Buchbesprechung: Jens Berger – Der Kick des Geldes

Den meisten dürfte Jens Berger als Spiegelfechter, einem der wichtigsten Politblogs in Deutschland sowie als Redakteur der Nackdenkseiten bekannt sein. Was kann man von einem Politblogger zum Thema Fußball erwarten? Schwülstige Phrasendrescherei? Oder eine nüchterne Analyse? Sein Buch ‘Der Kick des Geldes’ ist eher ein sachlicher Blick von außen auf den Fußball von jemandem, der selber Fußballfan ist. Dass Jens Berger nicht zu den ‘traditionellen’ Fußballautoren gehört, wird deutlich. Zuallererst ist da mal die Sprache. Denn nur allzu oft bedienen sich Fußballautoren abgedroschenen Phrasen und Sprachbildern, was nicht unbedingt von Aufgeschlossenheit zeugt. Eben jener Blick von außen auf den Fußball äußert sich in der Herangehensweise, mit der ein Politblogger sich einem solchen Thema nähert. Man kann es so sagen: Jens Berger hat den Fußball im Blick, beschäftigt sich aber ausschließlich mit Dingen, die außerhalb den Fußball beeinflussen: TV-Gelder, Merchandising und die Degradierung des gemeinen Fans zum Kunden und Konsumenten. Alles bekannte Themen. Jedoch beim Thema Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Ob dem so ist, bleibt fraglich, zu groß ist schlicht und ergreifend die Anziehungskraft dieses schönen Spiels, um nicht einfach links liegengelassen zu werden. Der Fußball wird mit volkswirtschaftlichen Methoden betrachtet und Entwicklungen kommentiert. Dadurch wird deutlich, wie sehr Fußball, die Mega Money Machine, inzwischen zu Lasten der Allgemeinheit geht.

Im Zeichen der 11

Jedes der neun Kapitel steht im Zeichen der 11: Berger beginnt mit der Frage ‘11 Freunde sollt Ihr sein?’ und titelt Kapitel 9 mit eben jenem Satz gefolgt von einem Ausrufezeichen. Dazwischen wird die gesamte Bandbreite an Themen bearbeitet, die der Fußball im 20. und 21. Jahrhundert hergibt: Big Business Fußball, die explodierenden Gehälter, der Wahn um Ausrüsterverträge, TV-Gelder, es wird auch gefragt, wem die Bundesliga gehört, wie der Fußball vom Otto-Normalverbraucher profitiert und Korruption. In Kapitel neun leitet er uns an, wie ‘wir uns den Fußball zurückholen’. Auf knapp 250 Seiten wird somit alles abgedeckt, was den Fußball in unserem Zeitalter bestimmt, bewegt und bedrückt. Und das sind in erster Linie eine ganze Menge Geld und ein paar sehr einflussreiche Leute, wie wir alle wissen. Berger geht es weniger um das Spiel an sich, als um das Schindluder, welches um den und mit dem Fußball getrieben wird.

Vor einigen Jahren schrieb der zu früh verstorbene Frank Schirrmacher von der Lüge der Systemrelevanz der Banken. Berger argumentiert ähnlich. Fußballvolk ist auch Wahlvolk und Politiker brauchen Rückhalt und da fallen einige 10000 Stimmen aus dem Stadion schon mal ins Gewicht. Genau deshalb öffnen Stadtkämmerer schon mal schneller die Schatulle, um Stadien zu finanzieren oder Bürgschaften für eben jene Projekte auszugeben. Wäre das nicht der Fall, die Bundesliga würde größtenteils in maroden Stadien stattfinden. Fußballclubs sind zu groß und zu wichtig, um Pleite zu gehen. Denn würde sich der gemeine Fan nicht am Spiel berauschen, er hätte wenig Freude im Leben? Ein Präzedenzfall könnte der Streit um die Kosten des Polizeieinsatzes zwischen der Stadt Bremen und der DFL werden. Bremen hat die Rechnung an die DFL geschickt, da diese als Veranstalter der Bundesliga auch die Kosten für sogenannten Risikospiele tragen sollte. Die Replik der DFL war eine Einbehaltung der TV-Gelder für den SV Werder: ein Druckmittel, um die Stadtoberen an den Pranger der Fans stellen sollte. Beide Seiten weichen nicht zurück und sind bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen.

Beim Kauf des nächsten Paars Fußballschuhe mahnt uns Berger, der Näherinnen zu gedenken, die mit weniger als 1 Euro am wenigsten am Schuh verdienen, dafür aber am meisten arbeiten, oft unter fragwürdigen Bedingungen. Der Wutbürger ist schnell zu mobilisieren für mitunter lächerliche Anliegen. Ein Aufschrei oder Boykott sind hier nicht in Sicht.

Der Deutsche spielt gern Oberlehrer und weiß alles besser. Bestes Beispiel: die Fußballclubs. Gern wird sie Mär kolportiert, dass es nur in England und anderswo reiche Clubbesitzer gibt, für die ein Club ein Spielzeug ist. Dem ist in der Bundesliga nicht so. Hier ist alles fest in einer Hand. Der Autohersteller VW hat seine Finger bei einigen Clubs im Spiel: Bayern, Wolfsburg, Ingolstadt. Das stellt einen gehörigen Interessenskonflikt dar. Daneben ist die BL eine VW-Liga: 16 Erst- und Zweitligisten werden von VW oder Tochter- und/oder Zulieferunternehmen gesponsert. Somit haben wir eine VEB Bundesliga, denn wem gehört VW? Dem Land Niedersachsen. Nur, vor der eigenen Haustüre zu kehren, ist schwieriger als mit dem Finger auf andere zu zeigen. Das gilt genauso für die sogenannten spanischen Verhältnisse, vor denen immer wieder gewarnt wird. Dass die Bundesliga längst von den Bayern dominiert wird, wird dabei gern übersehen.

Im letzten Kapitel wagt Jens Berger einen Ausblick und beginnt ausgerechnet in England, wo doch alles schlecht ist, angeblich, im Fußball. Denn dort hat sich ungeachtet der großen Medienhäuser in den letzten Jahren eine sehr selbstbewusste Fankultur entwickelt, die sich in die Geschicke ihrer Clubs einmischt. Das sind eher kleinere Vereine, aber es geht um die Mitbestimmung, etwas, was hier in Deutschland mehr und mehr an den Rand gedrängt wird. Das beste Beispiel ist wohl der FC United of Manchester, der vor 10 Jahren von Fans von Manchester United gegründet und seitdem für Furore sorgt. Um die Gentrifizierung des Spiels aufzuhalten, sollten Vereine preiswerte Stehplatzkarten anbieten, die es jedem ermöglichen ins Stadion zu gehen. Nur so kann der Fußball seine einzigartige Kultur bewahren und bleibt als Kulturgut auch erhalten. Dazu gehören auch die Medien, die dafür sorgen, dass die Marketingmaschine Fußball reibungslos läuft, die aber dabei ihre journalistische Pflicht gern mal vergessen. Es bleibt also viel zu tun, damit der Fußball nicht vollends zu einer beliebig feil gebotenen Ware verkommt.

Bleibt Bergers Fazit: Bundesliga, Champions League ist ja alles schön und gut aber der “echte” Fußball wird ohnehin auf den Bolz- und Dorfplätzen der Republik gespielt und gelebt.

Kleinere Kritikpunkte gibt es auch: es heisst NICHT Chelsea London oder Arsenal London, sondern schlicht Chelsea und Arsenal. Chelsea spielt im Stadion Stamford Bridge, nicht an der Stamford Bridge, denn die gibt es nicht. Auch mit den Daten haut es nicht so hin, denn Berger meint doch glatt, dass der BVB 1994 den UEFA-Pokal gewonnen hat. Dem ist nicht so, denn die Schwarzgelben waren ein Jahr davor im Finale, hatten aber gegen Juventus keine Chance und gingen 6-1 geschlagen vom Platz. Auch war der FC Barcelona nicht im Finale der Champions League 2010, das waren der FC Bayern und Inter. Das sind sicher kleinere Punkte, die nur denjenigen ins Auge fallen, die Fußball wohl detaillierter kennen. Obschon die Themen, an denen sich Berger abarbeitet, jeden Einzelnen von uns Fußballfans aber auch alle anderen anspricht.

Autor: Christoph Wagner

Jens Berger: Der Kick des Geldes oder Wie unser Fussball verkauft wird. Frankfurt/Main: Westend Verlag, 2015

Jens Berger ist Herausgeber des Blogs Der Spiegelfechter und zudem Redakteur bei den Nachdenkseiten.

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