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Besprechung: “Zwischen Eigentor und Aufstand. Ultras in den gegenwärtigen Revolten” (Ralf Heck)

Wer Begriffe wie “Gezi-Park” oder “Tahrir-Platz” hört, wird, sofern er oder sie in den letzten Jahren nicht völlig abgeschottet gelebt hat, vermutlich sofort an Konflikte, Ausschreitungen und das Aufbegehren von Menschen gegen die herrschenden Strukturen denken. Was einem tatsächlich aber auch in den Sinn kommen könnte, sind aktive Fußballfans, die bei Protesten wie denen in Istanbul oder Kairo mitunter eine wichtige Rolle gespielt haben. Genau diesen Aspekt beleuchtet Ralf Heck in seinem 2015 in der Zeitschrift “Kosmoprolet” erschienenen, 45seitigen Beitrag und schreibt einleitend:

“Der folgende Text versucht zu erklären, wie dieser oft im besten Fall als völlig unpolitisch oder kommerzabhängig bewertete Akteur [gemeint sind Ultras, AS] entstehen konnte und wie sein Wirken in den Klassenkämpfen einzuschätzen ist. Denn wenn es stimmt, dass wir uns gegenwärtig an der Schwelle zu einer neuen Epoche befinden, dann spricht einiges dafür, dass Teile dieses Milieus in den kommenden Revolten eine Rolle spielen werden.” (S. 159)

Die Wortwahl mag eigen erscheinen, erschließt sich aber über die Zeitschrift, in der der Beitrag veröffentlicht wurde und die am deutlich linken Ende des Medienspektrums einzuordnen ist. Lässt man die so notwendigerweise vorhandene politische Färbung beim Lesen des Textes außen vor, geht es aber vor allem um einen Überblick über die Wurzeln und die Entwicklung der Ultra-Bewegung und eben die Frage, in welcher Weise und Funktion organisierte Fußballfans bei verschiedenen gesellschaftspolitischen Protesten sichtbar wurden.

Dafür sucht Heck zunächst nach Zusammenhängen zwischen der Arbeiterklasse und dem Fußballsport, die sich, wie er anschaulich darstellt, bis ganz an die Anfänge des Spiels am Ausgang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lassen. Es schließt sich ein längerer, äußerst aufschlussreicher Abschnitt über die Entwicklung des Hooliganismus in England an, woran bereits früh eine ausgesprochene Stärke des Textes deutlich wird: Sämtliche Ausführungen zur Entstehung bzw. Entwicklung von Phänomenen und Gruppen werden immer zu den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Beziehung gesetzt. Abschnitte wie der nachfolgend zitierte rufen dabei schmerzlich in Erinnerung, dass Aspekte, die man als engagierter Fan heutigentags beklagt, alles andere als neu oder unbekannt sind:

“Ab Mitte der 1970er Jahre nahmen die Auseinandersetzungen zu. Vor allem gegen zu Auswärtsspielen reisende Fans ging die Polizei mit immer größerer Gewalt vor und trug so zu einem aufgeheizten Klima bei. Auch die Medienberichterstattung (viele Zeitungen publizierten Ligatabellen der Fangewalt und befeuerten so einen veritablen Ausschreitungswettbewerb) leistete ihren Beitrag dazu, dass sich immer mehr Jugendliche einer Bewegung anschlossen, bei der ihnen Spaß garantiert war.” (S. 167)

Wie sich Geschichte doch wiederholt…

“Prekäre Arbeiter, Schüler und unbeschäftigte Intellektuelle: Ultras in Italien” lautet dann ein Abschnitt des Textes, der für die heutige Ultra-Bewegung eigentlich Pflichtlektüre sein müsste, was für den nachfolgenden Teil zu “Ultramythen. Gemeinsamkeiten und Grenzen” ebenso gilt. Nicht nur stellt Heck überzeugend dar, aus welchen Beweggründen und vielerorts sicher auch Zugzwängen heraus sich Ultra in Italien entwickelte, er kritisiert vor dieser Hintergrundfolie auch – meines Erachtens zu Recht – bedenkliche Tendenzen, die man heute in so mancher Kurve feststellen kann. So hält er beispielsweise im Zusammenhang mit der gern genommenen und “zum Standardrepertoire gehörende[n] Kritik am passiven, konsumierenden Fan” fest: “Die Kritik verkommt zur Pseudo-Aktivität, wenn der erkämpfte Freiraum in der Kurve nicht Ausgangspunkt einer weitergehenden Revolte wird, sondern selbstreferenziell bleibt und damit im besten Falle an den schlimmsten Auswüchsen der Fußballindustrie herumkrittelt.” (S. 180) Gute Worte, die in der das Thema betreffenden Debatte leider im Schwarz-Weiß-Grundrauschen viel zu selten zu hören sind.

Mit einem (allerdings zur Hinführung notwendigen) ‘Anlauf’ von etwas mehr als 20 Seiten kommt Ralf Heck schließlich zum eigentlich als Kern seines Beitrags angekündigten Teil, in dem er sich mit der Entwicklung der Ultra-Bewegung in Ägypten, mit den “Hippie-Hools vom Gezi-Park” in Instanbul und mit den aktiven Fans in der Ukraine unter dem Titel “Vom Maidan an die Front” auseinandersetzt. Ohne an dieser Stelle bereits zu viel verraten zu wollen, eröffnen die Ausführungen eine spannende Perspektive auf die Rolle dieser Gruppen, die in der ‘regulären’, fußballbezogenen Berichterstattung oft genug nur eindimensional und häufig problembehaftet dargestellt werden und für die in Beiträgen über verschiedene internationale Krisenherde (wie den genannten) häufig genug überhaupt kein Platz ist.

Die Frage, ob die entsprechenden Aktivitäten der Ultras nun als Eigentor oder Aufstand zu beurteilen sind, reflektiert Heck im abschließenden Teil seines Textes. Dem Verfasser gelingt mit dem Beitrag insgesamt und abseits des einschlägigen politischen Vokabulars eine hervorragende Diskussion der eingangs aufgeworfenen Fragestellung, die in jedem Fall zum Nach- und Weiterdenken anregt. “Zwischen Eigentor und Aufstand. Ultras in den gegenwärtigen Revolten” richtet sich damit an alle, die auch abseits der spieltäglichen Fußballfolklore an Fankultur interessiert sind. Ein großartiger Text, der eine breite Leser*innenschaft verdient.

Ralf Heck (2015): Zwischen Eigentor und Aufstand. Ultras in den gegenwärtigen Revolten. In: Kosmoprolet, Heft 4, S. 158-203. Bezug über Syndikat-A.

Zur Besprechung des Textes wurde uns vom Autor freundlicherweise ein Exemplar des Heftes zur Verfügung gestellt. (as)

120minuten goes Audio?

2 Jahre 120minuten! Ich ziehe meinen Hut und sage Champs-Elysees. Aber im Ernst: ohne die vielen Autoren, die hier Texte beisteuern, würde es das “Projekt” 120minuten wohl nicht geben. Jüngst wurden wir gar als bestes Fußballblog für den Fanpreis der Akademie für Fußballkultur nominiert – wir bringen dann schon mal unsere Smokings in die Reinigung.

audioAber der 2. Geburtstag erinnert mich auch an ein Versprechen an die Autoren, die Leser und mich selbst, das ich von Anfang an gemacht habe: die langen Texte sollten auch hörbar sein. Von Beginn an hatte sich diese fixe Idee in meinem Hinterkopf eingenistet. Wenn man lange Texte mit hoher Halbwertszeit und Liebe zum Detail veröffentlicht, wieso sollte man sie dann nicht vertonen und damit auf einer zusätzlichen Ebene konsumierbar machen?

Es folgten Monate des Herumprobierens. Im Selbstversuch sollten am heimischen Schreibtisch Audiofassungen entstehen. Der Wille war da, aber das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Stundenlang las, bastelte und verhaspelte ich mich. Im Schweiße meines Angesichts rang ich mir einen vertonten Text ab, den ich schnell in den Untiefen der Festplatte verschwinden ließ – zu aufwändig, zu halbärschig war das Ergebnis.

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Wir brauchten jemanden, der sich mit so etwas auskennt. Und so begaben wir uns auf die Suche nach einem Partner, dem wir zunächst nur Luft, Liebe und Redaktions-Knowhow anbieten konnten. Nach einigem Hin und Her haben wir inzwischen tatsächlich jemanden gefunden, der Lust und Zeit hat, im Rahmen eines überschaubaren Budgets qualitativ hochwertige Audiofassungen zu produzieren: Das Campusradio Dresden wird uns unter die Arme greifen und mit seinem Radioteam sowie professionellem Equipment eine ganze Reihe von Texten vertonen.

Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit!

Sponsor gesucht!

Hinter den Kulissen laufen die Verhandlungen. Was uns zu unserem Glück noch fehlt, ist ein Sponsor. Falls ihr also jemanden kennt, der jemanden kennt, der mit dem Sponsoring eines aufstrebenden Onlineangebots sein Image aufpolieren möchte – wir sind bereit, eine E-Mail genügt.

Texte zum Nachhören? Podcast? Beides?

Lange Texte zum Nachhören. Da ließe sich doch sogar eine Art Podcast drumherum stricken…mit themenspezifischen Gesprächsrunden mit unseren Autoren zum Beispiel. Aktuell grübeln wir noch, ob neben den Audiofassungen der Texte weitere Formate interessant sein könnten. Deshalb interessiert uns eure Meinung zum Thema 120minuten goes Audio – teilt uns mit, was ihr denkt – in den Kommentaren oder mithilfe unserer kleinen Umfrage.

Endreas und die 120minuten-Redaktion

 

Buchbesprechung: “Damals auf dem Waldsportplatz…”

Wer an das mittelhessische Gießen denkt, einigermaßen sportbegeistert ist und nicht aus der Gegend kommt, dem werden vermutlich zuerst die BBL-Basketballer der Gießen 46ers einfallen. Mit Fußball bringt man die Stadt – zumindest überregional – nicht unbedingt sofort in Verbindung, und das, obwohl mit dem “ewigen Hessenligisten” VfB 1900 ein ausgewiesener Traditionsverein dort beheimatet ist. Man dribbelte nicht nur von 1951 bis 1982 durchgängig in Hessens höchster Spielklasse (der heutigen 5. Liga) auf, sondern maß sich in dieser Zeit im heimischen Waldstadion auch mit Mannschaften wie dem SV Darmstadt 98 oder dem FSV Frankfurt im Punktspielbetrieb. Uwe Bein (1997-1998) schnürte einst für die Mittelhessen die Töppen, ein gewisser Sonny Kittel begann dort seine fußballerische Ausbildung und mit Matthias Hagner stand 2011/2012 sogar ein Ex-Bundesliga-Spieler als Trainer an der Seitenlinie.

Dass es beim VfB 1900 viel um die Vergangenheit geht, kommt nicht von ungefähr, liegen die großen Zeiten doch deutlich hinter dem Club, heißt die Realität heute Verbandsliga und tragen die Gegner Namen wie FV 09 Breidenbach, TUS Dietkirchen oder TSG Wörsdorf. Derzeit ist man dabei, eine neue und deutlich günstigere Mannschaft aufzubauen als die, die 2015/2016 lange um den Aufstieg in die Hessenliga mitspielte. Der Grund: Ein spürbar kleinerer Etat, nachdem in der Winterpause (mal wieder) Gerüchte über finanzielle Probleme die Runde machten, man sich nunmehr auf die gute Jugendarbeit und Spieler aus der Region mit einem hohen Identifikationspotential konzentrieren wolle.

Um die Fußball-Vergangenheit Gießens im Allgemeinen und die Geschichte des VfB 1900 im Speziellen geht es auch in Christian von Bergs 336 Seiten starken und ausgiebig bebilderten Werk “Damals auf dem Waldsportplatz…”, das deutlich mehr ist als einfach nur eine Chronik über einen Verein, der 1963 Landesmeister war und seit mehr als 30 Jahren versucht, sich auf die überregionale Fußballlandkarte zurück zu arbeiten. Wenn der Autor die Geschichte des schönen Spiels in Gießen bis in die 1950er Jahre nachzeichnet, die Zeit in der Hessenliga ausgiebig würdigt, Hessenauswahl-, Pokal- und Freundschaftsspiele bespricht und den Weg des Clubs nach 1982 aufzeigt, erfährt man immer auch etwas über die Stadtgeschichte, die Form der Sportberichterstattung in den einzelnen Jahrzehnten und darüber, wie eng der Fußballsport auch auf regionaler Ebene mit dem gesellschaftlichen Leben verbunden sein kann. Von Berg, selbst gebürtiger Gießener, lässt in seine Darstellungen nämlich immer wieder Auszüge aus Spielberichten, Zeitzeugenaussagen und jede Menge Archivmaterial einfließen. Im Zuge der Aufarbeitung der Gießener Fußball- ist damit auch gleich ein äußerst interessantes Buch zur Regionalgeschichte entstanden, indem beispielsweise im über 100 Seiten starken Abschnitt zur Hessenliga-Zeit der Rückblick auf jede Spielzeit stets mit einem kurzen Schwenk darauf beginnt, was in jenem Jahr in Gießen und umzu sonst noch so wichtig war.

In ebenjener Verbindung von Stadt- und Fußballgeschichte liegt dann auch eine der Stärken des Werkes, wodurch es sich von manch anderer ‘reiner’ Vereinschronik deutlich unterscheiden dürfte. Eine andere liegt in der umfangreichen Darstellung des Spielbetriebs zwischen den Kriegen und während der NS-Zeit, über die man nicht nur einen guten Einblick in die Rolle des Sports in diesem eher düsteren Abschnitt der deutschen Geschichte erhält, sondern quasi nebenbei auch noch Wissenswertes darüber lernt, wie die politischen Verhältnisse und das Kriegsgeschehen die Ligenstrukturen und -zusammensetzungen immer wieder durcheinander wirbelten und wie es gerade auch der Fußball war, der den Gießenern nach der schlimmen Zerstörung der Stadt wieder ein wenig Hoffnung, Mut und Zerstreuung gab.

Auch wenn der Autor an der einen oder anderen Stelle etwas zu sehr ins Detail geht und – als Beispiel – der Mehrwert detaillierter Mannschaftsaufstellungen in Anekdoten über einzelne Spielzeiten und Begebenheiten nicht sofort ersichtlich ist, ist das Buch alles in allem interessant geschrieben und bietet auch Leserinnen und Lesern, die möglicherweise nicht aus dem mittelhessischen Raum stammen, ein anregendes Leseerlebnis. Empfohlen sei “Damals auf dem Waldsportplatz…” damit all jenen, die sich für die Entwicklung des Fußballs in Deutschland vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts bis heute interessieren und dabei nicht nur die großen Linien, sondern insbesondere auch den lokalen und regionalen Bereich in den Blick nehmen wollen. Auch Anhänger des Amateurfußballs kommen deutlich auf ihre Kosten, erzählt von Bergs Buch am Beispiel des VfB 1900 Gießen doch die Geschichte und die Entwicklung eines Traditionsvereins mit allen ihren Höhen und Tiefen, wie sie sich so oder so ähnlich mit einiger Sicherheit auch in anderen Regionen zugetragen haben könnte.

“Damals auf dem Waldsportplatz… Der VfB 1900 und der Fußball in Gießen” von Christian von Berg ist im Verlag Die Werkstatt erschienen und kostet im Hardcover 24,90 €. Bezogen werden kann das Buch unter anderem direkt über die Verlags-Homepage. (as)

Wir feiern! 2 Jahre 120minuten. Alle Texte als kostenloses eBook!

120minuten lebt!

Die Vorbereitung, Ausarbeitung und Ausgestaltung langer Texte braucht ihre Zeit. Auch wenn nicht täglich eine neue Lesestrecke das Licht der Welt erblickt – hinter den Kulissen wird permanent gearbeitet. Es vergeht kaum ein Tag, an dem die Redaktion sich nicht über neue Textideen und Möglichkeiten der Weiterentwicklung von 120minuten austauscht.

Herausgegeben von 120minuten.github.ioWas wir im 2. Jahr wieder hinbekommen haben, ist Themenvielfalt: internationaler Fußball, Amateursport, Taktikdiskussionen, Historisches und viele weitere Themenfelder haben wir im vergangenen Jahr bearbeitet und gezeigt, dass unser aller Fußball weit mehr Facetten hat, als Barca, Bayern, Real & Co.

Und die nächsten Texte sind schon in der Pipeline – geschrieben von der Redaktion und den Autoren, die Lust und Zeit haben, etwas zu 120minuten beizusteuern. Ihnen gilt unser Dank. Und natürlich auch den Lesern, die uns mit ihren Kommentaren und Rückmeldungen in dem bestätigen, was wir tun.

Was wir uns wünschen? Redet darüber! 120minuten ist noch jung und wir würden gern so viele Fußballfreunde wie möglich damit erreichen. Wenn euch also gefällt, was ihr lest, dann empfehlt uns weiter.

120minuten feiert!

Und aus gegebenem Anlass verschenken wir alle Texte aus dem 2. Jahr 120minuten als kostenloses eBook zum Herunterladen. Als ePub oder mobi. “Langpass” haben wir die Textsammlung getauft. Die einzige Gegenleistung: ein Tweet oder ein Like bei Facebook – danach geht’s direkt zum Download.

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Das erwartet dich nach dem Download (ein Klick führt zur Onlinefassung der Beiträge):

  1. Hoch-professionelle Fußball-Romantik – revisited, Liga 3 – ein Saisonrückblick
  2. Was hat dich bloß so ruiniert? Rot-Weiss Essen
  3. Tränen im Mai – Michael Ballack
  4. Der Trainer meines Lebens
  5. Taktik ist überbewertet?!
  6. Am Ziel der Träume? Fußball und der Nationalsozialismus
  7. Ballack Begins
  8. Durch die Kreisligen Europas – England
  9. Meanwhile in Österreich – Red Bulls Dominanz
  10. Die andere WM
  11. Von der Fußlümmelei zum Massenphänomen
  12. Hoch-professionelle Fußball-Romantik
  13. United ist tot – Es lebe United?!
  14. Durch die Kreisligen Europas – Deutschland
  15. Meanwhile in Österreich – Pleiten und Mäzene

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Buchbesprechung: Die Helden von ’66

Während Fußballfans in England und sicher auch anderswo mit der Jahreszahl vor allem die WM 1966 in England assoziieren, gedenkt man in Dortmund im Mai dem Europapokalfinale der Pokalsieger 1966 gegen Liverpool. Dies wurde besonders deutlich vor dem Achtelfinalhinspiel gegen den FC Porto als auf der Südtribüne ein großes Banner mit dem Spruch

“Das Album vollenden – Ihr habt es in den Händen.”

hochgehalten wurde. Das spricht durchaus für Geschichstbewusstsein der Borussenfans, denn es dürfte den wenigsten bekannt, dass der BVB 1966 erstmals eine europäische Trophäe mit nach Hause brachte. Leider wird das Album auf unabsehbare Zeit weiterhin unvollendet bleiben und Borussia Dortmund wird dem erlauchten Kreis der Clubs nicht beitreten dürfen, die alle drei Europapokale gewonnen haben. Im Halbfinale hatten die Borussen mit West Ham den Titelverteidiger ausgeschaltet; diese wiederum hatten in der Runde davor den 1. FC Magdeburg in zwei durchaus packenden Spielen geschlagen. Im Finale dann war der BVB gegen Liverpool der krasse Außenseiter. So krass, dass selbst Billy Shankly der legendäre Trainer der Reds im Vorfeld sagte:

“Borussia Dortmund? Wer ist das schon? Das Finale in Glasgow ist für mich schon abgeschlossen. Mein neues Ziel ist das Finale der Landesmeister in der nächsten Saison.” (S. 119)

Wenn Die Dortmunder noch eine weitere Motivation benötigten, so hat Shankly sie ihnen frei Haus geliefert. Das Finale ist hart umkämpft, der Rasen durch Regen aufgeweicht. In der Verlängerung macht ausgerechnet der Spieler ein Tor, der sonst für seine Technik und seine Dribblings bekannt ist: Reinhard ‘Stan’ Libuda. Ein Torschuss von Held wird abgeblockt und fällt zu Libuda. Dieser, etwa 25m vom Tor entfernt, tut, was er sonst nie macht: er zieht ab. Die Bogenlampe wird lang und länger, geht gegen den Innenpfosten und die Hüfte von einem Verteidiger und vor dort ins Tor. Der Rest ist Geschichte und Libuda machte sich unsterblich. Vor der Saison von Schalke zum BVB gewechselt, um nach Schalkes Abstieg weiterhin in der 1. Liga zu spielen, ging er mit diesem Tor in die Annalen ein; sechs Jahre später gelang ihm dies mit den Knappen als er den DFB-Pokal gewann.
Das Buch von Gregor Schnittker beleuchtet die gesamte Saison im Europapokal, angefangen vom DFB-Pokalfinale 1965 gegen Alemannia Aachen, welches Dortmund 2-0 gewinnen konnte. Es folgen Kapitel für Kapitel die einzelnen Spiele in jeder Runde; insgesamt 4 Runden bis zum Finale im Hampden Park, der Heimspielstätte von Celtic. Soweit ist das auch gut.
In jedem Kapitel geht Schnittker auf den Gegner ein und beschreibt das Spielgeschehen. Jedoch, ehe es dazu kommen kann, werden wir mit Details überhäuft, die sich um Personalien oder Ereignisse in der Clubgeschichte des BVB drehen. Das ist etwas lang geraten und bedarf einer Kürzung bei einer zweiten Auflage.
Die interessanteste Frage wird gleich zu Beginn gestellt und soll hier kurz ausführlicher Platz finden. Kann man den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft 1954 mit dem der Dortmunder von 1966 vergleichen? Schnittker bejaht diese Frage, wird doch Erinnerung und damit Identität viel eher im Lokalen als im Nationalen gestiftet. Es war vor allem ein Achtungserfolg, dass der deutsche Fußball eben nicht nur in München, Hamburg oder Köln sein zu Hause hat, sondern auch im Ruhrgebiet, mit Ausnahme der Blau-Weißen Rivalen des BVB und sicher auch den Fans einiger anderer Clubs. Einer, der es wissen muss, ist Aki Schmidt, Kapitän der Dortmunder Elf von 1966. Er war 19 als Rahn Herbergers Elf 1954 zum Sieg schoss und 31 als er Dortmund zwölf Jahre später zum Titel führte. Er sagt:

“Der Sieg über Liverpool hat aber nicht nur uns gefallen, sondern auch Schalkern, Essenern, Duisburgern, Bochumern, den Menschen in Erkenschwick und was weiß ich noch wo.” (S. 8)

Dabei ist das Jahr 1966 in der Tat wichtig für die alte BRD. Adenauer war Geschichte und sein Nachfolger Ludwig Erhard hatte mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, die man fast gar nicht mehr kannte. Das Wirtschaftswunder kam zu einem Ende und es begann der Prozess der De-Industrialisierung und machte vor den Zechen und Stahlküchen keinen Bogen. Damit brach der Region ein wichtiges Standbein weg, was blieb war Fußball. Und Bier und die Erinnerungen. Somit half der Fußball als identitätsstiftendes Vehikel dem Pott in dieser Periode des Wandels. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist die These die Erfolge von 1954 und 1966 miteinander zu vergleichen, durchaus haltbar: beide Spiele wurden im Nachgang als Vehikel zur Identitätstiftung genutzt. Obschon auf sehr verschiedenen Ebenen, wird sowohl bei Deutschlands Sieg in Bern sowie Dortmunds Triumph in Glasgow, die Fähigkeit des Fußballs hervorgehoben, eine imaginäre Gemeinschaft zu kreieren: “Wir sind wieder wer.” Im dritten Anlauf einer deutschen Vereinsmannschaft schaffte es Borussia Dortmund, ein Finale zu gewinnen und somit den Stellenwert des deutschen Fußballs auch auf Vereinsebene zu untermauern.
Ein dickes Plus gibt es für die zahlreichen Zeitdokumente, seien es Fotos, Postkarten oder handschriftliche Notizen; dieses Buch füllt eine Lücke. Großer Kritikpunkt ist das unhandliche A4-Format des Buches, welches es nahezu unmöglich macht, es unterwegs zu lesen. Ein weiterer ist die Langatmigkeit der Kapitel. Weniger ist mehr, gilt einmal mehr. Es finden zu viele Nebensächlichkeiten Eingang in die Geschichte dieser Saison. Sicher sind das alles wichtige Puzzleteile im Gesamtbild dieser Saison, jedoch kommen diese Stücke oft zäh daher; die Protagonisten kommen ins Erzählen und dürfen das auch. Hier wäre ein etwas kritischerer Blick vom Lektor hilfreich gewesen.

Gregor Schnittker: Die Helden von ‘66. Erster deutscher Europapokalsieger Borussia Dortmund. Erschienen im Werkstatt-Verlag, 2016. ISBN: 978-3-7307-0250-5. Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Exemplar zur Besprechung zur Verfügung gestellt.

Buchbesprechung: Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland, 1933 – 1938

Trotz der rasanten Entwicklung der Sportgeschichtsschreibung in den letzten Jahren gibt es immernoch weiße Flecken. Einer dieser Flecken war die Geschichte jüdischer Fußballvereine. In einem Forschungsprojekt haben sich Lorenz Peiffer und Henry Wahlig dieses Themas angenommen und ein Standardwerk geschaffen, welches einen ersten Überblick auf die Entwicklung der jüdischen Fußballvereine zwischen 1933 und 1938 erlaubt. Diese Lücke vollends zu schließen wird dennoch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Der Untertitel “Eine Spurensuche” beschreibt sehr deutlich die Arbeit, welche die Autoren unternommen haben, um dieses Nachschlagewerk zu erstellen, welches nach Bundesland geordnet, die Vereine auflistet, kurz die Geschichte und Geschicke beschreibt, wichtige Persönlichkeiten hervorhebt und – wo möglich – auch Statistiken liefert. Neben den 16 Bundesländern der heutigen BRD sind auch die ehemaligen Gebiete Ostpreußen und Schlesien in diesem Buch erfasst. Diese Spurensuche begann 2010 und förderte um die 200 Vereine zutage. Neben dieser lexikalischen Funktion dieses Werkes erlaubt die Forschung ebenso Rückschlüsse auf die Bedeutung des Fußballs für jüdische Mitbürger während der Zeit der Nationalsozialisten. So zynisch es klingen mag und angesichts des bekannten Verlaufs der Geschichte auch ist, ohne die Nationalsozialisten und ohne die Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 und ohne die vorauseilende Gehorsamkeit vieler Vereine und allen voran des DFB, hätte es eine solche Blüte jüdischen Fußballvereinslebens nicht gegeben. Dies heben Peiffer und Wahlig in der Einleitung sehr deutlich hervor. Aus Briefen und Tagebuchnotizen zitieren sie und beschreiben so den Effekt, den die Aktionen des DFB auf die Personen und die Vereine hatten. So berichtet Julius Hirsch, wie er “bewegten Herzens” seinem “lieben KFV”, dem er immerhin seit 1920 angehörte, seinen Austritt anzeigte. Allerdings nicht ohne zu erwähnen, “daß es in dem heute so gehaßten Prügelkinde der deutschen Nation auch anständige und vielleicht noch viel mehr national denkende und auch durch die Tat bewiesene und durch das Herzblut vergossene Juden gibt.” (S.20)

9783730702215_cover_0Peiffer und Wahlig haben für diese Studie eine große Zahl an lokalen und überregionale jüdischen Zeitungen und Gemeindeblättern ausgewertet. Insgesamt waren das mehr als 5000 Seiten Material: “Eine in dieser Form bislang nicht zur Verfügung stehende Quellenbasis.” (S.9) Hinzu kommen Dokumente aus Archiven im In- und Ausland, wobei die ausländischen Archive weitaus ergiebiger waren, da geflüchtete Athleten Erinnerungen in diesen deponierten und so vor der Vernichtung bewahrten. Einführend gibt es einen kurzen Abriss der Geschichte des jüdischen Fußballs vor 1945. Dieser dient dazu, explizit darauf hinzuweisen, dass es Juden waren, die den Fußballsport förderten als dieser noch als “undeutsch, unelegant” (S.13) – also ganz ähnliche Stereotype, mit denen sich Juden konfrontiert sahen – oder als “englische Krankheit” bezeichnet wurde. Die wohl bekanntesten sind Kurt Landauer, Präsident des FC Bayern und Walther Bensemann, Gründer des Kicker und beteiligt an mindestens 8 (!!!) Vereinsgründungen wie beispielsweise Eintracht Frankfurt. Er war in die Gründung des DFB involviert organisierte das erste offizielle Länderspiel einer deutschen Nationalmannschaft 1908 gegen die Schweiz. Mit anderen Worten: ohne Bensemann sähe der deutsche Fußball heute anders, ganz ganz anders aus, gäbe es keine 4 Weltmeistertitel, derer man sich rühmt, vorzuzeigen. Angesichts dieser Tatsache war diese Forschungslücke nahezu grotesk; gepaart mit einzelnen Episoden aus der Geschichte des DFB post-1945 lassen sich hieraus unglücliche Rückschlüsse ziehen, die den DFB in die Verantwortung nehmen. Ohne Übertreibung kann man dem Buch das Siegel Pflichtlektüre aufdrücken. Jede und jeder, die/der sich mit deutscher Fußballgeschichte auseinandersetzt, sei es aus persönlichem Interesse oder im akademischen Rahmen sollte dieses Buch kennen.

Lorenz Peiffer, Henry Wahlig: Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland: Eine Spurensuche (Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 2015) ISBN: 978-3730702215

Das Buch ist erhältich über den Verlag oder kann bei allen anderen anderen Verkausstellen bezogen werden.

Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Exemplar zur Verfügung gestellt.

Max-Jacob Ost – Mein Fußball-Medien-Menü XII

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Wer sich für Fußball interessiert und gern Podcasts hört, kennt selbstverständlich den Rasenfunk. Und damit auch Max-Jacob Ost, der Woche für Woche als Moderator durch die Sendungen führt, in denen es darum geht, mit gleichermaßen kompetenten wie sympathischen Gästen den jeweils letzten Bundesliga-Spieltag zu besprechen. Auch außerhalb der Podcast-Szene ist Max-Jacob Ost in den Weiten des Internets unterwegs – auf Twitter zum Beispiel oder als Berater für Unternehmen und Agenturen im digitalen Bereich. Mehr Informationen gibt es auf maxost.de.

Max-Jacob Ost

Max-Jacob Ost

Welche Fußballmagazine/Zeitschriften liest Du regelmäßig?

Wie gerne würde ich jetzt schreiben: Der tödliche Pass, Transparent, Ballesterer, The Blizzard, 11Freunde und FourFourTwo. Die Wahrheit ist: Nichts von alledem. Mir entgehen grandiose Geschichten und toller Journalismus. Allein, mir fehlt leider derzeit absolut die Zeit für Zusatzlektüre zum täglichen Pensum. Und inzwischen bin ich so versaut, dass ich alles digital in Armlänge dabei haben muss, sonst wird es nicht konsumiert. 

Für welchen Text, den Du in den vergangenen Wochen gelesen hast, kannst Du eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen?

Das Reboot von Raphael Honigstein ist hervorragend, ich bin gespannt auf die deutsche Übersetzung. Dann habe ich das Privileg, das Erstlingswerk von Tobias Escher (spielverlagerung.de) schon vorab lesen zu dürfen und bin mehr als angetan. 

Wo und wie stößt Du auf lesenswerte Texte?

Twitter und Facebook sind die wichtigsten und einzigen Quellen. Was gut ist, schwimmt in der Timeline so oft vorbei, dass ich es trotz aller anderen Dinge nicht übersehen kann und dann auch gerne schnell weglese. Der Feedreader liegt leider seit Urzeiten brach und selbst blendle hat mein Leseverhalten nicht verändern können. Trotz der wirklich netten Mails, die sie mir immer mit Empfehlungen schicken.

Wie liest Du – am Tablet/Smartphone, am großen Bildschirm oder bist Du ein Internetausdrucker und Printliebhaber?

Eines vorweg: Ich habe Germanistik im Hauptfach studiert und eine große Liebe zu Büchern, am liebsten schön gebunden und nach dem Bücherregal meiner Eltern duftend. Doch diese Begeisterung konnte mit meinem Alltag nicht mehr Schritt halten. Wenn ich nun Zeit für Texte habe, dann meist im Dunkeln wenn nicht nur Smartphone sondern auch meine Zwillinge nur eine Armlänge entfernt sind. Eltern kennen das: Es gibt beim zu Bett bringen irgendwann eine reine Präsenzzeit. Man darf den Raum nicht verlassen, aber Singen oder beruhigend Zureden hält die Kinder mehr wach als es sie zum Schlafen bringt. Das sind für mich die Momente, in denen ich lese. Am Smartphone, in der Kindle-App (weiß auf schwarz, das ist dann nicht zu hell). Etwas traurig zwar, aber besser als im Sitzen einzuschlafen und mit den Kinderbettstäben als Abdruck auf der Stirn wieder aufzuwachen. Auch schon passiert. Mehrmals. 

Welches Fußballbuch kannst Du besonders empfehlen?

Ha! Da habt ihr eine Büchse der Pandora geöffnet. Was viele nicht wissen, weil es eigentlich auch nicht interessant ist, ich habe meine Magisterarbeit zum Fußball in der deutschsprachigen Literatur nach der WM 2006 verfasst. Dafür durfte ich mich in Primärliteratur wälzen und das habe ich voll ausgekostet. Fast unmöglich, sich hier zu beschränken, aber ich versuche es. Meine Top 5:

Otto A. Böhmer: Wenn die Eintracht spielt

Wer den Fußball als literarisches Objekt erlesen möchte, muss zu Böhmer greifen. Handke, Ror Wolff, Friedrich Christian Delius, alles schön und gut. Bei ihnen allen stört mich aber, dass der Metapherraum des Fußballs nur oberflächlich genutzt wird. Selbst Handke kratzt da meiner Meinung nach nur recht offensichtlich an der Schale. Böhmer hat mich dagegen bei jeder Lektüre gepackt. Der Fußball spielt hier eine literarische Rolle und das auf vielen Ebenen. Keine Ahnung, warum sonst nie jemand von diesem Buch spricht. Ich finde es grandios und habe es schon mehrmals verschenkt. 

Thomas Brussig: Schiedsrichter Fertig

Fast in einer Liga mit der Bedeutungstiefe von Böhmer, aber ein bisschen mehr auf die zwölf was die Metaphorik angeht. Die Bezüge zum Fußball sind leicht erkennbar und machen Spaß. Trotzdem sind sie nicht trivial und brechen manchmal andere Themenfelder auf. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Bezüge zur Kindheit des Protagonisten und seinem Hausmeister im Stile eines Blockwarts. Tolles Stück Literatur. 

Bönt, Ostermaier, Rinke (Hg.): Titelkampf. Geschichten der deutschen Autoren-Nationalmannschaft

Eine Anthologie ist immer nur so gut wie ihr schlechtester Text. Hat Reich-Ranicki mal gesagt und dann ist das halt so. In diesem Fall nicht besonders schlimm, denn die Texte in diesem Buch sind gleichzeitig grundverschieden und großartig. Ich hab mich in einzelne von ihnen regelrecht verliebt, nur um mich Wochen später von den alten Lieblingen zu trennen und andere noch toller zu finden. 

Ronald Reng: Robert Enke

Was könnte man an aktueller Fußballliteratur alles nennen. Doch keinem Werk täte ich mehr Unrecht, indem ich es hier nicht auflistete. Beeindruckend, bewegend, wunderbar formuliert. Man steht staunend da, schluckt den Klos im Hals herunter und dankt dem Schicksal dafür, dass einer der besten Schreiberlinge intime Einblicke in eines der tragischsten Schicksale des modernen Fußballs hatte. Alles um den Tod Robert Enkes ist unfassbar und das bleibt es auch – doch es wird begreifbarer durch dieses Buch. Wichtiger noch, es regt zum Nachdenken an und schärft den Blick für die eigene Umwelt. Und damit kann aus dieser Tragödie doch noch etwas Gutes entstehen.

Klaus Theweleit: Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell

Wenige haben meiner Meinung nach den Fußball gedanklich so durchdrungen wie Theweleit im Tor zur Welt. Er stellt kluge Querverbindungen zu Kultur, Geschichte und Soziologie her und hebt trotzdem nie ab. Eigentlich kaum zu glauben, dass das geht. Ich habe genügend abgehobene Pamphlete für meine Magisterarbeit lesen müssen, um dieses Buch gerade für seine Einfachheit zu lieben. Schaue immer noch gerne, aber viel zu selten, rein.

Welche Fußball-Podcasts verfolgst Du regelmäßig?

Wieviel Platz haben wir? Ich dürfte inzwischen als Podcast-Süchtiger bekannt sein. Im Tribünengespräch habe ich mal ein paar vorgestellt, die Rasenfunk-Podroll wächst wöchentlich. Machen wir es so: Ich öffne Pocket Casts und nenne diejenigen, in die ich in den letzten vier Wochen mindestens einmal reingehört habe. Was ich nicht empfehlen würde, lasse ich weg:

  • Textilvergehen
  • Reingemacht
  • Football weekly
  • Sportradio360
  • Erfolgsfans
  • Damenwahl
  • Millernton
  • Analytics FC Podcast
  • Bohndesliga
  • Eintracht Frankfurt Podcast
  • Mia san Rot
  • Auf die Zirbelnuss
  • Collinas Erben
  • Glückauf Pils Podcast

Sorry an alle, die ich hier nicht nennen konnte. Hatte nicht mehr Zeit.

Schaust Du noch die Sportschau, um Dich über den Spieltag zu informieren?

Als Ergänzung zur Vorbereitung auf die Rasenfunk Schlusskonferenz immer mal wieder, da ich von Spielen, die ich nicht über die vollen 90 Minuten gesehen habe, gerne mehr als eine Zusammenfassung sehe. Und immer wieder zieht es ein ganz klein wenig links in der Brust und ich wünsche mir, noch einmal wie früher alle Radios und Informationsquellen zu meiden und eine Sportschau zu sehen ohne die Ergebnisse zu kennen. Einmal wieder 12 sein. Wäre toll, ist aber dann doch nicht durchzuhalten.

Welche Website, welchen Podcast, welches Magazin kannst Du abseits des Fußballs empfehlen?

Bewegtbild: 

Youtube: Last Week Tonight, The Late Show with Stephen Colbert, David Hain, Fynn Kliemann (derzeit Favorit), LeFloid, Marie Meimberg, Patrick Wollny

TV: RocketbeansTV, Neo Magazin Royale, Die Anstalt

Netflix: Brooklyn Nine Nine war die Entdeckung des letzten Monats

Generell bin ich sehr dankbar für vieles, was Correctiv.org macht und stalke ein paar Journalisten wie den @hatr.

Der Slackbot schickt mir außerdem tolle Tech- und Digitalnews, die bei Reddit, Hacker News o.Ä. viele Upvotes in kurzer Zeit kriegen (via Fastvoted https://fastvoted.com/?ref=producthunt). Und einmal am Tag kommt das Producthunt Update, durch das ich mich so gerne klicke. 

Podcasts:

  • Gästeliste Geisterbahn
  • Sanft und Sorgfältig
  • Die Medien Kuh
  • Reply All
  • The Mystery Show
  • Online Marketing Rockstars
  • Radio Nukular
  • Startup
  • Täter gesucht / Wer hat Burak erschossen / Serial

In der Kategorie “Mein Fußball-Medien-Menü” fragen wir Fußballer und Fußballbegeisterte, Sportjournalisten und -autoren nach ihren persönlichen Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten zum Thema Fußball. Die Idee dazu entstand unübersehbar in Anlehnung an Christoph Kochs Medien-Menü, das inzwischen bei den Krautreportern zu finden ist.


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Teaserbild: B O O K by RkRao via flickr – CC BY 2.0

Gerald vom Tödlichen Pass – Mein Fußball-Medien-Menü XI

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Gerald ist Teil der Redaktion beim Tödlichen Pass, dem Urgestein unter den deutschsprachigen Magazinen zu Fußballkultur. Er spielte Hockey, weil seine Freunde Hockey spielten, ist und war aber immer schon Fußballer – einer, der keinem bestimmten Verein anhängt, was gelegentlich für Stirnrunzeln sorgt. In Kürze feiert der Tödliche Pass 20-jähriges Bestehen und im Hintergrund laufen die letzten Vorbereitungen zur Veröffentlichung des Buches “Fußballkritik – Das Beste aus 20 Jahren DER TÖDLICHE PASS“.

Welche Fußballmagazine/Zeitschriften liest Du regelmäßig?

Recht regelmäßig den “Ballesterer” und die “11 Freunde”, vom “Tödlichen Pass” einmal abgesehen. “Rund” vermisse ich immer noch. Das ganze überaufgeregte Tagesgebrüll über Fußball geht komplett an mir vorbei. Inzwischen verzichte ich bei Fußballübertragungen auch auf jedwede Vor- oder Nachberichterstattung. “Vorbericht” ist als Begriff schon fragwürdig, und nach den Spielen passieren dann natürlich genau die völlerschen oder mertesackerschen Ausbrüche, die ich live leider immer verpasse.

Für welchen Text, den Du in den vergangenen Wochen gelesen hast, kannst Du eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen?

“Taktik ist überbewertet?!” von Endreas Müller. Wunderbarer Selbstversuch, einer dieser Texte, bei denen man als PASS-Autor denkt: “Wärst du bloß selbst darauf gekommen!” Auch “Gehen Sie davon aus” (in der 11 Freunde, die Red.) lese ich immer wieder gern, und das 11-Freunde-Interview mit Horst Hrubesch (kostenpflichtiger Blendle-Link) im März-Heft ist großartig. Und Oliver Fritsch schreibt auf “Zeit online” viele interessante Dinge, immer wieder.

Wo und wie stößt Du auf lesenswerte Texte?

Viel, hauptsächlich über Twitter. Oder direkt über die SpOn-, FAZ- oder SZ-Apps. Oder Thom (@TompeausV) schickt mir einen Link, das sind dann immer ganz sichere Dinger.

Wie liest Du – am Tablet/Smartphone, am großen Bildschirm oder bist Du ein Internetausdrucker und Printliebhaber?

Printliebhaber, sowieso. Aber ich lese auch viel am Smartphone, in der S-Bahn, im Bus. Nicht schön, aber man gewöhnt sich an alles, außer an Rummenigge.

Welches Fußballbuch kannst Du besonders empfehlen?

Oha. Plural: “Alle unsere frühen Schlachten” von Javier Marias, “Über Fußball” von Jorge Valdano, “Der Traumhüter” von Ronald Reng, “Ein allzu kurzes Leben“, diverse Biermannbücher und doch auch das niegelnagelneue, jetzt im März erscheinende “Fußballkritik – Das Beste aus 20 Jahren DER TÖDLICHE PASS”.

Welche Fußball-Podcasts verfolgst du regelmäßig?

Keinen. Einige würden sich wohl lohnen, insgesamt aber auch wieder so ein Zeitding. Der beste, vielstimmigste (und auch flüchtigste) Podcast entsteht Mittwoch für Mittwoch ab 18:30 Uhr in der Kabine des SCP in Hamburg.

Schaust du noch die Sportschau, um dich über den Spieltag zu informieren?

Mal ja, mal nein. Wenn ich sie verpasse, kommt immer das schlechte Gewissen: “Mindestens die ‘Sportschau’ musst du doch …”

Welche Website, welchen Podcast, welches Magazin kannst du abseits des Fußballs empfehlen?

Das Wirtschaftsmagazin brand eins – und Bücher, Bücher, Bücher.


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Teaserbild: B O O K by RkRao via flickr – CC BY 2.0

Kurzrezension – Rückpässe – Fibel für Fußball-Romantiker

In “Rückpässe – Fibel für Fußball-Romantiker” wirft Hajo Steinert, Kopf der Literaturredaktion des Deutschlandfunks, auf 168 Seiten einen Blick zurück auf die Geschichte des Fußballs und auf das, woraus sich dieser Sport, so wir ihn heute kennen, entwickelt hat.

978-3-8319-0621-5Die über 60 kurzen Texte, die jeweils mit einem Schlagwort überschrieben sind, widmen sich mal den Früh- bzw. Vorformen des Fußballs in Japan oder England, ein anderes Mal dem Fußball der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet oder den Trikots von Torhütern. Ein bunter Strauß an Themen, deren einzige Gemeinsamkeit der Blick in die mal ferne mal nicht ganz so ferne Vergangenheit ist. Die einzelnen Texte sind kurzweilig und knackig und zur Lektüre zwischendurch geeignet.

An der Kürze kranken viele der Texte jedoch auch. Denn der Autor versucht sich fast immer an einem Rundumschlag und nicht an einer Detailbetrachtung. Auf 1½ Seiten den Bogen zubekommen, z.B. vom traditionellen japanischen Kemari zu den heute in der Bundesliga spielenden Japanern – schwierig. So erscheinen die Kausalketten und die geschilderte Abfolge der Ereignisse dann manches Mal so stark vereinfacht, dass beim Leser das Gefühl bleibt, zum Kern der Sache nicht vorgedrungen und stattdessen weit über das Ziel hinaus geschossen zu sein.

Auch die Einschätzungen des Autors sind in vielen Fällen nicht ganz nachvollziehbar, z.B. wenn er über Konrad Koch schreibt:

Derselbe Koch war es auch, der die bis heute verzwicketeste aller Regeln im Fußball, das Abseits, von der “Engländerei” übernahm und ins Regelbuch schrieb.

Diese Verallgemeinerung hört sich so an, als wäre Koch ursächlich dafür verantwortlich, dass noch heute die Abseitsregel gilt. Für die Regelauslegung eines Lehrers in Braunschweig wird sich die Fußballwelt aber wohl eher wenig interessiert haben.

Über solcherlei und Ähnliches stolpert man beim Lesen immer wieder und benötigt dann für die kurzen Texte länger als gedacht, weil man innehalten muss und sich fragt, was sich der Autor wohl bei seiner Formulierung gedacht hat. Manchmal sind die Erläuterungen des Autors auch einfach faktisch falsch, wenn z.B. die kurzen Hosen der Sechziger Jahre mit Ewald Lienen in Verbindung gebracht werden, der, Jahrgang ’53, bis 1974 beim eher unbekannten VfB Schloß Holte kickte.

Das mag ein Detail sein, aber wenn der Lesefluss immer wieder durch solche Ungereimtheiten unterbrochen wird – ärgerlich. Und wie viel mag der Leser dann noch von der Beschreibung einer Vorform des Fußballs im Mittelalter auf Grönland halten?

Die einzelnen Texte wollen zu viel in ihrer Kürze erzählen und lassen meist die Liebe zum Detail vermissen. Ein bisschen fühlen sie sich an wie vom Hörensagen unüberprüft niedergeschrieben. Ein Pluspunkt sind die Abschnitte, in denen der Autor lebhaft eigene Erinnerungen aus der Vergangenheit des Fußballs beschreibt. Da fühlt sich der Leser abgeholt und kann ein bisschen eintauchen in die Vergangenheit. Das passiert leider viel zu selten, um dem eigenen Anspruch einer Fibel für Fußball-Romantiker gerecht zu werden.

Rückpässe – Fibel für Fußballromantiker
erschienen bei Ellert & Richter, 168 Seiten, ISBN: 978-3-8319-0621-5, Preis: 14.95 EUR

Der Verlag hat uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.