a Tom Seiss – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Fri, 28 Jun 2019 12:37:29 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe F https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-f/ https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-f/#respond Thu, 06 Jun 2019 07:00:54 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6055 Weiterlesen]]> Auf den ersten Blick sind die Rollen in der Gruppe F klar verteilt: Mit den USA als amtierenden Weltmeisterinnen und Schweden, die sich den Titel bei diesem Turnier selbstbewusst zutrauen, sind gleich zwei starke Gegner vertreten. Doch auch Chile möchte bei der ersten WM-Teilnahme überhaupt eine gute Rolle in dieser Gruppe spielen. Für Thailand geht es als Erstes darum, endlich einen Turniersieg zu erzielen – weitere Ziele anschließend nicht ausgeschlossen.

USA: Viel Druck für die amtierenden Weltmeisterinnen

Die Vereinigten Staaten von Amerika: „The land of the free and the home of the brave …“ – Mittlerweile steht diese Zeile aus der US-amerikanischen Nationalhymne für den Einsatz für Bürgerrechte und Demokratie. Werte, die momentan in Gefahr sind. Eine, die frei und tapfer für diese Werte einsteht, ist Megan Rapinoe. Und manchmal bedeutet, für etwas einzustehen, niederzuknien.

Dies tat Rapinoe 2016 beim Spiel der Seattle Reign gegen die Chicago Red Stars, als – wie vor jedem Spiel der National Women’s Soccer League (NWSL) – die Nationalhymne gespielt wurde. Nach dem Spiel kommentierte sie ihre Geste kurz und knapp: Es sei das Mindeste, was sie als Weiße tun könne, um den durch Quarterback Colin Kaepernick begonnenen Protest schwarzer Sportler*innen gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze zu unterstützen.

Eine, die voran geht: Megan Rapinoe. (Foto: Tom Seiss)

Die amerikanische Nationalmannschaft hat viele Superstars. Alex Morgan und Carli Lloyd sind Namen, die selbst in Deutschland einigen Menschen geläufig sind. Begnadete Offensivspielerinnen, Idole, Fußballmillionärinnen. Auch Megan Rapinoe gehört in diese Kategorie. Und doch hat sie etwas an sich, das sie abhebt.

Rapinoe liest das Spiel, verteilt die Bälle und gehört gemeinsam mit Portlands Tobin Heath und Chelseas Magdalena Eriksson zu den drei besten Eckballkünstlerinnen der Welt. Ihre größte Stärke aber ist ihre Unausrechenbarkeit. Gegenspielerinnen verzweifeln regelmäßig an Rapinoes schlitzohrigen Pässen. Sie kann aus jeder Position aufs Tor schießen oder eine Mitspielerin bedienen. Mit 33 Jahren ist Megan Rapinoe aktuell in der Form ihres Lebens.

Sportbegeistert und vielseitig war die Kalifornierin schon immer. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Rachael spielte sie von klein auf Fußball, vorwiegend in Mannschaften, die ihr Vater trainierte. Auch in Basketball und im Laufen brachten die Schwestern Rapinoe gute Leistungen.

Engagiert für LGBT-Rechte und Frauenfußball

Die NWSL wurde 2013 als Nachfolgerin der beiden ebenfalls professionellen Vorgängerligen WUSA (Women’s United Soccer Association, 2001-2003) und WPS (Women’s Professional Soccer, 2009-2011) ins Leben gerufen. Rapinoe spielte bis zur Schließung der WPS für drei verschiedene Franchises, wechselte 2011 für zwei Spiele zu Sydney FC und kehrte anschließend in die USA zurück, um sich auf die Olympischen Spiele 2012 vorzubereiten. Das im US-Sport gängige Draft-System, in dem Spieler*innen einem Team zugewiesen werden, brachte Rapinoe in der allerersten Saison der NWSL nach Seattle. Seitdem spielt sie für Reign FC, die bis letzte Saison noch Seattle Reign hießen.

2013 und 2014 lief sie außerdem für Olympique Lyon auf und stand unter anderem in dem Champions-League-Finale, das Lyon gegen den VfL Wolfsburg verlor. Der Spielmodus der NWSL ermöglicht es Spielerinnen, jedes Jahr für mehrere Monate ins Ausland zu wechseln. Neben der französischen und der schwedischen Liga – früher auch der Bundesliga – ist die australische W-League seit einigen Jahren das beliebteste Ziel vieler NWSL-Spielerinnen.

Megan Rapinoe gehört zu den bekanntesten Persönlichkeiten Seattles. Sie engagiert sich seit Jahren für LGBT-Rechte und Frauensport in Seattle. Und mit Basketballstar Sue Bird hat sie eine Lebenspartnerin, die ihr in ihren Kämpfen um Gleichberechtigung kompromisslos zur Seite steht. Der aktuellste dieser Kämpfe hat jüngst erneut weltweit Schlagzeilen gemacht: Bereits vor den Olympischen Spielen 2016 legten Megan Rapinoe, Alex Morgan, Carli Lloyd, Becky Sauerbrunn und Hope Solo (Karriere beendet) bei der Equal Employment Opportunity Commission (Bundesbehörde zur Durchsetzung von Bürgerrechtsgesetzen gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz) offiziell Beschwerde wegen Lohndiskriminierung ein. Sie verdienten oft nur die Hälfte oder weniger als die Hälfte als die Spieler der Männernationalmannschaft.

So würden das Team um Megan Rapinoe gerne wieder jubeln. (Foto: Tom Seiss)

Eine Kommission erteilte den Spielerinnen im Februar 2019 das Recht, zu klagen. Am 8. März 2019 reichten dann alle aktuellen Nationalspielerinnen der USA eine Sammelklage gegen die United States Soccer Federation, den US-amerikanischen Fußballverband, ein. Rapinoe und ihre 27 Teamkolleginnen machen den Verband für systematische Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verantwortlich. Im Vergleich mit der in den USA weniger erfolgreichen Männerfußballnationalmannschaft hätten die Frauen erheblich schlechtere Reise- und Trainingsbedingungen. Außerdem erhielten sie geringere Prämien, obwohl sie höhere Einnahmen und Zuschauerzahlen generierten. Eine Entscheidung über die Klage steht noch aus. Sie wird vermutlich erst nach der Weltmeisterschaft in Frankreich fallen.

Das Turnier in Frankreich wird Rapinoes dritte und wahrscheinlich letzte Weltmeisterschaft sein. Als amtierende Weltmeisterinnen und Weltranglistenerste sind die Amerikanerinnen der klare Titelfavorit. Nach den französischen Fans haben sich amerikanische Fans mit Abstand die meisten WM-Tickets gesichert – das Gruppenspiel USA gegen Schweden war als eine der ersten Begegnungen ausverkauft. Viel Druck für die Frauen von Trainerin Jill Ellis. Nach einer mühelosen WM-Qualifikation, bei der bis auf Kanada kein Gegner eine ernsthafte Herausforderung war, gerieten die dreimaligen Weltmeisterinnen Anfang des Jahres bei einem Testspiel gegen Frankreich ins Straucheln.

Auch der heimische „SheBelievesCup“ – einem aus vier Nationalteams bestehenden Einladungsturnier – konnte nicht gewonnen werden. Angesichts der individuellen Stärke der Spielerinnen zeigten die USA erstaunliche Abwehrschwächen. Der Offensive fehlte häufig die gewohnte Durchschlagskraft. Megan Rapinoe ist tapfer und sie ist frei. Es steht außer Frage, dass sie dazu in der Lage ist, gleichzeitig Vorkämpferin für sozialen Wandel zu sein und den Titel zurück in die USA zu holen.


Zur Person: Ellen Hanisch schreibt als Journalistin über den nationalen und internationalen Fußball. Sie gehört zum Podcast-Kollektiv FRÜF und betreibt die Seite Fußballthesen.

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Thailand: Mit einem Sieg das Minimalziel erreichen

Thailand, das Land des Lächelns. Thailand, das Land, das zum zweiten Mal in Folge seine Frauen-Nationalmannschaft zu einer Fußball-WM schickt. Was das miteinander zu tun hat? Beides spiegelt nicht die Realität und die eigentlichen Verhältnisse wider. Nicht jede*r Thai wird einem auf den Straßen Bangkoks mit einem echten Lächeln begegnen. Und nur, weil das Team sich zweimal nacheinander für eine WM qualifizieren konnte, heißt es nicht, dass sich im Land des Asienmeisters von 1983 sportlich etwas tut.

Aufgrund der Kräfteverhältnisse im asiatischen Frauenfußball war klar, dass man es 2015 nur über ein Spiel um Platz 5 gegen den Erzrivalen aus Vietnam nach Kanada schaffen könnte. Vier Jahre später hatte Thailand viel leichteres Spiel – und Losglück. Vor den Philippinen und Jordanien sicherte man sich Platz 2 in der Vorrunde der Asienmeisterschaft und hatte sich damit schon für Frankreich qualifiziert. Wären die Thais an der Stelle Vietnams in der anderen Gruppe mit Japan, Australien und Südkorea gewesen, hätten sie diesen Sommer wohl allenfalls eine Urlaubsreise nach Europa buchen können.

International erfahrenes Team

Hoffte man nach 2015 im Zuge der erstmaligen Teilnahme an einer WM auf einen Schub im eigenen Land, so muss man konstatieren, dass dieser ausblieb. Es regiert Stillstand statt Fortschritt. Das Interesse am Frauenfußball ist fast nicht existent und der Verband tut wenig bis nichts, um dies zu ändern. Eine nationale Liga findet nur sporadisch statt und hat eher Alibicharakter, um zum Beispiel die FIFA als Geldgeber zufriedenzustellen.

Das macht sich auch am Team von Trainerin Nuengruethai Sathongwien, welches im Großen und Ganzen fast noch das gleiche ist wie in Kanada, bemerkbar. Ohnehin besteht es im Kern aus Spielerinnen, die so schon seit den frühen 2000er Jahren zusammenspielen. Entsprechend international erfahren ist die Mannschaft um Kapitänin Sunisa Srangthaisong, die mit über 100 Länderspielen hervorsticht.

Das thailändische Nationalteam im Jahr 2015. (Foto: Sven Beyrich)

Erstmals bei der WM dabei sein wird Pitsamai Sornsai. Die inzwischen 30-Jährige galt einst als eines der größten Sturmtalente und ist mit über 45 Toren die erfolgreichste Torschützin Thailands. 2013 wechselte sie nach Japan und zog sich dort gleich in einer der ersten Saisonspiele eine schwere Knieverletzung zu. Nachdem sie sich zurückgekämpft hatte, erlitt sie das gleiche Schicksal erneut, was ihre Hoffnung auf eine Teilnahme an der WM 2015 zunichtemachte. Der Australier Spencer Prior, Trainer der Nationalmannschaft von 2016 bis 2017, formte aus der einstigen Stürmerin eine Verteidigerin mit Drang für die Offensive. Unter der alten-neuen Cheftrainerin Sathongwien wird Sornsai inzwischen sowohl im Mittelfeld als auch wieder im Sturm eingesetzt. Neu im Team ist unter anderem die Thai-Amerikanerin Miranda Nild die mit ihrer großen und wuchtigen Statur eine neue physische Komponente in das Angriffsspiel der Thailänderinnen bringt.

Die Elf definiert sich über Kampfgeist und mannschaftliche Geschlossenheit. Vor allem, wenn es gegen überlegene Gegner geht. An guten Tagen bringen sie dann schon mal Australien an den Rand einer Niederlage, wie zuletzt im Halbfinale der Asienmeisterschaft. Gegen gleichwertige oder schwächere Gegner zeigt Thailand gerne sein spielerisches Potenzial, welches von vielen Ballstafetten und Kurzpassspiel geprägt ist, solange sie nicht dabei gestört werden. Im Mittelfeld zieht Silawan Intamee die Fäden, die ihre Stärken auch und vor allem bei Standards hat. Bei Kontern sollte man auf Kanjana Sungngoen achten. Inzwischen 32 Jahre alt, hat sie von ihrer Schnelligkeit auf dem Flügel im Vergleich zu 2015 nur wenig eingebüßt.

In Sachen Gegnerinnen kann einem die Nationalmannschaft Thailands fast ein wenig leidtun: Zwar gelang vor vier Jahren der erste historische Sieg bei einer WM, man traf aber bei der Premiere gleich auf den damaligen Weltranglistenbesten – Deutschland. Dazu gesellten sich Norwegen und die Elfenbeinküste. Ganz schön hart für einen Neuling. Dass es noch einmal eine Spur härter geht, zeigte die Auslosung zur WM 2019. Abermals ist es an Thailand, sich mit der Nummer 1 der Welt zu messen – diesmal werden es die USA sein. Und sowohl Schweden als auch Chile sind, was die Schwierigkeit angeht, erneut eine Steigerung zu 2015.

Die gute Nachricht für Thailand bei dieser WM lautet, dass man das Turnier nach den beiden harten Spielen und zu erwartenden Niederlagen gegen die USA und Schweden mit einem positiven Abschluss verlassen könnte, in dem man den letzten Gruppengegner, Chile, bezwingt. Wie schon 2015 hätte man so das Minimalziel erreicht und könnte Frankreich mit einem Lächeln verlassen. Das Traumziel Achtelfinale wird aber mindestens noch weitere vier Jahre auf sich warten müssen. Dann aber mit einer neuen Generation an Spielerinnen.



Zur Person: Sven Beyrich ist Experte in Sachen asiatischem und Frauen-Fußball und eine Hälfte des Podcasts Lottes Erbinnen.

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Chile: Heimvorteil für die Torhüterin Christiane Endler

Der chilenische Fußball fiel in der jüngeren Vergangenheit durch Überraschungssiege bei der Copa America gegen den Favoriten Argentinien auf. Blickt man etwas weiter zurück in die 1990er Jahre, kommen Erinnerungen an Ivan „der Schreckliche“ Zamorano hoch, der beim FC Sevilla, bei Real Madrid sowie Inter Mailand vor allem per Kopf für Torgefahr sorgte. Und das bei 1,78m Körpergröße.

Bei den chilenischen Frauen sucht man vergebens eine Nachfolgerin für Zamorano. Zumindest im Sturm. Im Tor steht dagegen mit Christiane Endler eine Weltklasse-Spielerin. Die chilenische Nationaltorhüterin hat eine illustre Reise hinter sich, hat sie doch bereits für Everton und Colo-Colo in ihrem Heimatland Chile gespielt, bevor sie im Dienste von Chelsea den europäischen Fußball hautnah erlebte. Nach erneut Colo-Colo, dann Valencia in Spanien, trägt sie nun seit 2017 die Nummer 16 im Tor der Frauen von Paris Saint-Germain.

Ihr Name klingt sehr deutsch: Endlers Vater ist Deutscher, ihre Mutter Chilenin. Schon früh zeigte sich ihr sportliches Talent und sie entschied sich letztlich für den Fußball. Einer ihrer früheren Trainer entschied sich, sie als Torhüterin aufzustellen. Es zahlte sich aus, denn 2008, als 17-Jährige, spielte Endler bei der U-20 WM im eigenen Land. Damals musste ihre Mannschaft mächtig Lehrgeld zahlen: Alle drei Vorrundenspiele gingen verloren. England, Neuseeland und Nigeria waren zu stark. Im Spiel gegen England stand 2008 auch eine gewisse Steph Houghton auf dem Platz, die ihre Mannschaft 2019 in Frankreich als Kapitänin aufs Feld führen wird.

Hält bei PSG und in der Nationalmannschaft den Kasten sauber: Christiane Endler. (Foto: Tom Seiss)

Die Pariser stehen währenddessen vor einem Luxusproblem, denn mit Christiane Endler und der Polin Katarzyna Kiedrzynek stehen zwei der besten Torhüterinnen im Dienste von PSG. Natürlich belebt Konkurrenz das Geschäft – und ganz unzufrieden ist Endler nicht mit der Situation, denn nur so kann sie sich weiterentwickeln. Es herrscht eine gesunde Rivalität und beide Spielerinnen arbeiten zusammen, um sich zu verbessern, so Endler. Bevor sie nach Paris zog, wurde sie in Spanien für Valencia spielend zur besten Torhüterin gewählt. Dort hatte sie die beste Gegentore-pro-Spiel-Quote während der Saison 2016/17: Nur neun Tore kassierte sie, in 23 Spielen.

Zuversicht trotz Mangels an Erfahrung

Auch in diesem Jahr wurde sie von ihren Kolleginnen und Trainern zur besten Torhüterin der Saison gewählt. Zuvor wurde sie zwischen 2008 und 2017 zur besten chilenischen Spielerin gekürt. Zudem hat Endler mehrfach die Meisterschaft in Chile gewonnen, sowie auch die Copa Libertadores mit ihrem Heimatverein Colo-Colo. Ganz in der Tradition ihrer deutschen Vorfahren wird ihr Spiel mit dem von Manuel Neuer verglichen und obendrein ist Oliver Kahn ihr Vorbild.

Für sie ist PSG einer der größten Clubs der Welt, und somit war der Wechsel nur logisch. Aber wie sieht es aus mit PSG? Im Fußball zählen nur Titel; davon hat PSG außer einem Pokalsieg 2018 wenig vorzuweisen. Auch in der abgelaufenen Spielzeit war Lyon in der Meisterschaft einfach stärker und deklassierte PSG um fünf Punkte im Titelrennen. In der Champions League war im Viertelfinale gegen Chelsea Schluss. Das Ausscheiden war besonders bitter, da Chelsea erst in der Nachspielzeit zum 1:2 verkürzen konnte und somit über die Auswärtstorregel weiterkam. Trotzdem gehört Paris Saint-Germain zu einer der Top-Adressen im Fußball, auch bei den Frauen. Weshalb es für Endler klar war, nach Frankreich zu wechseln.

Chile wird zum ersten Mal bei einer WM dabei sein und Endler ist zuversichtlich, dass die Mannschaft sich gut schlagen wird, trotz des Mangels an Erfahrung. Sie spricht in einem Interview davon, dass ihr Team sich auf das Turnier freue, fügt aber auch hinzu, dass die Gruppe mit den USA, Thailand und Schweden keine einfache sei. Endler selbst wird beim Turnier einen Heimvorteil haben, spielt sie doch in Paris und kennt demzufolge die Stadien und die Atmosphäre.

Zur Person: Christoph Wagner forscht, schreibt über Fußball und gehört zur Redaktion von 120minuten.

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Schweden: Die Welt verbessern, den Titel gewinnen

Die schwedische Frauenfußball-Nationalmannschaft möchte bei dieser Weltmeisterschaft endlich wieder zu den Top-Teams gehören. Unterlag man bei der letzten WM in Kanada 2015 im Achtelfinale mit 1:4 ausgerechnet Deutschland, so soll dieses Jahr der Titel her. Dabei wird Nilla Fischer vom Bundesligisten VfL Wolfsburg eine wichtige Rolle spielen. Die 34-Jährige ist eine, die vorangeht – auf und neben dem Platz. 2001 debütierte das gerade einmal 16 Jahre junge Talent während eines Wintertrainingslagers gegen Norwegen in der schwedischen A-Nationalmannschaft. Insgesamt kommt die Innenverteidigerin seitdem auf 175 Einsätze für die A-Nationalmannschaft. Ihren größten Erfolg mit der „Natio“ feierte sie bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro, als sie im Schweden-Dress die Silbermedaille gewann – auch damals unterlag man im Finale den Deutschen mit 1:2.

Über Verums GOIF und Vittsjö GIK gelang ihr 2000 der Wechsel zum Kristianstad DFF, bei dem sie erstmals in Schwedens höchster Frauen-Spielklasse auflief. Nur drei Jahre später schaffte sie den Sprung zu Malmö FF, jetzt bekannt als FC Rosengård. 2010 gewann sie mit dem Klub ihre erste schwedische Meisterschaft und verteidigte den Titel prompt im Jahr darauf, 2012 folgte der Wechsel zu Linköpings FC. Fischer, die sich zu einer gestandenen Innenverteidigerin entwickelte, machte mit tollen Leistungen auf sich aufmerksam und wurde zur Saison 2013/2014 vom damaligen Wolfsburg-Trainer Ralf Kellermann, der gleichzeitig als sportlicher Leiter agierte, ablösefrei in die Autostadt gelotst – für beide Seiten ein wahrer Glücksgriff. Fischer etablierte sich unmittelbar als Führungsspielerin und war jahrelang Kapitänin der „Wölfinnen“. Mit dem VfL holte sie in sechs Jahren satte zehn Titel: einmal die Champions League, viermal die Deutsche Meisterschaft und stolze fünfmal den DFB-Pokal.

Starke Performance auf und neben dem Platz: Nilla Fischer. (Foto: Tom Seiss)

Während die schwedische Liga zwischen 2002 und 2008 lange zu einer der besten der Welt zählte – Umeå IK stand in der Zeit fünf Mal im Finale Women’s Cup – und Spielerinnen wie Marta ausbildete, muss sich die „Damallsvenskan“ (Dam = Frauen und Allsvenskan = Name der Herren-Liga) mittlerweile hintenanstellen. Länder wie Deutschland, England, Spanien und Frankreich haben wirtschaftlich aufgeholt und locken mit ihren attraktiven Gesamtpaketen die Top-Talente der schwedischen Liga. Infolge der Abwanderung prominenter schwedischer Spielerinnen aus der geringer budgetierten Damallsvenskan, bauen die Teams nun vermehrt auf die Ausbildung und Förderung ihrer eigenen Jung-Talente. Die Spannung in der Liga ist jedoch auch ohne prominente schwedische Weltklassespielerinnen garantiert: So schaffte es beispielsweise ein gesetzter Abstiegskandidat wie Limhamn Bunkeflo die vermeintlich „Großen“ des FC Rosengård zu Hause mit 3:2 zu schlagen. 2018 wurde mit Piteå IF eine Mannschaft Meister, deren Spielerinnen parallel zum Sport arbeiten beziehungsweise studieren.

Engagement über das Spiel hinaus

Auch wenn es sich bei Fußball um eine Berufung handelt, so gibt es Momente, in denen der Sport in den Hintergrund gerät. Und so ist Fußball nicht mehr alles im Leben der Nummer 4 des VfL Wolfsburg. Die Prioritäten der Abwehrspielerin änderten sich am 25. Dezember 2017, als Ehefrau Maria Michaela, die sie 2013 heiratete, Söhnchen Neo zur Welt brachte. „Neo rules the world“, sagte sie damals in einem Interview. Daraus resultierte auch der Entschluss, nach der laufenden Saison nach Schweden zurückzukehren. Bei den Wolfsburgerinnen lief ihr Vertrag ursprünglich regulär noch bis 2020, die Innenverteidigerin machte aber von der Ausstiegsklausel Gebrauch, die ihr eine vorzeitige Rückkehr nach Schweden zur Saison 2019/2020 ermöglichte. Sie unterschrieb einen Zwei-Jahres-Kontrakt bei Linköpings FC. „Ich habe sonst immer meine Entscheidungen als Fußballerin getroffen, dieses Mal habe ich mich aber als Mutter zu diesem Schritt entschlossen, weil es für uns wichtig ist, dass unser Sohn im familiären Umfeld aufwächst“, begründete die 34-Jährige den vorzeitigen Wechsel zurück in die Damallsvenskan.

Fischer wird nicht nur spielerisch eine große Lücke hinterlassen. Auch menschlich hat sie viel bewegt – in Wolfsburg und ganz Deutschland, in Teilen sogar auf der ganzen Welt: Seit dieser Saison laufen alle Spielführer*innen des VfL Wolfsburg mit einer Regenbogen-Kapitänsbinde auf. Der Verein will damit ein klares Zeichen gegen Ausgrenzung und Homophobie und für die Vielfalt im Fußball setzen. Initiiert hat das ganze Fischer, die sich seit Jahren für die Rechte und die Anerkennung Homosexueller einsetzt. Im März 2017 trat die Fußballerin im Rahmen der „Internationalen Wochen gegen Rassismus“ an ihren Verein heran und bat darum, eine Regenbogen-Kapitänsbinde tragen zu dürfen. „Der Regenbogen symbolisiert Stolz, Vielfalt und Respekt füreinander. Im Fußball machen wir uns oft gegen Rassismus stark, was großartig ist. Aber mir ist es wichtig, das große Ganze zu betrachten, und da müssen wir auch Homophobie und Sexismus ins Blickfeld nehmen“, sagte sie damals.

„Hört niemals auf, Fußball zu spielen und hört niemals auf, für Gleichberechtigung zu kämpfen.“ (Foto: Tom Seiss)

Als sie 2018 zu Schwedens Fußballerin des Jahres und zur besten Verteidigerin Schwedens gekürt wurde, hielt sie bei der Gala des schwedischen Fußball-Verbandes eine bewegende Rede und sprach über die ungleiche Bezahlung im Männer- und Frauensport: „Ungerechtigkeit tut weh! Würde ich heute hier als Mann stehen, mit der Karriere, die ich gehabt habe, bräuchte ich mir keine ökonomischen Sorgen mehr machen, auch meine Kinder nicht. Wir spielen, weil wir den Sport lieben. Deshalb möchte ich euch Mädchen sagen: Hört niemals auf, Fußball zu spielen und hört niemals auf, für Gleichberechtigung zu kämpfen.“

Fischer hat die Ansichten einer ganzen Stadt nachhaltig verändert. Sie hat etwas bewegt. Sie hat unermüdlich gekämpft und sich eingesetzt. Sie hat eine Verbindung hergestellt, denn der Regenbogen, ein starkes Zeichen für Akzeptanz, ist aus Wolfsburg nicht mehr wegzudenken. Diese Werte verkörpert sie auch als eine der Leistungsträgerinnen der schwedischen Frauenfußball-Nationalmannschaft. Es ist davon auszugehen, dass die Innenverteidigerin auch bei der nun anstehenden Weltmeisterschaft in Frankreich, die wohl gleichzeitig ihr letztes großes Turnier sein wird, ein weiteres (Ausrufe-) Zeichen setzen wird. Sie wird alles dafür geben, mit ihrem Team in diesem Jahr endlich den lange ersehnten ersten Weltmeistertitel zu gewinnen – und ihre internationale Karriere noch ein (letztes) Mal zu krönen.


Zur Person: Jasmina Schweimler schreibt als Journalistin unter anderen für die WAZ und den Sportbuzzer über Frauenfußballer und gehört zum Podcast-Kollektiv-FRÜF.

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WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe E https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-e/ https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-e/#respond Wed, 05 Jun 2019 07:00:28 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6054 Weiterlesen]]> Eine lebende Legende, eine 22jährige Stürmerin, die bereits ein Buch veröffentlicht hat, eine Naturgewalt und eine große Unbekannte – die Paarungen in Gruppe E versprechen schon allein aufgrund der ganz unterschiedlichen Protagonistinnen jede Menge Unterhaltung. Das Topspiel der Gruppe lautet Kanada gegen die Niederlande, letztere sind immerhin amtierende Europameisterinnen.

Christine Sinclair – Die Bomberin aus Burnaby

Bei der Frage nach dem besten Nationalmannschaftsstürmer aller Zeiten wird manch einer sicher reflexhaft Gerd Müller antworten. Oder vielleicht Cristiano Ronaldo. Naheliegende Gedanken, zweifelsohne. Doch Gerd Müller ist nicht mal in mehr Deutschland der treffsicherste Internationale. Miroslav Klose hat den Münchner kurz vor seinem Karriereende überholt und insgesamt 71 mal für Deutschland getroffen. Ronaldo liegt mit 85 Toren hinter Ali Daei (109) auf Platz zwei der Liste – zumindest bei den Männern. Denn die erfolgreichsten Schützen bei den Nationalmannschaften sind allesamt Frauen. Gleich 17 Damen haben mehr als 100 Mal für ihr Land getroffen. Über allen steht die US-Amerikanerin Abby Wambach mit 184 Treffern.

Noch. Denn bei der Weltmeisterschaft in Frankreich könnte es ein Wachablösung geben. Die Kanadierin Christine Sinclair schickt sich an, die Spitzenposition in der ewigen Bestenliste zu übernehmen. Aktuell steht die Stürmerin, die 1983 in Burnaby geboren wurde, bei 181 Toren für Kanada.

“Nur noch zehn”

Die Frage nach dem Rekord verfolgt Sinclair schon eine ganze Weile. Als sie ihren 175. Treffer erzielte, riefen ihre Mitspielerinnen: “Nur noch zehn”. Seit vergangenem Herbst ist das Thema omnipräsent. Und scheint Kanadas Kapitänin ein wenig zu nerven. “Hey, du könntest die meisten internationalen Tore aller Zeiten geschossen haben” sagte sie dem Portal Maclean’s. “Das wäre ein schöner Nebeneffekt. Aber darauf lag nie mein Fokus.” Sinclair hofft, die Marke bald erreicht zu haben, damit sie und ihre Teamkolleginnen sich dann wieder auf das Wesentliche konzentrieren können.

Das Wesentliche ist die Weltmeisterschaft in Frankreich. Dort will die 35-Jährige mit ihrem Team möglichst weit kommen. Selbst der Titelgewinn erscheint nicht völlig utopisch. Immerhin gewann Kanada bei den Olympischen Spielen in Rio und London die Bronzemedaille und erreichte bei der Heim-WM vor vier Jahren das Halbfinale. Zudem hat Sinclair mit dem FC Gold Pride, Western New York Flash, und mit dem Portland Thorns FC insgesamt vier Meisterschaften in der amerikanischen Profiliga gewonnen.

Ungewöhnliche Abgeklärtheit

An Erfolge mit der Nationalmannschaft war in keinster Weise zu denken, als Sinclair vor gut 20 Jahren ihre Profikarriere begann. Entdeckt wurde sie vom Norweger Even Pellerud, dem damaligen Nationaltrainer Kanadas. Mit 16 lief sie das erste Mal für ihr Land auf – beim Algarve-Cup in Portugal. Bereits im zweiten Länderspiel gegen Norwegen gelang ihr der erste Treffer. Schon damals bewies Sinclair eine für ihr Alter ungewöhnliche Abgeklärtheit, erinnern sich Weggefährtinnen.

So berichtet die frühere kanadische Nationaltorhüterin Karina LeBlanc von einer Trainingszene, in der Sinclair mit extremer Ruhe von der Ecke des Fünf-Meter-Raums gegen sie traf. “Normalerweise würden Jugendliche den Ball in der Position einfach auf das Tor hämmern. Das macht es für die Torhüter leicht, sich davor zu werfen. Aber Sinclair agierte gelassen, als wäre sie schon ewig dabei”, so LeBlanc.

Keine einfachen Tore

Als Sinclairs Karriere begann, spielte Kanada in der Frauen-Fußballwelt nur die zweite Geige. Wenn überhaupt. Denn hin und wieder setzte es gegen die “Großen” richtige Klatschen. Auch wenn Kanada mittlerweile auf Platz 5 der Weltrangliste steht, ist es doch sehr erstaunlich, dass Sinclair auf diese hohe Zahl an Toren kommt. Kanadas Nationaltrainer Kenneth Heiner-Moller sagt: “Die USA gehörten schon immer zu den führenden Nationen im Frauen-Fußball. Deshalb haben sie früher auch oft zweistellig gewonnen. So kam Wambach zu vielen einfachen Treffern.” Dagegen habe Sinclar für ihre Treffer sehr hart arbeiten müssen.

Die Beste der Welt

Sinclair zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie sich selbst nicht so wichtig nimmt. Der Teamerfolg steht für sie über allem. Wenn eine Mitspielerin besser postiert ist, verzichtet die Stürmerin uneigennützig auf den Abschluss. Als sie 2017 mit dem Order of Canada geehrt wurde, erzählte sie ihren Teamkolleginnen nicht mal davon. Und Sinclair ist nicht nur eine Angreiferin mit Torgarantie, sondern auch eine exzellente Spielmacherin. 56 Assists belegen das.

Die frühere US-Nationaltorhüterin Hope Solo lobte sie 2014 deshalb in höchsten Tönen: “Sie liest das Spiel, sie passt, bereitet Treffer vor und ist gefährlich, sobald sie an den Ball kommt. Ich schaue zu ihr auf und bewundere sie als Spielerin.” Solo hielt Sinclair damals für die beste Spielerin der Welt – eine Einschätzung, der heute sicher immer noch viele folgen würden.

Ein Vorbild für Kanada

Und auch wenn Christine Sinclair der Torrekord nicht sonderlich wichtig ist, gibt es doch einige, die sich sehr darüber freuen würden. Zum Beispiel der Trainer des kanadischen Männerteams, John Herdman: “Wir wollen,dass man sich an sie als die Beste aller Zeiten erinnert. So dass Kanada sagen kann: Wir haben das geschaffen. Und weil wir eine Spielerin wie sie hervorgebracht haben, können wir noch mehr Spielerinnen wie sie entwickeln.” Sollte Sinclair den Torrekord aber doch verpassen und auch nicht Weltmeisterin werden, wird sich an ihrer Bedeutung für den Sport nichts ändern. Denn Christine Sinclair ist schon jetzt ein Idol, an dass man sich noch in Jahrzehnten erinnern wird – Geschichtsbücher hin, Bestenliste her.

Zur Person: Oliver Leiste ist Redaktionsmitglied bei 120minuten und als Sportjournalist für MDR Sachsen und MDR Sachsen-Anhalt tätig.

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Gaëlle Enganamouit – erste afrikanische Torschützenkönigin der höchsten schwedischen Liga

Gaëlle Enganamouit ist eine Naturgewalt. Sie rauscht über das Spielfeld, unbeirrt und zielstrebig, das gegnerische Tor im Visier. Gegenspielerinnen betrachtet die kamerunische Starstürmerin dabei zuweilen als Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden müssen – Fans des FFC Frankfurt erinnern sich bis heute an das denkwürdige Champions-League-Viertelfinale im März 2016 gegen den FC Rosengård. Enganamouit, von ihren Fans liebevoll freight train (Güterzug) getauft, war in beiden Spielen derart unbeirrt und zielstrebig, dass sie im Rückspiel das gesamte Frankfurter Stadion am Bretanobad gegen sich aufbrachte.

Gaëlle Enganamouit im Spiel gegen den FFC Frankfurt 2016 (Foto: Tom Seiss)

Schon als Kind war Gaëlle Enganamouit nicht zu bremsen. Sie wollte Fußball spielen und sie tat es. Nicht einfach, in einer Gesellschaft, die für Mädchen vieles vorsah, von dem nichts auch nur im Entferntesten mit Fußball zu tun hatte. Gaëlle war die einzige von sechs Schwestern, die mit einem Ball und den beiden Brüdern die Nachbarschaft in Kameruns Hauptstadt Yaoundé aufmischte. Die Eltern waren wenig begeistert, sie sahen die Schulausbildung ihrer jüngsten Tochter in Gefahr. Und sie sollten recht behalten.

Als Enganamouit bei der WM 2007 Schwedens Mittelfeldregisseurin Caroline Seger im Fernsehen sah, fasste sie den Entschluss, eines Tages in Schweden zu spielen. Seger war überall und dirigierte mit nur 22 Jahren das Spiel ihrer Nationalmannschaft. Zwei Jahre darauf schloss Enganamouit sich dem Hauptstadtclub Lorema FC Filles de Yaoundé an und der Schulabschluss war endgültig vom Tisch.

Seitdem ist Gaëlle Enganamouit eine Fußballweltreisende. Sie ist eine, die auffällt: 2012 schoss sie in ihrem ersten Spiel für den serbischen Verein Spartak Subotica 3 Sekunden nach Anpfiff ein Tor. Wie leider oft, wenn es um Frauenfußball geht, taucht der Treffer in den wenigsten Rekordtorlisten auf. Er ist aber auf YouTube zu sehen. Mit dem Wechsel zu Eskilstuna United erfüllte sich 2014 Enganamouits Traum von Schweden. In der Saison 2015 wurde sie mit 18 Treffern die erste afrikanische Torschützenkönigin der höchsten schwedischen Liga Damallsvenskan. Auf Platz 2 mit 17 Treffern – die Dänin Pernille Harder.

Bei der im selben Jahr ausgetragenen Weltmeisterschaft in Kanada knüpfte Enganamouit für ihr Nationalteam nahtlos an ihre herausragenden Leistungen in der schwedischen Liga an. Ihr erstes Länderspiel war ein 0:5 gegen Brasilien bei den Olympischen Spielen 2012. Das erste WM-Spiel überhaupt für „Les Lionnes Indomptables“ (Die unbezähmbaren Löwinnen) war gleichzeitig Enganamouits 23. Geburtstag. Mit einem Hattrick und zwei Assists katapultierte sie sich am 9. Juni 2015 in die Herzen der kamerunischen Fans.

Überhaupt, die WM 2015: Kamerun überraschte mit dem sensationellen Einzug ins Achtelfinale. In Gruppe C besiegten sie Ecuador und die als stärker eingeschätzte Schweiz und rangen dem damaligen Weltmeister Japan ein 1:2 ab. Das Aus im Achtelfinale gegen China war dann nicht mehr von Bedeutung. Die unbezähmbaren Löwinnen hatten der Welt gezeigt, wozu sie fähig waren: mitreißender Offensivfußball, Siegeswille und mit Ngono Mani und Gaëlle Enganamouit zwei der auffälligsten Spielerinnen des Turniers.

Noch im WM-Jahr wurde Gaëlle Enganamouit zu Afrikas Fußballerin des Jahres gewählt. Der kamerunische Ausnahmesstürmer Samuel Eto’o, neben der brasilianischen Weltfußballerin Marta eins der Fußballidole der 26-Jährigen, bedankte sich öffentlich bei Enganamouit und ihren Teamkolleginnen. Sie verkörperten die Wiedergeburt des kamerunischen Fußballs. Vor der Weltmeisterschaft waren zu den Länderspielen der unbezähmbaren Löwinnen höchstens 100 Zuschauer*innen gekommen. 2016, beim Afrika-Cup im eigenen Land, drängten sich bereits fünf Stunden vor Anpfiff des Finals gegen Nigeria (0:1) 40.000 Menschen ins Stadion.

Wird sich die WM in Frankreich ein weiteres Mal positiv auf den Frauenfußball in Kamerun auswirken? Die Bemühungen des Verbands scheinen vier Jahre nach der WM 2015 noch nicht weitreichend genug. Die heimische Liga „Championnat féminin D1“ ist weit davon entfernt, allen Spielerinnen professionelle Rahmenbedingungen und eine angemessene Bezahlung zu bieten. In den letzten beiden Jahren brachten mehrere kleinere Verletzungen Unruhe in Gaëlle Enganamouits Karriere. Nach einem Jahr bei Dalian Quanjian in der chinesischen Liga (2017-2018), einer Saison bei Avaldsnes IL in Norwegen (2018) und einem kurzen Aufenthalt bei Málaga CF Femenino 2019, ist die 26-Jährige zurzeit ohne Verein.

Enganamouits konnte sich dafür voll und ganz auf die WM-Vorbereitung mit Kamerun konzentrieren, das Anfang April erstmals am Vier-Nationen-Turnier in China teilgenommen und hinter den Gastgeberinnen den zweiten Platz belegt hat. Vor dem Turnier in Frankreich stehen die Kamerunerinnen auf Platz 46 der Weltrangliste. Gruppe E gehört mit Kanada, Kamerun, Neuseeland und den Europameisterinnen aus den Niederlanden zu einer der schwierigeren Gruppen. Der erneute Einzug ins Achtelfinale wäre eine kleine Sensation.

Gaëlle Enganamouit selbst denkt bereits an die Zukunft des kamerunischen Fußballs: Sie hat Anfang des Jahres die erste Fußballakademie für Frauen des Landes gegründet – die Rail Football Academy. Mit Gaëlle im Team könnten in diesem Sommer in Frankreich unbezähmbare Löwinnen brüllen.

Zur Person: Ellen Hanisch schreibt als Journalistin über den nationalen und internationalen Fußball. Sie gehört zum Podcast-Kollektiv FRÜF und betreibt FUSSBALLTHESEN.

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Neuseeland – die große Unbekannte

Von den „Football Ferns“, wie die neuseeländische Frauen-Nationalmannschaft genannt wird, spielen zahlreiche Spielerinnen im Ausland: Wer sein fußballerisches Talent entwickeln will, bleibt nicht. Einige Ehemalige und Aktive haben auch den Weg in die deutsche Frauenbundesliga gefunden. Unter anderem spielte die Rekordtorschützin der Neuseeländerinnen, Amber Hearn, viele Jahre in Jena, Nationalspielerin Paige Satchell spielt ab der Saison 2019/20 für die Frauen des SC Sand. In der abgelaufenen Saison war außerdem Meikayla Jean-Maree Moore in der AFBL aktiv.

Meikayla Moore wurde am 4. Juni 1996 Jahren in Christchurch geboren. Im Januar 2018 kam Moore, die zuvor ausschließlich in der heimischen National League Women gespielt hatte, zum 1. FC Köln und verstärkte dort die Abwehr der Rheinländerinnen. Nach dem Abstieg des FC in jener Saison wechselte Moore nach Duisburg zum MSV. Dort spielt die Neuseeländerin mit der Rückennummer 5 eine gewichtige Rolle: In den meisten Saisonspielen stand sie über die vollen 90 Minuten auf dem Platz. Zwei Spiele verpasste sie, da sie zu der Zeit mit der neuseeländischen Nationalmannschaft an der Ozeanien-Meisterschaft teilnahm. Für die Neuseeländerinnen, für die sie 2013 im Spiel gegen China ihr Debüt gab, bestritt Moore bisher 34 Partien in der A-Nationalmannschaft und schoss für die Ferns drei Tore.

Ein Tor schoss Moore auch bei den Zebras in der Bundesliga: Am 4. November 2018 köpfte sie nach einem Freistoß der Österreicherin Barbara Dunst direkt in das Tor der eingewechselten Mary Earps – der erste Gegentreffer für die Wölfinnen in der abgelaufenen Saison. Es war ein Spiel, das bei der 1,73 Meter großen Rechtsverteidigerin doch Eindruck hinterlassen hat: Auf die Frage, welche Partie sie gerne wiederholen würde, antwortete die Neuseeländerin auf dem vereinsinternen Social-Media-Kanal Instagram, dass sie gerne diese wiederholen würde, um noch ein zweites Tor für ein Unentschieden gegen die amtierenden deutschen Meisterinnen zu schießen.

Neben der Fußballkarriere studiert die Neuseeländerin per Fernkurs Gesundheitswissenschaften an der Massey University (Neuseeland). Nach der aktiven Zeit möchte sie im medizinischen Bereich arbeiten, um anderen Menschen zu helfen.

An der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen darf eine Mannschaft der Oceania Football Confederation (OFC) teilnehmen. Für die WM in Frankreich qualifizierte sich Neuseeland – wie schon für die Turniere 1991, 2007, 2011 und 2015 – durch den ungefährdeten Sieg der Ozeanien-Meisterschaft. Bei den bisherigen Weltmeisterschaften kam Neuseeland jedoch nie über die Vorrunde hinaus: Noch nie hat die Mannschaft ein Spiel bei einer Weltmeisterschaft gewonnen – trotz der bisher vier Teilnahmen. Das erste von drei Remis, ein 2:2 gegen Mexiko, errang das Team 2011 in Sinsheim bei der WM in Deutschland. In Frankreich nehmen die Ferns nun in der Gruppe E einen erneuten Anlauf gegen Kanada, Kamerun und die amtierenden Europameisterinnen aus den Niederlanden.

Etwas erfolgreicher als die A-Nationalmannschaft war im vergangenen Jahr das U17 Team. Bei der WM in Uruguay erreichten die Junior-Ferns überraschend den 3. Platz und setzen sich unerwartet gegen Japans und Kanadas Juniorinnen durch.

Im Gegensatz zur WM stellt die kontinentale Meisterschaft für die Neuseeländerinnen keine Schwierigkeit dar – jedenfalls seitdem die Australierinnen 2007 in den asiatischen Verband (AFC) gewechselt sind. Sechs der elf Ozeanien-Meisterschaften konnten die Ferns gewinnen. Die Meisterschaft 2018 in Neukaledonien gewannen sie durch einen ungefährdeten 8:0 Sieg gegen die Fidschi. Durch den Mangel an ernsthaften Pflichtspielgegnern außerhalb der WM fällt es aber schwer, die Leistungen des Teams einzuschätzen. Das letzte Testspiel gegen Norwegen gewannen die Neuseeländerinnen allerdings 1:0. Das lässt hoffen, dass sie vielleicht bei dieser WM ihren ersten Sieg einfahren könnten. Das Spiel gegen Kamerun ist dabei übrigens das erste WM-Spiel der Ferns gegen eine afrikanische Mannschaft.

Die nationale Frauenliga in Neuseeland – National Women’s League – ist in der Frauenfußballwelt nicht für ihr hohes Niveau bekannt. Sie besteht aus sieben Teams, die allerdings die sieben Regionalverbände vertreten und gegeneinander antreten. Im National Women’s League Grand Final treten die zwei besten Teams gegeneinander an. Die Liga ist stark im Wandel, änderte bisher regelmäßig die Regularien und hat sich zum Ziel gesetzt, im Jahr 2020 auch eine Club-Fußball-Liga wie bei den Herren aufzubauen. Vielleicht zieht es dann auch nicht mehr die Talente in die ausländischen Ligen in Übersee.

In einem aber sind die Neuseeländer vielen anderen voraus: New Zealand Football (NZF), der neuseeländische Fußballverband, führte im Sommer 2018 die Regel ein, dass Frauen und Männer im Fußball gleichgestellt sind. Dies bedeutet, die Frauen erhalten die gleichen Prämien und Regelungen für Bildrechte und müssen auch nicht Holzklasse fliegen, während die Herren First Class genießen. Das ist sehr löblich und sollte unbedingt mehr Nachahmer finden.

Weniger löblich ist allerdings, dass der Verband lange brauchte, um die Probleme des damaligen Trainers Andreas Heraf mit dem Team anzugehen. Der ehemalige Coach war erst nach Protesten von Seiten der Spielerinnen im Juli 2018 beurlaubt worden. Diese hatten sich über das vergiftete Arbeitsklima beschwert, dabei war unter anderem von Mobbing und Belästigung die Rede. Seit November 2018 trainiert der Schotte Tom Sermanni die Ferns.

Zur Person: Juliane Meuser ist Podcasterin, Gelegenheitsbloggerin und Frauenfußballfan. Zu hören ist sie unter anderem bei Lottes Erbinnen und bei FRÜF – Frauen reden über Fußball.

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Vivianne Miedema will aus dem Schatten von Robben und van Persie

Es war durchaus bezeichnend, dass in diesem Jahr gleich zwei Holländer*innen mit dem “Player of the year”-Award der englischen Fußballspieler-Vereinigung ausgezeichnet wurden. Vivianne Miedema von den Arsenal Women wurde als beste Frau geehrt, Liverpools Virgil van Dijk bekam den Preis bei den Männern. Nach einigen Jahren Tristesse ist niederländischer Fußball derzeit wieder ziemlich angesagt. Die Männer haben sich für das Finalturnier der Uefa Nations League qualifiziert. Die Frauen sind amtierende Europameisterinnen. 2017 gewannen sie die kontinentalen Wettkämpfe im eigenen Land. Es war der erste Titel überhaupt für die holländischen Damen.

Der Sieg gegen Dänemark im Finale von Eschede, der anschließend von zehntausenden Niederländer*innen gefeiert wurde, war so etwas wie der Durchbruch der Oranje Leeuwinnen, der orangenen Löwinnen, wie das Team in den Niederlanden genannt wird. Bis dato stand das Frauenteam immer im Schatten der Männer. Mit der EM änderte sich das. Im klassischen 4-3-3-System der Niederlande spielten sich die Damen in die Herzen ihrer Landsleute. Dass die Männer die Europameisterschaft 2016 verpasst hatten und sich bereits andeutete, dass sie auch die WM in Russland verpassen würden, half dabei sicher.

Miedema und Martens statt Robben

Seit dieser Zeit tragen weibliche Fußballfans immer öfter die Namen von Vivianne Miedema oder Lieke Martens auf ihren Trikots und nicht wie vorher Arjen Robben. Eine Entwicklung, die Miedema sehr gefällt. Die 22-jährige Stürmerin, die für die Arsenal-Frauen spielt, hofft, dass sie und ihre Mitspielerinnen Vorbilder für die kommenden Generationen sein können.

Vivianne Miedema, die mit vollem Namen Anna Margaretha Marina Astrid Miedema heißt, geht dabei mit gutem Beispiel voran. Seit der EM 2017 gehört sie zu den Topstars der Holländerinnen. In dieser Saison hat sie Arsenal mit 20 Toren in 17 Spielen zur Meisterschaft in England geschossen. Zuvor spielte sie für den FC Bayern und gewann dort ebenfalls zwei Mal die nationale Meisterschaft. Sie verließ die Münchner, weil ihr die Spielweise nicht offensiv genug war. Miedema ist sich sicher, dass die Philosophie von Arsenal besser zu passt – und die Torquote gibt ihr recht.

Vivianne Miedema im Dress des FC Bayern München (Foto: Tom Seiss)

Angeborener Killerinstinkt

Es ist vor allem ihr Killerinstinkt vor dem Tor, der sie auszeichnet. Manche behaupten, der wäre angeboren. Weil schon ihr Vater ein erfolgreicher Fußballer war und auch ihr Bruder professionell kickt. Ihre Mutter spielte auf hohem Niveau Hockey. Schon als kleines Mädchen liebte Vivianne Miedema den Fußball. Mit ihren Eltern besuchte sie regelmäßig die Spiele von Feyenoord Rotterdam. Robin van Persie war damals ihr Vorbild. Weibliche Idole gab es in den Niederlanden damals nicht. Zu unbedeutend war der Frauenfußball in den Niederlanden.

Weil Miedema deutlich länger mit Jungs zusammen gespielt hat als die meisten Mädchen, hat sie gelernt sich durchzusetzen. “Da waren viele gute Jungs dabei”, erinnert sich die 22-Jährige in einem Gespräch mit dem “Guardian”. “Manche spielen heute auf europäischem Top-Niveau. Das hat mir sehr geholfen.” Sie rät jungen Spielerinnen deshalb so lange wie möglich mit Jungs zusammen zu spielen.

Miedema fordert gleiche Bezahlung

Doch es sind nicht nur ihre Tore und ihr Auftreten im Spiel, die Vivianne Miedema zum Vorbild machen. Es ist auch ihre Haltung außerhalb des Platzes. Sie hofft, dass sie gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen die Bedingungen für die mehr als 150.000 Frauen (Stand 2017), die in den Niederlanden Fußball spielen, nachhaltig verbessern kann.

Ganz selbstbewusst fordert sie in einem Porträt bei fifa.com vom Niederländischen Fußballverband die gleiche Bezahlung wie die männlichen Nationalspieler. “Immerhin waren in den vergangenen Jahren deutlich erfolgreicher als die Männer, die sich für zwei große Turniere nicht qualifiziert haben.” Und für die bezahle der Verband Millionen, so Miedema.

Schwung mitnehmen

Als nächstes steht nun die WM in Frankreich vor der Tür. Es mutet etwas seltsam an, dass die amtierenden Europameisterinnen, die zudem eine der besten Stürmerinnen der Welt in ihren Reihen haben, dabei nicht unbedingt zu den Favoriten zählen. Doch weil die Qualifikation für die Weltmeisterschaft erst in den Play-offs gegen die Schweiz gesichert wurde, werden den orangenen Löwinnen eher Außenseiterchancen eingeräumt.

Vivianne Miedema hofft dennoch, dass ihr Team den Schwung der EM weiter nutzen kann. Mit guten Leistungen bei der WM in Frankreich wollen die Holländerinnen die Entwicklung des Frauenfußballs in ihrer Heimat weiter vorantreiben. Damit irgendwann nicht nur die beste Spielerin und der Topspieler ganz selbstverständlich nebeneinander stehen. Sondern damit irgendwann alle kickenden Frauen die gleiche Wertschätzung bekommen, wie ihre männlichen Kollegen.

Zur Person: Oliver Leiste ist Redaktionsmitglied bei 120minuten und als Sportjournalist für MDR Sachsen und MDR Sachsen-Anhalt tätig.

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Hier geht’s zu den anderen Gruppen:

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https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-e/feed/ 0 6054
WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe A https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-a/ https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-a/#respond Sat, 01 Jun 2019 07:00:07 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5961 Weiterlesen]]> Mit Norwegen und Nigeria treffen in WM-Gruppe A zwei Nationalteams aufeinander, die bisher noch keine einzige Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen verpasst haben. Reichlich Erfahrung also, was man von Gastgeber Frankreich (bisher 14 WM-Partien) und den Südkoreanerinnen (7 Weltmeisterschaftsspiele) nicht unbedingt behaupten kann. Trotzdem dürften Les Bleues die Favoritenrolle für sich reklamieren, wenngleich Nationaltrainerin Corinne Diacre wohl nicht ganz zu unrecht von einer “schwierigen Gruppe” spricht.

Corinne Diacre – Pionierin, Trainerin, Hoffnungsträgerin

“Je größer die Herausforderung ist, desto größer wird meine Bereitschaft, sie anzunehmen”, so Corinne Diacre im Juni 2017 in einem Beitrag für das Socrates-Magazin. Zu jenem Zeitpunkt steht die heutige französische Nationaltrainerin noch bei Clermont Foot unter Vertrag und trainiert dort die Männer – als erste Französin im heimischen Profifußball überhaupt.

Ohnehin ist “Erste” ein Label, das zu vielen Punkten in Diacres Karriere passt. 2014 war sie die erste Frau, die das höchste Übungsleiter*innen-Diplom in Frankreich erwarb und mit dem sie fortan auch im professionellen (Männer-)Fußball arbeiten konnte. Im November 2002 erzielte sie das Siegtor in einem Qualifikationsspiel gegen England, das der französischen Frauen-Nationalmannschaft das erste WM-Ticket in der Geschichte des Verbandes sicherte. Diacre war außerdem die erste Frau, die über 100 Mal für Frankreich spielte, bis 2008 war sie Rekordnationalspielerin ihres Landes. Es ist sicherlich nicht vermessen, zu behaupten, dass Corinne Diacre im französischen (Frauen-)Fußball eine Vorreiterinnen-Rolle einnimmt.

Dass das nicht immer einfach ist, illustrieren Erinnerungen an ihre Anfangszeit bei Clermont:

“Die ersten Wochen verliefen alles andere als positiv. Nach fünf Spieltagen unter meiner Regie hatten wir keinen Sieg errungen. Ich spürte bereits die Egos mancher Spieler und die Unzufriedenheit mir gegenüber, weil ich eine Frau bin. Der Druck war immens. Für ein halbes Dutzend unserer Spieler war ich nicht wirklich legitim, eine solche Position auszuüben, nur mit dem Argument, dass ich eine Frau bin.” (Socrates-Magazin)

Mit dem Druck weiß Diacre umzugehen. Einerseits, weil Clermont nicht ihr erster Trainerinnen-Job ist, andererseits, weil sie sich während ihrer gesamten Zeit im Club der Rückendeckung von Vereinspräsident Claude Michy sicher sein kann. Im Winter trennt sich Diacre von fünf Spielern und führt den Verein in ihrem ersten Jahr zum Klassenerhalt. In der darauffolgenden Saison spielt Clermont lange um den Aufstieg in die Ligue 1 mit und wird am Ende Siebenter – ein großer Erfolg für einen Verein, der mit verhältnismäßig geringen Mitteln auskommen muss. Für Diacre persönlich bringt die gute Arbeit bei Clermont die Auszeichnung als “Bester Zweitligatrainer des Jahres” (sic!) im Dezember 2015.

Die Fußballleidenschaft wurde Diacre in die Wiege gelegt: Ihr Vater arbeitete als Sportlehrer und nahm seine Tochter regelmäßig mit auf den Fußballplatz. Bald beginnt die heutige Trainerin selbst mit dem Kicken und spielt ab ihrem 12. Lebensjahr in gemischten Mannschaften. Das ist Mitte der 80er Jahre, der Frauenfußball in Frankreich steckt allenfalls in den Kinderschuhen.

“Am Anfang waren meine Eltern nicht gerade begeisterte Anhänger des Frauenfussballs. Aber mein Vater, der ein leidenschaftlicher Fußballanhänger ist, wurde bald auf mein fußballerisches Talent aufmerksam. Seitdem hat er mich eigentlich nur unterstützt, ohne jemals Druck auf mich auszuüben.” (FIFA.com)

Die Unterstützung geht so weit, dass die Eltern ihre Tochter 220 Kilometer nach Soyaux fahren, damit sie dort in einer reinen Frauenfußball-Mannschaft spielen kann. Diacre tut das von 1988 bis 2007, die Association Sportive Jeunesse Soyaux ist der einzige Verein im Erwachsenenbereich, für den sie die Töppen schnürt. In dieser Zeit erlebt sie die Entwicklung des französischen Frauenfußballs hautnah mit; mehr noch: sie ist eine der Protagonistinnen, die ihn in dieser Zeit deutlich prägen. Dass Diacre als Spielerin nie einen Titel gewann, stört sie rückblickend nicht:

“Ich habe nichts gewonnen. Es ist kaum zu glauben, aber ich habe weder mit meinem Klub noch mit der französischen Nationalmannschaft einen Titel gewonnen. Für mich ist das nicht frustrierend. Ich hätte jederzeit zu einem größeren und finanzkräftigeren Verein als Soyaux wechseln können, das stimmt. Auch wurde mir angeboten, in der U.S.-Liga zu spielen, aber ich habe das abgelehnt. Auch diese Entscheidung habe ich mir, wie übrigens alle, die ich in meinem Leben getroffen habe, reiflich und lange überlegt.” (FIFA.com)

Wie lange die Entscheidung reifte, Clermont Foot im September 2017 zu verlassen und den Cheftrainerinnen-Posten der Nationalmannschaft zu übernehmen, ist nicht überliefert. Bekannt ist hingegen, dass der französische Verband Diacre bereits ein Jahr zuvor als Nachfolgerin von Philippe Bergeroo verpflichten wollte. “Man geht im September nicht von Bord seines Schiffes”, hatte die Trainerin seinerzeit noch gesagt, zwölf Monate später dann aber doch beim Verband angeheuert. Davon, dass auch diese Entscheidung reiflich überlegt war, darf allerdings ausgegangen werden.

Die Mission für Diacre und ihr Team im Sommer 2019 ist eindeutig: Bei der Heim-Weltmeisterschaft soll der Titel her, nachdem die Mannschaft bei den letzten Turnieren jeweils im Viertelfinale gescheitert war. Insofern ist dieser Job nun die bisher vielleicht größte Herausforderung in der Karriere der Corinne Diacre. Mit Blick auf ihre bisherige Laufbahn und die letzten Ergebnisse des französischen Nationalteams spricht vieles dafür, dass die Ex-Nationalkapitänin und -Rekordspielerin auch dieser Herausforderung gewachsen sein wird.


Zur Person: Alex Schnarr ist Teil der 120minuten-Redaktion und beschäftigt sich dort mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen in und um den Fußball.

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Cho So-hyun – “Ich muss auf dem Platz eine Anführerin sein”

Cho So-hyun wird die koreanische Auswahl in Frankreich als Kapitänin aufs Feld führen. Das Turnier in Frankreich ist die zweite WM-Teilnahme für Südkorea. Wir sprachen mit Cho So-hyun über ihren Wechsel nach England, ihren Spielstil und die Erwartungen an das WM-Turnier.

Was war Ihr Beweggrund, von Korea nach Europa zu wechseln und insbesondere zu West Ham?

Es war immer mein Ziel, in England zu spielen. Ich habe gespürt, dass ich mich durch einen Wechsel hierher als Spielerin weiterentwickeln kann. Ich erhoffe mir auch, dass ich anderen koreanischen Spielerinnen zeigen kann, dass es möglich ist, in Europa Fuß zu fassen. Ich denke, es würde unserer Nationalmannschaft helfen, wenn mehr Spielerinnen hier aktiv wären. Es gab Interesse von anderen englischen Klubs, aber nachdem ich mit meinem Agenten gesprochen hatte, war klar, wie stark das Interesse von West Ham war, und dass ich gut ins Team passen würde. Der Manager suchte eine Box-to-Box-Spielerin für das Mittelfeld – meine Paraderolle. Es fühlte sich gut an, bei West Ham zu unterschreiben. Ich denke, wir haben bereits durch das Erreichen des FA-Cup-Finals bewiesen, dass der Wechsel für alle Beteiligten ein Erfolg war.

Cho So-hyun im FA-Cup-Finale gegen Manchester City (Foto: Tom Seiss)

Wie würden Sie Ihren Spielstil beschreiben?

Ich gebe immer mein Bestes. Ich bin Kapitänin der koreanischen Auswahl und muss auf dem Platz eine Anführerin sein. Mir wird nachgesagt, dass ich den Ball gut behaupten kann, über ein gutes Passspiel verfüge und das Spiel lesen kann. Koreanische Spielerinnen sind immer zurückhaltend und haben Freude am Fußball. Wir haben immer ein Lächeln im Gesicht – auch in schwierigen Situationen. In England hat man sich über mein Lächeln gewundert, als ich zum entscheidenden Elfmeter anlief, der uns das FA Cup Finale sicherte – ich war dabei nicht nervös und schoss den Elfmeter wie jeden anderen.

Füllen Sie im Verein eine andere taktische Rolle oder Position als in der Nationalmannschaft aus?

Am liebsten spiele ich als Acht. Als ich zu West Ham kam, gab es einige Verletzte im defensiven Mittelfeld, deshalb habe ich in einigen Spielen eher auf der Sechs gespielt. Das wird sich ändern, sobald die verletzten Spielerinnen zurück im Team sind. West Ham wird mich auf der Acht spielen lassen und ich kann das Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff sein. In der Nationalmannschaft hatte ich eine eher defensivere Rolle, da wir eine sehr junge Mannschaft haben und der Trainer meine Erfahrung in der Defensive benötigte. Das ist nicht meine Lieblingsposition, aber ich stelle mich immer in den Dienst der Mannschaft und spiele dort, wo ich dem Team weiterhelfen kann – auch wenn das bedeutet, meine Qualitäten in der Offensive nicht voll ausspielen zu können.

Wie konnten Sie sich so schnell einen Stammplatz bei West Ham sichern?

Wegen meiner Erfahrung wurde mit mir von Anfang an als Stammspielerin geplant. Am besten gewöhnt man sich an den englischen Fußball, indem man Spielerfahrung auf dem Platz sammelt und Pflichtspiele bestreitet. Ich bin noch damit beschäftigt, mich an den Fußball hier zu gewöhnen und weiß, dass ich mich noch verbessern kann. Meine besten Leistungen für West Ham werde ich erst noch zeigen.

Können Sie beschreiben wie sich der koreanische Fußball seit Ihrem ersten A-Länderspiel 2007 entwickelt hat?

Die letzte Weltmeisterschaft hat uns Selbstbewusstsein eingeimpft, aber im Achtelfinale wurden uns Grenzen aufgezeigt. Frankreich spielte sehr guten Fußball und wir lernten, dass wir uns noch entwickeln müssen. Wir können uns mit unserem aktuellen Leistungsstand noch nicht zufrieden geben.

Wie schneidet die koreanische WK League im Vergleich zur englischen Liga ab?

Der englische Fußball ist schneller, das gilt auch für das Umschalten zwischen Abwehr und Angriff. In der koreanischen Liga wird mehr Wert auf Taktik gelegt und viel am Spielaufbau gearbeitet. Auch die Kommunikation läuft ganz anders ab. Koreanische Spielerinnen wollen keinen Ärger machen. Wenn jemand einen Fehler macht, dann nehmen wir das hin und versuchen einfach, zu helfen. Englische Spielerinnen äußern sich viel öfter, wenn ihnen etwas nicht passt. Es wird viel Wert darauf gelegt zu zeigen, was man selbst auf dem Platz möchte und was man von seinem Team erwartet. Die koreanische und die englische Herangehensweise – beides hat Vor- und Nachteile.

Wie populär ist Frauenfußball in Südkorea und hat es in den letzten Jahren diesbezüglich eine Entwicklung gegeben?

Es hat in letzter Zeit keine großen Veränderungen gegeben. Der Fußball muss sich immer noch weiter entwickeln. Wie in England gibt es große Unterschiede in der Bezahlung und der Behandlung zwischen weiblichen und männlichen Fußballer*innen. Das macht sich in Korea, wo das Interesse am Frauenfußball nicht so ausgeprägt ist, noch stärker bemerkbar. So gibt es zum Beispiel Gehaltsobergrenzen, die auch für die Nationalmannschaft gelten.

Können Sie die Spielphilosophie der koreanischen Auswahl erläutern – gibt es einen bestimmten Stil, den Ihr Coach etablieren möchte?

Wir befinden uns gerade im Umbruch. Mehr junge Spielerinnen werden in die Auswahl berufen, um sich dort weiterzuentwickeln. Als wir mehrere Verletzte hatten, bedeutete das, dass ich in einigen Freundschaftsspielen defensiver spielen musste, weil hinten die Erfahrung fehlte. Nichtsdestotrotz, sobald die Stammspielerinnen zurückkehren, werde ich auch wieder im Mittelfeld spielen, wo ich am effektivsten bin. Meine Aufgabe ist es oft, das Team anzutreiben und die Intensität unseres Spiels hoch zu halten – dafür muss ich mit gutem Beispiel vorangehen.

Welche Erwartungen haben Sie an das Turnier in Frankreich? Denken Sie, die koreanische Auswahl kann besser abschneiden als 2015?

Unser erstes Spiel haben wir gegen den Gastgeber – das wird eine schwierige Aufgabe, um ehrlich zu sein. Aber wir sehnen uns danach, uns mit spielstarken Teams zu messen. Ich freue mich auf das Spiel gegen Frankreich und kann es kaum erwarten. Bei der letzten WM in Kanada haben wir es bis ins Achtelfinale geschafft. Ich hoffe, dass wir diesmal eine Runde weiterkommen und ich in einem wichtigen Spiel ein Tor erzielen kann.

Zur Person: Das Interview hat die 120minuten-Redaktion geführt.

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Caroline Graham Hansen – Top-Vorbereiterin mit klarer Haltung

2017 gab die damals gerade 22-jährige Weltfußballerin Ada Martine Stolsmo Hegerberg ihren vorzeitigen Rücktritt aus der norwegischen Nationalmannschaft bekannt. Zuvor waren die Norwegerinnen, die sich in der Qualifikation den Gruppensieg erkämpft hatten und damit zum Kreis der potenziellen Titelaspirantinnen zählten, bereits in der Vorrunde der Europameisterschaft punkt- und torlos ausgeschieden – ein historisches Novum.

2019 meldeten sich die Norwegerinnen dann eindrucksvoll zurück: Nachdem sie am 4. September 2018 durch einen 2:1- Sieg gegen die amtierenden Europameisterinnen aus den Niederlanden die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Frankreich geschafft hatten, sicherten sie sich ein halbes Jahr später den Sieg beim Algarve-Cup mit einem souveränen 3:0-Sieg gegen Polen.

Doch nicht etwa die amtierende Gewinnerin des Ballon d’Or hat den Norwegerinnen die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Frankreich oder den Titel beim Algarve-Cup gesichert – ihren Namen sucht man dort ebenso vergeblich wie in dem von Trainer Martin Sjögren veröffentlichten Kader für die bald beginnende Weltmeisterschaft in Frankreich. Wie kam es dazu, dass eine derart erfolgreiche Spielerin wie Ada Hegerberg im Team fehlt?

Ada Hegerberg (Foto: Tom Seiss)

Nach der verpatzten Europameisterschaft 2017 wäre es für Hegerberg aufgrund ihrer Referenzen ein Leichtes gewesen, an der Weltmeisterschaft 2019 teilzunehmen. Ein Rücktritt vom Rücktritt wurde ihr seitens des norwegischen Fußballverbandes mehrfach angeboten – bislang jedoch erfolglos. Es drängt sich die Frage auf: Wieso?

Hegerberg wollte mit ihrem Rücktritt ein Zeichen setzen. Sie sprach sich offen gegen den norwegischen Verband aus und forderte mehr Gleichberechtigung und bessere Bezahlung, prangerte an, dass man den Frauenfußball in Norwegen nicht genügend respektieren würde. Nur wenige Monate später einigte sich der norwegische Verband NFF mit dem Spielerverband NISO auf bessere Bezahlung für die Fußballerinnen.

Das Honorar der Frauenfußball-Nationalmannschaft wurde dem der Herren angeglichen. Wie der NFF damals mitteilte, sollen die Fußballerinnen für ihre Länderspiel-Einsätze insgesamt sechs Millionen norwegische Kronen bekommen, was in etwa 640.000 Euro entspricht. Außerdem tritt das norwegische Team der Herren knapp über eine halbe Million Kronen ab, die die Auswahl durch Werbeaktivitäten einnimmt.

Die gleiche Bezahlung sei zwar ein erster Schritt, aber die strukturellen Probleme lägen tiefer: „Ich wäre nicht die Spielerin, die ich heute bin, wenn ich nicht für meine Werte, meine Leidenschaft und meinen Glauben einstehen würde. Manchmal muss man schwierige Entscheidungen treffen, um sich selbst treu zu bleiben“, erläuterte Hegerberg in einem Interview mit The Guardian. Derzeit ist eine Einigung zwischen Hegerberg und dem Norges Fotballforbund nicht absehbar.

Die sportliche Lücke, die Hegerberg in der Nationalmannschaft hinterlassen hat, musste jedoch geschlossen und andere Spielerinnen mussten in die Verantwortung genommen werden. Eine davon ist Caroline Graham Hansen vom frisch gekrönten deutschen Double-Gewinner VfL Wolfsburg. Die 24-Jährige zählt schon lange zu den besten Spielerinnen der Welt, überzeugt mit ihrer unverwechselbaren Technik. Die in Oslo geborene Flügelflitzerin kann jedes Spiel entscheiden und ihre Mitspielerinnen in Szene setzen, glänzt aber auch selbst mit einem starken Abschluss.

In der vergangenen Frauen-Bundesliga-Saison bereitete sie stolze 28 Treffer vor und bildete gemeinsam mit Pernille Harder und Ewa Pajor das gefährlichste Offensiv-Trio der Liga. Hansen, die ihre Nichtteilnahme an der Weltmeisterschaft vier Jahre zuvor aufgrund eines anhaltenden Patellaspitzensyndroms noch mit „Natürlich bin ich enttäuscht, aber ich habe die besten Jahre noch vor mir“, kommentierte, ist bereit bei ihrer nun anstehenden ersten WM mit der A-Nationalmannschaft zu zeigen, was sie 2015 mit diesen „besten Jahre[n]“ meinte.

Hansen, die bis 2010 für Lyn Oslo spielte, wechselte wenige Monate nach ihrem 15. Geburtstag zum norwegischen Erstliga-Frauenfußball-Verein Stabæk FK in Bærum. Gleich in ihrem ersten Jahr bei Stabæk FK konnte sie die Meisterschaft in der Toppserien gewinnen. 2013 wagte Hansen dann den Schritt von Stabæk FK in die Damallsvenskan zu Tyresö FF, wo sie an der Seite von Ikonen wie Marta und Caroline Seger spielen durfte. Jedoch währte dieses Glück nicht lange, denn der Verein musste kurze Zeit später Insolvenz anmelden.

Es folgte eine kurze Rückkehr zu Stabæk FK, ehe sich Hansen 2014 für einen Wechsel in die Allianz Frauen-Bundesliga zum VfL Wolfsburg entschied. In fünf Jahren reifte sie dort zu der Führungsspielerin heran, die sie heute ist. Mit den Wölfinnen durfte sie drei Mal die Meisterschale und fünf Mal den DFB-Pokal in die Luft stemmen.

Caroline Graham Hansen im Spiel gegen den FC Bayern München (Foto: Tom Seiss)

Doch Hansen verdiente sich nicht nur auf dem Feld Respekt, sondern bewahrt auch daneben ihre klare Haltung. Im März 2018 kritisierte die 24-Jährige öffentlich FIFA-Chef Gianni Infantino. Infantino hatte im Iran das Derby zwischen den Männerteams Esteghlal und Persepolis Teheran besucht, bei dem 35 Frauen der Zutritt zum Stadion verwehrt wurde. Die Frauen wurden vor dem Stadion festgenommen und abgeführt. „Es ist sehr hoffnungslos, an einem Sport festzuhalten, bei dem unsere Hauptverantwortlichen sich dafür entscheiden, ein Land zu unterstützen, das Frauen unterdrückt, weil sie Frauen sind“, erklärte Hansen damals.

Infantino, der sich nach dem Spiel noch mit dem iranischen Präsidenten Rohani traf, versuchte diesen zwar zu einem Umdenken zu bewegen und auch Frauen den Zutritt zu Fußballspielen der Männer zu gewähren, verkündete aber gleichzeitig, dass die Fifa keinerlei Sanktionen wegen dieser Vorkommnisse gegen den Iran verhängen werde. Hansen rief daraufhin am letztjährigen Weltfrauentag via Twitter zur Solidarität mit Frauen weltweit auf, die nur deswegen benachteiligt werden, weil sie Frauen sind. Sie rief dazu auf, dass diese Frauen, die sie als ihre größten Vorbilder bezeichnete, nicht aufgeben – und weiterhin für ihre Rechte kämpfen sollten.

Klar ist schon jetzt: Die überwiegend in der Toppserien aktiven Spielerinnen der norwegischen Frauenfußballnationalmannschaft werden alles dafür tun, nach dem Gewinn des Algarve-Cups ihren zweiten Titel in diesem Jahr zu gewinnen, um so die Schmach der letzten Europameisterschaft endgültig vergessen zu machen. Die Chancen für die derzeit auf Platz zwölf in der Fifa-Weltrangliste gesetzten Norwegerinnen stehen hierfür auch dank Spielerinnen wie Caroline Graham Hansen, die zur kommenden Saison zum FC Barcelona wechselt, nicht schlecht. Immerhin haben sie der Offensivspielerin in gewisser Weise auch die Qualifikation zu bedanken: die 24-Jährige stand in allen acht Quali-Spielen auf dem Platz und erzielte sechs Tore.

Zur Person: Jasmina Schweimler schreibt als Journalistin unter anderen für die WAZ und den Sportbuzzer über Frauenfußballer und gehört zum Podcast-Kollektiv-FRÜF.

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Faith Ikidi – Routine, Ruhe und Erfahrung

„Gibt nicht auf, der Anfang ist immer schwer!“ Solche Motivationssprüche zieren in den vergangenen Wochen häufig das Instagram-Profil der nigerianischen Nationalspielerin Faith Ikidi. „Nicht das Ergebnis, das wir wollten, aber wir werden weiter hart arbeiten“, steht unter einem Mannschaftsfoto, das sie nach der 1:2-Niederlage im Vorbereitungsspiel gegen Kanada gepostet hat. Die nigerianische Nationalmannschaft hat es nicht immer leicht: Auf dem afrikanischen Kontinent ist sie unbestritten das beste Frauen-Team. International lässt der Erfolg jedoch auf sich warten. Mit der WM in Frankreich nehmen sie zum achten Mal an einer Weltmeisterschaft teil. Nur einmal, 1999, schafften sie es über die Vorrunde hinaus bis ins Viertelfinale.

Auch in der WM-Gruppe für dieses Turnier zählen sie deutlich zu den Underdogs: Frankreich, Norwegen und Korea lauten die Namen ihrer Gegnerinnen. Nur sechs der nigerianischen Nationalspielerinnen spielen im eigenen Land – der Rest verdient sein Geld im Ausland. So zog Asisat Oshoala dieses Jahr mit dem FC Barcelona ins Champions-League-Finale ein. Und Ikidi ist schon seit vielen Jahren in der schwedischen „Damallsvenskan“ zuhause – und verzeichnet immer mehr Erfolge.

Gemeinsam mit jungen, talentierten Spielerinnen zu spielen, macht sie froh. Das sagte Faith Ikidi vor drei Jahren gegenüber dem nigerianischen Guardian. Heute ist sie nach wie vor Teil des Nationalteams und nach Kapitänin Onome Ebi eine der Mannschaftsältesten. 2004 lief sie das erste Mal für ihre Nationalmannschaft auf. Sie ist die Routinier. Die Abwehrspielerin, die Ruhe und jahrelange Erfahrung in die Mannschaft bringt. Doch beim Afrika-Cup in Ghana im vergangenen Jahr musste sie sowohl im Halbfinale als auch im Finale auf der Bank sitzen. Ihre Mannschaft gewann den Pokal trotzdem.

Mit der Vorbereitung zur WM in Frankreich tauchte sie wieder in der Startelf auf: immer als Verteidigerin, mal innen, mal außen. Ikidi hat eine bemerkenswerte Vita – aber leicht hatte sie es trotzdem nicht immer. Im Jahr 2006 waren Ikidi, Maureen Mmadu und Yinka Kudaisi – beides ebenfalls nigerianische Nationalspielerinnen – die ersten Spielerinnen mit afrikanischem Hintergrund, die es in die schwedische Liga schafften und um die Meisterschaft mitspielen durften. Damals standen alle drei bei QBIK Karlstadt unter Vertrag und machten direkt eine schlechte Erfahrung: Sie hatten gerade der Nationalmannschaft geholfen, zum fünften Mal den Afrika-Cup zu gewinnen, waren noch vor Ort und feierten, als sie erfuhren, dass ihr Club ihre Verträge beendet hat. Sie hatten ohne Erlaubnis des Clubs in ihrem Heimatland gespielt. Diese hätten sie aber gebraucht, da die Afrikameisterschaft nicht im internationalen Spielkalender steht.

Aus heutiger Sicht ein klarer Fall von Diskriminierung, denn das Turnier fungiert als Qualifikation für die Weltmeisterschaft. Der nigerianische Fußballverband bat den schwedischen Verein, das nicht durchzuziehen, doch die Spielerinnen verloren diesen Kampf. Im Nachhinein entschädigte der Verband seine Spielerinnen für das verlorene Gehalt durch den Verlust ihres Jobs mit 10.000 US-Dollar pro Person.

Für Ikidi hatte das auch fünf Jahre später noch Folgen: Während sie nach QIBK zuerst bei Eskilstuna United DFF, dann bei Linköpings FC und ab 2011 Piteå IF spielte, pausierte sie in der Nationalmannschaft: Der Zeitplan der schwedischen Liga ist mit dem des Nationalteams nicht mehr vereinbar. „Viele Leute sagen, dass die Verpflichtung gegenüber der Nation zuerst kommt. Da stimme ich zu. Aber ich will, dass diese Menschen auch wissen, dass es die Clubs sind, die unser Gehalt zahlen“, sagte sie rückblickend gegenüber dem Guardian. Erst ab 2016 ist sie wieder Teil des Kaders. Sie handelt jedoch vorsichtiger, wenn sie für das Nationalteam einberufen wird.

Und das, obwohl die „Super Falcons“, wie die Mannschaft auch genannt wird, in Nigeria ein echtes Vorbild sind: Die Frauennationalmannschaft gilt als das beste Team auf dem afrikanischen Kontinent und viele Mädchen und Frauen schauen zu den Spielerinnen auf, auch, weil sie Vorurteile und Rollenklischees bekämpfen. Dreizehn Mal wurde der Africa-Cup bereits gespielt, elf Mal haben sie ihn gewonnen. So triumphierten die Super Falcons gegen Südafrika im vergangenen Jahr beim Elfmeterschießen im Finale im Accra Sports Stadium in Ghana. Die Super Falcons sind durch ihre Erfolge bekannt und genießen ein gewisses Ansehen unter den Nigerianer*innen.

Was Geld und den eigene Wert betrifft, sind die Spielerinnen ebenfalls ein Vorbild: Als sie 2016 keine Siegprämie für den Afrika-Cup erhalten sollten, protestierten sie gegen den Verband, indem sie zehn Tage lang in einem Hotel in Abuja verharrten und nicht gehen wollten, bevor sie bezahlt würden. Auch Ikidi nahm an der Aktion teil. Der Protest hatte seine Berechtigung: Während die Männermannschaft für jede WM-Teilnahme Boni erhielt, sollten die Frauen bei ihrem zehntem Africa-Cup-Titel leer ausgehen. Für einen Tag organisierten sie sogar einen Protest-Marsch, für den sie mit Plakaten am Parlament vorbeizogen. Dieser zeigte seine Wirkung: Die Regierung gab dem Verband Geld, so dass am Ende jede Spielerin 23.650 Dollar erhielt.

Die Infrastruktur vor Ort ist allerdings immer noch schlecht. Nur sechs Nationalspielerinnen spielen in der nigerianischen Liga. Sie bekommen zwar ein festes Gehalt, doch manchmal kann der Club nicht zahlen und ihr Lohn wird erst später ausgezahlt. Auch bietet die nigerianische Liga wenig Attraktivität, da es lediglich die Ligaspiele gibt, aber keine Pokalspiele oder etwas, das mit der Champions-League vergleichbar wäre.

Erfolge verzeichnet Ikidi nicht nur mit den Super Falcons: 2015 bekam sie die Auszeichnung zur Abwehrspielerin des Jahres in Schweden. Mit Pitea IF holte sie 2018 für den Club erstmals den Meistertitel in der Schwedischen Liga. Und beim entscheidenden Meisterschaftsspiel zeigte Ikidi eine so gute Leistung, dass sie zur Spielerin des Spiels gewählt wurde. Ob sie das bei der kommenden WM als eine der Ältesten auch schaffen kann? Wir werden sehen.

Zur Person: Tamara Keller ist Journalistin und schreibt für die Badische Zeitung. Zu hören ist sie bei FRÜF – Frauen reden über Fußball.

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