Alle Artikel von Christoph Wagner

Durch die Kreisligen Europas

Im letzten Sommer hat mein Sohn (5) den Fußball für sich entdeckt. Das Halbfinale Brasilien gegen Deutschland wurde in den darauffolgenden Wochen wieder und wieder nachgestellt, wobei mein Sohn logischerweise Deutschland war und mir die Rolle Brasiliens zugeteilt wurde. Das hat verdammt Spaß gemacht. Es hat mich nebenbei auch an meine Karriere als Spieler auf der lokalen Fußballbühne erinnert. Dabei spielten Niederlagen selbstverständlich eine nicht unerhebliche Rolle und sind doch so nebensächlich.  Weiterlesen

Der Fußballer – Ein Gedicht

In Der Zeit vom 12. März fand sich in der Rubrik ‘Zeit der Leser’ eine sehr freie Gedichtsadaptation von Rainer Maria Rilkes Der Panther. Geschrieben hat sie ein gewisser Kurt Wagner aus Bonn.

Die einen (wie Ronaldo und Pele) be-
neidet und verehrt in dieser Fußballwelt,
die andern im Dunkel, als ob es sie nicht gäbe:
Beim Publikum zählt einer nur: der Held.

Gebroch’ne Knochen? Wer wohl nicht d’ran litte,
das bisschen Ruhm von einst ist rasch verweht.
Erinn’rung bleibt an all die Fouls und Tritte,
die Schienbeinwunden, dutzendfach genäht.

Wie schmeckt sie, diese bitter-saure Pille,
nochjung, schon alt und assortiert zu sein?
Was nützen denn die hart verdienten Mille,
bei Kreuzbandriss und einem steifen Bein?

Uli Hesse – Mein Fußball-Medien-Menu IV

medienmenue-hesse

Uli Hesse ist freier Autor und Autor der bisher einzigen englischsprachigen Geschichte des deutschen Fußballs, Tor! The Story of German Football, erschienen 2013 bei WSC Books. Auf deutsch ist eine kleine Sammlung von Fakten und Anekdoten im Werkstatt-Verlag erhältlich. Uli schreibt zudem eine wöchentliche Kolumne auf ESPN FC, in der er seinen Lesern den deutschen Fußball näherbringt und vorstellt. Daneben ist er großer Ramones Fan und hat in der Sabotage Times mehrere Listen erstellt von Songs, die die Ramones erwähnen!

Welche Fußballmagazine/Zeitschriften liest du regelmäßig?

Wir sind vor etwas mehr als vier Jahren umgezogen, und zwar nicht bloß um die Ecke, sondern ans andere Ende des Landes. Einige Wochen vor dem Umzugstermin bin ich auf unseren Dachboden hochgestiegen, habe mir einen Hocker genommen, mich hingesetzt und umgesehen.

Was ich sah, waren zunächst mal die Kisten mit den Jahrgängen des “kicker”, recht komplett von 1969 bis eben 2011. Dann standen da haufenweise Stehordner mit allen Ausgaben des englischen “When Saturday Comes” von 1995 bis 2011. Hinten in einer der vielen Ecken des Dachbodens sah ich mehrere Kartons, darin befanden sich alle “FourFourTwo”-Hefte der vergangenen 15 Jahre. Weiter vorne standen Kisten mit der Aufschrift “11Freunde”. In ihnen lagerten zwar nicht alle Ausgaben dieser Zeitschrift (damals hatte ich gerade eine Phase, in der ich das Heft eher unregelmäßig las), aber doch eine beträchtliche Menge. Neben der Tür stapelten sich noch diverse Jahrgänge vom “RevierSport”, einer regionalen Sportzeitschrift aus Essen. Schließlich standen zu meinen Füßen mehrere Plastikkästen mit acht Jahrgängen “Champions”. (Das ist das offizielle UEFA-Magazin zur Champions League.)

Dazu kamen natürlich noch einige große Pappkartons mit all den losen, ungeordneten Zeitungen und Magazinen. Darunter sogar einige, die ich nicht einmal lesen konnte, zum Beispiel knapp 50 Hefte des in hebräischen Lettern gedruckten “Shem Hamisehak” aus Tel Aviv.

An diesem Tag traf ich eine Reihe von Entscheidungen. Die erste war, dass ich dieses ganze Zeug nicht 500 Kilometer quer durch Deutschland schleppen würde. In der Tat habe ich mich dann von allem getrennt, was nicht entweder sehr wertvoll oder für meine Arbeit absolut unabdingbar war. (Das betrifft vor allem den “kicker”, weil ich viele historische Texte schreibe.) Die zweite Entscheidung war, weniger Magazine und Zeitungen zu lesen. Man brauchte ja weder große Phantasie noch ein Psychologiestudium, um eine Analogie zwischen dem Dachboden und einem Gehirn herzustellen. Es gibt auch so etwas wie zu viel Input, zu viel Information.

Ich muss zugeben, dass ich diesen Vorsatz nicht komplett umsetzen konnte. Ich kaufe noch immer jede Ausgabe des “kicker” und kriege inzwischen auch wieder eine Menge Magazine zugeschickt. Aber ich freue mich jeden Morgen aufs Neue darüber, dass unsere Lokalzeitung nun die “Lübecker Nachrichten” sind. Deren Sportteil habe ich nämlich in wenigen Augenblicken überflogen, weil es meistens um Handball geht.

Für welchen Text, den du in den vergangenen Wochen gelesen hast, kannst du eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen?

“When 772 Pitches Isn’t Enough” von Chris Jones. Der erschien schon im Juli 2013 in der Zeitschrift “ESPN The Magazine” und ist auch online verfügbar, aber ich habe ihn erst jetzt entdeckt. (Siehe dazu auch die Antwort auf die letzte Frage.) Man muss ein wenig Ahnung von Baseball haben, um alle Details zu verstehen. Aber auch wenn man das nicht hat, bekommt man einen faszinierenden Einblick in japanische (Sport-)Kultur und Tradition.

Wo und wie stößt du auf lesenswerte Texte?

Zum einen ganz einfach durch die Magazine, für die ich schreibe. Wenn ich einen Artikel im “Blizzard” habe oder in einem der neueren ausländischen Hefte, an die man nicht so leicht rankommt, wie etwa “Rabona” und “8by8“, bekomme ich die entsprechende Ausgabe zugeschickt und finde darin immer etwas Interessantes. Zum anderen natürlich durch Facebook. Ich nehme ganz bewusst auch Freundschaftsanfragen von Lesern an, also von Leuten, die ich gar nicht kenne, weil die mich oft auf Dinge stoßen, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Wenn jemandem meine Texte so gefallen, dass er mir eine Freundschaftsanfrage stellt, dann ist es zumindest nicht völlig unwahrscheinlich, dass er auch Texte von anderen Autoren teilt, die dann wiederum mir gefallen könnten.

Wie liest du – am Tablet/Smartphone, am großen Bildschirm oder bist du ein Internetausdrucker und Printliebhaber?

Ich besitze kein Smartphone (mehr) und kein Tablet, ich lese fast alles an meinem MacBook. Zwar bin ich ein Printliebhaber, wie man vielleicht aus der ersten Antwort schon herauslesen konnte, aber wenn es um Texte im Internet geht, um Texte, die ich selbst schreibe, oder um Texte, die man mir per E-Mail schickt, muss ich nichts extra ausdrucken. Auch wenn ich von einem Verlag Druckfahnen bekomme, lese ich die am Rechner. Früher war das anders. Die lektorierte Fassung meines ersten Buches habe ich tatsächlich komplett ausgedruckt, um sie Korrektur zu lesen, weil ich dachte, es ginge nicht anders. Aber es geht anders.

Welches Fußballbuch kannst du besonders empfehlen?

Mein Lieblingsfußballbuch ist weiterhin “All Played Out” von Pete Davies. Die letzten fünf oder sechs Fußballbücher, die ich gelesen habe (zum Beispiel Marti Perarnaus Chronik der ersten Saison von Pep Guardiola in München), hatten alle direkt mit meiner Arbeit zu tun, mit einem eigenen Buchprojekt oder einem Artikel. Wenn ich Freizeit habe und mir aussuchen kann, was ich lese, greife ich fast immer zu Büchern über Musik.

Welche Fußball-Podcasts verfolgst du regelmäßig?

Keine. Ich bin ab und zu als Interview-Gast bei “Beyond The Pitch”, aber ich habe keinen Podcast abonniert und lade auch nur selten einen herunter.

Schaust du noch die Sportschau, um dich über den Spieltag zu informieren?

Nein. Ich habe seit etwa 15 Jahren ein Premiere/Sky-Abo und meine Frau wird bestätigen, dass in unserem Wohnzimmer an praktisch jedem Wochentag ab 20 Uhr oder so ein Fußballspiel im Hintergrund läuft. An den Wochenenden ist es natürlich noch viel extremer, sofern ich nicht selbst im Stadion bin. Wir beide (ja, beide!) lassen den Samstag gerne noch mit dem “aktuellen sportstudio” ausklingen, aber die “Sportschau” habe ich schon ewig nicht mehr gesehen.

Welche Website, welchen Podcast, welches Magazin kannst du abseits des Fußballs empfehlen?

Es ist keine Website, kein Podcast und kein Magazin, aber das Jahrbuch “The Best American Sports Writing” ist bereichernd und inspirierend. Es wird seit 1991 von Glenn Stout herausgegeben. Natürlich ist das Niveau nicht in jedem Jahr gleich hoch, aber in jeder Ausgabe sind mindestens zwei Artikel, die zum Besten gehören, was je über Sport geschrieben worden ist.


In der Kategorie “Mein Fußball-Medien-Menü” fragen wir Fußballer und Fußballbegeisterte, Sportjournalisten und -autoren nach ihren persönlichen Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten zum Thema Fußball. Die Idee dazu entstand unübersehbar in Anlehnung an Christoph Kochs Medien-Menü, das inzwischen bei den Krautreportern zu finden ist.


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Teaserbild: B O O K by RkRao via flickr – CC BY 2.0

Buchbesprechung: Frank Willmann – Kassiber aus der Gummizelle

Frank Willmann dürfte den meisten als Kolumnist für den Berliner Tagesspiegel ein Begriff sein. Woche für Woche schreibt er 9783730701690_coverüber den Fußball, wie er ihn sieht und versteht oder ihn gern hätte. Eine Sammlung dieser Kolumnen ist jetzt im Werkstatt-Verlag unter dem Titel ‘Kassiber aus der Gummizelle’ erschienen. In 41 Kapiteln auf knapp 160 Seiten schreibt, greint und meckert Willmann über den Fußball.
Dabei nimmt er uns mit auf eine Tour vom Balkan über Brasilien, Essen, Jena, Dresden bis nach Brandenburg, Berlin und Lebus im Oderbruch. Zwischendurch gibt es biografisches aus seiner eigenen Karriere, die wohl die meisten Amateurfußballer nachvollziehen können. Oder Kommentare zum FC Bayern München, den Willmann einfach nicht leiden kann. Interessanterweise sieht er in RB Leipzig den einzigen dauerhaften Konkurrenten zu den Bayern. Eben weil diese das Geld haben, zwar kein Festgeldkonto wie der bayrische Behemoth aber immerhin doch soviel, dass sie als einzig wahrer Gegenpart für die Bayern herhalten müssen. Interessant ist beispielsweise auch das Gedankenspiel, dass sich im Jahre 2063 ein alternativer Fußballerverband gegründet hat, dessen Liga weitaus spannender und lebhafter ist als die des DFB. Dessen Vereine haben keine 1000 Zuschauer, weil die Tickets eh unerschwinglich sind und somit auch kein Bedarf an großen Stadien besteht (Kapitel 30).
Seine Liebe zu Jena ist eine schmerzvolle, weil der Club zwar die Nummer 1 in Thüringen, von der 1. Liga aber meilenweit entfernt ist. Schuld daran ist nicht der belgische Großinvestor, sondern die Versäumnisse der letzten Jahre; ein nur allzu bekannter Handlungsstrang in der Geschichte des Fußballs in der ehemaligen DDR. Der Vergleich mit dem BFC wird bemüht, um zu zeigen wie ein einst unbeliebter Club das Image komplett wandeln und somit quasi neu anfangen kann. Eigenartigerweise ist der 1.FC Magdeburg der nach Jena wohl am häufigsten erwähnte Club im Buche, was des Autoren Herz höher schlagen lässt. Beim Versuch, die Seele von Dynamo Dresden zu erklären, stimmt Willmann allerdings etwas zu leicht und schnell in den Kanon anderer Kommentatoren ein und fokussiert sich zu stark auf die Vergangenheit und das derzeitige durchaus bestehende Gewaltproblem in der Dresdner Anhängerschaft.
Die stärkste Geschichte kommt gleich zu Beginn. Eine Reise mit 4 Groundhoppern nach Belgrad zum Večiti Derbi, dem ewigen Derby zwischen FK Partizan und SD Crvena Zvezda (Roter Stern). Nebenbei wird noch das Lokalderby von Sarajevo mitgenommen. Man erfährt so einiges: über den Balkan, über das Leben als Groundhopper und über die Fans beider Belgrader Clubs, welches als gespannt durchaus positive beschrieben ist Am Ende des Spiels steht eine Strafe durch die UEFA für beide Belgrader Clubs. Warum diese, die stärkste dieser 41 Geschichten, allerdings gleich am Anfang des Buches steht und somit sehr früh schon einen Höhepunkt setzt, bleibt dem Verlag und dem Autoren überlassen zu erklären. Ebenso schließt das Buch mit einem kurzen Kommentar zum Spiel Serbien – Albanien im Herbst 2014, welches aufgrund einer Drohnenlandung abgebrochen werden musste.
Man behauptet ja immer, Journalismus solle unvoreingenommen sein. Diese Annahme wird in diesem kleinen, feinen Band gepflegt ignoriert und in die Ecke gestellt; Frank Willmann hat zu allem und jedem was zu sagen und eine Meinung. Und diese tut er auch in gewohnter Weise kund, direkt und ohne Umschweife. Alle Kolumnen vereint die Liebe zum Spiel, egal wo man es erlebt: im Stadion, auf der Fanmeile, in der Kneipe: es verbindet die Menschen. Das ist dann doch ein Trost, den Willmann uns spendet, trotz dem vorangegangenen Gemecker.

Autor: Christoph Wagner

Frank Willmann: Kassiber aus der Gummizelle. Geschichten vom Fußball. Göttingen: Verlag die Werkstatt, 2015. Das Buch ist erhältlich beim Verlag direkt.

Frank Willmann hat eine wöchentliche Kolumne zum Fußball im Berliner Tagesspiegel. Dort ist auch das Vorwort von Markus Hesselmann zu finden.

Das Andere Manchester

Wohl jeder Fussballfan im deutschsprachigen Raum kennt die beiden großen Manchester Club United und City. Seit nunmehr fast 10 Jahren gibt es aber noch einen dritten Club, den FC United of Manchester gegründet von Fans des ‘großen’ United 2005 aus Protest gegen die Übernahme der Glazer-Familie. Der Guardian mit einem Porträt.

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