Kategorie: a Endreas Müller

WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe F

Auf den ersten Blick sind die Rollen in der Gruppe F klar verteilt: Mit den USA als amtierenden Weltmeisterinnen und Schweden, die sich den Titel bei diesem Turnier selbstbewusst zutrauen, sind gleich zwei starke Gegner vertreten. Doch auch Chile möchte bei der ersten WM-Teilnahme überhaupt eine gute Rolle in dieser Gruppe spielen. Für Thailand geht es als Erstes darum, endlich einen Turniersieg zu erzielen – weitere Ziele anschließend nicht ausgeschlossen.

USA: Viel Druck für die amtierenden Weltmeisterinnen

Die Vereinigten Staaten von Amerika: „The land of the free and the home of the brave …“ – Mittlerweile steht diese Zeile aus der US-amerikanischen Nationalhymne für den Einsatz für Bürgerrechte und Demokratie. Werte, die momentan in Gefahr sind. Eine, die frei und tapfer für diese Werte einsteht, ist Megan Rapinoe. Und manchmal bedeutet, für etwas einzustehen, niederzuknien.

Dies tat Rapinoe 2016 beim Spiel der Seattle Reign gegen die Chicago Red Stars, als – wie vor jedem Spiel der National Women’s Soccer League (NWSL) – die Nationalhymne gespielt wurde. Nach dem Spiel kommentierte sie ihre Geste kurz und knapp: Es sei das Mindeste, was sie als Weiße tun könne, um den durch Quarterback Colin Kaepernick begonnenen Protest schwarzer Sportler*innen gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze zu unterstützen.

Eine, die voran geht: Megan Rapinoe. (Foto: Tom Seiss)

Die amerikanische Nationalmannschaft hat viele Superstars. Alex Morgan und Carli Lloyd sind Namen, die selbst in Deutschland einigen Menschen geläufig sind. Begnadete Offensivspielerinnen, Idole, Fußballmillionärinnen. Auch Megan Rapinoe gehört in diese Kategorie. Und doch hat sie etwas an sich, das sie abhebt.

Rapinoe liest das Spiel, verteilt die Bälle und gehört gemeinsam mit Portlands Tobin Heath und Chelseas Magdalena Eriksson zu den drei besten Eckballkünstlerinnen der Welt. Ihre größte Stärke aber ist ihre Unausrechenbarkeit. Gegenspielerinnen verzweifeln regelmäßig an Rapinoes schlitzohrigen Pässen. Sie kann aus jeder Position aufs Tor schießen oder eine Mitspielerin bedienen. Mit 33 Jahren ist Megan Rapinoe aktuell in der Form ihres Lebens.

Sportbegeistert und vielseitig war die Kalifornierin schon immer. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Rachael spielte sie von klein auf Fußball, vorwiegend in Mannschaften, die ihr Vater trainierte. Auch in Basketball und im Laufen brachten die Schwestern Rapinoe gute Leistungen.

Engagiert für LGBT-Rechte und Frauenfußball

Die NWSL wurde 2013 als Nachfolgerin der beiden ebenfalls professionellen Vorgängerligen WUSA (Women’s United Soccer Association, 2001-2003) und WPS (Women’s Professional Soccer, 2009-2011) ins Leben gerufen. Rapinoe spielte bis zur Schließung der WPS für drei verschiedene Franchises, wechselte 2011 für zwei Spiele zu Sydney FC und kehrte anschließend in die USA zurück, um sich auf die Olympischen Spiele 2012 vorzubereiten. Das im US-Sport gängige Draft-System, in dem Spieler*innen einem Team zugewiesen werden, brachte Rapinoe in der allerersten Saison der NWSL nach Seattle. Seitdem spielt sie für Reign FC, die bis letzte Saison noch Seattle Reign hießen.

2013 und 2014 lief sie außerdem für Olympique Lyon auf und stand unter anderem in dem Champions-League-Finale, das Lyon gegen den VfL Wolfsburg verlor. Der Spielmodus der NWSL ermöglicht es Spielerinnen, jedes Jahr für mehrere Monate ins Ausland zu wechseln. Neben der französischen und der schwedischen Liga – früher auch der Bundesliga – ist die australische W-League seit einigen Jahren das beliebteste Ziel vieler NWSL-Spielerinnen.

Megan Rapinoe gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten Seattles. Sie engagiert sich seit Jahren für LGBT-Rechte und Frauensport in Seattle. Und mit Basketballstar Sue Bird hat sie eine Lebenspartnerin, die ihr in ihren Kämpfen um Gleichberechtigung kompromisslos zur Seite steht. Der aktuellste dieser Kämpfe hat jüngst erneut weltweit Schlagzeilen gemacht: Bereits vor den Olympischen Spielen 2016 legten Megan Rapinoe, Alex Morgan, Carli Lloyd, Becky Sauerbrunn und Hope Solo (Karriere beendet) bei der Equal Employment Opportunity Commission (Bundesbehörde zur Durchsetzung von Bürgerrechtsgesetzen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz) offiziell Beschwerde wegen Lohndiskriminierung ein. Sie verdienten oft nur die Hälfte oder weniger als die Hälfte als die Spieler der Männernationalmannschaft.

So würden das Team um Megan Rapinoe gerne wieder jubeln. (Foto: Tom Seiss)

Eine Kommission erteilte den Spielerinnen im Februar 2019 das Recht, zu klagen. Am 8. März 2019 reichten dann alle aktuellen Nationalspielerinnen der USA eine Sammelklage gegen die United States Soccer Federation, den US-amerikanischen Fußballverband, ein. Rapinoe und ihre 27 Teamkolleginnen machen den Verband für systematische Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verantwortlich. Im Vergleich mit der in den USA weniger erfolgreichen Männerfußballnationalmannschaft hätten die Frauen erheblich schlechtere Reise- und Trainingsbedingungen. Außerdem erhielten sie geringere Prämien, obwohl sie höhere Einnahmen und Zuschauerzahlen generierten. Eine Entscheidung über die Klage steht noch aus. Sie wird vermutlich erst nach der Weltmeisterschaft in Frankreich fallen.

Das Turnier in Frankreich wird Rapinoes dritte und wahrscheinlich letzte Weltmeisterschaft sein. Als amtierende Weltmeisterinnen und Weltranglistenerste sind die Amerikanerinnen der klare Titelfavorit. Nach den französischen Fans haben sich amerikanische Fans mit Abstand die meisten WM-Tickets gesichert – das Gruppenspiel USA gegen Schweden war als eine der ersten Begegnungen ausverkauft. Viel Druck für die Frauen von Trainerin Jill Ellis. Nach einer mühelosen WM-Qualifikation, bei der bis auf Kanada kein Gegner eine ernsthafte Herausforderung war, gerieten die dreimaligen Weltmeisterinnen Anfang des Jahres bei einem Testspiel gegen Frankreich ins Straucheln.

Auch der heimische „SheBelievesCup“ – einem aus vier Nationalteams bestehenden Einladungsturnier – konnte nicht gewonnen werden. Angesichts der individuellen Stärke der Spielerinnen zeigten die USA erstaunliche Abwehrschwächen. Der Offensive fehlte häufig die gewohnte Durchschlagskraft. Megan Rapinoe ist tapfer und sie ist frei. Es steht außer Frage, dass sie dazu in der Lage ist, gleichzeitig Vorkämpferin für sozialen Wandel zu sein und den Titel zurück in die USA zu holen.


Zur Person: Ellen Hanisch schreibt als Journalistin über den nationalen und internationalen Fußball. Sie gehört zum Podcast-Kollektiv FRÜF und betreibt die Seite Fußballthesen.

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Thailand: Mit einem Sieg das Minimalziel erreichen

Thailand, das Land des Lächelns. Thailand, das Land, das zum zweiten Mal in Folge seine Frauen-Nationalmannschaft zu einer Fußball-WM schickt. Was das miteinander zu tun hat? Beides spiegelt nicht die Realität und die eigentlichen Verhältnisse wider. Nicht jede*r Thai wird einem auf den Straßen Bangkoks mit einem echten Lächeln begegnen. Und nur, weil das Team sich zweimal nacheinander für eine WM qualifizieren konnte, heißt es nicht, dass sich im Land des Asienmeisters von 1983 sportlich etwas tut.

Aufgrund der Kräfteverhältnisse im asiatischen Frauenfußball war klar, dass man es 2015 nur über ein Spiel um Platz 5 gegen den Erzrivalen aus Vietnam nach Kanada schaffen könnte. Vier Jahre später hatte Thailand viel leichteres Spiel – und Losglück. Vor den Philippinen und Jordanien sicherte man sich Platz 2 in der Vorrunde der Asienmeisterschaft und hatte sich damit schon für Frankreich qualifiziert. Wären die Thais an der Stelle Vietnams in der anderen Gruppe mit Japan, Australien und Südkorea gewesen, hätten sie diesen Sommer wohl allenfalls eine Urlaubsreise nach Europa buchen können.

International erfahrenes Team

Hoffte man nach 2015 im Zuge der erstmaligen Teilnahme an einer WM auf einen Schub im eigenen Land, so muss man konstatieren, dass dieser ausblieb. Es regiert Stillstand statt Fortschritt. Das Interesse am Frauenfußball ist fast nicht existent und der Verband tut wenig bis nichts, um dies zu ändern. Eine nationale Liga findet nur sporadisch statt und hat eher Alibicharakter, um zum Beispiel die FIFA als Geldgeber zufriedenzustellen.

Das macht sich auch am Team von Trainerin Nuengruethai Sathongwien, welches im Großen und Ganzen fast noch das gleiche ist wie in Kanada, bemerkbar. Ohnehin besteht es im Kern aus Spielerinnen, die so schon seit den frühen 2000er Jahren zusammenspielen. Entsprechend international erfahren ist die Mannschaft um Kapitänin Sunisa Srangthaisong, die mit über 100 Länderspielen hervorsticht.

Das thailändische Nationalteam im Jahr 2015. (Foto: Sven Beyrich)

Erstmals bei der WM dabei sein wird Pitsamai Sornsai. Die inzwischen 30-Jährige galt einst als eines der größten Sturmtalente und ist mit über 45 Toren die erfolgreichste Torschützin Thailands. 2013 wechselte sie nach Japan und zog sich dort gleich in einer der ersten Saisonspiele eine schwere Knieverletzung zu. Nachdem sie sich zurückgekämpft hatte, erlitt sie das gleiche Schicksal erneut, was ihre Hoffnung auf eine Teilnahme an der WM 2015 zunichtemachte. Der Australier Spencer Prior, Trainer der Nationalmannschaft von 2016 bis 2017, formte aus der einstigen Stürmerin eine Verteidigerin mit Drang für die Offensive. Unter der alten-neuen Cheftrainerin Sathongwien wird Sornsai inzwischen sowohl im Mittelfeld als auch wieder im Sturm eingesetzt. Neu im Team ist unter anderem die Thai-Amerikanerin Miranda Nild die mit ihrer großen und wuchtigen Statur eine neue physische Komponente in das Angriffsspiel der Thailänderinnen bringt.

Die Elf definiert sich über Kampfgeist und mannschaftliche Geschlossenheit. Vor allem, wenn es gegen überlegene Gegner geht. An guten Tagen bringen sie dann schon mal Australien an den Rand einer Niederlage, wie zuletzt im Halbfinale der Asienmeisterschaft. Gegen gleichwertige oder schwächere Gegner zeigt Thailand gerne sein spielerisches Potenzial, welches von vielen Ballstafetten und Kurzpassspiel geprägt ist, solange sie nicht dabei gestört werden. Im Mittelfeld zieht Silawan Intamee die Fäden, die ihre Stärken auch und vor allem bei Standards hat. Bei Kontern sollte man auf Kanjana Sungngoen achten. Inzwischen 32 Jahre alt, hat sie von ihrer Schnelligkeit auf dem Flügel im Vergleich zu 2015 nur wenig eingebüßt.

In Sachen Gegnerinnen kann einem die Nationalmannschaft Thailands fast ein wenig leidtun: Zwar gelang vor vier Jahren der erste historische Sieg bei einer WM, man traf aber bei der Premiere gleich auf den damaligen Weltranglistenbesten – Deutschland. Dazu gesellten sich Norwegen und die Elfenbeinküste. Ganz schön hart für einen Neuling. Dass es noch einmal eine Spur härter geht, zeigte die Auslosung zur WM 2019. Abermals ist es an Thailand, sich mit der Nummer 1 der Welt zu messen – diesmal werden es die USA sein. Und sowohl Schweden als auch Chile sind, was die Schwierigkeit angeht, erneut eine Steigerung zu 2015.

Die gute Nachricht für Thailand bei dieser WM lautet, dass man das Turnier nach den beiden harten Spielen und zu erwartenden Niederlagen gegen die USA und Schweden mit einem positiven Abschluss verlassen könnte, in dem man den letzten Gruppengegner, Chile, bezwingt. Wie schon 2015 hätte man so das Minimalziel erreicht und könnte Frankreich mit einem Lächeln verlassen. Das Traumziel Achtelfinale wird aber mindestens noch weitere vier Jahre auf sich warten müssen. Dann aber mit einer neuen Generation an Spielerinnen.



Zur Person: Sven Beyrich ist Experte in Sachen asiatischem und Frauen-Fußball und eine Hälfte des Podcasts Lottes Erbinnen.

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Chile: Heimvorteil für die Torhüterin Christiane Endler

Der chilenische Fußball fiel in der jüngeren Vergangenheit durch Überraschungssiege bei der Copa America gegen den Favoriten Argentinien auf. Blickt man etwas weiter zurück in die 1990er Jahre, kommen Erinnerungen an Ivan „der Schreckliche“ Zamorano hoch, der beim FC Sevilla, bei Real Madrid sowie Inter Mailand vor allem per Kopf für Torgefahr sorgte. Und das bei 1,78m Körpergröße.

Bei den chilenischen Frauen sucht man vergebens eine Nachfolgerin für Zamorano. Zumindest im Sturm. Im Tor steht dagegen mit Christiane Endler eine Weltklasse-Spielerin. Die chilenische Nationaltorhüterin hat eine illustre Reise hinter sich, hat sie doch bereits für Everton und Colo-Colo in ihrem Heimatland Chile gespielt, bevor sie im Dienste von Chelsea den europäischen Fußball hautnah erlebte. Nach erneut Colo-Colo, dann Valencia in Spanien, trägt sie nun seit 2017 die Nummer 16 im Tor der Frauen von Paris Saint-Germain.

Ihr Name klingt sehr deutsch: Endlers Vater ist Deutscher, ihre Mutter Chilenin. Schon früh zeigte sich ihr sportliches Talent und sie entschied sich letztlich für den Fußball. Einer ihrer früheren Trainer entschied sich, sie als Torhüterin aufzustellen. Es zahlte sich aus, denn 2008, als 17-Jährige, spielte Endler bei der U-20 WM im eigenen Land. Damals musste ihre Mannschaft mächtig Lehrgeld zahlen: Alle drei Vorrundenspiele gingen verloren. England, Neuseeland und Nigeria waren zu stark. Im Spiel gegen England stand 2008 auch eine gewisse Steph Houghton auf dem Platz, die ihre Mannschaft 2019 in Frankreich als Kapitänin aufs Feld führen wird.

Hält bei PSG und in der Nationalmannschaft den Kasten sauber: Christiane Endler. (Foto: Tom Seiss)

Die Pariser stehen währenddessen vor einem Luxusproblem, denn mit Christiane Endler und der Polin Katarzyna Kiedrzynek stehen zwei der besten Torhüterinnen im Dienste von PSG. Natürlich belebt Konkurrenz das Geschäft – und ganz unzufrieden ist Endler nicht mit der Situation, denn nur so kann sie sich weiterentwickeln. Es herrscht eine gesunde Rivalität und beide Spielerinnen arbeiten zusammen, um sich zu verbessern, so Endler. Bevor sie nach Paris zog, wurde sie in Spanien für Valencia spielend zur besten Torhüterin gewählt. Dort hatte sie die beste Gegentore-pro-Spiel-Quote während der Saison 2016/17: Nur neun Tore kassierte sie, in 23 Spielen.

Zuversicht trotz Mangels an Erfahrung

Auch in diesem Jahr wurde sie von ihren Kolleginnen und Trainern zur besten Torhüterin der Saison gewählt. Zuvor wurde sie zwischen 2008 und 2017 zur besten chilenischen Spielerin gekürt. Zudem hat Endler mehrfach die Meisterschaft in Chile gewonnen, sowie auch die Copa Libertadores mit ihrem Heimatverein Colo-Colo. Ganz in der Tradition ihrer deutschen Vorfahren wird ihr Spiel mit dem von Manuel Neuer verglichen und obendrein ist Oliver Kahn ihr Vorbild.

Für sie ist PSG einer der größten Clubs der Welt, und somit war der Wechsel nur logisch. Aber wie sieht es aus mit PSG? Im Fußball zählen nur Titel; davon hat PSG außer einem Pokalsieg 2018 wenig vorzuweisen. Auch in der abgelaufenen Spielzeit war Lyon in der Meisterschaft einfach stärker und deklassierte PSG um fünf Punkte im Titelrennen. In der Champions League war im Viertelfinale gegen Chelsea Schluss. Das Ausscheiden war besonders bitter, da Chelsea erst in der Nachspielzeit zum 1:2 verkürzen konnte und somit über die Auswärtstorregel weiterkam. Trotzdem gehört Paris Saint-Germain zu einer der Top-Adressen im Fußball, auch bei den Frauen. Weshalb es für Endler klar war, nach Frankreich zu wechseln.

Chile wird zum ersten Mal bei einer WM dabei sein und Endler ist zuversichtlich, dass die Mannschaft sich gut schlagen wird, trotz des Mangels an Erfahrung. Sie spricht in einem Interview davon, dass ihr Team sich auf das Turnier freue, fügt aber auch hinzu, dass die Gruppe mit den USA, Thailand und Schweden keine einfache sei. Endler selbst wird beim Turnier einen Heimvorteil haben, spielt sie doch in Paris und kennt demzufolge die Stadien und die Atmosphäre.

Zur Person: Christoph Wagner forscht, schreibt über Fußball und gehört zur Redaktion von 120minuten.

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Schweden: Die Welt verbessern, den Titel gewinnen

Die schwedische Frauenfußball-Nationalmannschaft möchte bei dieser Weltmeisterschaft endlich wieder zu den Top-Teams gehören. Unterlag man bei der letzten WM in Kanada 2015 im Achtelfinale mit 1:4 ausgerechnet Deutschland, so soll dieses Jahr der Titel her. Dabei wird Nilla Fischer vom Bundesligisten VfL Wolfsburg eine wichtige Rolle spielen. Die 34-Jährige ist eine, die vorangeht – auf und neben dem Platz. 2001 debütierte das gerade einmal 16 Jahre junge Talent während eines Wintertrainingslagers gegen Norwegen in der schwedischen A-Nationalmannschaft. Insgesamt kommt die Innenverteidigerin seitdem auf 175 Einsätze für die A-Nationalmannschaft. Ihren größten Erfolg mit der „Natio“ feierte sie bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, als sie im Schweden-Dress die Silbermedaille gewann – auch damals unterlag man im Finale den Deutschen mit 1:2.

Über Verums GOIF und Vittsjö GIK gelang ihr 2000 der Wechsel zum Kristianstad DFF, bei dem sie erstmals in Schwedens höchster Frauen-Spielklasse auflief. Nur drei Jahre später schaffte sie den Sprung zu Malmö FF, jetzt bekannt als FC Rosengård. 2010 gewann sie mit dem Klub ihre erste schwedische Meisterschaft und verteidigte den Titel prompt im Jahr darauf, 2012 folgte der Wechsel zu Linköpings FC. Fischer, die sich zu einer gestandenen Innenverteidigerin entwickelte, machte mit tollen Leistungen auf sich aufmerksam und wurde zur Saison 2013/2014 vom damaligen Wolfsburg-Trainer Ralf Kellermann, der gleichzeitig als sportlicher Leiter agierte, ablösefrei in die Autostadt gelotst – für beide Seiten ein wahrer Glücksgriff. Fischer etablierte sich unmittelbar als Führungsspielerin und war jahrelang Kapitänin der „Wölfinnen“. Mit dem VfL holte sie in sechs Jahren satte zehn Titel: einmal die Champions League, viermal die Deutsche Meisterschaft und stolze fünfmal den DFB-Pokal.

Starke Performance auf und neben dem Platz: Nilla Fischer. (Foto: Tom Seiss)

Während die schwedische Liga zwischen 2002 und 2008 lange zu einer der besten der Welt zählte – Umeå IK stand in der Zeit fünf Mal im Finale Women’s Cup – und Spielerinnen wie Marta ausbildete, muss sich die „Damallsvenskan“ (Dam = Frauen und Allsvenskan = Name der Herren-Liga) mittlerweile hintenanstellen. Länder wie Deutschland, England, Spanien und Frankreich haben wirtschaftlich aufgeholt und locken mit ihren attraktiven Gesamtpaketen die Top-Talente der schwedischen Liga. Infolge der Abwanderung prominenter schwedischer Spielerinnen aus der geringer budgetierten Damallsvenskan, bauen die Teams nun vermehrt auf die Ausbildung und Förderung ihrer eigenen Jung-Talente. Die Spannung in der Liga ist jedoch auch ohne prominente schwedische Weltklassespielerinnen garantiert: So schaffte es beispielsweise ein gesetzter Abstiegskandidat wie Limhamn Bunkeflo die vermeintlich „Großen“ des FC Rosengård zu Hause mit 3:2 zu schlagen. 2018 wurde mit Piteå IF eine Mannschaft Meister, deren Spielerinnen parallel zum Sport arbeiten beziehungsweise studieren.

Engagement über das Spiel hinaus

Auch wenn es sich bei Fußball um eine Berufung handelt, so gibt es Momente, in denen der Sport in den Hintergrund gerät. Und so ist Fußball nicht mehr alles im Leben der Nummer 4 des VfL Wolfsburg. Die Prioritäten der Abwehrspielerin änderten sich am 25. Dezember 2017, als Ehefrau Maria Michaela, die sie 2013 heiratete, Söhnchen Neo zur Welt brachte. „Neo rules the world“, sagte sie damals in einem Interview. Daraus resultierte auch der Entschluss, nach der laufenden Saison nach Schweden zurückzukehren. Bei den Wolfsburgerinnen lief ihr Vertrag ursprünglich regulär noch bis 2020, die Innenverteidigerin machte aber von der Ausstiegsklausel Gebrauch, die ihr eine vorzeitige Rückkehr nach Schweden zur Saison 2019/2020 ermöglichte. Sie unterschrieb einen Zwei-Jahres-Kontrakt bei Linköpings FC. „Ich habe sonst immer meine Entscheidungen als Fußballerin getroffen, dieses Mal habe ich mich aber als Mutter zu diesem Schritt entschlossen, weil es für uns wichtig ist, dass unser Sohn im familiären Umfeld aufwächst“, begründete die 34-Jährige den vorzeitigen Wechsel zurück in die Damallsvenskan.

Fischer wird nicht nur spielerisch eine große Lücke hinterlassen. Auch menschlich hat sie viel bewegt – in Wolfsburg und ganz Deutschland, in Teilen sogar auf der ganzen Welt: Seit dieser Saison laufen alle Spielführer*innen des VfL Wolfsburg mit einer Regenbogen-Kapitänsbinde auf. Der Verein will damit ein klares Zeichen gegen Ausgrenzung und Homophobie und für die Vielfalt im Fußball setzen. Initiiert hat das ganze Fischer, die sich seit Jahren für die Rechte und die Anerkennung Homosexueller einsetzt. Im März 2017 trat die Fußballerin im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ an ihren Verein heran und bat darum, eine Regenbogen-Kapitänsbinde tragen zu dürfen. „Der Regenbogen symbolisiert Stolz, Vielfalt und Respekt füreinander. Im Fußball machen wir uns oft gegen Rassismus stark, was großartig ist. Aber mir ist es wichtig, das große Ganze zu betrachten, und da müssen wir auch Homophobie und Sexismus ins Blickfeld nehmen“, sagte sie damals.

„Hört niemals auf, Fußball zu spielen und hört niemals auf, für Gleichberechtigung zu kämpfen.“ (Foto: Tom Seiss)

Als sie 2018 zu Schwedens Fußballerin des Jahres und zur besten Verteidigerin Schwedens gekürt wurde, hielt sie bei der Gala des schwedischen Fußball-Verbandes eine bewegende Rede und sprach über die ungleiche Bezahlung im Männer- und Frauensport: „Ungerechtigkeit tut weh! Würde ich heute hier als Mann stehen, mit der Karriere, die ich gehabt habe, bräuchte ich mir keine ökonomischen Sorgen mehr machen, auch meine Kinder nicht. Wir spielen, weil wir den Sport lieben. Deshalb möchte ich euch Mädchen sagen: Hört niemals auf, Fußball zu spielen und hört niemals auf, für Gleichberechtigung zu kämpfen.“

Fischer hat die Ansichten einer ganzen Stadt nachhaltig verändert. Sie hat etwas bewegt. Sie hat unermüdlich gekämpft und sich eingesetzt. Sie hat eine Verbindung hergestellt, denn der Regenbogen, ein starkes Zeichen für Akzeptanz, ist aus Wolfsburg nicht mehr wegzudenken. Diese Werte verkörpert sie auch als eine der Leistungsträgerinnen der schwedischen Frauenfußball-Nationalmannschaft. Es ist davon auszugehen, dass die Innenverteidigerin auch bei der nun anstehenden Weltmeisterschaft in Frankreich, die wohl gleichzeitig ihr letztes großes Turnier sein wird, ein weiteres (Ausrufe-) Zeichen setzen wird. Sie wird alles dafür geben, mit ihrem Team in diesem Jahr endlich den lange ersehnten ersten Weltmeistertitel zu gewinnen – und ihre internationale Karriere noch ein (letztes) Mal zu krönen.


Zur Person: Jasmina Schweimler schreibt als Journalistin unter anderen für die WAZ und den Sportbuzzer über Frauenfußballer und gehört zum Podcast-Kollektiv-FRÜF.

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Hier geht’s zu den anderen Gruppen:

WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe C

Die Liebe zum Spiel ist das verbindende Element in der Gruppe C. Tiffany Cameron besingt sie und die Brasilianerin Formiga hat auch mit 41 noch lange nicht genug vom Fußball. Während Sam Kerr nach Turbulenzen mit Australien auf ein Wunder hofft, träumt Barbara Bonansea von neuen Jubelmomenten.

Sam Kerr – Turbulenzen und die Hoffnung auf ein Wunder

Australien – berühmt für seine Kängurus, Bumerangs, Barbecues – und für seine außergewöhnlichen Fußballer*innen. Sam Kerr aus der kleinen Stadt East Freemantle ist vielleicht die außergewöhnlichste aller außergewöhnlichen Fußballer*innen, die Australien je hervorgebracht hat.

Sie stammt aus einer Familie erfolgreicher Sportler, sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder waren professionelle „Australian-Rules“-Footballer. Kerr spielt in der australischen W-League. Seit Gründung der Liga im Jahr 2008 steht sie, abgesehen von zwei Jahren bei Sydney FC, für Perth Glory unter Vertrag. Die reguläre Saison der W-League findet von November bis Februar statt. Anschließend spielen die vier besten der aktuell neun Teams in einer Playoff-Runde um den Titel „W-League Champion“. Kerr spielt außerdem von April bis Oktober in der amerikanischen Profiliga NWSL, aktuell für die Chicago Red Stars.

Seitdem bricht sie alle Rekorde:

  • Die meisten Tore in der NWSL.
  • Die meisten Tore in einem NWSL-Spiel.
  • Die meisten Tore in einer NWSL-Saison.
  • Die meisten Tore in der W-League.
  • Die meisten Tore in einer W-League-Saison.
  • Sam Kerr ist erst 25 Jahre alt.

Mit der nach Australiens inoffizieller Nationalhymne „Waltzing Matilda“ benannten Nationalmannschaft „Matildas“ bricht Kerr diesen Sommer mit großen Hoffnungen zur WM nach Frankreich auf. Bei den letzten drei Weltmeisterschaften kam ihr Land jedes Mal bis ins Viertelfinale. 2019 könnte der Durchbruch gelingen. Mit einer Fülle an talentierten Spielerinnen, die genau zum richtigen Zeitpunkt den Höhepunkt ihrer spielerischen und persönlichen Reife erreicht haben, glaubt Australien an den Einzug ins WM-Finale.

Sam Kerr und ihre Mitspielerinnen gehen mit viel Erfahrung in die WM.

Spielerinnen in den besten Jahren

Die Ex-Potsdamerin Elise Kellond-Knight hat trotz ihrer erst 28 Jahre bereits 106 Länderspiele absolviert. Die defensive Mittelfeldspielerin wurde 2011 und 2015 ins All-Star- Team der WM gewählt. Verteidigerin Clare Polkinghorne steht bei 116 Länderspielen und ist gerade erst 30 Jahre alt geworden. Sie hat zwei Weltmeisterschaften für die Matildas gespielt, bei denen sie der nahezu unüberwindbare Fels der Abwehr war, aber auch torgefährlich. Die Mischung aus Erfahrung und Spielerinnen in den besten Jahren – erfahren und auf der Höhe ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit – könnte Australien zu einer Mannschaft machen, mit der gerechnet werden muss.

Dieser Zustand ist umso erstaunlicher, wenn man sich die Entwicklung des Frauenfußballs in Australien vor Augen führt. Zwar fanden schon 1921 Spiele vor mehr als 10.000 Zuschauer*innen statt. Die erste professionelle Liga wurde aber erst 1996 gegründet. Schon acht Jahre nach ihrer Gründung wurde sie zusammen mit der National Soccer League der Männer aufgrund mangelndem Sponsoring wieder aufgelöst. Nachdem die Matildas bei der WM 2007 das Viertelfinale erreichten, sprach sich der damalige Cheftrainer Tom Sermanni (aktuell Trainer Neuseelands) dafür aus, erneut eine professionelle Liga ins Leben zu rufen. Der australische Fußballverband FFA (Football Federation Australia) stimmte zu und gründete 2008 die W-League.

Stabile Liga weckt Interesse

Seitdem gedeiht die Liga mit einer Stabilität, welche der vorherigen Liga fehlte. Die nun stattfindende Professionalisierung und die Vermarktung der Liga haben für ein steigendes Interesse gesorgt. Das Durchschnittsgehalt der Spielerinnen ist 2018 von 15.500 australischen Dollar auf 17.400 Dollar gestiegen, das Mindestgehalt liegt aktuell bei 10.000 Dollar. Die Gehaltsobergrenze hat sich von 2015 bis zum Saisonstart 2017/18 von 150.000 Dollar auf 300.000 australische Dollar verdoppelt.

Die WM-Vorbereitung der Matildas wurde durch eine Kontroverse überschattet, die im Rauswurf des langjährigen Cheftrainers Alen Stajcic mündete. Stajcic gibt bis heute an, das einzige Mal, dass er mit der FFA über die mutmaßlich kaputte Stimmung innerhalb der Mannschaft gesprochen habe, sei während eines 20-minütigen Gesprächs am Tag vor seiner Entlassung gewesen. Die FFA gibt an, es habe Hinweise darauf gegeben, dass sich in den fünf Jahren unter Stajcic eine dysfunktionale Teamkultur entwickelt habe.

Vom Weg abgekommen

Die Mannschaft solle in der WM-Vorbereitung wieder auf den richtigen Weg gebracht werden. Die FFA selbst scheint etwas vom Weg abgekommen zu sein. So sieht es zum Beispiel zurzeit danach aus, dass die A-League der Männer zeitnah eine von der FFA unabhängige Organisation werden könnte. Mit der Verlängerung der Sponsorenpartnerschaft der Matildas mit dem Immobilienunternehmen Westfield und einem weiteren, noch nicht bekannt gegebenen Rekord-Sponsor in Aussicht, gibt es aber auch gute Nachrichten.

Trotzdem haben die Matildas mit dem ehemaligen australischen Nationalspieler Ante Milicic lediglich einen Interimstrainer, der sie durchs Turnier in Frankreich führen wird. Diese womöglich instabile Situation könnte sich fatal auf Australiens Siegeschancen auswirken.

Andererseits könnte die Mannschaft aber auch von jemandem profitieren, der die Dinge einfach gestaltet und sich komplett auf die taktische Ausrichtung konzentriert. Es wird sich früh genug zeigen, in welche Richtung sich die Matildas unter Milicic entwickeln. Aber eines ist gewiss – mit einer Ausnahmeerscheinung wie Sam Kerr in der Mannschaft und erfahrenen Spielerinnen wie Kellond-Knight und Clare Polkinghorne, besteht immer die Chance auf ein Wunder. 2019 könnte das Jahr werden, in dem die Matildas die Welt auf den Kopf stellen.

Zur Person: Ellen Hanisch schreibt als Journalistin über den nationalen und internationalen Fußball. Sie gehört zum Podcast-Kollektiv FRÜF und betreibt FUSSBALLTHESEN.

Foto: Thewomensgame / Wikimedia Commons

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Barbara Bonansea und der Traum von Juventus Turin

Vier “Scudetti” (italienische Meistertitel), drei italienische Pokalsiege, drei italienische Super-Cups und eine Schlüsselrolle bei Juventus sowie bei der italienischen Nationalmannschaft. Barbara Bonansea, geboren und aufgewachsen in der Nähe von Turin, wurde im Trikot des FC Turin groß, aber um sich einen Namen im italienischen Fußball zu machen, musste sie nach Brescia gehen. In fünf Spielzeiten von 2012 bis 2017 mit Le Rondinelle, wie Brescia Calcio genannt wird, spielte Bonansea eine Schlüsselrolle bei den beiden ersten Meisterschaften der Klubgeschichte.

Barbara Bonansea (links) hat Italien zur WM geschossen.

Die Titel verhalfen ihr zu ihrem Debüt auf europäischer Ebene in der Champions League und brachte ihr Angebote von namhaften europäischen Teams ein. Aber seit ihrer Kindheit hatte Bonansea einen Traum – das Trikot von Juventus überzustreifen.

Im Sommer 2017 wurde dieser Traum Wirklichkeit als Juve mit der Übernahme der Lizenz von Cuneo Calcio seine ersten Schritte im Frauenfußball machte und sich sofort anschickte eine führende Rolle zu übernehmen, getreu dem Motto der Turiner: “Gewinnen ist nicht wichtig, es ist das Einzige, was zählt.”

Hilft Titelkampf der Nationalmannschaft?

Dank ihrer Qualitäten auf dem linken Flügel – sie kann für Überraschungsmomente sorgen, geht oft ins Eins-gegen-eins und hilft auch in der Defensive mit – wurde Bonansea zu einer Schlüsselspielerin in Rita Guarinos Kader.

Zusammen mit der Kapitänin der Nationalmannschaft Sara Gama, mit Aurora Galli, Valentina Cernoia und Christina Gelli hat Bonansea mit Juventus Historisches erreicht: in den ersten zwei Spielzeiten wurde Juventus italienischer Meister. Vor allem der zweite Titel war hart erkämpft. Im Titelrennen mit Milan und der Fiorentina konnte der Scudetto erst am letzten Spieltag mit einem Punkt Vorsprung errungen werden. Der intensive Titelkampf könnte positive Auswirkungen auf die Nationalmannschaft haben. Bonansea bezeichnet es als “einen Traum” im Trikot der Azzurra spielen zu dürfen, insbesondere in Anbetracht der bevorstehenden WM in Frankreich.

Bonansea schießt Italien zur WM

Am 8. Juni 2018 erzielte Bonansea das letzte der drei Tore im entscheidenden Spiel gegen Portugal (3:0 in Florenz), das Italien zur Buchung des WM-Tickets für Frankreich verhalf, und beendete damit eine zwanzigjährige Abwesenheit. Die letzte und einzige Teilnahme war in den USA 1999. Das Tor war wichtig und sorgte für überbordende Emotionen, die in einer Jubeltraube aus Spielerinnen und Fans im Artemo Franchi Stadion gipfelte.

Auf dem Weg zur Weltmeisterschaft machte sich Bonansea einen Namen als vielseitige Spielerin. Sie hinterließ einen bleibenden Eindruck bei den Freundschaftsspielen 2019 indem sie zwei Treffer in den vier Spielen beim Cyprus Cup im Februar erzielte (gegen Mexiko und Thailand). Das Turnier beendete Italien auf einem bitteren zweiten Platz hinter Nordkorea. Im Elfmeterschießen, dem ein 3:3 Unentschieden nach einem 120-Minuten-Marathon vorausging, verschoss Bonansea als einzige Spielerin.

Der Turnierausgang war so etwas wie ein kleiner Betriebsunfall – für die Nationalmannschaft und auch Bonansea – während das Team weiterhin auf einer Welle der Euphorie schwimmt. Die Auswahl von Milena Bertolini kann auf viel Unterstützung in Italien setzen, das schlechte Abschneiden der Herren in Russland 2018 hat mehr Interesse auf den Frauenfußball gelenkt.

Eine neue Ära

Juventus aber auch andere große italienische Klubs wie der AC Mailand, AS Rom, Florenz und Inter, das gerade gerade aus der Zweitklassigkeit aufgestiegen ist, haben sich entschieden in den Frauenfußball zu investieren und diesem zu Wachstum zu verhelfen. Ein Beispiel? Am 24. März fand das entscheidende Match um die Meisterschaft zwischen Juve und der Fiorentina im Turiner Allianz Stadium statt, das sonst für Cristiano Ronaldo und sein Team “reserviert” ist. Die Partie war mit 39.000 Zuschauern ausverkauft – zum ersten Mal in der Geschichte des italienischen Frauenfußballs und obendrein ein Zuschauerrekord. Das Spiel könnte man also als möglichen Beginn einer neuen Ära deuten.

Der Frauenfußball kann darauf aufbauen und für das bevorstehende Turnier auf einen  Enthusiasmus hoffen, wie ihn nur eine Weltmeisterschaft hervorzurufen vermag. Nach einer Saison mit 13 Treffern, der viertbeste Wert ligaweit und ein Tor weniger als Juves Top-Scorerin Aluko, ist Bonansea bereit für die große Fußballbühne und das wichtigste Turnier ihrer bisherigen Karriere. Sie hofft auf eine weitere Jubeltraube – ganz genau wie in Florenz vor fast einem Jahr.

Zur Person: Fabio Fava ist Journalist und Kommentator und arbeitet für Eurosport und DAZN.

Foto: Threecharlie/ Wikimedia Commons

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Formiga – Die ewige Antreiberin

Miraildes Maciel Mota hätte eine der vielen afrikanisch-stämmigen Frauen sein können, die die Hügel von Salvador, Bahia, im Nordosten von Brasilien, hoch- und runterlaufen. Sie hätte ein traditionelles Leben – Arbeit, Familie und Kinder – unter der heißen Sonne führen können. Doch ihr Talent und ihre Leidenschaft für Fußball haben ihr Leben völlig umgekrempelt. Formiga – der Name, unter dem sie weltweit bekannt ist – ist derzeit die einzige Fußballerin, die an sechs Ausgaben der Olympischen Spiele teilgenommen hat – an allen, seit Frauenfußball olympisch wurde. Wie Marta, Pelé, Garrincha und Ronaldo ist Formiga zur Legende in der Geschichte des brasilianischen Fußballs geworden. Mehr als 160 Mal ist sie für das Nationalteam aufgelaufen (und überbietet damit Cafu als der brasilianische Spieler, der das Trikot am häufigsten getragen hat). Jetzt, da die Frauen-Weltmeisterschaft der FIFA in Frankreich ansteht, will sie weitere Rekorde brechen: Sie will die erste Spielerin sein, die an sieben Frauen-Weltmeisterschaften teilgenommen hat und zugleich die älteste Teilnehmerin in der Geschichte des Wettbewerbs sein.

Formiga wurde im März 1978 geboren. Ihr Talent für den Sport zeigte sich früh. Sie beneidete ihren Bruder um sein Geschenk – einen Ball. Ihre einzige Option war, einer Puppe den Kopf abzureißen, um irgendetwas Rundes zum Kicken zu haben. Sie ist von zu Hause abgehauen, um barfuß mit Jungs auf Bolzplätzen in ihrem Stadtviertel zu spielen. Weil sie dafür geschlagen wurde, musste sie das verheimlichen. Denn ihre fünf Brüder waren nicht damit einverstanden, dass sich die Jüngste und die einzige Tochter der Familie ein Hobby aussuchte, das nur für Jungs reserviert war: Fußball spielen.

Den Spitznamen Formiga, was auf Portugiesisch Ameise bedeutet, hat sie in dieser Zeit bekommen. Ein dünnes, kleines Mädchen, das auf dem Feld rauf und runter läuft, den Ball beherrscht und dribbelt wie ein echter Mittelfeldspieler. Die brasilianische Sportlerin begann als 12-Jährige, auf Amateurniveau zu spielen. Mit 15 startete ihre Karriere als Profifußballerin, beim Sao Paulo Football Club. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ausgewählt wurde, für die Seleção zu spielen, das brasilianische Frauen-Nationalteam.

Seitdem hat Formiga für verschiedene Teams in Brasilien, Schweden und in den USA gespielt. Derzeit spielt sie in Frankreich bei Paris Saint-Germain. Als Mittelfeldspielerin im brasilianischen Nationalteam hat sie drei Goldmedaillen in den Pan-Amerikanischen Spielen geholt: 2003 in Santo Domingo, 2007 in Rio und 2015 in Toronto. Silber gewann sie bei den Olympischen Spielen in Athen 2004 und 2008 in Peking. Außerdem wurde sie 2007 Vize-Weltmeisterin bei der Frauen-WM in China.  

Aber nicht nur ihre glänzende Karriere beeindruckt diejenigen, die ihre Geschichte hören. Der Weg zum Erfolg war nicht leicht. Dennoch ist sie ihn ohne Fehltritte gegangen. Die Sportlerin berichtet von Situationen, in denen ihr Rassismus begegnet ist. Während eines Spiels in Caçador, einer Stadt im Süden Brasiliens, in Santa Catarina, hörte sie 90 Minuten lang, wie ein Zuschauer sie und ihre Mitspielerinnen als Affen bezeichnete – leider eine Situation, mit der sich afro-brasilianische Spieler häufig konfrontiert sehen. Ihre Reaktion? Formiga erklärt sie für einen brasilianischen Blog: „Ich habe das Team gebeten, ruhig zu bleiben. Wir sollten uns nur auf das konzentrieren, was auf dem Spielfeld passiert. Darum haben wir gut gespielt, wir haben das Spiel gewonnen und am Ende hat uns der Zuschauer gefragt, ob er mit uns ein Foto machen darf. Und ich habe Ja gesagt.“ Ein Sieg innerhalb und außerhalb der vier Linien.

Der Rücktritt vom Rücktritt

Formiga war mehr als 20 Jahre ein essentieller Bestandteil im brasilianischen Mittelfeld. Trotz ihrer aufopferungsvollen Karriere im Nationalteam ist es der Sportlerin nicht gelungen, zu sehen, wie die brasilianischen Träume wahr werden: Brasilien hat weder die WM noch die Olympischen Spiele gewonnen.

2016, nachdem die Canarinhas von Kanada in den Olympischen Spielen in Rio besiegt wurden, gab sie im Alter von 38 Jahren ihren Rücktritt bekannt. Zutiefst bewegt wandte sie sich in einem TV-Interview an die Brasilianer: „Ich bitte euch nur darum, uns nie aufzugeben. Denn wir werden nie aufgeben.“

Doch mit 40 Jahren hat sie sich nochmal neu entschieden. Wegen einer weiteren Gelegenheit, den brasilianischen Traum 2019 bei der WM in Frankreich zu verfolgen und weil der Nachwuchs beim brasilianischen Frauenteam fehlte, hat sie ihre Entscheidung rückgängig gemacht. Sie wird das gelbe Trikot nochmals tragen. „Ich bin nur zurückgekommen, weil es nötig war. Die Seleção hatte niemanden für meine Position, niemanden, der meinen Stil spielt. Der Trainer sagte, er braucht mich. Die Seleção musste sich für die WM qualifizieren. Ich habe lange darüber nachgedacht. Der Gedanke, dass Brasilien die WM  verpassen könnte, hat mich belastet und letztlich habe ich entschieden, zu helfen. Ich hatte nicht beabsichtigt, weiterzumachen und die WM zu spielen, aber Grenzen zu überwinden, treibt mich an“, erklärte die Mittelfeldspielerin in einem Interview für die FIFA.

Erwartungen für die Frauen-WM und brasilianischen Fußball

Auch wenn es ihre siebte Teilnahme bei einem großen internationalen Turnier ist, sagt Formiga: „Die Gefühle sind dieselben wie beim ersten Mal. Ich bin froh, mit den Mädels hier zu sein, gesund, und dass ich an Verbesserungen im Frauenfußball arbeiten und um den so ersehnten Titel kämpfen kann.“ Obwohl die Seleção zuletzt neun Niederlagen am Stück in Freundschaftsspielen einstecken musste und das Team angezweifelt wird, ist Formiga optimistisch: „Wir können ohne Zweifel diese WM gewinnen. Frankreich ist einer der größten Gegner unserer Hoffnungen. Sie könnten definitiv gewinnen. Trotzdem sind die Leute wirklich glücklich und gespannt. Es wird ein wunderbares Turnier.“

In den vergangenen Jahren sind in Brasilien Debatten über Sexismus und Frauen im Sport lauter geworden. Formiga sieht Vorurteile noch immer als die größte Hürde für Profisportlerinnen in ihrem Land. „Heutzutage hat das stark abgenommen, aber es ist immer noch da. Es gibt immer noch zu wenig Medieninteresse. Generell wird über Frauenfußball immer nur berichtet, wenn die Olympischen Spiele sind oder etwas Negatives passiert ist“, sagte Formiga einer brasilianischen Zeitung. Wenn sie letztlich tatsächlich ihre Profikarriere beendet, will sie Fußballlehrerin werden und als Teil des Trainerteams die Frauennationalmannschaft unterstützen. Das wäre ihre Art, weiter für ihre Träume und Fortschritt zu kämpfen.

Persönlichkeiten wie Formiga, Marta und Cristiane stehen stellvertretend für die Welt des Sports und inspirieren andere Mädchen. Ihre Geschichten öffnen Türen für die Geschichten anderer und wirken auf diese Weise aus von selbst gegen Sexismus im Fußball.

An den Wänden des Fußballmuseums im Pacaembu-Stadion in Sao Paulo kann man den Namen Miraildes Maciel Mota und ihre Geschichte lesen. Trotzdem ist Formiga ein Genie, das immer noch nicht die Anerkennung in der Welt des Sports hat, die es verdient. Doch eines wissen wir sicher über sie: Nachdem sie so viele Hindernisse überwunden hat, um dort zu sein, wo sie nun steht, gibt es keine Hürde, die sie nicht überkommen kann. Und sie wird sicherlich alles tun, um in der Geschichte des Fußballs ihre Spuren zu hinterlassen.

 

Der Text in der englischen Originalfassung/ English original version

Formiga: the Brazilian genius who has beaten racism, sexism and poverty to be one of the biggest female footballers in history

Miraildes Maciel Mota could have been one of the several afro-descendent women walking up and down the hills of Salvador, Bahia, in the Northeast region of Brazil, managing a traditional life of work, family and children under the hot sun. However, the talent and passion for football changed her life for good. Formiga – as she is worldwide known – is, nowadays, the only female footballer to have ever been to six editions of Olympic Games, all the editions since the female category became an Olympic sport. Along names like Marta, Pelé, Garrincha and Ronaldo, Formiga has made her place to the history of Brazilian’s football as a legend, collecting more than 160 games for the national team (overmatching Cafu as the Brazilian player who has worn this uniform most times). Now, with the FIFA Women’s World Cup in France just around the corner, she is ready to break other records: becoming the first player to go to seven Women’s World Cups and being the oldest female in the competition’s history.

Formiga was born in March, 1978, and her grit for the sport manifested very early. Envying the brother’s gift – a ball – her only option was taking off the doll’s head to have something rounded to kick. She used to run away from home to play barefoot with other boys in improvised pitches made of earth in her neighborhood. Having being beaten sometimes for that, everything had to be done in secret, as her five brothers did not approve the idea the youngest and only girl of the family would spend time doing something that was meant to be only for boys: play football.

The nickname Formiga (ant, in Portuguese) comes from that time: a skinny short girl running here and there in the field with the ball dominated on her feet dribbling magically like a real midfielder. The Brazilian athlete started to play as an amateur when she was 12 years old and at 15 her professional career was launched at Sao Paulo Football Club. It was just a matter of time until she was called to play at the “Seleção”, the Brazilian national female team.

Since then, Formiga has played for different teams in Brazil, Sweden and USA and currently plays for Paris Saint-Germain, in France. Acting as a midfielder for Brazil National Team, she won three golden medal during the Pan-American Games in Santo Domingo 2003, Rio 2007 and Toronto 2015, silver medal for Olympic Games in Athens 2004 and Beijing 2008 and silver medal for FIFA Women’s World Cup in China 2007.

However, not only the brilliant career impresses everyone who gets the opportunity to know her story. The path towards success wasn’t simple and, still, she made it with no frailties. The athlete reports situations when racism was on the table. During a match in Caçador, a city from the South of Brazil, in Santa Catarina, she played 90 minutes hearing a fan calling her and her colleagues as “monkeys” – unfortunately, a common situation experienced by other Brazilian and afro-descendent players. The answer for that? Formiga explains well to a Brazilian blog: “I asked the team to be calm. We should focus only on what was happening in the field. As result, we played well, we won the game and then the fan asked us to take a picture with him. And I accepted”. A mastery in and out the four lines.  

The retirement no retirement

Formiga has been an essential part of Brazil’s midfield for more than twenty years. Despite the devoted career for the national football, the athlete was unable to see Brazilian dreams coming true: putting Brazil and its people in the highest place of a podium for either the World Cup or the Olympic Games.

In 2016, after the Canarinhas were defeated by Canada during the Rio 2016 Olympic Games, she announced her retirement at the age of 38. Deeply moved, she did a request to Brazilian people during a TV interview: “I only ask you all to never give up on us, because we will never give up”.

However, at 40 years old she changed her mind. The new opportunity to keep pursuing Brazil’s dream at the FIFA Women’s World Cup 2019 in France and the lack of options for the renewal of the Brazilian women’s team made her to abort her previous decision and wear the yellow jersey once again: “I only came out of retirement due to necessity. The Seleção did not have anybody in my position, anyone who played in my style. The coach said he needed me. The Seleção needed to qualify for the World Cup. I gave it a lot thought. The thought of Brazil missing out of the World Cup, it weighed heavily on me and eventually I decided to help. I had no intention to carry on and play in the World Cup, but breaking barriers spurs me on”, explained the midfielder during an interview for FIFA.

Expectations for the World Cup and for the Female’s football in Brazil

At her seventh participation for the world tournament, Formiga affirms: “the emotion is the same just as if it was the first time. I am happy to be here with the girls, with health, working for improvements into the female football and fighting for the so desired title”. Although the Seleção comes from a sequence of nine consecutive defeats on friendly games and has its credibility questioned, Formiga is optimistic: “We can, without doubt, win this World Cup. France are one of the biggest threats to our hopes. They could definitely win it. Nevertheless, people are really happy and excited. It is going to be a wonderful tournament”.

During the last years, Brazil has faced a crescent discussion about sexism and the presence of women in sports. She still sees prejudice as one of the greatest barriers for the female sport in the country. “Nowadays, that has greatly diminished, but it still exists. There is still lack of media interest. Generally, women’s football only becomes news when it is in the Olympics or when it has negative news”, said Formiga to a Brazilian newspaper. When she finally retires, she expects to study to become a coach and then take a role into the technical staff for the National female team. It would be her way to keep fighting for her dreams and improvements.

Names like Formiga, Marta and Cristiane bring representativeness to the world of sports and help other girls to be inspired by those idols. Their stories open doors to other stories and it is, per se, a fight against sexism in football.

At the walls of the Museum of Football, at Pacaembu Stadium, in Sao Paulo, you can read the name of Miraildes Maciel Mota and her journey. However, Formiga is a genius who still doesn’t get the deserved recognition in the world sports. Yet, there is one thing we are all sure about her: after facing and beating so many barriers to be where she stands now, there is no difficulty she cannot overcome and she will, for sure, make everything to let her mark to the History of World football.  

Zur Person: Rosiane Siqueira wohnt in London und schreibt als freie Autorin über den brasilianischen Fußball. Übersetzt wurde der Text von Maria Hendrischke, die für MDR Sachsen-Anhalt tätig ist.

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Tiffany Cameron – Aus Liebe zum Spiel

Tiffany Cameron wurde 1991 in Toronto geboren. Sie bestritt sechs Freundschaftsspiele für Kanada, spielte in der Bundesliga für die TSG Hoffenheim, USV Jena, Mönchengladbach, war in Zypern und Schweden aktiv und wurde 2016 mit dem F.C. Ramat HaSharon in israelische Meisterin – dort erzielte sie in 23 Spielen 38 Tore. Seit Februar 2019 spielt sie für die jamaikanische Auswahl, die 2014 neu gegründet wurde und die erste WM-Teilnahme vor sich hat.

Tiffany Cameron hat auch schon in Jena gespielt.

Wie lief die Saison bisher für sie und wie war das Ankommen bei ihrem neuen Verein in Norwegen?

Mein Verein Stabæk hat zwei Meisterschaften gewonnen, in der Champions League gespielt und sich so einen Namen gemacht. Wir spielen sehr körperlich und haben eine gute Mischung aus jungen talentierten und erfahrenen Spielerinnen. Wir befinden uns dieses Jahr im Umbruch und hatten deshalb nicht den besten Start. Ich bin aber optimistisch, dass die zweite Saisonhälfte besser laufen wird.

Unterscheidet sich ihre Rolle im Nationalteam von der in Ihrem aktuellen Verein?

Ich würde sagen, dass ich sowohl bei Stabæk als auch bei der jamaikanischen Auswahl die gleiche Rolle ausfülle. In beiden Teams gehöre ich zu den erfahrenen Spielerinnen und meine Aufgabe ist es, die jüngeren zu führen und zu ermutigen – und natürlich meine Stärken auf den Platz zu bringen und damit das Spiel zu beeinflussen.

Sie haben schon bei vielen Vereinen gespielt. In der Bundesliga sind sie nach Abstiegen gewechselt, ihren Verein in Israel haben sie nach nur 22 sehr erfolgreichen Spielen verlassen. Wie kommt es, dass sie so oft den Verein gewechselt haben?  

Ich bin der Typus Spielerin, der stets eine Chance ergreift, wenn ich mich dadurch verbessern kann. Zwei von drei Mannschaften, für die ich in der Bundesliga gespielt habe, sind unglücklicherweise abgestiegen. Erstklassig zu spielen, hat für mich immer höchste Priorität, deshalb habe ich mich entschieden zu wechseln. Obwohl ich eine sehr erfolgreiche Saison in Israel gespielt habe, mir eine Vertragsverlängerung angeboten wurde und ich in der Champions League hätte spielen können, bin ich zurück in die Bundesliga gewechselt, als ich die Möglichkeit hatte – das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

Bei einigen Klubs habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, anderswo hat es nicht so gut gepasst. Ich bin keine Spielerin, die bei einem Verein bleibt, wenn ich nicht das Gefühl habe, dass ich auf und neben dem Platz meine beste Seite zeigen kann. Im Ausland zu spielen hat seine Härten, aber verschiedene Kulturen und Spielstile kennenzulernen war sehr wichtig für meine Entwicklung als professionelle Fußballerin.     

Sie schreiben auch Songs und setzen sich darin mit dem Fußball auseinander. Welche Botschaft möchten Sie mit “For the love of the game” vermitteln?

In meinem neuen Song geht es um das Überwinden von Widrigkeiten, das Verfolgen von Zielen und sich bewusst zu machen, dass Frauen, obwohl der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter anhält, auch stolz auf ihre Leistungen und ihr tägliches Engagement für den Fußball sein sollten. Der Song ist ein Vehikel für weibliches Empowerment und ich habe beschlossen, ihn zu veröffentlichen, weil die Frauen-Weltmeisterschaft bevorsteht und sie dazu beitragen wird, weibliche Athletinnen auf der ganzen Welt zu ermutigen und zu fördern.

Sie haben einige Zeit in Deutschland gespielt. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Bundesliga und worauf mussten sie sich in Deutschland erstmal einstellen?

Wenn ich an meine Zeit in der Bundesliga zurückdenke, denke ich oft daran, welche Freude es war mit technisch so versierten Fußballerinnen zu spielen. Jedes Spiel hatte Wettkampfcharakter. Als ich nach Deutschland wechselte, habe ich damit gerechnet, dass eine Herausforderung technischer und taktischer Natur auf mich wartete und ich mich dadurch als Spielerin verbessern kann. Ich war sehr beeindruckt von der Qualität des Fußballs und es war mir ein Vergnügen mehrere Jahre in der Bundesliga spielen zu dürfen.

Die jamaikanische Auswahl wurde erst vor wenigen Jahren wieder ins Leben gerufen. Sie haben bereits für Kanada Auswahlspiele bestritten. Warum haben Sie sich für Jamaika entschieden?

Ich hatte das Gefühl, dass es an der Zeit war, eine neue Herausforderung zu suchen. Die Möglichkeit, für Jamaika zu spielen, ergab sich für mich zu einem besonderen Zeitpunkt. Es ist das erste Mal in der Geschichte, dass Jamaika an der WM teilnimmt, und ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Erfahrung dazu beitragen kann, das Team zu verstärken. Als mir ein Mitarbeiter des Trainerstabs das Angebot unterbreitete, für Jamaika zu spielen, konnte ich diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen.

Ich bin stolz darauf, wenn ich die junge Generation inspirieren und fördern kann. So bringe ich mich als eine der erfahreneren Spielerinnen im Kader ein. Im März spielte ich mein zweites Freundschaftsspiel für Jamaika, durfte von Anfang an auflaufen und bereitete ein Tor gegen Chile vor. Wir haben das Spiel mit 3-2 gewonnen und die Atmosphäre war toll. Obwohl ich neu im Team bin, hat es nicht lange gedauert, eine positive Verbindung zu meinen Teamkollegen aufzubauen. Ich bin froh, dass das so gut geklappt hat und ich zu unserem Sieg beitragen konnte.

Wie würden sie die Entwicklung des jamaikanischen Frauenfußballs in den letzten fünf Jahren, insbesondere der Nationalmannschaft, beschreiben? Wie populär sind die Reggae Girlz in Jamaika bzw. wie hat sich die Popularität entwickelt?

Die Entwicklung des jamaikanischen Fußballs hat einen langen Weg hinter sich. Vor einigen Jahren existierte die Frauenmannschaft für ein paar Jahre schlichtweg nicht. Cedella Marley und die Bob Marley Foundation halfen, die Frauen-Nationalmannschaft zu finanzieren und das brachte Einiges wieder in Gang. Wenn sie nicht wären, wären wir nicht hier, deshalb bin ich sehr dankbar für ihre kontinuierliche Unterstützung. Jetzt spüren wir in Jamaika und im Rest der Welt eine enorme Unterstützung, vor allem nach der Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Unsere beiden Siege gegen Chile im Februar und März waren fantastisch und wir haben dafür viel Support von unseren Fans bekommen. Unser Popularität in Jamaika ist in die Höhe geschnellt!

Können Sie die Spielphilosophie der Reggae Girlz kurz erläutern?

Wir sind für unsere Kreativität und harte Arbeit auf dem Platz bekannt. Die Zuschauer*innen können sich darauf gefasst machen, gut unterhalten zu werden, wenn wir spielen.

Welche Erwartungen haben Sie an die Weltmeisterschaft in Frankreich? Welche Chancen rechnen Sie sich für die Gruppenspiele aus?

Wir werden wohl als Underdogs wahrgenommen werden, da wir das Team mit der schlechtesten Weltranglistenplatzierung (Rang 53) im Turnier sind. Die Zuschauer*innen können von uns erwarten, dass wir mit dem Herzen spielen und als wäre jedes Spiel unser letztes. Das ist unsere Mentalität, und wenn wir uns daran halten, werden wir auch über die Gruppenphase hinauskommen.

Die Antworten in der englischen Originalfassung/ English original version

1. Stabaek FC won two titles in the Toppserien and have played in Champions league matches gaining a respectful name for themselves. We play physical and are a team with several talented young players mixed with some experienced players. We are rebuilding this year, so we haven’t been off to the best start, but I am optimistic that the second half of season will be much better!

2. I would say my role on the Jamaican national team and on Stabaek FC are similar. On both teams I am one of the more experienced players and my role is to help lead and encourage my younger teammates along with showing my strengths on the field and making a positive impact.

3. I’m the type of player that will take on opportunities that will help improve my game. Two out of three of the clubs I played for in the Bundesliga unfortunately ended up getting relegated. Playing in a top league has always been my priority, so I chose to move on. Although I had a very successful season in Israel and had the choice of extending my contract and also playing in champions league again, when an opportunity to play back in the Bundesliga was presented to me, I couldn’t pass that up. I had great experiences playing for some clubs and others I didn’t have the best experiences. I am not the type of player to settle if I know that the environment I’m in won’t help me be the best version of myself both on and off the field. Playing away from home comes with hardships and is a journey, but experiencing different cultures and playing styles has been essential to furthering my development as a professional footballer.

4. My new song, For The Love of The Game, focuses on overcoming adversity, striving toward your goals and remembering that though the fight for gender equality continues, women should also be proud of their accomplishments and their every day commitment to the game. It’s a female empowerment anthem and I decided to release it because the Women’s World Cup is coming up and it will help encourage and pump up female athletes around the world.

5. When I think of my memories playing in the Bundesliga I think about how much of a pleasure it was to play with such technical players. Every game was always competitive. When I moved to Germany I expected to be challenged both technically and tactically and improve as a footballer. I was extremely impressed with the quality of football there and it was a pleasure to play there for a few years.

6. I felt like it was time to start a new challenge in my football career. The option to play for Jamaica was presented to me at a special time. With the Women’s World Cup approaching, it’s the first time in history that Jamaica will be competing in this tournament and I feel like with my experience I can help strengthen the team if selected. When I was contacted by one of Team Jamaica’s coaching staff members about the possibility to represent Jamaica, I couldn’t pass up the opportunity. Inspiring and encouraging the younger generation is something I take pride in doing, so being one of the more experienced players on the squad allows me to give back in this way. In March I played my second international friendly for Jamaica and got my first start and assist against Chile. We won that game 3-2 and it was a great atmosphere to be in. Although I am new to the team, I am happy that it didn’t take long to develop a positive connection with my teammates and I am glad that I was able to help contribute to our win.

7./ 8.  The development of Jamaican football has came a long way. A few years ago the women’s team did not exist for quite some time. Cedella Marley and the Bob Marley Foundation helped fund the women’s national team program and get it running again. If it weren’t for them, we wouldn’t be here so I commend them for their continuous support for our team. Now there is tremendous support across Jamaica and the rest of the world especially after qualifying for the World Cup. Our two victories against Chile back in February and March were amazing and we had a lot of love and support from our fans. I must say in terms of popularity it has sky rocketed in Jamaica!

9. We are known for our creativity on the field and how hard we work. Expect to be entertained when you watch us play!

10. We are expected to be looked at as underdogs since we are the lowest ranked country in the tournament. The public eye can expect us to play with our hearts as if every game is our last game playing football. That’s the mentality we will have and if we stick with that, we will make it out of the group stages. 

Zur Person: Die Fragen stellte Endreas Müller, der zur Redaktion von 120Minuten gehört.

Foto: Sandro Halank/ Wikimedia Commons

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Hoch-professionelle Fußball-Romantik – revisited

Liga 3 – ein Saisonrückblick

Vor dem Beginn der Drittligaspielzeit 2015/2016 gingen wir hier bei 120minuten der These auf den Grund, ob die 3. Liga interessanter und relevanter wäre denn je. Wir beleuchteten die dritthöchste deutsche Spielklasse hinsichtlich ihrer fußballerischen Qualität, schauten auf die wirtschaftliche Situation und ließen natürlich auch die Fan-Perspektive nicht zu kurz kommen. Inzwischen ist die letzte Minute gespielt, das letzte Tor geschossen und die letzte Entscheidung hinsichtlich des Aufstiegs in die 2. Bundesliga gefallen – Zeit also, Bilanz zu ziehen.

In unserer Retrospektive auf die 3. Liga 2015/2016 gibt Sebastian Kahl eine sportliche Einschätzung der Spielklasse ab; Endreas Müller interviewte sowohl Fedor Freytag, der “Drittliga-Urgestein” FC Rot-Weiß Erfurt die Daumen drückt als auch Eric Spannaus, dessen SG Dynamo Dresden die Liga souverän in Richtung 2. Bundesliga verließ. Alex Schnarr sprach mit Frank Rugullis, seines Zeichens Leiter des Online-Bereichs bei MDR Sachsen-Anhalt, über die 3. Liga aus Medien-Perspektive, während Christoph Wagner die Spielzeit und insbesondere das hervorragende Abschneiden des 1. FC Magdeburg aus dem fernen Paris verfolgte und zum Abschluss des Textes seine Eindrücke schildert. Ist die 3. Liga also der Ort hoch-professioneller Fußballromantik?

Autoren: Sebastian Kahl (yyfp.rocks), Endreas Müller (endreasmueller.blogspot.de), Christoph Wagner (anoldinternational.co.uk) und Alex Schnarr (nurderfcm.de)

Die 3. Liga als Zweieinhalbklassengesellschaft

Das Klassement der 3. Liga lässt sich heuer in zweieinhalb Gruppen einteilen: An der Spitze zog Dynamo Dresden einsame Kreise. Am dritten Spieltag übernahm die SGD die Tabellenführung und gab sie nicht mehr ab. Nebenbei brach die Mannschaft von Uwe Neuhaus den vereinsinternen Rekord für den besten Saisonstart, blieb die ersten zwölf Partien ungeschlagen. Dresden stellt zwei der treffsichersten Stürmer, den (auch historisch) besten Vorlagengeber und insgesamt die beste Offensive der Liga. Der Aufstieg schien bereits frühzeitig gebucht. Einzig vor Weihnachten durchlebten die Schwarz-Gelben eine Schwächephase (fünf Unentschieden in Folge), wirkten etwas überspielt. Vier Spieltage vor Schluss war die Rückkehr in die 2. Bundesliga auch rechnerisch durch.  Weiterlesen

Hoch-professionelle Fußball-Romantik

Die 3. Liga startet mit der Saison 2015/2016 in ihre nunmehr achte Spielzeit und scheint sich inzwischen als dritte deutsche Profiliga weitgehend etabliert zu haben. Erstmals seit ihrem Bestehen weist sie außerdem acht ehemalige DDR-Oberligisten aus, die 25 Jahre nach der Wiedervereinigung zum ersten Mal in einer Profiliga um Punkte kämpfen. Hinzu kommen Traditionsvereine wie der SC Preußen Münster oder der SC Fortuna Köln – man könnte also meinen, dass die 3. Liga 2015/2016 interessanter und relevanter ist denn je. Der Frage, ob dem wirklich so ist, versuchen wir im folgenden Beitrag auf den Grund zu gehen.

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Fernab der Champions League

Ortsbesuch beim FC Brasov. Die Schwergewichte des europäischen Fußballs sind für den kleinen Verein aus Siebenbürgen, der ums Überleben in der 1. rumänischen Liga kämpft, unerreichbar – das war nicht immer so. Ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart des Vereins erzählt viel über den Status Quo des rumänischen Fußballs.

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