mara – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 01 May 2019 11:00:33 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 It’s A Different World: Frauen im Fußball https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/ https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/#comments Thu, 02 May 2019 08:00:18 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5915 Weiterlesen]]> Eigentlich sollte es längst selbstverständlich sein, dass Fußball nicht nur ein Männer-, sondern auch ein Frauensport ist. Sei es in Sachen Spieler*innen, Fans oder Funktionäre. Die Realität sieht oft leider anders aus. Wie also können Frauen im Fußball sichtbarer werden? Der Frage geht dieser Text aus dem „Zeitspiel“-Magazin nach.

„Das soll unser Fußball sein?“ „Nein! Setzt euch gegen Sexismus ein.“ Tolle Choreo in Freiburg. (Foto: Nordtribuene.org)

von Mara Pfeiffer, 120minuten.github.io | April 2019

Frauen im Fußball sind Spielerinnen, Fans, Journalistinnen, Trainerinnen, Verantwortliche und Funktionärinnen. Frauen im Fußball sind aktiv, begeistert, hetero, lesbisch, schwarz, weiß, divers. Frauen im Fußball interessieren sich für kickende Männer und Frauen. Frauen im Fußball sind Ultras und VIPs, stehen in den Kurven und auf dem Rasen. Frauen im Fußball fahren auswärts, trinken Bier und Apfelschorle. Frauen im Fußball lieben ihren Sport.

Wir haben dieselben Themen, wie Männer im Fußball. Doch viel zu oft werden wir auf einen Aspekt reduziert: Unser Frau-Sein. Darauf regen sich zwei Seelen, zumindest in meiner Brust. Auf der einen Seite habe ich keine Lust, mein Geschlecht zu thematisieren, weder, wenn ich als Fan in der Kurve stehe, noch, wenn ich als Journalistin über Fußball schreibe.

Da sich aus der Rolle als Frau in diesem von Männern dominierten Business aber nach wie vor auch ganz eigene Problemfelder ergeben – Stichworte Sexismus, sexualisierte Gewalt, Job-Diskriminierung – ist es notwendig, das Gespräch hierzu weiter zu führen. Mit dem Ziel, beim Fußball als Frau wie als Mann irgendwann nur über das zu reden, was auf dem Rasen passiert, statt darüber, welches Geschlecht Spieler*innen oder Protagonist*innen haben.

Netzwerk ist Trumpf

Eine, die das Thema „Frauen im Fußball“ seit Jahrzehnten umtreibt, ist Antje Hagel. Die 57-Jährige arbeitet im Offenbacher Fanprojekt und hat 1994 das Fanzine „Erwin“ mitgegründet. „Ich hatte immer den Wunsch, Frauen sichtbar zu machen“, erklärt Hagel. Das gelingt da am besten, wo diese Banden bilden und so gründeten Besucherinnen der Tagung „Abseitsfalle – Fußballfans, weiblich“ der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) 2004 direkt ein Netzwerk, um sich gegenseitig zu unterstützen, verzahnen und sichtbar zu machen: F_in – Netzwerk Frauen im Fußball. „Ich saß mit Nicole (Selmer stellv. Chefredakteurin ballesterer) auf dem Podium anlässlich der Ausstellung ‚Tatort Stadion‘ und dachte danach nur: Ich möchte die noch mal treffen, das war alles viel zu kurz“, erinnert Hagel sich lachend an die Anfänge. In der Mailingliste für den informellen Austausch lesen aktuell etwa 200 Frauen, einmal im Jahr treffen die F_ins sich zum persönlichen Austausch.

„Die Treffen sind auch deshalb toll, weil immer neue Frauen dazu kommen.“ Darunter viele Ultras, aber auch Journalistinnen oder Wissenschaftlerinnen. Um die Berührungsängste mit Veranstaltungsorten gering zu halten, gehen die Frauen gern an solche, die keine klassischen Fußballzentren sind – in diesem Sommer findet das Treffen in Jena statt. Männer sind dabei nicht willkommen. „Darüber haben wir viel gesprochen und es geht definitiv nicht um eine Ausgrenzung, sondern den Schutzraum für die Teilnehmerinnen.“

Allen Frauen gemein sind „Erfahrungen in von Männern dominierten Feldern. Wir sind alle besonders, in einem ganz positiven Sinne“, beschreibt Hagel die geteilte Rolle. Über diese persönlichen Erlebnisse wird gesprochen, andere Erfahrungen werden gemeinsam gemacht, sei es durch neue Erkenntnisse bei Vorträgen oder in Workshops, „bei denen einige Frauen zum Beispiel das erste Mal eine Sprühdose in die Hand nehmen.“ Auch eine Wattwanderung haben die F_ins schon hinter sich, was zunächst ungewöhnlich klingen mag, aber „sehr nah, besonders und persönlich war.“ Erlaubt ist ohnehin alles, gewünscht, was verbindet und die Frauen im Miteinander stärkt, bevor sie in ihre jeweiligen Strukturen zurückkehren.

Module gegen Sexismus

Zur Stärkung der Frauen auch in der Kurve gehört es, Probleme, die sie dort erleben, sichtbar zu machen. Mit der Fanorganisation Unsere Kurve und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte hat F_in im letzten Sommer eine Online-Umfrage „Zum Umgang mit Sexismus, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Kontext Fußball“ unter dessen Akteuren initiiert, deren erste Ergebnisse jetzt vorliegen. Zu den Anforderungen, die sich daraus ergeben, gehören klare Ansprechpartner*innen und Vernetzung auf lokaler Ebene ebenso wie ein positives Engagement der Verbände und Möglichkeiten der Weiterbildung. Eine selbst formulierte Aufgabe der ehrenamtlich in F_in organisierten Frauen ist deshalb derzeit, Module gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Stadion zu entwickeln, die dann beispielsweise bei Workshops in den Verein an deren Mitarbeiter*innen weitergegeben werden können.

Frauen sprechen Fußball

Banden zu bilden ist nicht nur da wichtig, wo es auf den ersten Blick offensichtlich scheint, also rund um den Fußball der Männer. Im Bereich Frauenfußball spielen Sichtbarmachung und Vernetzung ebenfalls eine wichtige Rolle, nicht nur, aber auch für Frauen aus Ländern, in denen Gleichberechtigung generell ein noch schwierigeres Thema ist als in Deutschland. „Fußball als Empowerment-Strategie“, unter diesem Motto steht Discover Football. Das Projekt will Fußball für Begegnungen zwischen Frauen nutzen, die sich sonst nie getroffen hätten. Alle zwei Jahre veranstalten die Macher*innen ein Festival.

„Wir laden um die 100 Frauen ein, die teilweise noch nie gereist sind, kein Englisch können“, erzählt Sonja Klümper. Seit 2010 ist die Diplompädagogin mit einem Bachelor in Sozial- und Politikwissenschaften bei Discover Football, seit 2011 Projektkoordinatorin. Eine besondere Herausforderung ist die Finanzierung über Projektmittel, die Planungssicherheit selten über ein halbes Jahr gewährleistet. „Es ist schon irgendwo prekär, das so zu machen, andererseits sind wir sehr stolz darauf, was wir auf diese Art bisher schon geschafft haben.“

Plattform zur Begegnung

Mit dem diesjährigen Fußballturnier, das wie immer von einem breiten Kulturprogramm flankiert wird, feiern Projekt und Festival zehnjähriges Bestehen, Ende des Jahres soll aus diesem Anlass auch eine Ausstellung über die Entwicklung im Frauenfußball eröffnen. „In unserer Arbeit erleben wir, es sind strukturelle Probleme, die Frauen mit Diskriminierung beim Fußball und in der Gesellschaft haben.“ Im Netzwerk vereint spüren die Spielerinnen, sie sind nicht alleine mit ihren Problemen. „Wir wollen nicht irgendwo hingehen und dort klassische Entwicklungsarbeit machen, das ist gar nicht unser Thema“ betont Klümper.

Anliegen der Projektmitarbeiter*innen ist es, eine Plattform zur Begegnung zu bilden und die Frauen bei ihren Besuchen in ihren Themen zu stärken. „Wer in bestimmen Ländern in den Fußball geht, ist schon stark und entscheidungswillig, die Einladung zum Festival verändert aber oft positiv, wie die Frauen anschließend zuhause wahrgenommen werden.“ Geht es um Sichtbarmachung, ist ein Anliegen von Discover Football, Stereotype in der Darstellung von Frauen aufzubrechen. „Wir wollen Geschichten über sie erzählen, die auf den ersten Blick so nicht zu erwarten sind und die ohne diesen Austausch untergehen würden.“

Neuer Podcast: FRÜF – Frauen reden über Fußball

„In FRÜF steckt, was der Name verspricht: Frauen reden über Fußball. Hinter FRÜF steckt ein stetig wachsendes Podcast-Kollektiv von Frauen, für die Fußball mehr ist als nur eine Sportart. Wir sind Fans, Journalistinnen, Spielerinnen – und manche von uns sogar alles davon. Wir sind diskussionsfreudig, aber solidarisch. Uns interessieren fußballerische Trends, der Diskurs über 50+1 oder die gesellschaftliche Relevanz von Antirassismus-Kampagnen des DFB genauso wie die Unterschiede im Umgang mit Frauen- und Männerfußball, die weibliche Fußballsozialisation oder der Umgang mit Sexismus im Stadion. Über solche Fragen sprechen wir in wechselnder Besetzung in unserer monatlichen Sendung.

FRÜF ist keine Sportschau in rosa und keine Analyse von Spielerfrauen-Instagram-Profilen – bei FRÜF geht es um Fußball. Punkt. Wir geben dabei weiblichen Perspektiven und Stimmen eine Plattform, die in anderen Sendungen einfach viel zu selten auftauchen – weil wir es können. Denn wir sind viele.“ Kristell Gnahm & Rebecca Görmann

Weibliche Fans als Inspiration

Die Geschichte(n) weiblicher Fankultur erzählt die Ausstellung Fan.Tastic Females – Football Her.Story, die erstmals im September 2018 in Hamburg gezeigt wurde und seit Oktober auf Tour ist. Unter der Federführung von Football Supporters Europe (FSE), die auch Träger der Ausstellung sind, haben rund 70 Ehrenamtliche aus Europa und der Türkei (Frei-)Zeit, Arbeit und Herzblut investiert, um weibliche Fankultur jenseits der gängigen Stereotype zu zeigen. Die Ausstellung vereint 80 Videos von Frauen aus 21 Ländern, für die Teams von Freiwilligen monatelang durch Europa reisten, um Interviews zu führen. Dabei haben die Macher*innen auf die Bedürfnisse der Fans behutsam Rücksicht genommen, wenn diese beispielsweise ihr Gesicht nicht zeigen oder auch anonym bleiben wollten, was in manchen Ländern schon aus Selbstschutz notwendig ist, oder aber dem Schutz der Fangruppe dienen kann.

„Ohne eine stabile Vertrauensbasis, die über Jahre erarbeitet wurde, wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, erklärt Sue Rudolph aus dem Orga-Team. So gelingt es, die ganze Vielfalt weiblicher Fans zu zeigen: Kutten bis Ultras, Frauen in Führungspositionen oder nationalen Netzwerken. Damit kann das Anliegen der Macher*innen gelingen, „Vorbilder zu schaffen, die vielleicht sogar andere Frauen inspirieren, sich ihren Platz auf der Tribüne zu erobern.“

Höhepunkte hinterm Bus

Wie aber geht Frau selbst mit der ihr zugewiesenen Rolle in der Männerdomäne Fußball um beziehungsweise wie bricht sie diese idealerweise auf? Für mich ist dabei immer wichtig, zu betonen: Die meisten Erfahrungen, die ich als weiblicher Fan im Stadion und als Journalistin im Fußball gemacht habe, sind positiv. Ersteres ist auch deswegen bedeutsam, weil Fans in einigen Medien als unzivilisierte, pöbelnde Rowdys verunglimpft werden, die eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen. Allerdings werden negative Erfahrungen zum einen nicht weniger prägend, wenn sie vereinzelt auftreten. Zum anderen spüre ich durchaus, im beruflichen Umfeld nehmen diese zu, je intensiver ich mich dem Fußball widme.

Mein erster Heimbereich war der Q-Block des FSV Mainz 05 und dort habe ich in zig Jahren im Gewimmel niemals auch nur eine negative Erfahrung gemacht. Dumme und übergriffige Sprüche gab es nur von Gästefans oder eben auswärts. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Frauen diese Erfahrung machen. Offenbar hält die gemeinsame Leidenschaft für ein Team Männer eher davon ab, die Frauen im eigenen Block zu belästigen, wobei ich das nicht mit Zahlen belegen kann, sondern nur qua Erfahrungsaustausch. So erklärte mir einmal ein FCK-Fan nach dem Sieg seiner Mannschaft in Mainz mit Alkoholfahne, er werde jetzt hinter dem Bus seiner Reisetruppe dafür sorgen, dass mein Tag nicht ohne Höhepunkt ende.

Brüste für Einsfuffzig

Anfang der 2010er Jahre gab es in Mainz noch das wunderbare Fanzine „TORToUR“, das an Spieltagen auch verkaufend unter die Menschen gebracht werden musste. In einer Ausgabe habe ich von meinen Erfahrungen als Verkäuferin berichtet, das liest sich unter anderem so:

„Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass eine Gruppe junger Männer mich an ihren Tisch winkte. Die Drei bestellten ein Heft, ich händigte es ihnen aus, kramte nach Wechselgeld und wollte mich verabschieden, als einer von ihnen um eine weitere TORToUR bat. Gerne händigte ich ihm sein zweites Heft aus, da erreichte bereits die Bitte um eine weitere Ausgabe mein Ohr. Bei aller Begeisterung musste ich doch stutzen: ‚Ihr interessiert euch wohl sehr für die Heimfans?‘ Worauf der eifrige Käufer erklärte: „Nee, gar nicht. Aber das Heft kostet ja nur Einsfuffzig, und wenn du dich vorbeugst, um es uns zu geben, kann ich dir in den Ausschnitt gucken.‘“

Inzwischen habe ich die derbsten Sprüche eindeutig als Journalistin zu hören bekommen. Los geht das mit Situationen, die ich in der Summe fast als Kleinigkeiten abtue, wie den Kollegen, der mir bei meinem Besuch im TV-Studio erklärte, es sei toll, „Mal etwas Blondes, Weibliches auf dem Sofa“ zu haben. Er tat dies erst, nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, wohl, weil er es eigentlich besser weiß, sich den Spruch aber nicht verkneifen wollte. So wie der Kollege, der befand, im Anschluss an ein gemeinsames Projekt hätten sich für mich mehr neue Kontakte ergeben als für ihn. Er erklärte, das liege daran, dass ich „Brüste habe und die auch zeige“ – seine charmante Art kann natürlich unmöglich der Grund gewesen sein.

Gekommen, um zu bleiben

Als Journalistin war ich von Anfang an transparent mit meiner 05-Vereinsliebe und schreibe einige Formate auch bewusst mit dem Kurven-Ansatz. Das nutzen vereinzelte Kollegen, um eine künstliche Angriffsfläche zu schaffen. „Fangirl mit Kugelschreiber“ ist da eine versuchte Beleidigung, über die ich angesichts der zahlreichen Sportjournalist*innen, die sich „ihrem“ Verein klar zuordnen lassen, ohne das offen zu thematisieren, nur lachen kann.

Gar nicht lustig sind Angriffe von Lesern, die sich statt mit den Inhalten meiner Artikel nur mit meinem Geschlecht befassen. Wenn Texte mit der Mutmaßung kommentiert werden, mir sei „beim Schreiben die Milch eingeschossen“ oder mir mitgeteilt wird, ich kritisiere den Trainer bloß deswegen nicht, weil ich ihn „ganz offensichtlich ficke“, kann ich daran nichts Witziges finden und es beschäftigt mich auch nach vielen Jahren in diesem Job.

Fest steht aber auch, Rückzug ist keine Option. Ich liebe das, was ich tue, so wie viele meiner Kolleginnen, so wie die weiblichen Fans, Wissenschaftlerinnen, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, die Aktiven und Funktionärinnen. Wir sind, wie die Band „Wir sind Helden“ das vor Jahren so wunderbar textete und sang, „Gekommen um zu bleiben“ und lassen uns aus dem Fußball, der längst auch unsere Domäne ist, nicht vertreiben. Wir breiten uns aus, bilden Banden und schlagen Wurzeln. Wir mischen mit, suchen uns Räumen und erheben unsere Stimme. Wir sind „Frauen im Fußball“ und wir gehören genau hierher. Mit uns ist jeder Zeit zu rechnen.

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Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 14 des Zeitspiel-Magazins, das Heft mit dem Schwerpunkt “Die andere Hälfte – Frauen und Fußball” kann hier bezogen werden.

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Autorinneninfo: Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem 1. FSV Mainz 05, aktuell unter anderem als Kolumnistin für die Allgemeine Zeitung Mainz, im SWR Flutlicht oder als Expertin bei Amazon. Auch in Büchern hat die „Wortpiratin“ sich dem Verein schon gewidmet, zuletzt erschien ihr 05-Krimi „Im Schatten der Arena“.

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Angekommen an der Basis: Wie Geld den unteren Amateurfußball verändert https://120minuten.github.io/angekommen-an-der-basis-wie-geld-den-unteren-amateurfussball-veraendert/ https://120minuten.github.io/angekommen-an-der-basis-wie-geld-den-unteren-amateurfussball-veraendert/#respond Thu, 11 Apr 2019 10:00:15 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5842 Weiterlesen]]> Geld floss im Amateurfußball schon immer – vor allem deshalb, weil es lange Zeit nur das gab: Bis weit in das 20. Jahrhundert hielt der DFB am Amateurideal fest und ließ ein Berufsspielertum nicht wirklich zu. Doch natürlich kamen die Spieler der höchsten Ligen schon in der Weimarer Republik, während der ersten großen Boomphase des Fußballs in Deutschland, an ihr Geld – auf verschlungenen Wegen. Heute sind es nicht mehr die besten Spieler des Landes, die zum Schein angestellt werden, damit Zahlungen möglich sind. Es sind die besten Spieler des Landkreises, wenn überhaupt. Die Bezahlkultur hat sich bis in die untersten Ligen des Amateurfußballs ausgebreitet – und sie bringt dort einiges durcheinander.

Von Tim Frohwein

Ein mir bekannter Journalist wollte sich kürzlich in einem Artikel dem Thema Bezahlung im Amateurfußball widmen. Als er beim zuständigen Fußball-Regionalverband um Informationen bat, wurde seine Anfrage dort, so berichtete er mir später, mit dem Argument abmoderiert, dass sich in den vergangenen 30 Jahren diesbezüglich eigentlich nichts verändert habe – warum also über das Thema schreiben?

Ich möchte hier die Gegenthese aufstellen: Es hat sich etwas verändert, insbesondere in der jüngeren Vergangenheit. Die Bezahlkultur hat sich weiter denn je in die unteren Ligen ausgebreitet – und wirkt sich dort nicht gerade positiv aus. Doch bevor ich das näher ausführe, lohnt zunächst ein Blick in die Vergangenheit – auch, wenn die Entwicklungsgeschichte der Monetarisierung des Amateurfußballs in Ermangelung wissenschaftlicher Befunde nur ungenau nachzuzeichnen ist.

Das Thema Bezahlung im Amateurfußball ist so alt wie der deutsche Fußball selbst. Schon in der Weimarer Republik, als der Fußball in Deutschland an der Schwelle zum Massensport stand, wurde im Amateurfußball Geld an Spieler gezahlt – nur, dass damals gemäß den offiziellen Bestimmungen eben auch Spieler der höchsten Klasse den Status des Amateurfußballers besaßen. Ein Profifußball-Segment gab es schlichtweg nicht, da der DFB am Amateurideal festhalten und ein Berufsspielertum verhindern wollte. Im Jahrbuch des DFB von 1925 formulierte der ranghohe Funktionär Georg P. Blaschke die Haltung des DFB so: „Wir bekämpfen das Berufsspielertum aus ethischen Gründen, denn wir sehen in unseren Fußballveranstaltungen etwas anderes als bloße Schaustellungen, die der Unterhaltung dienen. Es wäre ein Frevel an unserer deutschen Jugend, wollten wir das Berufsspielertum in Deutschland auch nur im geringsten begünstigen.“

Und auch, wenn der DFB damals Verstöße gegen dieses Statut teilweise rigoros ahndete: Geld an die Spieler floss natürlich trotzdem. Allerdings geschah das selten – und hier lässt sich eine Linie zur Gegenwart ziehen – offiziell: Mit Scheinanstellungen, Schwarzgeldzahlungen oder der Überlassung von Kiosken und Tabakläden an Spieler – in dieser Zeit wurde auch der Ausdruck „Tabakladen-Amateurismus“ geprägt – versuchten die Spitzenvereine, das DFB-Verbot zu unterlaufen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann das Amateurideal zu erodieren, bevor dann mit der Einführung der Bundesliga und dem Lizenzspielertum im Jahr 1963 eine halbwegs sichtbare Trennlinie zwischen Amateur- und Profifußballlager gezogen wurde. Freilich wurde der Amateurfußball dadurch nicht zur geldfreien Zone. Weiterhin wurde Geld als Mittel genutzt, um auch im unteren und gehobenen Amateurfußballbereich fähige Spieler anzulocken und sportlichen Erfolg zu ermöglichen. Wissenschaftliche Studien, die genaue Aussagen darüber zulassen, wie weit die Bezahlkultur in den 1960er und 70er Jahren verbreitet war und welche Summen flossen, gibt es leider nicht. Einzelberichte in Zeitungen lassen aber zumindest oberflächliche Einblicke zu. In einem in Ausgabe 13 des Zeitspiel-Magazins abgedruckten Kicker-Artikel aus dem Jahr 1973 beschwert sich beispielsweise der Vorstand eines rheinischen Verbandsligisten über gestiegene finanzielle Ansprüche im Amateurfußball: „Die Amateure der Verbandsliga-Klubs verdienen und verlangen zum Teil mehr als Regionalligaspieler.“ Die Regionalliga war damals die zweithöchste Spielklasse in Deutschland.

Machen wir einen Sprung ins 21. Jahrhundert. Als ich im Jahr 2010 beschloss, das Thema Bezahlung im Amateurfußball als einen Nebenaspekt in meiner Diplomarbeit zu untersuchen, waren noch immer keine aussagekräftigen empirischen Befunde dazu verfügbar. In meinen Recherchen stieß ich stattdessen auf einen kurz zuvor veröffentlichten Text von Christoph Metzelder, der in seiner Kolumne für 11FREUNDE schrieb: „Wenn ich höre, dass in Bezirksligen (achte Spielklasse) Spieler bis zu 600 Euro dafür bekommen, dass sie (Hobby-)Fußball spielen, dann ist das schon ein starkes Stück. Nur mal zum Vergleich: In meinem ersten Seniorenjahr bei Preußen Münster, 1999/2000 in der dritten Liga, bekam ich als 18-jähriger Vertragsspieler 630 Mark steuerfrei. Das war als Abiturient sehr viel Geld. Aber wir reden hier von der dritten Liga und der Arbeit unter Profibedingungen.“

Den Spieler, der im Amateurfußball mehr verdient als in den höchsten Leistungsklassen des Landes – ihn fand man im Jahr 2010 also nicht mehr nur im gehobenen Amateurfußball, sondern bereits in der achten Liga. Meine 2011 veröffentlichte Untersuchung, für die ich rund 200 Münchner Amateurfußballer per Fragebogen um anonyme Auskunft zum Thema Bezahlung gebeten hatte, bestätigte diesen Trend: Alle damals befragten Bezirksligaspieler, 55,2 Prozent der Kreisligaspieler und immerhin noch 30,8 Prozent der Spieler in der darunterliegenden zehnten Liga, der Kreisklasse, wurden von ihren Vereinen entlohnt. Informationen zur Höhe der Bezahlungen hatte ich damals – auch, weil ich mit Auskunftsverweigerungen rechnete – nicht abgefragt.

Nun sind seit der Veröffentlichung der Ergebnisse schon wieder ein paar Jahre ins Land gezogen. Meine Untersuchung ist immer noch die einzige, die Zahlen zum Thema liefert – weshalb ich erfreulicherweise immer noch Interviews geben darf. Die Reaktionen auf diese Interviews liefern Hinweise darauf, dass seit 2010 die Monetarisierung des Amateurfußballs weiter vorangeschritten ist. In einem Leserbrief, erschienen im Straubinger Tagblatt im August 2018, schreibt beispielsweise Oliver Brzycki, Teamchef des niederbayerischen Kreisklassisten DJK Straubing: „Ich führte die letzten zwei Jahre mit einigen guten Spielern aus der Region Gespräche zwecks Vereinswechsel und immer wieder scheiterte eine Verpflichtung am Schluss am lieben Geld, da bei der DJK Straubing kein einziger Spieler Zahlungen erhält.“ Wohlgemerkt: Die Kreisklasse entspricht im Fußballkreis Niederbayern Ost, in dem der DJK gemeldet ist, der zweiten Liga – von unten.

Die Bezahlkultur sorgt also dafür, dass ein ganz bestimmter Spielertypus, dem der Soziologe Heinrich Väth 1994 einen passenden Namen gegeben hat, in immer tiefere Gefilde des Amateurfußballs vorstößt: Der Spielertypus des „Wechslers“. Es gibt heute in den unteren Ligen immer mehr Amateurfußballer, die ständig Augen und Ohren für lukrative Angebote auf dem Markt offenhalten, die sich mit selbstproduzierten YouTube-Videos bei anderen Vereinen anbiedern – und entsprechend bei sich bietender Gelegenheit schnell wieder weg sind. Spieler, die jedes halbe Jahr die Mannschaft wechseln, sind keine Seltenheit mehr. Ich habe im Laufe meiner 17-jährigen Laufbahn im unteren Münchner Amateurfußball so einige von ihnen kennengelernt. Um den Zusammenhang mit der Bezahlkultur deutlich zu machen: Meine Untersuchung zeigte, dass bezahlte Spieler im Schnitt nur 2,8 Jahre bei einem Verein bleiben, während Spieler, die nicht bezahlt werden, alle 5,6 Jahre den Verein wechseln.

Wenn Amateurfußballer auf den Markt reagieren und dieses Kalkül an den Tag legen, ist es nur logisch, dass sie keine starke Verbindung zu dem Verein aufbauen, dessen Trikot sie gerade überstreifen. Auch dafür fanden sich in meiner Untersuchung Belege: Spieler, die fürs Kicken bezahlt werden, schätzen die Geselligkeit in ihrem Verein viel weniger. Verglichen mit den unbezahlten Spielern gaben sie beispielsweise an, seltener nach dem Training im Vereinsheim sitzen zu bleiben; auch private Sorgen und Probleme wurden im Vergleich nicht so häufig mit Vereinskollegen besprochen.

„Es hat sich da vor einigen Jahren eine Spirale in Gang gesetzt, aus der wir nicht mehr rauskommen“, erzählte mir der sportliche Leiter eines Kreisligavereins aus dem Raum München, den ich anlässlich dieses Artikels interviewt habe. Als vor einigen Jahren zunehmend auch niederklassige Amateurfußballvereine angefangen hätten, Spieler mit Geld zu ködern, seien – um konkurrenzfähig zu bleiben – immer mehr Vereine auf diesen Zug aufgesprungen. „Es hat sich hier in der Gegend über die Jahre hochgeschaukelt – und heute zahlen Vereine bereits in der Kreisliga 400 Euro Fixgehalt zuzüglich Prämien und Fahrtkosten. Wer da als Verein nicht mitspielt, bekommt eben keine oder weniger gute Spieler.“ Natürlich könne sich das aber nicht jeder Verein leisten. Und da sprechen wir noch nicht einmal von den Möglichkeiten, die manch mäzengeführter Verein besitzt: Hier kommt es schon mal vor, dass Spieler – ganz wie zu Zeiten der Weimarer Republik – im Betrieb des Mäzens zum Schein angestellt werden, damit auch höhere Summen fließen können.

Beim letzten Treffen der sportlichen Leiter aus dem Fußballkreis München sei diese Entwicklung, so berichtete mir der befreundete weiter, sogar vom anwesenden Verbandsvertreter deutlich kritisiert worden. „Die Mehrheit der sportlichen Leiter hat sich dann auch dafür ausgesprochen, hier entgegenzuwirken. Aber keiner weiß so richtig, wo man ansetzen soll.“ Eine Idee: Eine Art Kodex, zu dem sich die Vereine im unteren Amateurfußballbereich bekennen und sich damit verpflichten, auf Zahlungen an Spieler zu verzichten. „Aber was macht man dann mit den Vereinen, die aus dem gehobenen und erfolgsorientierteren Bereich absteigen? Die wollen ja wieder hoch – und dafür nehmen sie Geld in die Hand“, entgegnete mein Interviewpartner.

Die Bezahlkultur hat sich – Stand 2019 – bis in die unteren Segmente des deutschen Ligasystems ausgebreitet. Zwar kann man bei den Summen, die in Kreis- oder Bezirksliga gezahlt werden, nicht von Berufsspielertum sprechen. Ob man dort aber dem oben formulierten Amateurideal noch gerecht wird und sich entsprechend benennen darf, sei dahingestellt.

Autoreninfo: Tim Frohwein setzt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich und journalistisch mit dem Amateurfußball auseinander. Seit 2018 organisiert er die Veranstaltungsreihe „Mikrokosmos Amateurfußball“, die die gesellschaftliche Bedeutung des Amateurfußballs stärker in den Mittelpunkt rücken will. Die nächste Ausgabe der Veranstaltung findet am 10. Mai im Stadion von Greuther Fürth statt, Thema: „(Sozio-)Demografischer Wandel im Amateurfußball“. Frohwein ist außerdem Mitglied in der Münchner Interessengemeinschaft „Sport ist wichtig“ und schnürt seit über zwanzig Jahren für seinen Heimatverein, den FC Dreistern in München, die Fußballschuhe.

Disclaimer: Eine Kurzfassung dieses Artikels ist bei unserem Partner „Zeitspiel – Magazin für Fußballzeitgeschichte“ erschienen.
Das Titelfoto zu diesem Beitrag stammt vom Autor selbst.

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