a Benjamin Brumm – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Tue, 28 Feb 2017 06:34:47 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Am Ziel der Träume? Fußball und der Nationalsozialismus https://120minuten.github.io/am-ziel-der-traeume-fussball-und-der-nationalsozialismus/ https://120minuten.github.io/am-ziel-der-traeume-fussball-und-der-nationalsozialismus/#comments Wed, 20 Jan 2016 08:31:07 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1808 Weiterlesen]]> Der Fußball in Deutschland hat es in seinen Anfangsjahren nicht leicht. Gesellschaftliche Vorbehalte, Konkurrenz durch die traditionsreiche Turnerschaft, das unsägliche Geschacher um das Amateurgebot. Unter der Regie des machtbewussten DFB hat sich der Fußball dennoch zum Spiel der Massen entwickelt, wie ich in meinem ersten geschichtlichen Überblick für 120minuten aufgezeigt habe. Ideale Voraussetzungen für die Nationalsozialisten, das Spiel für seine Zwecke zu ge- und missbrauchen? Welche Rolle spielte der DFB dabei? Wie hat der deutsche Fußball auf die verordnete „Gleichschaltung“ reagiert? Und wie ging es in Sachen Profitum weiter?

Autor: Benjamin Brumm, Tragisches Dreieck

5696729753_fd5232385d_o

„Bildung eines Volksheeres“ – die Sportprogrammatik der NSDAP

Als Nervenbad mit Potential zur Massensuggestion sollte Reichspropagandaminister und Nazi-Hetzer Joseph Goebbels den Fußball nach einem Stadionbesuch in seinen Tagebüchern einst beschreiben. Dem Sport zugeneigt war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) bereits in ihren Anfangsjahren. Als einzige der Weimarer Parteien forderten die Nationalsozialisten bereits frühzeitig die Einführung einer Sport- und Turnpflicht für Jugendliche. In den Worten von Adolf Hitler heißt es dazu in einem frühen Parteiprogramm, dass das Ziel die „Bildung eines Volksheeres“ sein müsse:

„Der Staat hat für die Hebung der Volksgesundheit zu sorgen durch […] Herbeiführung der körperlichen Ertüchtigung mittels gesetzlicher Festlegung einer Turn- und Sportpflicht, durch größere Unterstützung aller sich mit körperlicher Jugendausbildung beschäftigenden Vereine.“[1]

Ähnliches schrieb der inhaftierte spätere Führer bereits in seiner Hassschrift Mein Kampf. Dort nimmt er – für viele überraschend – auch Abstand von einer ausschließlich auf „militärisches Exerzieren“ ausgerichteten Militärausbildung und empfiehlt mit Bezug auf die körperliche Ertüchtigung „vielmehr auf sportliche Betätigung“ zu achten – auch wenn ihm dabei lediglich zwei Kampfsportarten einfallen:

„Boxen und Jiu-Jiutsu sind mir immer wichtiger erschienen als irgendeine schlechte, weil doch nur halbe Schießausbildung. Man gebe der deutschen Nation sechs Millionen sportlich tadellos trainierte Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist erzogen, und ein nationaler Staat wird aus ihnen, wenn notwendig, in nicht einmal zwei Jahren, eine Armee geschaffen haben.“[2]

Was der Führer sagte, hatte Gewicht. Mehr als alles andere. Selbst wenn da ein Mann über den Wert des Sport philosophierte, der Forschern zufolge nie selbst Sport getrieben hat und dem angeblich schon ein Spaziergang zuwider war. Für die Nazis waren „die Befehle des Führers auch hier alleiniges Gesetz für die Neugestaltung der körperlichen Ertüchtigung.“[3]

In zeitgenössischen nationalsozialistischen Quellen ist viel zu lesen vom Dienst am Volk, der der Sport zu sein hatte. Mit dem Ziel, die Wehrhaftigkeit potentieller Soldaten sicherzustellen. Übrigens aber keine rein nationalsozialistische Sichtweise. Ähnlich argumentierten die frühen Fußballpioniere wie Walther Bensemann, ein ausgewiesener Kosmopolit. Selbst in vermeintlich konträr den Nazis gegenüber stehenden kommunistischen Schriften ist von „Kampfbereitschaft, Solidarität, Disziplin und Opferbereitschaft“[4] zu lesen.

NSDAP und DFB – spinnefeind?

Aus heutiger Sicht erscheint es nur logisch, dass die NSDAP zum Ende der Weimarer Republik die Nähe zur bürgerlichen Sportbewegung suchte. Mit geschätzten sechs Millionen Mitgliedern barg sie ein kaum zu unterschätzendes Wählerpotenzial. Wie ich bereits im ersten historischen Longread zu den fußballerischen Anfängen in Deutschland ausgeführt habe, haben auch die DFB-Verantwortlichen spätestens seit dem Ersten Weltkrieg den militärischen Zweck des kampfbetonten Fußballs hervorgehoben. Auch was den erzieherischen Nutzen des Sports angeht, waren Nationalsozialisten und Sportler um ähnliche Ziele bemüht. So sollte es auch Fußballern nicht mangeln an „Mut, Kraft und Entschlossenheit, den Kampf des Lebens, den Kampf der Nation zu bestehen.“[5] Und dennoch: In den Wochen und Monaten der Machtergreifung waren die Nazis dem Fußball zunächst nicht besonders zugetan. Die gängigen Propagandablätter kritisierten – nicht anders als die neutrale Fachpresse – die bisweilen unterirdischen Leistungen der Nationalmannschaft. Auch das Profitdenken des Verbandes schmeckt Angriff, Völkischer Beobachter und Co. nicht.

Eine sehr entschiedene Meinung vertritt der Ideologe Bruno Malitz in einer damals viel beachteten Schrift zur nationalsozialistischen Leibeserziehung. Demnach sei zu prüfen, ob die großen Sportverbände „in der gegenwärtigen Form Lebensberechtigung haben“ oder ob sie nicht viel mehr „ein zuweilen recht nutzloser, aufgeblähter Apparat“ seien. Und direkt auf den DFB gemünzt schreibt Malitz, dass er „beim allerbesten Willen nicht die Berechtigung eines Deutschen Fußballbundes einsehen“ könne, dessen Wirken nichts als „unwichtige Leerlaufarbeit“ sei.[6]

Auch in Sachen Berufsfußballverbot und Festhalten am reinen Amateurgebot lagen DFB und NSDAP nicht auf einer Linie. Städtische Parteirepräsentanten waren überzeugt von der wirtschaftlichen Rentabilität des Profifußballs. Sie gingen davon aus, dass durch einen veränderten Spielbetrieb Arbeitslose in Lohn Brot gebracht werden könnten (und dadurch nicht zuletzt die Gemeindekassen entlasteten). Der DFB war den politischen Einlassungen in der Zeit kurz vor der „Machtergreifung“ überdrüssig. Noch wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler – in derselben Sitzung übrigens, in der die Frage nach der Zulassung des Profitums einmal mehr verschoben wurde – beschloss man den „häufiger gewordenen systematischen Angriffen gegen den Sport durch Angehörige parteipolitisch oder sonst gebundener Gemeinschaften künftig mit allem erforderlichen Nachdruck entgegenzutreten.“[7]

Der DFB sang also einmal mehr das Loblied der politischen Neutralität. Umso mehr nimmt es Wunder, dass sich Präsident Felix Linnemann nur wenige Wochen später im Kicker mit folgenden Worten zitieren lässt: „Wir können uns als Vorläufer der heutigen Bewegung ansehen. Wir brauchen uns nicht umzustellen.“ Was hatte in so kurzer Zeit dazu geführt, dass sich das relativ distanzierte Verhältnis zwischen bürgerlichem Fußball und nationalsozialistischem Regime derart rasch änderte?

Aus Sicht der NSDAP fällt die Antwort leichter: Sie konnte sich schlicht der Anziehungskraft und Beliebtheit des Volkssportes Nummer eins in der Bevölkerung nicht länger entziehen; zu verlockend erschien den neuen Machthabern die Wirkung des Fußballs auf die Massen. Komplizierter zu beantworten ist, warum der DFB von seiner Position so grundlegend abrückte. Immerhin drohte der DFB, seine hochgeschätzte zentrale Allmacht einzubüßen. Tatsächlich profitierten die Verantwortlichen des Fußballs von den politischen Umwälzungen; und zwar sowohl persönlich, als auch was den Status des Verbandes angeht.

Am Ziel der Träume?

Bis spätestens 1934 wollten die Nationalsozialisten alle Bereiche des öffentlichen Lebens von Politik über Gesellschaft bis zur Kultur restrukturieren – dazu gehörte auch der Sport. Die Nazis sprachen von „Gleichschaltung“. Direkt betroffen war davon der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA). Als erster Schritt wurden dabei im März 1933 die Arbeitersportverbände zerschlagen. Wenig später wurde Hans von Tschammer und Osten zum Reichskommissar für Turnen und Sport und wenig später zum Reichssportführer ernannt. Von Tschammer und Osten hatte übrigens keinerlei sportliche Affinität, wichtiger war es, dass er vollständig auf Linie der nationalsozialistischen Bewegung stand. Schließlich löste sich der DRA formal (selbst) auf. Eine Kommission sollte mit der Regierung Verhandlungen über die Zukunft der Organisation führen. Der Neuordnung der Leibesübungen nach nationalsozialistischem Gutdünken stand nichts mehr im Wege. Unter den Unterzeichnenden der Auflösung: DFB-Präsident Felix Linnemann. Kein Zufall, denn nicht nur der DFB war Nutznießer der sportpolitischen Umwälzungen und Linnemann profitierte in nicht unerheblichem Maße persönlich von ihnen.

DRA

Standarte des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen (nach der Einverleibung durch die NSDAP)

Ab 1934 ersetzte der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen (DRL) den DRA. Auch der DFB wurde eingegliedert. Ziele von Tschammer und Ostens waren unter anderem die Verkleinerung der Zahl von Verbänden und Organisationen, außerdem sollte das „Führerprinzip“ bei allen Verbänden durchzuführen sein. Für Linnemann bedeutete dies einen alleinigen Führungsanspruch als künftiger Führer der Reichsfachschaft Fußball. Bereits beim kurze Zeit später beraumten DFB-Bundestag betonte Linnemann die Unumgänglichkeit des Systemwandels. Er dürfte sich erhofft haben, einige Querelen der Vergangenheit – man denke an das Gezerre um die Einführung des Profi-Fußballs – könnten bald Geschichte sein:

„Es gibt keine Bücher und Satzungen mehr mit Hunderten von Paragraphen. Die jährlichen Versammlungen fallen fort und damit auch die unendlichen Debatten über neue Paragraphen. Kurz gehaltene Bestimmungen des Führers sind an die Stelle der Gesetzbücher getreten.“[8]

Manch Fußballhistoriker kommt angesichts dieser Euphorie zum Schluss, Linnemann habe damit antiliberale, antipluralistische, nationalistische und kulturpessimistische Ansichten übernommen[9]. Das mag zu Missverständnissen führen. Denn einerseits herrschte Anfang der 30er-Jahre ein ausgeprägter Demokratieverdruss über sämtliche Bevölkerungsschichten hinweg. Andererseits ist das „Führerprinzip“ keine explizit nationalsozialistische Erfindung, sondern – gerade im Sport – ein international verbreitetes System (bis heute übertragen Sportvereine übrigens ihre Sportgerichtsbarkeit auf ein zentrales Organ; ganz zu schweigen vom Gebaren von FIFA oder IOC).

Mit der Einführung des Führerprinzips ging auch die Beseitigung alter Strukturen einher: An die Stelle der sieben Landesfußballverbände traten 16 Gaue. Die einst starken regionalen Herrscher über den Fußball nahmen die Umstellung zähneknirschend hin – einzig der Westdeutsche Spiel-Verband wehrte sich, wenn auch erfolglos. Der Rest gab sich mehr oder weniger überzeugt, „an den neuen Zielen zum Wiederaufstieg unseres deutschen Volkes und damit auch unseres deutschen Vaterlandes“[10] mitzuarbeiten. Der DFB schien in Sachen Alleinvertretungsanspruch am Ziel seiner Träume angelangt. Da nimmt es nicht wunder, dass Felix Linnemann in einem Zeitungsinterview zufrieden feststellt:

„Sieben Verbände teilten sich seinerzeit die Verwaltung dieses Sportes, die in ihrer Art den verschiedensten Geschmacksrichtungen entsprachen. Es gab darunter protestantische, katholische und Arbeiter-Fußballverbände, wie auch noch viele andere mehr. Wenn man so weiter gemacht hätte, dann würde es bald auch noch Fußball-Verbände der Bäcker, der Köche, der Schüler und der Friseure gegeben haben. Heute gibt es nur noch einen einzigen, einheitlichen Verband.“[11]

Tschammer_Henderson_Fromm

Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten (rechts) im Gespräch mit dem britischen Botschafter Nevile Henderson (Mitte) und Generalleutnant Friedrich Fromm während eines Länderspiels zwischen Deutschland und England im Mai 1938. Quelle: Bundesarchiv Berlin

„Immer noch die alten Gesichter…“

Die Euphorie der DFB-Verantwortlichen für die neuen Machthaber rührte nicht nur von der Beseitigung der lästigen konkurrierenden Sportverbände. Auch in Sachen Berufsspielerfrage bewegten sich die Nationalsozialisten auf die Verbandsansichten zu. Keinesfalls aber liquidierten sie den während der Weimarer Republik so ausgeprägt praktizierten Scheinamateurismus. Tatsächlich wurde die Praxis der Vorjahre munter fortgesetzt. Nach außen polterten die Nazis gegen die als liberalistisch bezeichneten Auswüchse des Professionalismus; man wolle „keine materialistischen Schweinehunde“.[12] Die reale Sportpolitik sah dagegen ganz anders aus, es entwickelte sich nichts anderes als ein Staatsamateurismus. In zahlreichen Sportarten – darunter Boxen, Radsport und Motorsport – wurden die professionellen Strukturen stillschweigend toleriert. Mutmaßlich nahm man es auch wegen der großen Popularität einzelner Stars – man denke an Max Schmeling – mit finanziellen Zuwendungen nicht allzu genau. Das Motto lautete: Öffentliches Vorgehen gegen den Berufssport bei Duldung von verdeckten Zahlungen.

Im Fußball sorgte der DFB dafür, dass Vereinen bei Unregelmäßigkeiten (beispielsweise dem Einsatz nicht spielberechtigter Spieler) Punktverluste und Geldstrafen drohten. Die Praxis von NSDAP und DFB gleicht sich – die Beweggründe unterscheiden sich dagegen. Für den DFB standen finanzielle Aspekte im Vordergrund, für die politischen Machthaber allenfalls ein Begleitumstand. Es zeigt sich vielmehr, dass sich die NSDAP lange Zeit nicht um ein sportpolitisches Konzept bemüht hatte und nun aus zweckdienlichen Gründen die Fußballer weiter Amateure sein lassen wollte. Denn: Anders als in anderen Sportarten hatten sie sich nicht schon während der Weimarer Republik in Richtung Profisport entwickelt. Die Prämisse lautete: Kontinuität bewahren und die Leistungsfähigkeit – sowohl sportlich als auch wirtschaftlich – zu erhalten.

Zudem hatte die NSDAP auf die Olympischen Spielen von 1936 Rücksicht zu nehmen. Das Land sollte der Welt in glänzendem Licht präsentiert werden, Berlin eine Demonstration deutscher Leistungskraft sein. Die olympischen Amateur-Vorgaben waren streng, der Ausschluss von Nationalspielern sollte unter allen Umständen vermieden werden. Der Schein von struktureller Kontinuität innerhalb der Verbände musste gewahrt werden, bei deren unverzüglicher Zerschlagung wäre das im Ausland nicht mehr möglich gewesen. Diese Argumentation lieferte Futter für den DFB-Präsidenten. Linnemann erinnerte, „dass bei der Schwächung der Amateurvereine mit dem Verlust einer sicheren Goldmedaille gerechnet werden“ müsse.[13] Die kühne Ankündigung von olympischem Edelmetall endete schließlich in einer einzigen Blamage: Deutschland schied bereits in der Zwischenrunde gegen Norwegen aus, dem einzigen Spiel der Nationalmannschaft, das nachweislich je von Hitler besucht wurde. Daraufhin musste Reichstrainer Otto Nerz übrigens den Hut nehmen und wurde von seinem bisherigen Assistenten Sepp Herberger abgelöst.

Man könnte annehmen, durch die Überführung ins neue Fachamt Fußball hätte sich ein personeller Wandel einstellen können. Weit gefehlt. Der DFB blieb als Verband weiterhin bestehen, sollte sich vor allem um die Verbindungen zum Ausland kümmern. Klar, mit der Gleichschaltung des Sports in den Jahren 1933/34 sollte sichergestellt werden, dass die „Gesinnung, persönliche Eignung und Untadeligkeit außer Zweifel steht“ (sprich: dem Gutdünken der Nazis entsprach), wie der Kicker berichtete. So die Weisung von Reichssportkommissar von Tschammer und Osten. Der entscheidende Satz folgt direkt im Anschluss: „Was jedoch nicht bedeutet, dass alle alten und bewährten Führer entfernt werden sollen.“[14] Auf diese Ankündigung hatten die Funktionäre des DFB gewartet. Statt der befürchteten Zerschlagung des vormals bürgerlichen Sports entstand der Eindruck eines enormen gestalterischen Freiraums.

Auch der Fußball war zentraler Bestandteil der Propaganda rund um die Olympischen Spiele 1936

Auch der Fußball war zentraler Bestandteil der Propaganda rund um die Olympischen Spiele 1936

Beim DFB war man regelrecht euphorisiert, schließlich gesellten sich die bereits erläuterten Vorteile – Zentralisierung der Kompetenzen, Zerschlagung der Konkurrenz und Bekämpfung des Professionalismus – noch hinzu. DFB-Präsident Linnemann bekannte sich rasch zum neuen System und kündigte an, dass der Fußball „im Sinne der von ihm seit langem erstrebten Volksgemeinschaft freudig zusammen mit dem Reichssportkommissar an den Zielen des neuen Staates mitarbeiten“ werde.[15] Das ist Unterwürfigkeit und Anbiederung, wie sie deutlicher nicht ausfallen könnten. Zurecht beschreiben viele (Fußball)historiker den DFB deshalb als anpassungsbereit, kooperationswillig und engagiert.

Was Linnemann und Co., geblendet von der Zufriedenheit über die entgegengebrachte Wertschätzung, nicht realisierten: Die personelle Kontinuität sollte nur ein vorübergehendes Phänomen sein. Ein Blick in von Tschammer und Ostens geheimen Situationsbericht über die Neugestaltung der Leibesübungen zeigt: Die Entscheidung des Reichssportführers, auf Behutsamkeit statt auf eine radikale Revolution zu setzen, war rein taktischer Natur. Von Tschammer und Osten war vielleicht dankbar dafür, dass er mangels eigener Sachkenntnis auf Fachleute zurückgreifen konnte – verbrieft ist das nicht und es dürfte wohl auch nur eine Nebensächlichkeit gewesen sein. Viel mehr hielt er die alten Verbandsfunktionäre „in ihrer Gesamtheit nur noch für ein retardierendes Moment“ und schloss demzufolge aus, dass sie „mit ihrer konservativen Verbandshaltung grundsätzlich irgendeinen politischen Schaden anrichten können.“ Er deutete bereits an, dass nach den olympischen Spielen auch personell „ein Wandel eintreten muss.“[16]

Rechtfertigte sich der Reichssportführer mit seinem Situationsbericht auch für das Festhalten am bewährten Personal? Zumindest schlug ihm einige Skepsis ob seiner Politik entgegen. Der stramme Nazi-Ideologe Bruno Malitz kommentierte jedenfalls: „Die deutschen Leibesübungen können und dürfen nur von SA-Männern als den echten Trägern nationalsozialistischer Weltanschauung geführt werden. Alles andere kann nur Übergang sein.“[17] Und beim DFB? War man dort derart verblendet, dass lediglich die positiven Folgen Beachtung fanden? Jedenfalls frohlockte der Präsident beim Anblick seiner geliebten Fußballgemeinde noch im Januar 1938: „Es sind ja immer noch die alten Gesichter, die wir stets und je an der Spitze ihrer Vereine und Sportkameraden sehen.“[18]

Zu jener Zeit befand sich der Verband bereits im Begriff des Machtverlustes. Hatte Linnemann auch nach Olympia 1936 die tatsächlichen Zustände, bewusst oder unbewusst, übersehen? Konnte der DFB auch nach 1936 noch auf den Erhalt seiner personellen Substanz bauen? Ließ sich der Fußball in der Folge politisch instrumentalisieren? Was veränderte sich für Vereine und Funktionäre und welche Rolle spielte die Nationalmannschaft in der NS-Propaganda? Diese Fragen gilt es im letzten Teil des historischen Überblicks zur Rolle des Massenphänomens Fußball während der Zeit des Nationalsozialismus zu beantworten.

Referenzen

[1]   Punkt 21 des 25-Punkte-Programms der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 24. Februar 1920.

[2]   Hitler, Adolf: Mein Kampf. 775.-779. Auflage, 1943. S. 611.

[3]   Bayer, Ernst: Leibesübungen als politische und wehrpolitische Aufgabe, in: Volk im Werden, Nr. 11, 1938. S. 513.

[4]   Wagner, Helmut: Sport und Arbeitersport, 1973. S. 170f. Überdies komme laut der selben Quelle der Arbeitersportbewegung als Aufgabe „die Übernahme eines Teils der Vorbereitung der proletarischen Wehrhaftigkeit“ zu.

[5]   Girulatis, R.: Fußball. Theorie, Technik, Taktik, 1923. S. 10.

[6]   Malitz, Bruno: Die Leibesübungen in der nationalsozialistischen Idee, 1933. S. 49.

[7]   Südwestdeutsches Sportblatt der Freiburger Zeitung, 23. Januar 1933. S. 1.

[8]   Linnemann, Felix: Deine Aufgabe, Bundesschrift, in: Deutscher Fußball-Sport Nr. 1, 1933. S. 3.

[9]   Dieser Meinung ist zum Beispiel: Heinrich, Arthur: Deutscher Fußball-Bund und Nationalsozialismus, in: Pfeiffer, Lorenz u.a.: Hakenkreuz und rundes Leder: Fußball im Nationalsozialismus, 2008. S. 58-80.

[10] Ohne Autor: Die 16 Gaue erhalten ihre Führer, in: Der Kicker Nr. 31, 1933. S. 1178.

[11] Das Interview ist nachzulesen bei Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, 2005. S. 118.

[12] Malitz, Bruno: Die Leibesübungen in der nationalsozialistischen Idee, 1933. S. 9. Weitere Beispiele finden sich auch auf S. 12 und S. 20.

[13] Denkschrift über die Notwendigkeit einer Bereinigung der Verhältnisse im deutschen Fußballsport durch Trennung von Amateur- und Berufssport. Nachzulesen im Stadtarchiv München (Amt für Leibesübungen 256).

[14] Ohne Autor: Der Neuaufbau des deutschen Sports. Die Richtlinien des Reichssportkommissars, in: Der Kicker Nr. 22, 1934. S. 845. Vgl. hierzu auch: Südwestdeutsches Sportblatt der Freiburger Zeitung (11. Juni 1935). S. 3.

[15] E. W.: Rede des Reichssport-Kommissars in Köln, in: Die Fußballwoche, Nr. 24, 1933. S. 3.

[16] Diese Aussagen sind nachzulesen im Bundesarchiv Berlin (auch Online-Recherche möglich): NS 8/177, von Tschammer und Osten: Die Neugestaltung der Leibesübungen in den Jahren 1933-1935 (Situationsbericht). Eine detaillierte Kommentierung des Dokuments hat Hajo Bernett in seinem Aufsatz „Die innenpolitische Taktik des nationalsozialistischen Reichssportführers (erschienen in: Stadion 1, 1975. S. 140-178) vorgenommen.

[17] Bruno Malitz: Die Leibesübungen in den herrschenden Weltanschauungen der Neuzeit. S. 260 , in: Friedrich Mildner (Hrsg.): Olympia 1936 und die Leibesübungen im nationalsozialistischen Staat, 1936.

[18] Zitiert nach Müllenbach: Wir vertrauen, in: Der Kicker, Nr. 3, 1938. S. 2

Beitragsbild: Wir bedanken uns bei Ksayer1 für das Foto zu diesem Beitrag. Mehr von Ksayer1 gibt es bei flickr. Lizenz CC BY-SA 2.0

]]>
https://120minuten.github.io/am-ziel-der-traeume-fussball-und-der-nationalsozialismus/feed/ 1 1808
Von der Fußlümmelei zum Massenphänomen https://120minuten.github.io/von-der-fussluemmelei-zum-massenphaenomen/ https://120minuten.github.io/von-der-fussluemmelei-zum-massenphaenomen/#comments Wed, 26 Aug 2015 15:00:44 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1479 Weiterlesen]]> Fußball ist des Deutschen liebstes Kind. Gefühlt schon seit ewigen Zeiten. Dabei hatte es der Volkssport Nummer eins schwer. Er musste sich Vorurteilen erwehren. Er hatte lange Zeit zu kämpfen mit dem strikten Amateur-Gebot. Er hat sich schließlich zum Volkssport Nummer eins entwickelt. Ein historischer Abriss.

Autor: Benjamin Brumm, goldmannsaxt.blogspot.de

5696729753_fd5232385d_o

Fußball ist alt, uralt. Angeblich wurde er bereits im Jahr 2967 vor Christus von einem legendären chinesischen Kaiser erfunden, ehe Ur-Völker in Mittelamerika das Spiel etablierten. Hier soll allerdings der Weg des als modern bezeichneten Fußballs, der auf die Gründung der englischen Football Association (FA) im Jahr 1863 zurückgeht, nach Deutschland nachgezeichnet werden. Heute wird keiner mehr bestreiten, dass Fußball ein Massenphänomen ist. In der Forschung spricht man von aktuellen und abstrakten Massenphänomenen. Zur Unterscheidung: Ersteres beschreibt Situationen des aktiven Zuschauens, abstrakt wird es immer dann, wenn die schiere Vielzahl der Menschen zu groß ist, als dass sie sich noch an einem Ort einfinden könnte. Schon hier lässt sich bemerken: Der Fußball ist sowohl aktuelles als auch abstraktes Massenphänomen.

Jahrzehntelang ersparte sich Deutschland die geschichtliche Aufarbeitung des deutschen Fußballs. Historiker beschäftigen sich ungern mit zu populär anmutenden Themen. Viele Quellen beruhen deshalb auf der – teilweise verklärenden – Darstellung des DFB oder regionaler Sportverbände.

Sport versus Turnen

Fußball ist Sport. Das dürfte niemand bestreiten. Doch was ist eigentlich Sport? In Deutschland zumindest keine traditionsreiche Angelegenheit. Hierzulande wurde über Jahrzehnte hinweg geturnt, die einst von Friedrich Ludwig Jahn gegründete Turnbewegung hatte sich um die Jahrhundertwende als nationales Bewegungsprogramm durchgesetzt. Turnen war vor allem eine Angelegenheit der männlichen Jugend, die Ende des 19. Jahrhunderts erst mit dem 30. Geburtstag endete. 85 Prozent der aktiven Turner waren zwischen 14 und 30 Jahre alt. Obwohl die damals führende Deutsche Turnerschaft einen stark bürgerlichen Anstrich hatte, waren zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Mitglieder der Arbeiterschaft zuzuordnen. Beim Turnen konnten also – leichter als sonst in der Gesellschaft – ständische Schranken überwunden werden. Die Turnbewegung hatte allerdings ein großes Problem: Sie wurde den Menschen langweilig. Das Leistungsprinzip wurde Anfang des 20. Jahrhunderts aufgegeben, die gymnastischen Übungen dienten allein der Ästhetik. Die komplizierten Übungen waren schwer verständlich, gegen ein Rahmenprogramm wehrten sich die Turner. Kurz gesagt: Turnen war unattraktiv, besonders für den Zuschauer. Mitten in diese Krise stieß eine für Deutschland völlig neue Form der Bewegung – die aus England stammenden sports.

Sie verbreiteten sich mit dem britischen Massentourismus und dem Zuzug englischer Studenten und Techniker auf dem europäischen Kontinent. England galt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als fortschrittliche Industrienation – was von dort kam, war per se hip. Freilich, die Furcht vor dem „fremden Tropfen im Blute des germanischen Mannes“[1], wie der Sport im Gegensatz zum Turnen von einer zeitgenössischen Quelle betitelt wurde, war immer noch vorhanden. So fremd wie sports im Allgemeinen war auch der Fußball im Speziellen. Ein englischer Zeitgenosse schreibt über der deutsche Fußballpublikum: „Sie gaben nur schwache Zurufe von sich, wenn der Ball ins Ziel flog und waren sonst still. Die Zuschauer verstanden das Spiel nicht und waren nur aus Neugierde gekommen.“[2] Wie hat es der Fußball trotz dieser Ressentiments in die Herzen der Deutschen gespielt?

Spätestens seit dem Film „Der ganz große Traum“ ist weitreichend bekannt, dass es in Deutschland zumindest auch die Lehrer waren, die dem Fußball zu seinem Aufstieg verholfen haben. Einer der bekanntesten: Konrad Koch, der bereits 1874 in Braunschweig Rugby an seiner Schule einführte und sich wenige Jahre später dem Fußball widmete. Der Grund: Viele Schüler frönten in ihrer Freizeit dem Alkohol und Tabak. Eine zeitgenössische Quelle schreibt über den Fußball, dass dort „die Buben versorgt seien, bevor sie in den heimischen Kneipenbetrieb hineingezogen werden, und gegen ihn bereits ihr Antidot im sportlichen Ehrgeiz bei sich haben.“[3]

Auch andere Gesellschaftsgruppen abseits der Lehrerschaft setzten sich für eine Verbreitung des Fußballs ein: Weltoffene, international Reisende wie der spätere Gründer des Kicker Walther Bensemann. Zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert bildete sich in Deutschland eine neue Gesellschaftsschicht heraus, die rasant wuchs. Die Rede ist von den Angestellten. Sie hatten nicht nur mehr Zeit und ein höheres Freizeitbewusstsein als malochende Arbeiter. Sie suchten auch nach eine Möglichkeit, ihren Status in der Gesellschaft zu verankern. Die modernen sports eigneten sich hierfür hervorragend. Noch heute zeugen Vereinsbeinamen wie Victoria, Alemannia oder Borussia vom Versuch, die als bürgerlich geltenden Verbindungsstrukturen nachzuahmen.

An dieser Stelle sollte auch mit der Mär vom Arbeitersport Fußball aufgeräumt werden. Tatsächlich war der Fußball bis zum Ersten Weltkrieg vor allem eine Angelegenheit der – vereinfacht ausgedrückt – gebildeten Schichten. Selbstverständlich kickten auch schon zu den Geburtsstunden des deutschen Fußballs einige Arbeiter mit Lumpen und Büchsen auf der Straße, organisiert gespielt wurde unter ihnen allerdings höchst selten. Auch aus finanziellen Gründen. Ein Fußball kostete acht bis 20 Mark für die notwendige Ausrüstung zum Spiel im Verein – Trikot, Hose, Strümpfe und Fußballschuhe – schlugen noch einmal etwa 20 Mark zu Buche. Zum Vergleich: Der Wochenlohn eines Facharbeiters betrug Ende des 19. Jahrhunderts zwischen 30 und 40 Mark. Ferner schlossen sich viele Vereine beinahe hermetisch ab, prüften ihre Mitglieder streng auf soziale Herkunft.

Einer der Fußballpioniere in Deutschland: Walther Bensemann in einer Aufnahme von 1896

Einer der Fußballpioniere in Deutschland: Walther Bensemann in einer Aufnahme von 1896

Der Aufstieg ist nicht aufzuhalten

Die etablierte Turnerschaft in Deutschland spürte, dass ihr der Sport zum Konkurrenten geworden war. Bekannte Turnführer mühten sich deshalb nach Kräften, auch den Fußball durch polemische Artikel in Misskredit zu bringen. Der Stuttgarter Professor Karl Planck schreibt in einem Pamphlet mit dem bezeichnenden Titel „Fußlümmelei“:

„Was bedeutet der Fußtritt in aller Welt? Doch wohl, dass der Gegenstand, die Person nicht wert sei, dass man auch nur die Hand um ihretwillen rührte. Er ist ein Zeichen der Wegwerfung, der Geringschätzung, der Verachtung, des Ekels, des Abscheues. Zunächst ist jene Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin angesehen, hässlich. Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt den Menschen zum Affen.“[4]

Am rasenden Aufstieg der Sportbewegung konnten die Turner dennoch nichts mehr ändern. Sie wurden von ihr überholt. Selbst der deutsche Kaiser förderte den Sport im Heer – ein Privileg, das den Turnern verwehrt blieb. Dass die gymnastischen Verrenkungen zudem, wie erwähnt, wenig attraktiv waren, trägt sein Übriges dazu bei, dass die Turner im Rennen mit den Sportlern das Nachsehen hatten.

Einen Meilenstein für die Entwicklung des Fußballs zum Massenphänomen stellt die Gründung des DFB im Januar 1900 dar. Mit dessen Etablierung verschwand nach und nach auch der kosmopolitische Hintergrund des Fußballs. Vereinfacht gesagt sollte der Fußball nach Wunsch der Mehrzahl der ersten Fußballfunktionäre – eine Ausnahme bildet dabei zum Beispiel der Kicker-Gründer Bensemann – deutscher werden. Das sah man auch beim DFB so. Der Fußballverband gab sich wie der Sport im Allgemeinen staatstreu und der deutschen Sache dienend. Die Verbindung von Nationalismus und Sport ist im Übrigen kein rein deutsches Phänomen, sondern in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa zu beobachten.

Parallel zu den nationalistischen Entwicklungen des Sports beginnt auch die intensive Zusammenarbeit mit dem Militärwesen. Ein Grundstein für den Aufstieg des Fußballs. Hinweise darauf sind zum Beispiel der von Prinz Heinrich gestiftete Deutschlandschild als Preis für die Meisterschaft in der Marine oder die Verankerung von Fußball im Ausbildungsplan der Armee. Bei den Fußballverbänden war man sich im Klaren darüber: Das rasante Tempo in der Entwicklung des Fußballs war ohne das Mitwirken des Militärs nicht aufrecht zu erhalten. Ein Beispiel: Aus Mangel an eigenen Spielfeldern spielten die ersten Fußballvereine häufig auf Exerzierplätzen. Politische Neutralität, wie sie sich der DFB bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Fahnen schrieb? Fehlanzeige. Hintergrund für die Abkehr und die Zuwendung zu einem aggressiven Nationalismus war nicht nur das enorme Machtstreben der ersten DFB-Funktionäre. Unter einem Teil von ihnen herrschte auch eine streng konservativ-nationalistische Ideologie, die bis zu einer sozialdarwinistischen Idee des Sports reichte. Bei allem Anbiedern ans Militär: Es sollte bis zum Ersten Weltkrieg dauern, ehe der Fußball in Deutschland zum Massenphänomen wurde.

„Schickt uns Fußbälle.“ Dem Ersten Weltkrieg viel zu verdanken

Unter (Fußball)historikern gilt es als unstrittig, dass die Jahre 1914 bis 1920 als entscheidende Phase für die Popularisierung des Fußballs aufzufassen sind. Ein Blick auf die Statistik des DFB zeigt: In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der Mitglieder von 190.000 auf rund 470.000 mehr als verdoppelt. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges sollte die Beschränkung auf einen kleinen Personenkreis, der sich mit Fußball beschäftigte, endgültig fallen. Als Mannschaftssportart konnte er zum Zusammengehörigkeitsgefühl beitragen, der militärischen Leitung bot er ein willkommenes Beschäftigungsprogramm für den teils von tagelanger Langeweile geprägten Frontalltag. In zahlreichen Frontberichten ist von der Begeisterung für den Fußball zu lesen. Auch wenn viele Geschichten zur Übertreibung neigen oder ins Land der Legenden zu verweisen sind – etwa die Verbrüderungsspiele zwischen Soldaten kontrahierender Länder. Etwas ketzerisch formuliert kann man behaupten, dass der Fußball seinen Aufstieg dem Ersten Weltkrieg zu verdanken hat. Bis 1925 haben sich die Mitgliederzahlen erneut fast verdoppelt (1931 wurde erstmals die Millionengrenze durchbrochen).

DFB-Mitglieder-Grafik

Auch bei den Zuschauern sollte der Fußball in den 1920er-Jahren Fuß fassen. Zum Vergleich: Zwischen 1910 und 1914 lag der Zuschauerschnitt bei Meisterschaftsendrunden bei 4500, zu den zwölf Heimspielen der Nationalmannschaft in den sieben Jahren vor Ausbruch des Krieges kamen im Schnitt 10.000 Besucher. Während der Weimarer Republik besuchen schlagartig im Schnitt 50.000 Menschen in die nun größeren Stadien, wie sie in Köln, München, Frankfurt oder Düsseldorf entstanden sind. Der Sportjournalist Friedrich Grolms schreibt 1920 dazu: „Wo früher 500 Zuschauer standen, stehen heute 5000; Städtespiele werden von 10.000, große Verbandsspiele von 20.000 und Länderspiele von 50.000 Sportbegeisterten umlagert.“[5]

Insbesondere in den Großstädten hatte der Fußball zwischenzeitlich auch soziale Barrieren überwunden. Einfache Soldaten trugen das Spiel in ihre Heimat und traten dort weiter gegen den Ball.

Der Fußball boomt

Doch warum hielt sich die Begeisterung für den Fußball auch nach dem Krieg, steigerte sich sogar noch? Hierfür gibt es mehrere Gründe. Die Politik sorgte 1923 mit einer Arbeitszeitverordnung für die Einführung des Acht-Stunden-Tages, die Arbeiter hatten somit mehr Freizeit zur Ausübung des Sports. Nicht unterschätzt werden sollte außerdem die Suche nach einem neuen Lebenssinn nach der Niederlage im Krieg. Der DFB schreibt in einer Mitteilung Mitte der 1920er-Jahre:

„Der gewaltige Zustrom, den unsere Fußballklubs in den letzten Kriegsjahren und ganz besonders in der Inflationszeit gehabt haben, ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Menschen von den Nöten und Lasten des Krieges bedrückt, eine Stätte aufsuchten, die ihnen einige Stunden der Ungebundenheit und der Freude sicherte.“[6]

Auch die Nähe zwischen Fußball und Militär blieb bestehen. Auch wenn der Versailler Vertrag zunächst jegliche Verbindung zwischen Sport und Armee verbat. Für die einstige Heeresleitung konnte der Fußball als Beschäftigungsprogramm und Vorsorge von Revolten der untätig gewordenen Soldaten dienen. Der DFB agierte während der Weimarer Republik als Opportunist: In den Nachkriegsjahren gab man sich politisch neutral und nach allen Richtungen offen, spätestens zu Beginn der 1930er-Jahre allerdings legte man diesen Deckmantel ab. Der Höhepunkt war der Beitritt zum „Reichskuratorium für körperliche Ertüchtigung“ im Herbst 1932, eine antidemokratische, stramm rechte Organisation. Entsprechend absurd mutet es an, wenn der DFB in einer Fußballchronik in den 1950er-Jahren schreibt: „Der Fußballsport hielt sich bewusst abseits von Politik und militärischen Aufgaben.“[7]

Mit dem Jahr 1918 war Deutschland international isoliert – auch sportlich. Beim Weltverband Fifa wurde ein Ausschluss erwogen. Er scheiterte an der Weigerung neutraler Staaten (das erste Länderspiel nach dem Weltkrieg spielte die deutsche Nationalmannschaft am 27. Juni 1920 gegen die Schweiz) daran teilzunehmen.

Es ist offensichtlich: Der inzwischen populär gewordene Fußball stieß längst in politische Dimensionen. Besonders der DFB konnte von den Wechselspielen zwischen Politik und Sport profitieren. Diese reichten von einfacher Lobbyarbeit auf regionaler und kommunaler Ebene bis zur Wahl von DFB-Funktionären in Stadt- und Gemeindeparlamente (fünf Dutzend waren es 1925). Beste Beziehungen unterhielt der DFB auch weiterhin zu höheren politischen Stellen, allen voran dem Militär. Dabei ging es dem Verband längst nicht mehr nur um die Steigerung des gesellschaftlichen Status, schließlich war der Fußball längst angekommen. Man erhoffte sich finanzielle Unterstützung. In der Forschung ist man sich uneins, ob in den Weimarer Jahren stramme Ideologen oder wirtschaftliche Taktiker am Werk waren. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Wenn das DFB-Vorstandsmitglied Georg Blaschke in einer Festschrift 1921 vom Kampfspiel als „Deutschlands Jungborn“ schwärmte, der rasch „ein starkes Volk in den kommenden Geschlechtern“[8] schaffen sollte, hat das sicher nicht nur mit wirtschaftlichen Motiven zu tun. Es gab in den Reihen des DFB konservative Nationalisten und wohl auch Rassisten – wie es sie im gesamten Querschnitt der Weimarer Gesellschaft gab. Es gab allerdings auch kühl kalkulierende Machtmenschen. Einstweilen soll es bei der Feststellung bleiben: Der DFB betrieb aktiv Politik. Das zeigt sich auch im wohl größten Streitfall des Fußballs in den 20er-Jahren: Der Debatte um das Amateurgebot.

Das falsche Spiel mit den Amateuren

Was der DFB öffentlich eingestehen wollte, schrieben die Sportzeitungen in ihren Blättern. Allen voran Kicker-Herausgeber Bensemann, der in einer seiner regelmäßigen Glossen bemerkte: „Es hat keinen Zweck, sich Tatsachen zu verschließen und Zustände zu leugnen, die ein Weltkrieg und seine Folgen gezeitigt haben. Das Profitum ist da, und kein Beschluss und keine Behörde wird es aus der Welt schaffen.“[9] Dem entgegen der Beschluss des größten deutschen Sportverbandes Mitte der 20er-Jahre:

„Der DFB ist und bleibt ein reine Amateurverband. Er erklärt abschließend, dass er den Berufssport bekämpft und es für alle Zukunft ablehnt, ihn irgendwie zu fördern oder in seiner Organisation einzugliedern.“[10]

Warum aber hatte der DFB etwas gegen die Einführung einer legalen Bezahlung der Spieler? Schließlich war der Fußball längst zum lukrativen Geschäft mit vollen Stadien geworden. Die Beweggründe sollten zeitlich differenziert betrachtet werden. In den direkt auf den Weltkrieg folgenden Jahren herrschte tatsächlich eine ideologische Überhöhung des Amateurprinzips. Der DFB protestierte in seinem Jahresbericht von 1919/20 gegen die „geradezu unerhörte Gleichstellung des körperstählenden Sports mit seichtem Vergnügungsrummel“[11].

Tatsächlich sah sich der DFB bald einer großen Gefahr ausgesetzt. Laut damaligen Steuergesetz musste er der Förderung der Allgemeinheit dienen, um von Steuererleichterungen oder sogar -befreiung profitieren zu können. Erlaubt war lediglich die Bezahlung der Verwaltungsstellen, da sie laut Gesetzgeber wesentlich zur Erhaltung der Gemeinnützigkeit beitrugen. Hätte der DFB zugelassen, dass auch die Spieler entlohnt werden, hätten nicht nur die Gewinne aus dem Ticket-Verkauf versteuert werden müssen. Dann wären auch Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und unter Umständen Gewerbesteuer nötig gewesen.

Die DFB-Praxis widersprach zunächst auch nicht der Denkweise an der Basis. Die Vereine durften sich dank des Status Quo kommunaler Unterstützungen beim Stadionbau sicher sein. Und auch die Spieler profitieren. Denn mit der Umsetzung des angeblichen Amateurprinzips produzierte der DFB nichts anderes als einen (von der Presse verhöhnten) Pseudo-Amateurismus. Die Bestimmungen des DFB sahen – im Rahmen der Steuerrechtslage – lediglich eine stark reglementierte Spesenzahlung vor. Etwa für Fahrtkosten zu Auswärtsspielen. Für das wirtschaftliche Auskommen ihrer Spieler sorgten, zumindest auf höherklassiger Ebene, die Vereine. Sie boten den Spielern überhöhte Spesen an, verschafften ihnen zum Schein Arbeitsplätze, um ihnen auf diesem Wege legal ein Gehalt anbieten zu können. Kicker-Herausgeber Walther Bensemann empfand dies als „Verketzterung des Amateurprinzips“ und schrieb dazu:

„Es ist vollkommen gleichgültig an und für sich, ob ein Spieler sein Leben dadurch fristet, dass man ihm, wie in England, wöchentlich etwas in die Hand drückt, oder ihm nach kontinentaler Manier eine Stelle verschafft oder ein Geschäft einrichtet, wenn doch Hinz und Kunz wissen, dass der Betreffende seine Position einzig und allein seiner Ballbehandlung zu verdanken hat.“[12]

Beim DFB konnte man mit dieser Regelung gut leben, lag das Risiko doch gänzlich bei den Vereinen. Diese forderten aus größer werdender Furcht vor Rechtsverletzung auch eine saubere Trennung von Amateur- und Berufssport. Ohne Erfolg. Beim DFB fürchtete man um seinen Einflussbereich, sollten sich durch den Berufsfußball Konkurrenten bilden. Die Zahlungen selbst verhinderte der DFB selten. Ihr Publikwerden dagegen umso öffentlichkeitswirksamer.

Es kam zu ersten Skandalen. So erhielt der spätere Bundestrainer Sepp Herberger 1921 für einen Vereinswechsel von Waldhof zu Phönix Mannheim ein Handgeld von 10.000 Mark, dem Dreifachen eines Facharbeiter-Jahresgehalts, sowie die Aussicht auf eine berufliche Karriere an der Karlsruher Sportschule. Die verdeckten Zahlungen wurden öffentlich, auch wenn Herberger – angeblich aus Gewissensbissen – die verbotenen Zahlungen zurückgab. Der zuständige Süddeutsche Fußball-Verband erklärte ihn zum Berufsfußballer und sperrte ihn lebenslänglich (die Sperre wurde nach einem Berufungsverfahren auf ein Jahr verkürzt).

In einer Reihe von Aufdeckungen dubioser Spesenabrechnungen und verdeckter Gehaltszahlungen gilt der Fall des FC Schalke 04 als eines der spektakulärsten Beispiele. Der Westdeutsche Spielverband schloss im Zuge seiner Ermittlungen 14 Spieler vom Spielbetrieb aus, was einer Sperre der gesamten ersten Mannschaft entsprach. Im Verlauf dieses Skandals nahm sich Schalkes Schatzmeister Willi Nier das Leben, wohl aus Furcht vor strafrechtlichen und beruflichen Konsequenzen. Der DFB sah sich einem Aufschrei der Fachpresse ausgesetzt. Denn während der Verband monierte, dass der FC Schalke seinen Spielern das Doppelte der erlaubten Spesen (fünf Mark pro Spiel- oder Trainingstag) erstattete, wurde bekannt, dass er selbst seinen Nationalspielern deutlich mehr bezahlte. Öffentlich wurden bis zu 25 Mark vermutet. Kritiker warfen dem DFB deshalb Handeln mit zweierlei Maß vor.

Bildunterschrift: Die Erstausgabe des Fußballmagazins Der Kicker vom 14. Juli 1920. Herausgeber Walther Bensemann griff in seinen Glossen regelmäßig den DFB an.

Die Erstausgabe des Fußballmagazins Der Kicker vom 14. Juli 1920. Herausgeber Walther Bensemann griff in seinen Glossen regelmäßig den DFB an.

Folgen des Berufsfußballverbots

Diese Kritik rührte vor allem von den Hannoveraner Beschlüssen des DFB aus dem Jahr 1925. Dort setzte der DFB fest, „Spiele gegen ausländische Mannschaften aus steuerlichen und wirtschaftlichen Gründen noch weiter einzuschränken“[13]. Die Angst vor einer möglichen Besteuerung – und damit die wirtschaftliche Motivation für das strikte Berufsspielverbot – wird hier unumwunden zugegeben. Durch die Hannoveraner Beschlüsse waren den Vereinen Spiele gegen professionelle Mannschaften aus Österreich, Ungarn oder der Tschechoslowakei, was den damaligen fußballerischen Elite-Nationen entsprach, verboten.

Dass es dem DFB einzig um wirtschaftliche Interessen ging, wollten die Kritiker nicht so recht glauben. Sie vermuteten hinter den Beschlüssen viel mehr einen Boykott gegen die Einführung des Profifußballs. Um einmal mehr Walther Bensemann zu zitieren:

„Maßgebend war allein der Wunsch, auf die irregeführten, räudigen Schäflein in Wien, Prag und Pest eine ethische Wirkung auszuüben, auf dass sie von dem bösen Profitum ließen und sich mit dem Rufe: ‘Hab’ Sonne im Herzen und nix in der Taschen’ an unsere Brust stürzten.“[14]

Die Tatsache, dass selbst während des Boykotts Spiele gegen Clubs aus Großbritannien gestattet wurden, legt nahe, dass es sich um eine Machtdemonstration gegenüber jener Länder handelte, die gerade dabei waren, den Profifußball einzuführen. Schließlich spielte man auf der Insel schon jahrzehntelang professionell. Wenigstens auf dem Kontinent sollte allerdings nach Wunsch des DFB nichts mehr ohne das Mitwirken Deutschlands gehen. Auch wenn der DFB das Spielembargo nach interner und internationaler Kritik 1930 wieder fallen ließ, hatte er sich mächtig verkalkuliert. Denn erst jetzt zeigten sich die Folgen des Boykotts gegen die besten Mannschaften Europas: Die deutschen Vereine waren schlicht nicht mehr konkurrenzfähig. Höhepunkt waren zwei deutliche 0:6 und 0:5 Niederlagen gegen Österreich Anfang der 1930er-jahre. Dabei ging es den Kritikern gar nicht so sehr um die Niederlage gegen die damals wohl beste Mannschaft der Welt. Als verheerend wurden viel mehr die organisatorischen und strukturellen Fehler des Verbandes aus der Vergangenheit angesehen. In der Freiburger Zeitung hieß es dazu, die Blamagen gegen Österreich seien „die Quittung für die Anzahl von Fehlern, die im Deutschen Fußballbund während der letzten Jahre, angefangen von der unseligen Boykottpolitik gegen die Berufsspieler bei Oststaaten, begangen worden sind.“[15]

Das Ende aller Diskussionen

Getroffene Hunde beißen. So reagierte der DFB auf die Kritik in der Presse eingeschnappt, warf ihr vor, gegen die Amateurstatuten des Verbandes zu propagieren und die Entwicklung zum Berufssport zu propagieren. Nun war es jedoch nicht nur die schreibende Zunft, die gegen den DFB wetterte. Die Vereine bestürmten ihn, eine Reichsliga einzuführen. Diese hätte zwar noch nicht zwangsläufig die Einführung des Profifußballs bedeutet, sie wäre allerdings ein großer Schritt in diese Richtung gewesen. In Süddeutschland gingen einige Vereine soweit und drohten im Oktober 1930 mit dem Austritt aus dem DFB. Der reagierte. Versprach die Vorbereitung der Legalisierung des Profifußballs, garantierte Straffreiheit bei Verstößen gegen das Amateurgebot. Dafür sicherte er sich das Recht, dass er der einzig anerkannte Fachverband des Berufsfußballs in Deutschland werde und diesen auch international vertreten werde. Das alles solle „zur gegebenen Zeit“ stattfinden, wie es in einem Jahresbericht des DFB von 1930/31 heißt. Eine erfolgreiche Hinhaltetaktik. Den beschlossen wurde im DFB gar nichts. Die Vereine gaben dennoch Ruhe – wenn auch nur für zwei Jahre.

Im Herbst 1932 entfachten erneut mehrere Vereine aus Süddeutschland – auf Betreiben des Unternehmers Albert Bauer – die Einführung einer Profiliga. Dem DFB schlotterten tatsächlich die Knie vor einem möglichen Konkurrenten im eigenen Land. Immerhin gingen bei den Städten bald Anträge zur Stadionnutzung von Profivereinen ein. Beim DFB stellte man die Rechtmäßigkeit des sogenannten Süddeutschen Verbands für Berufsfußballspiele infrage, hob seinen Alleinvertretungsanspruch auf internationaler Bühne hervor. Zudem könne es sich bei einem solch privatwirtschaftlichen Unternehmen nur um Profit-Sucht handeln, während der DFB seine Beteiligung an der Volksgesundheit hervorhob. Seine eigenen wirtschaftlichen Interessen hielt er freilich hinterm Berg.

Um weitere Diskussionen endgültig ad acta zu legen, berief der DFB für Anfang 1933 eine Sitzung ein, bei der die Berufsspielerfrage geklärt werden sollte. Dass es zu keinem Beschluss pro Profitum kam, war abzusehen. Einzig der Westdeutsche Sportverband votierte für den Profifußball. Die übrigen Regionalverbände konnten entweder gut mit dem weiter praktizierten Pseudo-Amateurismus leben, oder sie hatten ideologische Vorbehalte gegen das Profitum. Letztlich legten die Beteiligten lediglich fest, die Streitfrage im Mai noch einmal aufs Tableau zu bringen. Die Sportberichterstattung gab sich enttäuscht, verglich die Praxis des DFB mit dem berüchtigten Hornberger Schießen. Ein Zeitzeuge kommentierte in der Fachzeitschrift Fußball, dass „abermals einer lebenswichtigen Frage des deutschen Fußballsports aus dem Wege“[16] gegangen worden sei.

Ketzerisch formuliert, erwies sich die kurze Zeit später erfolgte „Machtergreifung“ der NSDAP als Glücksfall für den DFB. Gar nicht, weil vermeintliche ideologische Übereinstimmungen aufeinander trafen. Viel mehr sorgten die politischen Umwälzungen dafür, dass es im Streit um die Berufsspielerfrage bald leiser wurde. Denn die „Machtergreifung“ der Nazis verhinderte die für Mai vorgesehene Gründung einer Reichsliga, die als Fundament für die Einführung des professionellen Fußballs hätte dienen können.

Der DFB hatte es geschafft, sämtliche Diskussionen, die zwischen Ende der 1920er-Jahre und Anfang 1933 zum Thema Profifußball aufkamen, ergebnislos zu halten. Die Zeitschrift Fußball fasste die zahlreichen Tagungen des DFB als Zeitstück in fünf Akten zusammen:

„I. Akt.

1929: Wir denken gar nicht daran.

II. Akt.

1930: Wir wollen nicht.

III. Akt.

1931: Wir dürfen nicht.

IV. Akt.

1932: Wir könnten eventuell.

V. Akt.

1933: Wir möchten schon, wenn … wenn wir nur wüssten, wie wir es anfangen könnten.“[17]

So titelte das Fachmagazin Fußball. Der stehende Herr stellt DFB-Präsident Felix Linnemann dar.

So titelte das Fachmagazin Fußball. Der stehende Herr stellt DFB-Präsident Felix Linnemann dar.

Am ganzen Streit um die Einführung des Berufsspielertums lässt sich gut erkennen, wie sich der Charakter des Fußballs entwickelt hat. Das kommerzielle Interesse war gewachsen, der Fußball war zur Unterhaltungsindustrie geworden, Helden und Sensationen wurden geboren. Die besten Vereine (und auch die Nationalmannschaft unter Trainer Otto Nerz) trainierten längst professionell. Auch wenn der Großteil der DFB-Funktionäre – zumindest öffentlich – am Amateurwesen festhielten.

Ein Zeugnis für die Entwicklung des Fußballs zum Massenphänomen ist auch das enorm gestiegene mediale Interesse. Allein die drei größten wöchentlich erscheinenden Fachmagazine hatten zum Ende der Weimarer Republik eine Auflage von rund 100.000 Exemplaren. Viele Tageszeitungen veröffentlichten ab den 1920er-Jahren einen eigenen Sportteil, in denen der Fußball das zentrale Thema war. Auch im sehr jungen Medium Radio war Fußball ein Thema, wenngleich die ohrenbetäubende Geräuschkulisse der Zuschauer in den Stadien anfangs noch jegliche Kommentare der Sprecher übertönte. Die Sportberichterstattung verstand sich als selbstbewusstes Sprachrohr, als Gegenpol zum Gebaren des DFB. Die großen Blätter übten ständigen Druck auf dem Verband aus, gerade in Sachen Amateur-Debatte. Sie rügten die ständige moralinsaure Argumentation des DFB in diesem Zusammenhang und vermuteten auch bei ihm wirtschaftliche Interessen hinter dem Festhalten am Amateurgebot.

Wie bereits erwähnt, gab es auch unter den Fußball-Bossen stramme Ideologen, für die der Sport reine Leibesertüchtigung sein sollte, frei von Profit-Denken. Dabei handelte es sich übrigens nicht um explizit reaktionäre, konservative oder nationalistische Sichtweisen. Auch in der sozialistischen Arbeiterbewegung war man gegen den Berufssport. Zeitgenössische Kritiker waren sich einig: Der DFB werde solange das Profitum ablehnen und den Pseudo-Amateurismus stillschweigend dulden, bis dieser zu einer finanziellen und existentiellen Bedrohung werde. Letztlich lässt sich an der Praxis der tolerierten Schein-Arbeitsplätze und verdeckten Spesenabrechnungen vermuten, dass man in Reihen des DFB tatsächlich mehr um die Macht und Geld als um die Erfüllung ideologischer Motive besorgt war. Jedenfalls hätte der Verband kraft seines mittlerweile erlangten Einflusses sehr viel energischer gegen Vereine und Spiele hätte vorgehen können, wenn er konsequent ideologische Ziele verfolgt hätte.

Der DFB war bereit, der Erweiterung der sportlichen und finanziellen Geltung vieles, wenn nicht alles unterzuordnen. Eine Entwicklung, die sich auch nach dem Ende der Weimarer Republik fortsetzen sollte – wenn auch vor einem anderen Hintergrund als der Schein-Amateurismus-Debatte. Wie sich der Fußball unter der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten entwickeln sollte, werde ich in einem weiteren Lang-Stück für 120 Minuten beschreiben. Als Vorgeschmack nur ein Zitat von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels aus seinen Tagebüchern über den Fußball: „Ein richtiges Nervenbad. Das Publikum rast. Ein Kampf wie nie. Das Spiel als Massensugestion.“[18]


Referenzen

[1]Frey, Sports, in: Universum (1889/90), Nr. 6., Sp. 2532.
[2]Shadwell, Arthur: England, Deutschland und Amerika. Eine vergleichende Studie ihrer industriellen Leistungsfähigkeit. Berlin 1908. S. 457 f.
[3]Hessen, Robert: Der Sport. Frankfurt/M. 1908. S. 77.
[4]Planck, Karl: Fußlümmelei: über Stauchspiel und englische Krankheit. Stuttgart 1898; Nachdruck: Münster 1982. S. 6f.
[5]Grolms, Friedrich: Neue Wege im neuen Deutschland, in: Deutsche Sport­Zeitung (1920), Nr. 28, S. 1
[6]DFB­-Mitteilungen 1927 Nr. 2/12, S. 3.
[7]Koppehel, Carl: Geschichte des Deutschen Fußballsports. Hrsg. in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund. Frankfurt/M. 1954. S. 150.
[8]So das DFB­-Vorstandsmitglied Georg Blaschke in einer Festschrift zum Deutschen Fußball­Bundestag 1921. Zitiert nach; Havemann, Nils: Fußball unterm Hakenkreuz: Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz. Frankfurt/M. 2005.
[9]Beyer, Bernd-­Michael (Hrsg.): „Der König aller Sports“. Walther Bensemanns Fußball­Glossen. Göttingen 2008. S. 154.
[10]Beschlüsse des Bundesvorstandes anlässlich seiner Tagung am 7./8. Februar 1925 in Hannover, in: Der Kicker (1925), Nr. 7, S. 268.
[11]DFB,  Jahresbericht 1919­1920, S. 82.
[12]Beyer, Bernd­-Michael (Hrsg.): „Der König aller Sports“. Walther Bensemanns Fußball­Glossen. Göttingen 2008. S. 154.
[13]Amtliche Mitteilungen des Deutschen Fußball­-Bundes. Jahrgang 1925, Nr. 2.
[14]Beyer, Bernd­-Michael (Hrsg.): „Der König aller Sports“. Walther Bensemanns Fußball­Glossen. Göttingen 2008. S. 179. Einen ähnlichen Ton schlägt das Magazin Fußball an. Hier heißt es der DFB nutze die „Abwehr der professionellen ‘Seuche’“ lediglich als Deckmantel, um von „der eigentlichen Absicht, den Professionalismus im Osten zu regulieren und gar zu erdrosseln“ abzulenken: Michler, Irrtümer, in Fußball (1928), Nr. 15, S. 2.
[15]Südwestdeutsches Sportblatt der Freiburger Zeitung, 26.05.1931, S. 1.
[16]Seybold, Die Woche, in: Fußball (1933), Nr. 4, S. 3
[17]Richard, Tagebuch, in: Fußball (1933), Nr. 1, S. 8.
[18]Reuth, Ralf Georg (Hrsg.): Joseph Goebbels Tagebücher 1924­1945. Bd. 3 (1935­1939. München 1992. S. 978.

Beitragsbild: Wir bedanken uns bei Ksayer1 für das Foto zu diesem Beitrag. Mehr von Ksayer1 gibt es bei flickr. Lizenz CC BY-SA 2.0

]]>
https://120minuten.github.io/von-der-fussluemmelei-zum-massenphaenomen/feed/ 1 1479