gehören die Fußballverbände der Schweiz, Dänemarks, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens und Schwedens sowie der spanische Fußballclub Madrid Football Club. Der DFB ist zwar kein Gründungsmitglied der FIFA, aber er trat ihr noch am gleichen Tag telegrafisch bei. Grund dafür war, dass der Bundestag des DFB, der am gleichen Tag stattfand, den Beitritt beschließen musste. Die Mitglieder des DFB-Bundestages stimmten bei Beitritt zu, sodass dieser nachträglich nach Paris gemeldet wurde.

Der erste internationale Wettbewerb, den die FIFA ausrichtete, war das Fußballturnier während der Olympischen Sommerspiele 1908 in London. Es war zugleich das erste Fußballturnier bei den Olympischen Spielen. Deutschland war nicht vertreten, da erst 1908 eine deutsche Nationalmannschaft der Herren gegründet worden war.

1905
Der DFB gibt seine ersten offiziellen Fußballregeln heraus

Der DFB organisierte sich nach seiner Gründung 1900 zügig. Noch im Gründungsjahr wurden mehrere Ausschüsse gebildet, unter anderem der Spielausschuss. Zu dessen Aufgaben gehörten Entscheidungen bei Spielprotesten, die Erstellung und Aktualisierung der Spielregeln sowie nach deren Einführung die Leitung der internationalen und nationalen Spiele (Meisterschaft, Kronprinzenpokal, Länderspiele).

Nicht, dass man die ersten Jahre ohne Regeln oder eigenen Regeln gespielt hätte, aber es waren nicht die ganz aktuellen Laws of the Game des IFAB, die verwendet worden waren. Das war damals so noch möglich, da das IFAB, das International Fooball Association Board, zwar bereits seit 1886 die Spielregeln lenkte und verwaltete, ihm aber nur die vier britischen Verbände angehörte. Die FIFA, und damit auch der DFB, wurde erst 1913 im IFAB stimmberechtigt. Dennoch orientierte man sich aber auf dem europäischen Kontinent an den Laws of the Game, insbesondere bei Länderspielen, um leicht eine gemeinsame Basis zu haben.

Die für die Saison 1905/06 vom DFB herausgegebenen Regeln basierten auf den aktuellen IFAB-Regeln, die ins Deutsche übersetzt wurden. Zunächst aber ohne weitere Erklärung des DFB im Büchlein mit den Spielregeln, was zu einer sehr unterschiedlichen Regelauslegung durch die agierenden Schiedsrichter führte.

Auszug aus den IFAB-Regeln, wie sie der DFB für die Saison 1905/06 herausgab
Das Spielfeld sollte in der Länge 101-110 m, in der Breite 64-73 m messen
Gleiche Markierungslinien wie heute
Gleiche Tormaße wie heute
Der Ball musste nicht mit Leder überzogen sein, war es aber üblicherweise, Umfang und Gewicht waren die gleichen wie heute, aber der Druck war nicht vorgeschrieben
Acht bis elf Spieler*innen, keine Auswechslungen erlaubt
Kleidung: Langärmliges Trikot, Hose bis zu Knien, Schienbeinschoner und Schuhe ohne abstehendes Metall, ohne Nummerierung
Spieldauer: 90 Minuten, Verlängerung von 2x 15 Minuten, aber Halbzeitpause 5 Minuten. Seitenwechsel nur zur Halbzeit(en)
Vor Spielbeginn Münzwurf, Sieger*in wählt zwischen Seitenwahl oder Anstoß
Spielbeginn: Vom Mittelpunkt, alle anderen Spieler*innen außerhalb des Mittelkreises in ihrer Hälfte. Anstoß Richtung gegnerisches Tor. Nach Halbzeit hat gleiche Mannschaft wie zu Beginn den Anstoß.
Torerzielung: Zwischen den Torpfosten, unterhalb der Torstange ins Toraus
Schiedsrichter*in:
Nahm auf Spielfeld teil und reagierte direkt
Tatsachenentscheidungen waren bindend
Aufgaben:
Zeitmessung – es war nicht festgeschrieben, dass verloren gegangene und vergeudete Zeit nachgespielt werden muss, war aber üblich
Verwarnung und Feldverweis
Vorzeitige Beendigung des Spiels
Spielberichte
Schiedsrichterassistent*innen:
Waren selten neutral, sondern Mannschaftsoffizielle, und konnten bei Fehlverhalten durch di*en Schiedsrichter*in des Feldes verwiesen werden, di*er dann eine*n neuen bestimmte
Signale durch Fahne oder Stange, Zeichen mussten vorher definiert werden
Aufgaben:
Spieler*innenkleidung kontrollieren
Schiedsrichter*in auf Fehlverhalten aufmerksam machen
Anzeigen, wenn Ball aus Feld
Keine weiteren Assistenten für Schiedsrichter*in
Abseits war man, wenn man im Moment des Passes zwischen Ball und gegnerischem Tor stand und sich zudem weniger als drei Gegenspieler*innen vor einem befanden
Einwurf wie heute, Eckstoß und Abstoß fast wie heute (keine direkte Torerzielung erlaubt; Ball musste Strafraum nicht verlassen, um im Spiel zu sein)
Freistöße wurden seit 1904 zwischen direkte und indirekt unterschieden (direkte Freistöße bei Fouls und Handspiel, indirekte Freistöße bei sonstigen Regelverletzungen)
Schiedsrichter*innenball als Spielfortsetzung, wenn das Spiel nicht wegen einer Regelverletzung unterbrochen wurde
Torhüter*innen
konnten gleiche Trikots wie Feldspieler*innen tragen
beim Elfmeter bis auf 5,5 m an Ball herankommen
durften Ball nur im eigenen Torraum mit den Händen halten, nicht tragen
Unerlaubte Fouls und Handspiel wie heute. Karten aber erst ab 1970 (gelb & rot) bzw. 1991 (gelb-rot)

1908
Einführung des Kronprinzen-Pokals (heute: DFB-Pokal)

Der 1882 geborene Wilhelm von Preußen unterstützte verschiedene englische Sportarten. Er war der älteste Sohn des deutschen Kaisers Wilhelm II. und damit Kronprinz, aber auch Enkel von Kaiserin Victoria („Kaiserin Friedrich“) und damit Urenkel von Queen Victoria von Großbritannien.

Um sich für die Sportarten zu engagieren, stiftete er für einige von ihnen Wanderpokale – so auch für den Fußball. Der ab der Saison 1908/09 ausgespielte so genannte Kronprinzenpokal war der Vorläufer des heutigen DFB-Pokals. An dem Wettbewerb nahmen ausgewählte Vereine teil, die Mitglied im DFB waren.

In der ersten Saison nahmen nur Auswahlmannschaften der Regionalverbände teil. Den ersten Pokal gewann am 18. April 1909 die Auswahl des 1900 gegründeten Verbandes Mitteldeutscher Ballspiel-Vereine (alles Spieler Leipziger Vereine) gegen den Verband Berliner Ballspielvereine (seit 1897 der Verband der Berliner Vereine) auf dem Viktoria-Platz in Berlin-Mariendorf vor 3000 Zuschauer*innen.

1908
Erstes offizielles Länderspiel der Nationalmannschaft der Herren

Das erste Länderspiel einer deutschen Herrennationalmannschaft fand am 5. April 1908 in Basel gegen die Schweiz statt, wo bereits seit 1860 Fußball gespielt wurde. Vor 3.500 Zuschauern spielten elf vom DFB bestimmte Spieler, die sich erst im Hotel kennengelernt hatten und ohne gemeinsames Training die 90 Minuten auf einem schlammigen Feld absolvierten. Einen Bundestrainer gab es nicht.

Deutschland verlor das Spiel 3:5. Die Presse fand in Linksverteidiger Jordan den Schuldigen für die Misere – er hatte per Eigentor das 2:1 für die Schweiz geschossen und damit vermeintlich die Niederlage eingeleitet.
Mehr dazu auch im Kalenderblatt von 120minuten: 05.04. – Deutschland, international! von Lennart Birth.

1912
Die Nationalmannschaft der Herren spielt erstmals bei den Olympischen Spielen

Nach 1908 fand auch während der Olympischen Sommerspiele 1912 in Stockholm ein internationales Fußballturnier statt. Es war das erste, an dem die vier Jahre zuvor gegründete deutsche Herrennationalmannschaft teilnahm. Das Finale gewann Großbritannien gegen Dänemark, Ungarn das Spiel um Platz 3 gegen Österreich (obwohl beide Mannschaften damals Teil des gleichen Reiches waren). Elf Fußballnationalmannschaften nahmen an dem Turnier teil: Dänemark, Deutschland, Finnland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Russland, Schweden und Ungarn.

Insgesamt wurden 17 Spiele ausgetragen, in denen 94 Tore fielen (5,53 Tore pro Spiel) und die 83.700 Zuschauer*innen (4.924 Zuschauer*innen pro Spiel) sahen. Als Modus wurde von der FIFA als Veranstalterin das K.o.-System gewählt. Bei einem Unentschieden nach 90 Minuten gab es eine Verlängerung von 30 Minuten. Wenn es im Spiel nach der Verlängerung immer noch unentschieden stand, sollte ein Wiederholungsspiel angesetzt werden, doch dazu kam es bei keiner der Partien.

Damit nicht viele Mannschaften nach nur einem Spiel wieder nach Hause fahren mussten, wurde für diese eine so genannte Trostrunde ausgespielt. Dort landete auch das deutsche Team, das 1:5 gegen Österreich verlor, obwohl es zur Halbzeit mit 1:0 geführt hatte. Diese Trostrunde ist der Grund, weshalb es quasi zwei Torschützenkönige gab, nämlich einerseits Harold Walden (Großbritannien), der während des eigentlichen Wettbewerbs die meisten Tore erzielte, und andererseits Gottfried Fuchs (Deutschland), der zehn Treffer im Trostrundenspiel gegen Russland (16:0) schoss – einen Treffer mehr als Walden im ganzen Turnier. Nach jenem Sieg gegen Russland scheiterte Deutschland im Trostrunden-Halbfinale gegen Ungarn 3:1.

1920
Gründung des Sportmagazins Kicker durch Walther Bensemann

1919 arbeitete Walther Bensemann kurz für Eugen Seybolds renommierte Zeitschrift „Fußball“, stieg dann aber aufgrund von Differenzen aus. Sein Ziel war es, eine eigene Fußballzeitschrift zu etablieren, die wöchentlich erscheint.

Bensemann hatte allerdings kein Vermögen, mit dem er seine Idee in die Tat umsetzten konnte. Aber er konnte seine zahlreichen Kontakte in Deutschland, England und der Schweiz nutzen, die er in den vorherigen Jahrzehnten durch seine Tätigkeit als Spieler, Vereinsgründer und Mitglied in verschiedenen Vereinsvorständen und Verbänden kennengelernt hatte. Ihm wurde Eduard Reuss vermittelt, der eine Druckerei in Konstanz besaß und der sich bereit erklärte, Bensemanns Zeitung zu drucken, ohne dafür im Vorhinein finanzielle Sicherheiten zu erhalten. Dafür zog Bensemann von München nach Konstanz. Als Journalist hatte Bensemann allerdings ebenfalls kaum Erfahrung.

Dennoch, die erste Ausgabe des Kicker erschien am 14. Juli 1920. Charakteristika des Heftes waren Berichte über Fußballspiele im Südwesten Deutschlands, aber auch über Fußball im Ausland, die Walther Bensemann durch dortige Kontakte erhielt. Außerdem schrieb Bensemann regelmäßig Glossen zu aktuellen Themen des Fußballs.

Ende 1921 zog Bensemann nach Stuttgart – und mit ihm der Kicker. Dieser Umzug bedeutete aber nicht, dass sich etwas an seiner finanziellen Lage geändert hätte. 1922 und 1923, in Zeiten der Hyperinflation, brauchte Walther Bensemann einen Kapitalgeber, um seine Zeitschrift weiterhin zu drucken. 1924 besserte sich sie Lage. Bensemanns Publikation wurde das offizielle Organ des süddeutschen Fußballverbandes und zog im darauffolgenden Jahr nach Nürnberg, wo noch heute der Verlagsort des Kickers ist.

1920er Jahre
Erstmals Frauenfußballclubs in Deutschland

Der 1. Weltkrieg führte zu einer Emanzipierung der Frau, nicht nur in Deutschland. Aber im Gegensatz zu Ländern wie England und Frankreich, drängten die Fußball spielenden Frauen in Deutschland kaum in den Vordergrund. Für die Zeit vor 1920 gibt es keine Belege für Frauen, die Fußball in Deutschland spielten. Abgesehen von jener Spielart, bei der Frauen im Kreis stehend sich gegenseitig den Ball zuspielen – und selbst diese galt als moralisch verwerflich.

In Deutschland entwickelte sich in den frühen Zwanzigern der Typ des Sportgirls, junge Frauen unter 21 Jahren, die diverse Sportarten für sich ausprobierten. Fußball wurde hier vor allem von Studentinnen gespielt: Die ersten organisierten Spiele fanden im Rahmen der Deutschen Hochschulmeisterschaften 1922 statt und das erste dokumentierte Fußballspiel von Frauen war ein Spiel zwischen zwei Hochschulmannschaften 1927.

Der erste Frauenfußballverein in Deutschland war der 1930 von Lotte Specht in Frankfurt gegründete Damen-Fußball-Club, der mangels anderer Möglichkeiten gegen Männerclubs spielte und nur ein Jahr existierte. Zwar hatten darin 25 bis 30 Frauen im Alter zwischen 18 und 20 Jahren zusammengefunden, aber die Konfrontationen und Beschimpfungen durch Zuschauende und im Alltag der Frauen führten schlussendlich zur Auflösung des Clubs.

1925
Erste Liveübertragung eines Fußballspiels im deutschen Hörfunk

Das neue Medium Radio, dessen Verkaufszahlen zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen, war ganz elementar für Sportinteressierte. Es war für den Sport und die Radiohersteller eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen – und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC Ende 1925? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, nur um dann 1928 stark zurückzurudern: Um die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine nicht zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Pokal-Endspiel sowie drei Länderspiele an den Deutschlandsender vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer, und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem bei Spielen gegen erfolgreiche Mannschaften oder Mannschaften aus der Umgebung, die schon damals viele Zuschauer ins Stadion lockten. Bei diesen Spielen war eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten.

1932
Die Gründung der ersten Profiliga der Herren in Deutschland

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, beginnend mit dem Börsencrash am 29. Oktober 1929, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb wegen aus seiner Sicht moralischen Gründen bei seinen Prinzipien, nur den Amateurfußball zu erlauben. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren zugleich Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten nicht unter Tage arbeiten, erhielten aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Doch die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbands innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein: Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen.

Aber der Profifußball war damit noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine hielt an und zwei Jahre später fürchteten die Verantwortlichen beim DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass man – wie Alcock in England circa 50 Jahre zuvor – den Fußballsport legalisiert, um ihn so besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht mehr. Daran hatten allerdings nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen, da Deutschland bei Wettkämpfen noch besser gegen anderen Nationalmannschaften abgeschnitten hätte. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB, wurde 1933 mit der Leitung des Fachamtes Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs direkt wieder rückgängig.

1934
Deutschland nimmt erstmals an einer Weltmeisterschaft teil

22 Jahre nach Deutschlands erste Teilnahme mit einer Herrennationalmannschaft bei den Olympischen Sommerspielen nahm diese 1934 an ihrer ersten Weltmeisterschaft teil. Diese fand vom 27. Mai bis 10. Juni 1934 in Italien statt. Deutschland erreichte überraschend Platz 3 im Spiel gegen Österreich (7. Juni 1934). Das Spiel ging in die Geschichtsbücher ein, weil Deutschland und Österreich beide schwarz-weiße Trikots hatten. Ausweichtrikots waren nicht üblich, aber hier erforderlich. Per Los wurde entschieden, wer in seinen Farben spielen durfte. Deutschland gewann die Auslosung und die österreichischen Spieler mussten in den eilig aufgetrieben Trikots des SSC Neapel spielen.

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Fußball beim HFC Falke: Alle Macht den Mitgliedern https://120minuten.github.io/fussball-beim-hfc-falke-alle-macht-den-mitgliedern/ https://120minuten.github.io/fussball-beim-hfc-falke-alle-macht-den-mitgliedern/#comments Wed, 17 Jul 2019 14:30:24 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6353 Weiterlesen]]> Im Juni 2014 wurde von enttäuschten Anhänger*innen des Hamburger SV ein neuer Verein gegründet: der HFC Falke. Die Namenswahl nimmt dabei bewusst Bezug auf zwei der drei Gründungsvereine des Hamburger SV: Hamburger FC von 1888 und FC Falke 1906.

Von Saskia Neumann

HFC Falke, da klingelt doch etwas?

Zumindest den Namen sollte man schon mal gehört haben, wenn man sich in den letzten Jahren mit Fankultur in Deutschland auseinandergesetzt hat. Der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat und in der Konsequenz zur Falke-Gründung führte, war im Sommer 2014 beim Hamburger SV e.V. die Umwandlung der Profifußball-Abteilung des mitgliedergeführten Vereins in eine Aktiengesellschaft. Es sind üblicherweise solch dramatische Veränderungen, die quer durch Europa neue fangeführte Vereine entstehen lassen, sei es den belgischen YB SK Beveren oder mit dem FC United of Manchester in England den wohl bekanntesten Vertreter. Wenn es im Sport nur noch um enthemmte Gewinnmaximierung geht und die Gier keine Grenzen mehr kennt, wenn die Unersättlichkeit Dimensionen erreicht, die für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar sind, dann ist es nicht verwunderlich, wenn sich treue Fans abwenden. Denn was dabei verloren geht, ist jene Mitbestimmung, durch die sich viele Mitglieder noch als wirklichen Teil des eigenen Vereins verstehen.

Und so trafen sich kurz nach der Ausgliederung enttäuschte Mitglieder auf ein paar Getränke in einer Kneipe. Eine Mischung aus Fans, Ultras und Allesfahrern. Mit steigendem Pegel entstand der Gedanke, einen eignen Verein zu gründen. Was man an dem Abend noch als sprichwörtliche Schnapsidee abtat, wurde beim nächsten Treffen Realität. Dabei ging es schon nicht mehr um das „ob“ – sondern bereits um das „wie“. Die Frage nach einem Vorsitz kam auf. Tamara Dwenger: „Ich ging auf Toilette und als ich wiederkam, wurde ich nur angegrinst mit den Worten ‚Du machst das‘.“ Dwenger ist seit der Gründung die Präsidentin des Vereins. „Es war wohl die beste Schnapsidee, die wir jemals hatten.“ So wurde der HFC Falke zum 16. Juni 2014 als Verein eingetragen. Am 13.Juli 2014 fand in einem Hörsaal der Universität Hamburg mit mehr als 300 Unterstützer*innen die Gründungsversammlung statt, bei der Dwenger offiziell zur Präsidentin gewählt wurde.

Am 19. Juni 2019 feierte der HFC Falke nun seinen fünften Geburtstag und hat aktuell über 400 Mitglieder. Im vierten Jahr spielt die erste Herrenmannschaft im Ligabetrieb mit und ist in der Zeit von der Kreisklasse (9. Liga) in die Bezirksliga (7. Liga) aufgestiegen. Die zweite Herrenmannschaft spielt ihre dritte Saison und ist in den letzten beiden Jahren ebenfalls aufgestiegen.

Eher Wanderfalken denn Fußballverein

Wenn man rein auf die Ergebnisse schaut, klingt das alles erst einmal super. Hinter den Kulissen sieht es jedoch anders aus. Leider hat der Verein – trotz permanenter großer Anstrengungen beim Hamburger Fußball-Verband, bei der Stadt und im Bezirk Eimsbüttel – nach wie vor keine feste sportliche Heimat und sieht in der aktuellen Situation auch keine große Chance auf Besserung. Dies hat zur Folge, dass der Falke mit zwei Mannschaften auf bis zu fünf verschiedenen Plätzen pro Woche trainieren muss. Diese Plätze werden teilweise teuer angemietet, bieten aber in Summe dennoch alles andere als optimale Bedingungen. Es kann sich zum Teil recht kurzfristig entscheiden, auf welchen Plätzen trainiert wird. Man ist jederzeit abhängig von anderen Mannschaften. Steigen zum Beispiel A-Junioren in die Bundesliga auf, können bis dato sichere Plätze wieder weg sein. Dadurch gibt es keine Planungssicherheit, was den Aufbau einer Jugendabteilung und das Melden weiterer Herren- und Frauenmannschaften angeht. Schlussendlich leidet das Vereinsleben im Allgemeinen darunter: Fußballplätze wachsen nicht von den Bäumen, sie müssen Wohnanlagen weichen oder sind bereits in fester Hand von eingesessenen Teams. Es gibt zwar städtische Anlagen, die sind jedoch bereits für Trainings- und Spielzeiten an andere Mannschaften abgestellt. Entsprechend ist es alles andere als einfach, an Platzzeiten zu gelangen. Die einzige Möglichkeit ist demnach, sich mit anderen Clubs zusammenzusetzen und sich dort einzumieten. Dies hat der Falke in den letzten Jahren zu Genüge getan.

Die Heimspiele der ersten Mannschaft wurden bis zu dieser Saison im Rudi-Barth-Stadion beim SC Union 03 ausgetragen. Eine wundervolle Anlage, bei der jedoch pro Spiel 400 Euro an Miete fällig wurden. Hinzu kommt, dass die einzigen Einnahmen durch den Eintritt und den Merchandise-Verkauf zusammenkamen, denn Getränke und Speisen wurden über den Pächter vertrieben, so dass die Erlöse gerade für die Platzmiete reichten. Die zweite Mannschaft spielte zu Beginn am Sportplatzring. Diese Anlage musste inzwischen Wohnungen weichen. Als Alternative wurde dem HFC Falke der Steinwiesenweg angeboten, eine kleine, städtische Anlage in Hamburg-Eidelstedt mit einem Grand- und einem Rasenplatz (für Leute außerhalb von Hamburg: Grand = Asche). Trainiert wird auf Grand. Im Sommer ist das noch okay, im Winter wird es allerdings zur Zumutung. Vereiste Anlagen oder durch Regen kaum bespielbare Plätze sind hier keine Seltenheit. Vor allem das Flutlicht ist diese Bezeichnung nicht wert. In den Abendstunden kann hier einfach nicht mehr ordentlich trainiert werden. Hinzu kommt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich etwas aufzubauen. Notwendig wäre dafür eine kleine Hütte, ein Container oder irgendetwas, was einem Vereinsheim nahekommt, in dem sich Spieler und Fans nach dem Spiel noch zusammensetzen können. Im Sommer kann man die Zeit prinzipiell noch draußen verbringen, doch beim klassischen „Hamburger Sommer“ wird es eher ungemütlich. Besserung in Sicht: Fehlanzeige!

Am 13. Juli 2019 hat der HFC Falke nun – parallel zu den Feierlichkeiten des fünften Geburtstags – eine groß angelegte Crowdfunding-Kampagne gestartet, um die Position in den Verhandlungen mit der Stadt und dem Verband zu verbessern. Die Verantwortlichen möchten zeigen, dass man nicht nur ein kleiner Verein ist, sondern einer mit engagierter Mitgliedschaft, die etwas verändern möchte. Dies soll einerseits durch die erwarteten Spenden und die damit verbesserte Verhandlungsposition geschehen, aber im konkreten Fall auch ganz klar durch eine größtmögliche mediale Aufmerksamkeit, mit der sich der Verein erhofft, den Druck auf Bezirk und Verband zu erhöhen. Im Zuge dessen hat sich der HFC Falke im Vorfeld diverse Crowdfunding-Plattformen angesehen und ist mit den Betreibern in Kontakt getreten. Die Wahl fiel schlussendlich auf CrowdFANding.net, die bereits mit „Südkurve bleibt“ und „Ein Fanhaus für Mainz“ tolle Fußballprojekte unterstützt hatten. Auch die Zusammenarbeit der Plattform mit dem „Fraunhofer Institut“ war ein Pluspunkt. Die erfolgreichen Kampagnen in Jena und Mainz und die guten Gespräche mit den Menschen hinter CrowdFANding.net führten dazu, dass der HFC Falke sich entschied, diese Kampagne gemeinsam mit den Betreibern anzugehen. Der Falke möchte deutlich machen, dass Sportplatznot kein reines Hamburger-, beziehungsweise Falken-Phänomen ist.

Informationen zum CrowdFANding
Hinter crowdFANding steht der gleichnamige eingetragene, gemeinnützige Verein, der Mitstreiter aus Leipzig, Mainz und Jena versammelt. Unser Antrieb ist unsere Liebe zum Sport und die Motivation, Menschen zu motivieren und zu befähigen. Da wir zu Hunderten laut und zu Tausenden unüberhörbar sind, können unglaubliche Ziele gemeinsam gestemmt werden. Für diese simple Idee stehen wir ein und geben unsere Energie in die sukzessive Entwicklung einer solidarischen Gemeinschaft.
Auf unserer crowdFANding-Plattform wird immer nur eine laufende Kampagne durchgeführt, sodass sich unser Team jederzeit zu 100 % auf das jeweilige Projekt konzentrieren kann. Das Team des crowdFANding e. V. sowie Mitarbeiter der Gruppe Innovationsfinanzierung des Fraunhofer IMW in Leipzig unterstützen die Projektinitiatoren bei der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung ihrer Kampagnen. Zukünftige Kampagnen profitieren somit stets von den Erkenntnissen und Erfahrungen jeder einzelnen Kampagnenbegleitung. Auf diese Weise kann crowdFANding langfristig eure Herzblutprojekte erfolgreich unterstützen.

Football is for you and me, not for f***ing industry!

Worum es den Verantwortlichen des HFC Falke geht, ist, eine Heimat für Menschen zu bieten, die offen ist für alle, die an mitgliedergeführten Fußball glauben – an Demokratie, Mitgestaltung und den Sport als Ausdruck von Lebensfreude statt Geschäft. Die eigene Anlage mit Vereinsheim soll zu einem offenen Raum werden, in dem man Initiativen Platz bietet, die auf Solidarität und Austausch basieren. Menschen aus der Nachbarschaft, Vereine und Gruppen des Bezirks sollen daran teilhaben. Der Wunschstandort wäre natürlich Eimsbüttel, wo der Verein auch gegründet wurde. Man weiß aber, dass man sich hierauf nicht versteifen darf. Gäbe es das Angebot einer eigenen Anlage außerhalb von Eimsbüttel, dürfte man dies nicht von Beginn an ablehnen. Falke möchte einen Fußball, in dem das Stadion ein Haus für die GEMEINSCHAFT ist – und nicht der x-te Ort der Konsumkultur.

Demokratie, Mitgestaltung und den Sport als Ausdruck von Lebensfreude statt Geschäft

Wichtig ist es, ein Modell fortzuführen, das die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des sportlichen Projekts nicht über einen Mäzen oder Großsponsoren garantiert, sondern über seine Verwurzelung in der Region und durch die Teilhabe der Mitglieder: Der HFC Falke will, dass der Fußball gemeinsames Eigentum der Fans ist. Der Verein möchten eine Jugendabteilung aufbauen, die auf die Bedürfnisse von Mädchen und Jungs eingeht, die Fußball spielen wollen – ganz gleich, welche Herkunft oder welchen sozialen Status sie haben. Von Beginn an wurden deshalb scheidende und aktuelle Spieler auf Trainer- und Betreuer-Lehrgänge des Verbands und Fußballschulen geschickt, um Kindern eine gute Fußball-Ausbildung mit hohem Spaßfaktor zu bieten. Falke sieht die Fußballschule als edukatives Projekt im Dienst des Stadtteils und seiner Bewohner.

Darüber hinaus möchte der Verein eine Frauenfußballabteilung aufbauen, denn Fußball ist längst keine Männerdomäne mehr. Nicht umsonst hat der HFC Falke mit Tamara Dwenger eine Präsidentin, bis vor kurzem mit Nicky Rohde eine Trainerin bei der zweiten Mannschaft und mit Katja Jürgs eine Ehrenamtsbeauftragte: Jürgs kümmert sich um das gesamte Thema Ehrenamt, besucht Lehrgänge zum Thema und ist jederzeit Ansprechpartnerin für die Mitglieder. Weiter hat der Verein mit Silke Scharnweber eine Schiedsrichter-Obfrau und auch die Sozialen Netzwerke liegen bei der Autorin dieses Artikels in Frauenhand. Es geht darum, jedem Mitglied deutlich zu machen, dass man als Gemeinschaft etwas erreichen und jedes noch so kleine Tun Großes bewirken kann.

“Allein bist du leise …”

Darüber hinaus möchten die Mitglieder des HFC Falke die eigenen Erfahrungen und das gesammelte Wissen weitergeben, damit überall bestehende Klubs und neue Vereine zur Nachhaltigkeit im Fußball beitragen können. So ist der HFC Falke zum Beispiel regelmäßiger Gast bei europaweiten Fan-Treffen wie zuletzt beim #EFFC19 (https://www.fanseurope.org/en/). Auch gab es bereits das eine oder anderen Treffen mit Fans aus ganz Deutschland, die sich über die Gründung eines fangeführten Vereins austauschen wollten. „Der HFC Falke steht hier für alle Interessierten jederzeit zur Verfügung und würde sich freuen, wenn auch andere den Mut aufbringen würden, etwas Eigenes entstehen zu lassen“, sagt Florian Neumann, Mitglied des Präsidiums. „Wir wissen bei uns nur zu gut, welche Probleme bei der Vereinsgründung und auch im Nachhinein lauern. Seien es sehr lange Diskussionsabende bei der Politik oder ganz banale Dinge wie die Finanzierung eines Spieltags. Wir möchten nun versuchen, die nächsten Steine zu beseitigen. Doch dafür brauchen wir eine Stimme, eine laute Stimme. Die Stimme von vielen“, so Neumann.

“…zu Tausenden unüberhörbar”

Der HFC Falke braucht jetzt die Unterstützung von Fußball-Fans in Deutschland und der ganzen Welt, um auf seinem Weg bestätigt zu werden, der auf Partizipation basiert. Am 13. Juli, parallel zu dem internationalen Freundschaftsspiel gegen den YB SK Beveren, ist die Kampagne gestartet. Das erste Ziel sind 50.000 Euro, danach geht es hoch auf 200.000 Euro. Viel wichtiger sind dem HFC Falke jedoch die Unterstützer: „Wir haben lieber 5.000 Menschen, die einen symbolischen Euro spenden, als einen Großspender, der mit 10.000 Euro ankommt. Dann wissen wir, dass die Menschen hinter der Idee stehen – und das ist genau das, was wir erreichen wollen“, sagt Saskia Neumann aus dem Orga-Team. Mit CrowdFANding hat der HFC Falke einen starken Partner an der Seite, der schon in Jena und Mainz gezeigt hat, was Solidarität unter Fußballfans bewirken kann. Spenden können ab sofort unter www.crowdFANding.net getätigt werden. Frei nach dem Motto: „Alleine bist du leise – zu Hunderten wird es laut – zu Tausenden unüberhörbar.“

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Autoren-Information:
Saskia Neumann ist Wiesbadenerin, hat fast 10 Jahre in Köln gelebt und ist seit über 20 Jahren verliebt in den 1. FC Köln. Mit dem Umzug nach Hamburg hat sie die Leidenschaft für den HFC Falke entdeckt. Sie interessiert sich für alles rund um die Themen Fußball und Fankultur. Ihr Motto ist “Hoppen statt shoppen.”

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Ins Heft geschaut: ballesterer Nr. 142 https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-nr-142/ https://120minuten.github.io/ins-heft-geschaut-ballesterer-nr-142/#respond Fri, 24 May 2019 12:58:15 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6114 Weiterlesen]]> “Afrika Cup” – ballesterer, Ausgabe 142

Der Afrika Cup erscheint 2019 in neuem Gewand: nicht mehr während der laufenden Saison, sondern im Juni wird nun gespielt. Zudem spielen statt 16 nun 24 Teams um den Afrikatitel. Ein Blick auf die Frauen-WM und die Copa America runden die Ausgabe 142 ab.

Die neue Ausgabe des ballesterer hat es wieder einmal in sich: Gleich drei Turniere stehen in den nächsten Wochen ins Haus und alle, wirklich alle drei werden behandelt, mehr oder weniger gleich lang. Das Hauptthema ist dabei der Afrika Cup, der in diesem Jahr erstmals im Sommer ausgetragen wird – sehr zur Freude der europäischen Clubs. Denn bisher fand das Turnier in den hiesigen Wintermonaten statt, was oft die Mannschaften zwang, ihre besten Spieler abzustellen. Diese kamen oft verletzt oder erschöpft zurück und fielen in den entscheidenden Meisterschaftsspielen aus. Der Druck aus Europa war ein Grund, der andere war die Möglichkeit, mit dem Turnier mehr Geld zu verdienen. Denn nicht nur ist der Termin nun ein anderer, sondern das Teilnehmerfeld wurde von 16 auf 24 erhöht. Nach der WM und der EM ist der Afrika Cup das drittgrößte Turnier in punkto Fernsehbeliebtheit.

Seit 1957 wird nun der Afrika Cup ausgespielt und seit Beginn gab es politische Konflikte. Südafrika wurde disqualifiziert und ausgeschlossen. Zudem hatte ab den 1960er Jahren das Gros der europäischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erstritten. Ghana macht den Anfang, 1960 folgten 18 Länder. Zwischen 1959 und 1969 ist der Kontinentalverband CAF von fünf auf 36 Mitglieder gewachsen. Zu jedem einzelnen Land könnte eine Geschichte erzählt werden. Nach den Geburtswehen gab es weitere Konflikte, etwa mit der FIFA um einen Startplatz bei der WM. Der Kalte Krieg spaltete den Kontinent. Bis Mitte der 1990er Jahre war Afrika für den europäischen Fußball nahezu unbekannt. Erst mit dem Bosman-Urteil wurde Afrika zum Spielermarkt und neue Probleme kamen hinzu, wie eingangs bereits erwähnt. Dabei ist auch Ägypten als Ausrichter nicht ohne Probleme: seit Jahren dürfen nur handverlesene 5000 Fans ins Stadion, regierungskritische Fans werden verfolgt. Der Afrika Cup ist wohl das politischste aller Turniere.

Das laufende Jahr ist ein Turnierjahr. Mit der WM der Frauen in Frankreich steht eine Großveranstaltung auf dem Plan. Der ballesterer spricht von einer Zeitenwende, denn noch nie erlebte der Fußball der Frauen eine solche Aufmerksamkeit wie 2019. Dabei ist alles andere als klar, wer Favorit ist. China? Deutschland? Norwegen? Die USA? Ein Dutzend Teams besitzen die Möglichkeit auf den Titel, hat der ballesterer ausgemacht.

Mit einer Karte zur Copa America wird das letzte große Turnier im Heft bedacht. Darin werden die Teilnahmen aller Länder sowie die Erfolge dargestellt. Mit einer Geschichte zur EM 2000, bei der Slowenien erstmals bei einem großen Turnier dabei war, sowie einer Innenansicht von Ajax wird die Ausgabe 142 abgerundet.

Wo ist das Ding? Da ist das Ding!

Den ballesterer 142 bekommt ihr seit dem 24. Mai in Österreich im gut sortierten Zeitschriftenladen und einige Tage später in Deutschland im Bahnhofsbuchhandel. Alternativ könnt ihr das Heft auch bestellen, falls euch der Fußweg zu weit ist. Oder gleich abonnieren.

I werd narrisch!

Den ballesterer gibt es nicht nur zu lesen, sondern auch auf die Ohren. In Kooperation mit 120minuten erscheint monatlich eine Podcast-Folge – der “ballesterer in 120minuten”. Dort vertiefen Autor*innen des Magazins, Expert*innen und Gäste das Titelthema der jeweiligen Ausgabe. Alle bisherigen Folgen könnt ihr hier nachhören.

(Transparenzhinweis: Der aktuelle „ballesterer“ wurde uns von der Chefredaktion unentgeltlich und vorab zur Besprechung zur Verfügung gestellt.)

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