Jerome Grad – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Thu, 06 Jun 2019 13:54:27 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 WM 2019 – 24 Spielerinnen, die die Welt verändern – Gruppe D https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-d/ https://120minuten.github.io/wm-2019-gruppe-d/#respond Tue, 04 Jun 2019 07:00:58 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6053 Weiterlesen]]> Die Favoritenrollen in Gruppe D sind klar verteilt: Japan, WM-Zweiter 2015 und England, damals Dritter werden den Gruppensieg unter sich ausspielen. Alles andere wäre eine Überraschung. Interessant wird es zu sehen, wie Argentinien sich schlagen wird, die derzeit mehr Probleme mit dem Verband als mit Gegnern haben. Und dann ist da noch Schottland, die zum ersten Mal dabei sind.

Steph Houghton – Fußball ist nicht alles

Der moderne Fußball kommt aus England, weshalb dort sehr oft davon gesprochen wird, Fußball käme nach Hause, wenn ein Turnier ansteht; entweder in Form der Trophäe. Oder das Mutterland richtet das Turnier selber aus, wie zuletzt 1996. Dieser Spruch “Football’s coming Home” bezieht sich dabei ausschließlich auf die männliche Version. Bisher war das halbwegs nachvollziehbar, waren doch die Frauen unter ferner liefen zu suchen bei den großen Turnieren. Während vor allem die USA und Deutschland, aber auch Frankreich und Japan zu den Top-Mannschaften gehören, ist die englische Nationalmannschaft erst in den letzten Jahren auf dem großen Parkett präsent. Wie die Herren hat auch der Frauenfußball in England spät den internationalen Fußball entdeckt.

Dabei fing es schon sehr früh an. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert gab es erste lose Frauenmannschaften. Nach dem 1. Weltkrieg sorgten dann Dick, Kerr Ladies F.C. aus Preston für Furore, bzw. für das spätere Verbot des Frauenfußballs in England. So war es jenes Team, welches eine französische Auswahl vor 25000 Zuschauern mit 2-0 besiegte. Es war das erste internationale Spiel von Frauenmannschaften. Doch der Zauber war bald vorbei, denn 1921 hat die FA es den Frauen verboten, auf ihren Plätzen zu spielen; dieses Verbot sollte erst 1971 aufgehoben werden. Die Dick, Kerr Ladies existierten bis 1965 und spielten dabei 828 Partien, von denen sie 758 gewannen. Nur 24 gingen verloren.

Steph Houghton, England vs Australia, Craven Cottage am 09.10.2018. Foto: EL Loko via WikiCommons, (CC BY 4.0)

Der Fußball der Frauen wird in England zunehmend populärer; nicht erst seit dem überraschenden dritten Platz bei der WM 2015 in Kanada, als man im Spiel gegen Deutschland, den vermeintlichen Favoriten nicht einfach nur eiskalt überraschte, sondern keine Chance ließ. Die Women’s Super League erfreut sich wachsender Begeisterung und seit September 2018 besitzen alle Clubs und Teams den Vollprofi-Status.

Eine, die schon bei der WM 2015 dabei war und in diesem Jahr die Löwinnen als Favorit auf das Spielfeld führen könnte, ist Steph Houghton von Manchester City. Ursprünglich aus Durham streift sie seit 2014 das himmelblaue Trikot über und hat es für England bereits in den Club der Hunderter geschafft, was nicht vielen vorbehalten ist.

Etwas macht Houghton aber außergewöhnlich und das hat mit ihrem Ehemann, Stephen Darby, zu tun. Dieser erklärte im September 2018 sein Karriereende. Aus gutem Grund.

Er leidet an der Motoneuron-Krankheit für die es bisher keine Heilungsmöglichkeiten gibt. Was hat das nun mit Steph Houghton und der WM zu tun? Ganz einfach, für sie ist es selbstverständlich, dass sie eben NICHT in Frankreich dabei sein kann, sollte es ihrem Ehemann nicht gut gehen. Dabei hat sie die volle Unterstützung des Nationaltrainers, Phil Neville, der ihr Zeit einräumte, sich auf die Situation einzustellen:

“Fußball ist nicht so wichtig, wie die Situation, die Steph gerade durchmacht.”

Es ist aber ihr Mann, Stephen, der ihr sagt weiterzumachen, auch um mal rauszukommen. Mit so einer Situation umzugehen, dazu gehört Stärke. Die hat Houghton und sie ist dadurch noch besser geworden, konstatiert Neville: “Sie ist derzeit so stark wie nie.” In der Liga ist City Tabellenzweiter mit einem Spiel weniger und dem Tabellenführer Arsenal auf den Fersen.

Ist es vorstellbar, dass ein Thomas Müller oder Timo Werner wegen ihrer Frauen auf ein Turnier verzichten würden?

Für Houghton könnte es eine sehr erfolgreiche Saison werden; am 4. Mai steht das Pokalfinale gegen West Ham an, die Liga wird eine Woche später entschieden. Es wird zum direkten Showdown zwischen Arsenal und Man City kommen. Danach geht es zur WM und um einen möglichen dritten Titel für die Spielführerin von England.

Englands Löwinnen von 2019 sind ohne Zweifel unter den Favoriten für die WM im Juni. Erst im März hat das Team den SheBelieves Cup gewonnen, dabei Brasilien und Japan geschlagen und gegen den amtierenden Weltmeister USA ein 2-2 geholt. Der Titelgewinn würde eine erneute Welle der Euphorie für Fussball auslösen, da sind sich alle Beobachter einig. Steph Houghton wäre neben Bobby Moore ein weiterer Fixstern in Englands Fußball Olymp.



Zur Person: Christoph Wagner ist Teil der 120minuten-Redaktion und beschäftigt sich dort mit historischen Themen.

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Erin Cuthbert – schottisches Vorbild

“Sie ist gewieft, sie ist selbstbewusst, sie ist entschlossen – eine echte Kämpferin mit großem Siegeswillen. Das sind genau die schottischen Eigenschaften, die wir sehen wollen.”

Das sagt Schottlands Nationaltrainerin Shelley Kerr über Erin Cuthbert, die mit gerade 20 Jahren bereits als Aushängeschild im schottischen Frauenfußball gilt. Ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft gab die Spielerin der Chelsea FC Women am 7. Juni 2016 in einem EM-Qualifikationsspiel gegen Weißrussland. Cuthbert war es auch, die bei der anschließenden Endrunde im zweiten Turnierspiel gegen Portugal das allererste Europameisterschaftstor der Schottinnen erzielte, als sie nach 68 Minuten zum zwischenzeitlichen Ausgleich netzen konnte. Verloren ging die Partie dennoch mit 1:2, auch das 1:0 im abschließenden Gruppenspiel (Cuthberts erstem über 90 Minuten im Dress der Nationalmannschaft) gegen Spanien reichte nicht zum Weiterkommen.

Erin Cuthbert Foto: Pandagrenade via WikiCommons, (CC BY-SA 4.0)

Dementsprechend sind die Erinnerungen an die Europameisterschaft der Frauen 2017 für Erin Cuthbert auch mit gemischten Gefühlen verbunden. Klar, sie hatte ein historisches Tor erzielt, dennoch lief für das Team insgesamt nicht alles nach Plan. Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich soll sich das nun ändern:

“Die EURO ging nun gar nicht nach unserem Geschmack los. Aber es waren damals auch zahlreiche Umstände gegen uns. Einige wichtige Spielerinnen fehlten verletzt und es gab noch weitere Probleme”, so Cuthbert.

“Seitdem haben wir uns als Team aber enorm weiter entwickelt. Wir wissen, dass es schwer wird, aber ich bin zuversichtlich, dass wir eine gute Visitenkarte abgeben werden.” (FIFA.com).

Diese Zuversicht ist alles andere als unbegründet, löste die erstmalige Qualifikation der Schottinnen für eine Weltmeisterschaft doch eine gute Portion Euphorie in Glasgow, Edinburgh, Dundee und umzu aus:

“Ich kann mich nicht erinnern, dass in Schottland jemals so viel über Frauenfussball gesprochen wurde. Dabei schwingen aufrichtiger Respekt und jede Menge Freude mit. Den Menschen wird klar, dass wir alle sehr stolz auf diese Frauen sein dürfen. Die Leute zählen schon jetzt die Tage bis zum ersten Spiel, das ist einfach grandios.”(Singer-Songwriterin Amy Macdonald im Interview mit FIFA.com)

Der schottische Nationalstolz, der inzwischen auch durch die Fußballfrauen transportiert wird und den Erin Cuthbert so eindrucksvoll vorlebt, ist für Trainerin Shelley Kerr einer von vier Faktoren für den derzeitigen Erfolg. Darüber hinaus musste das Team auf dem Weg nach Frankreich immer wieder Rückschläge wegstecken, an denen die Mannschaft wachsen und ihren Charakter unter Beweis stellen konnte. Vier der sieben Siege in der Qualifikation konnte das Team nach einem Rückstand einfahren; mentale Stärke und Belastbarkeit sind also ein weiterer Faktor, der für die Schottinnen spricht. Darüber hinaus profitiert der Frauenfußball im Land von dem Umstand, dass der weit überwiegende Teil der nominierten Spielerinnen inzwischen unter professionellen Bedingungen trainiert und spielt. Ein großer Teil des Kaders steht bei englischen Teams unter Vertrag, Kapitänin Rachel Corsie schnürt gar für den Utah Royals FC aus der amerikanischen National Women’s Soccer League die Fußballschuhe. Schließlich gilt auch die offensive Spielweise, die Shelley Kerr ihrer Mannschaft verpasst hat, als einer der Schlüssel zum schottischen Fußballerfolg.

Ob diese vier Faktoren ausreichen werden, um den großen Rivalen aus England im Auftaktspiel der Gruppe D am 9. Juni zu bezwingen und damit möglicherweise den Grundstein für ein erfolgreiches Turnier zu legen, wird sich allerdings noch zeigen müssen. Die Bilanz spricht hier eindeutig für die englischen Kolleginnen: 25 Mal gab es die Paarung Schottland – England im Frauenfußball bisher, zweimal konnten die Schottinnen gewinnen, einmal ein Unentschieden erkämpfen, 22 Mal ging die Mannschaft als Verlierer vom Platz.

Fakt ist auf jeden Fall, dass die schottische Nationalmannschaft die Reise nach Frankreich nicht als touristischen Ausflug versteht, sondern durchaus Ambitionen hat, dort eine gute Rolle zu spielen.

“Es gibt nichts Größeres als eine Weltmeisterschaft. Wir sind sehr stolz und hoffen, dass wir nicht nur Mädchen verstärkt für den Fussball begeistern können. Wir wollen das Land hinter uns bringen. Es soll Spaß machen, diese Mannschaft zu unterstützen.”(Mittelfeldspielerin Caroline Weir bei FIFA.com)

Und auch Erin Cuthbert kündigt an, dass die Mannschaft in Frankreich nicht nur das Teilnehmerinnenfeld komplettiert:

“Wir werden kämpfen. Keine Mannschaft wird es gegen uns leicht haben.”

Zur Person: Alex Schnarr ist Teil der 120minuten-Redaktion und beschäftigt sich dort mit den gesellschaftlichen Zusammenhängen in und um den Fußball.

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Argentinien – Macarena Sánchez siegt abseits des Platzes

Unabhängig, wie die Spiele der argentinischen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich verlaufen werden: Die Fußballerinnen aus Südamerika haben bereits gewonnen – außerhalb des Platzes. Für diesen Erfolg ist eine Frau verantwortlich, die beim Turnier in Frankreich gar nicht Teil des Nationalteams ist: Macarena Sánchez.

Die 27-jährige Fußballerin Macarena Sánchez hat ein bewegtes Halbjahr hinter sich. Anfang 2019 wurde sie von ihrem damaligen Verein Deportivo UAI Urquiza aus der Hauptstadt Buenos Aires suspendiert – aus sportlichen Gründen so die offizielle Verlautbarung. In der argentinischen Liga, in der die meisten Frauen kein Gehalt erhalten und ihre Reisekosten zu Auswärtsspielen teilweise selbst tragen müssen, kein gänzlich ungewöhnlicher Vorgang.
Allerdings scheint es so, als ob ein anderer Grund den Ausschlag für die Trennung gab. Denn Sánchez ist gewillt, die Zustände im argentinischen Frauenfußball zu ändern: Weg vom amateurhaften Sport, hin zum professionellen, zum gleichberechtigen Fußball. In einem Land, in dem der Fußball so stark mit dem gesellschaftlichen Leben verwoben ist, dass sich durch den Sport dieselben patriarchischen Strukturen ziehen, wie im politischen und gesellschaftlichen Leben.

Macarena Sanchez Foto: TitiNicola via Wiki Commons, (CC BY-SA 4.0)

Anzeichen für die These des Rauswurfs aufgrund nichtsportlicher Gründe ist die Tatsache, dass Sánchez in der Öffentlichkeit über die Missstände als fußballspielende Frau anprangerte und eine Klage gegen ihren ehemaligen Klub Deportivo UAI Urquiza ankündigte. Ein Verein, der zu diesem Zeitpunkt den in der dritten Liga spielenden Männern feste Gehälter bezahlte, während den in der Copa Liberatores spielenden Frauen gerade mal die Reisekosten bezuschusst wurden – bei Sánchez mit 400 Pesos monatlich, umgerechnet knapp 10 Euro. Wie dies mit den FIFA Regularien einher gehen soll, in denen die Gleichberechtigung der Geschlechter verankert sind, fragte sich nicht nur Sánchez und richtete sich in ihrem Statement auch gegen den argentinischen Verband.

Professionalität ist gleichbedeutend mit Gleichberechtigung

Sánchez wollte ihren Auftritt nicht missverstanden wissen als Forderung nach Heroisierung und dem Verdienst von Millionen, wie bei den Männern üblich. Vielmehr wollte sie den Weg zum professionellen Fußball für Frauen in Argentinien ebnen. Ihre beinahe trivial klingenden Forderungen: Bereitstellung von Trainingsplätzen zu humanen Zeiten, Übernahme der Kosten für die Ausrüstung, der Versicherung im Krankheitsfall und auch der Reisekosten zu Auswärtsspielen. Bei Männern eine unausgesprochene Selbstverständlichkeit. 2017 streikten sogar die besten Spielerinnen des Landes, die Nationalspielerinnen, da sie auf ihr Stipendium in Höhe von umgerechnet 7 Euro warten mussten.

Natürlich sollte professioneller Sport auch professionell bezahlt werden. Daraus macht Sánchez kein Geheimnis. Durch mehr Bezahlung könnten die Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen, sich voll und ganz auf den Sport konzentrieren und so wiederum ausreichend trainieren um sich zu verbessern und wiederum mehr Erfolge zu feiern. Freilich eine diskutable Argumentationskette, aktuell vor allem aber nur Wunschdenken.

3 kleine Schritte zum großen Ziel

Unterstützung bekam Sánchez in den Monaten nach ihrem öffentlichen Auftritt von Anwältinnen und Frauenrechtsbewegungen wie „La Nuestra“, die sie in ihrem Handeln bestärkten und auch für das entsprechende Echo im Land sorgten. Der Umstand, dass Sánchez – mitten in der Saison entlassen – nicht mehr innerhalb der Liga wechseln durfte, half ihr sicherlich den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Denn sie, die Frieda Kahlo auf ihrem Arm tätowiert hat, musste auf keine Interessen mehr achten. Dieser Schritt war von Erfolg gekrönt.

Nun, einige Monate später hat sich einiges verändert. Im März 2019 kündigte der Verband an, dass zur kommenden Liga-Spielzeit ab Juni jedes Team mindestens acht Spielerinnen mit professionellen Verträgen ausgestattet haben muss. Welche Punkte dieser Vertrag beinhalten muss, bleibt allerdings offen. Der Verband in Person von Präsident Claudio Tapia sicherte zu, dass (zunächst) in Buenos Aires ein Trainingszentrum gebaut wird. So sollen Spielerinnen und Vereine, die keine eigene Trainingsstätte besitzen, die Voraussetzungen für ein professionelles Training bekommen. Zudem durfte am 9. März 2019 erstmals die Frauenmannschaft der Boca Juniors in La Bombonera spielen – im Vorfeld eines Ligaspiels der Männer gegen San Lorenzo. Die Partie, live im nationalen Fernsehen übertragen, gegen Lanus gewannen sie überlegen mit 5:0.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Selbstredend reicht ein Livespiel im Fernsehen oder der Bau eines Trainingskomplexes in der Hauptstadt nicht, um den Frauenfußball in Argentinien zu professionalisieren. Auch die Mindestzahl von acht Profiverträgen scheint im ersten Moment wie ein Schlag ins Gesicht. Wer es vergessen haben mag: Auch eine Frauenfußballmannschaft besteht aus mindestens elf Spielerinnen. Und noch vor einem Jahr, 2018, gab der Verband ein Russland-Handbuch für die argentinischen Fans im Vorfeld der Weltmeisterschaft heraus, indem sich explizite Flirttipps zu russischen Frauen befanden.

Doch in diesem patriarchisch strukturierten Land, in dem bislang nur der Männerfußball zählte, hat der Frauenfußball seinen Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Sei es durch ein Livespiel im Fernsehen, sei es durch die rebellierende Macarena Sánchez, die mittlerweile bei San Lorenzo unter Vertrag steht. Offensichtlich kam Sánchez mit ihren Überzeugungen und ihrem Willen zur Veränderung zur rechten Zeit. Ein Beleg? Sánchez‘ neuer Boss Matias Lammens, der Präsident von San Lorenzo, einst nicht unbedingt als Verfechter des Frauenfußballs in Erscheinung getreten, zieht mit einer fortschrittlichen Frauenrechtsagenda in den Bürgermeisterwahlkampf von Buenos Aires (die Wahl ist im Oktober). Da scheint die Einstellung der Frauenfußballrechtlerin Sánchez im eigenen Verein sicherlich keine falsche Entscheidung, um die Wählerschicht für sich zu gewinnen.

Auch wenn teilweise politische Motive für die Einstellung Sánchez‘ nicht unwahrscheinlich erscheinen, so lässt sich davon unabhängig konstatieren: Frauenfußball und die die Frage der Gleichberechtigung ist ein Faktor im öffentlichen Diskurs Argentiniens geworden. Und davon kann der argentinische Frauenfußball profitieren. Denn erst so lassen sich die drängenden Fragen nachhaltig thematisieren.

Gewonnen haben die Spielerinnen (teilweise) schon

Unbestritten ist dies aber nur der erste Schritt in die richtige Richtung. Die März-Ankündigungen muss der Verband nun umsetzen und zeigen, dass es ihm mit dem Aufbau einer professionellen Frauenfußballliga ernst ist. Die Qualifikation zur Weltmeisterschaft, der ersten nach zwölf Jahren, zeigt, dass die Weltspitze für die argentinischen Fußballerinnen nicht allzu weit entfernt ist. In einer Gruppe mit dem Vizeweltmeister Japan und dem WM-Dritten von 2015, England sowie Schottland wird der Einzug in die KO-Runde zwar nicht einfach.
Doch unabhängig vom Resultat haben die argentinischen Fußballerinnen schon vor dem Turnier gewonnen – und zwar an Anerkennung, auch dank Macarena Sánchez. Sicherlich hätte sie auch nichts gegen ein Weiterkommen ihrer Kolleginnen, genauso wie der Großteil der knapp 45 Millionen anderen fußballverrückten Argentinier und Argentinierinnen. Dann dürfte auch der Prozess der Professionalisierung des argentinischen Frauenfußballs zügiger vorangehen.



Zur Person: Jerome Grad ist Teil der 120minuten-Redaktion.

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Ein Mix aus Routine und Neulingen soll Dauerteilnehmer Japan Erfolg bringen

Der Tag, an dem der Kader für ein anstehendes Turnier bekanntgegeben wird, birgt für einige Spieler*innen Bestätigung oder positive Überraschungen – für andere wiederum grenzenlose Enttäuschung. Das war auch am 10. Mai bei der Veröffentlichung des japanischen Kaders für die WM in Frankreich nicht anders. Eine, die sich bis zuletzt Hoffnungen darauf gemacht hatte, diesmal beim Turnier für ihr Land auflaufen zu dürfen, ist Hikaru Naomoto, die in der zu Ende gegangenen Saison in der Allianz Frauen-Bundesliga für den SC Freiburg aufgelaufen ist.

Zwar schaffte es die Mittelfeldspielerin auch 2015 nicht in den Kader des einzigen asiatischen Landes, das bisher an allen Weltmeisterschaften teilgenommen hat, sie war aber bei den Asienmeisterschaft 2014 und 2018 ebenso im Team wie beim Tournament of Nations 2017. Bei diesem Turnier landete „Nadeshiko Japan“ allerdings auf dem letzten Platz – bei der WM 2015 hatte es die Mannschaft noch ins Finale geschafft.

Im abschließenden Freundschaftsspiel der Vorbereitung für die WM in Frankreich, das Japan am 9. April gegen Deutschland bestritt (2:2), wurde Naomoto in der 83. Minute eingewechselt. Für die Weltmeisterschaft nun verzichtet Trainerin Asako Takakura auf die 25-jährige Spielerin, die mit uns im Interview über ihre Karriere ebenso wie den Stellenwert von Frauenfußball in ihrer Heimat spricht.

Hikaru Naomoto beim Spiel gegen SGS Essen am 27. April 2019. (Foto: SC Freiburg)

Ihre erste Saison in Freiburg ist gerade zu Ende. Was war in der Bundesliga so, wie Sie es sich vorgestellt haben? Wovon wurden Sie vielleicht auch überrascht?
Wie ich erwartet habe, wird in Deutschland mit mehr Geschwindigkeit und mehr Kraft gespielt. Und ich war sehr erstaunt, dass auch in der AFBL sehr viele Spielerinnen mit einer guten Technik spielen und jede Mannschaft auch im Passspiel sehr sicher ist.

Wie wird die AFBL in Japan wahrgenommen? Welche anderen Ligen stehen im Fokus?
Die AFBL hat im Allgemeinen mehr Tempo und es wird mit mehr Power gespielt. Das wird sowohl von den Fans, als auch von anderen Spielern so gesehen. Außerdem werden unter anderem die amerikanische Liga und spanische Liga verfolgt, da dort auch Japanerinnen spielen.

Sie kamen in 19 Ligaspielen und drei DFB-Pokal-Begegnungen zum Einsatz. Wie wohl fühlen Sie sich im Team?
Im Team fühle ich mich sehr wohl. Das Level ist sehr hoch und es ist nicht einfach, in die Startformation zu kommen. Aber auch der Kampf um die Stammplätze macht sehr viel Spaß!

Was sind, bezogen auf Ihr eigenes Spiel bzw. Ihre Rolle im Team, Unterschiede zwischen der Liga-Mannschaft und der Nationalmannschaft?
Ich denke, meine Aufgabe ist es, gute Pässe zu spielen, schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen und in bestimmten Situationen Ruhe ins Spiel zu bringen. In der Nationalmannschaft kann ich es nicht genau sagen …

Sie haben bei der U-17-Weltmeisterschaft 2010 in Trinidad und Tobago das Finale erreicht. Wie sehr hat dieses Turnier Sie als junge Spielerin beeindruckt?
Dass wir es bis in das Finale schaffen würden, hätten wir nie gedacht. Und ich bin sehr daran gewachsen. Anfangs waren wir zwar zufrieden, eine Medaille gewonnen zu haben, aber direkt nach dem Spiel haben wir gedacht, dass es nur etwas zählt, wenn wir die Goldmedaille holen.

In der abgelaufenen Saison kam Naomoto auf 19 Einsätze, 13 davon in der Startelf. (Foto: SC Freiburg)

Bei der U-20-Weltmeisterschaft 2012 in Japan wurden Sie mit Ihrem Team Dritter. Wie groß war die Begeisterung für das Turnier im eigenen Land?
Alle waren sehr begeistert und mit einem Mal waren wir für eine zeitlang berühmt. Die Zahl der Fans hat ungemein zugenommen und ich hatte sogar manchmal Angst, alleine auf die Straße zu gehen …

Welchen Stellenwert genießt der Frauenfußball aktuell in Japan, auch verglichen mit dem in Deutschland? Wo könnten die beiden Länder voneinander lernen?
Ich denke, dass der Frauenfußball unter den Frauen-Sportarten sehr beliebt ist. Die Deutschen können von den Japanern vielleicht die Schnelligkeit dabei abschauen, Entscheidungen zu treffen. Und die Japaner können noch lernen, wie man Zweikämpfe führt – und natürlich den Zug zum Tor!

Ärgert es Sie persönlich, dass der Stellenwert des Frauenfußballs oftmals immer noch hinter dem des Männerfußballs zurücksteht?
Ich finde es schon sehr ärgerlich, dass – vor allem in Japan, wo die Frauen seit Jahren gute Ergebnisse erzielen – der Unterschied beim Stellenwert so groß ist. Schließlich sind wir 2011 auch Weltmeister geworden!

Wer ist aus Ihrer Sicht Favorit auf den Titel?
Frankreich und Deutschland.

Vielen Dank für das Gespräch.



Zur Person: Mara Pfeiffer schreibt unter anderem für die Allgemeine Zeitung, den Freitag und den ballesterer. Sie gehört zur Redaktion von 120minuten und dem FRÜF-Kollektiv.

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Fußball und Fernsehen: Das Geld hat den Sportjournalismus versaut https://120minuten.github.io/fussball-und-fernsehen-das-geld-hat-den-sportjournalismus-versaut/ https://120minuten.github.io/fussball-und-fernsehen-das-geld-hat-den-sportjournalismus-versaut/#comments Wed, 23 Jan 2019 08:00:19 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5606 Weiterlesen]]> Jährlich überweisen Fernsehsender und andere Bewegtbild-Plattformen einen Milliardenbetrag für die Übertragung von Fußballspielen. Herauskommen sollen Produkte, die unterhalten und den Nutzern gefallen. Schließlich finanzieren die Konsumenten die Sendungen zu einem Großteil über ihre Beiträge. Doch wie vertragen sich Unterhaltung und kritischer Journalismus? Wie viel dürfen die Reporter tatsächlich fragen, wenn ihre Arbeitgeber den “Fußballzirkus” in seiner heutigen Form überhaupt erst ermöglichen? Und wie viel Distanz ist überhaupt möglich als Teil des Systems? Der Artikel geht der Frage nach, ob Fußballübertragungen und die Berichterstattung drumherum wirklich kritisch sein können. Und auch, ob sie es überhaupt sein müssen.

Von Jérôme Grad (@Mr_Degree)

Fieldreporter sind hautnah dabei und sorgen für erste Stimmen unmittelbar nach dem Spiel.

Fieldreporter direkt nach dem Spiel auf dem Feld / (CC BY 2.0) Victor Araiza

1.159.000.000 Euro, also 1,159 Milliarden Euro. Damit ließen sich fünf Produktionen des bislang teuersten Films der Geschichte, “Avatar”, realisieren. Oder die Autobahnstrecke von Dortmund nach Hamburg mit einer Stafette aus 500-Euroscheinen pflastern. Oder 27.720 Studierenden ein Jahr lang die Gebühren an der Harvard-Universität bezahlen. 1,159 Milliarden Euro – das ist auch mehr als das jeweilige Bruttoinlandsprodukt 2017 der 17 wirtschaftsschwächsten Staaten der Welt. Für diese Summe lässt sich aber auch deutscher Profifußball im deutschen Fernsehen zeigen. Denn das ist der Betrag, den SKY, Eurosport, ARD, ZDF und DAZN für die Bewegtbildrechte seit der Saison 2017/18 und noch bis 2020/21 bezahlen. Pro Saison.

Unabhängig von diesem zugegebenermaßen etwas polemischen Vergleich: Fußball im Fernsehen zu zeigen ist doch ein feiner Zug von SKY, Eurosport, ARD, ZDF und DAZN, oder? Fußball für alle ist doch eine tief demokratische Sache, nicht wahr? Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts boten zunächst nur die Öffentlich-Rechtlichen Fußball im Fernsehen eine Plattform und ermöglichten den Fans einen ortsunabhängigen Zugang zum Sport. Doch wie verhält es sich, wenn nicht mehr nur 650.000 Deutsche Mark pro Spielzeit, wie 1965 von der ARD, für die Fußballrechte bezahlt werden, sondern 2,266 Milliarden Mark, also das knapp 3500fache?

“Wer nur Minderheiten bedient, kann nicht überleben”

Natürlich bedürfte es für eine umfassende Argumentation der Berücksichtigung der Inflation in Deutschland seit 1965, der weltweiten Vermarktungsmöglichkeiten des Fußballs heutzutage und auch der Summen, die mittlerweile in der Fußballbranche im Umlauf sind. Doch genau diese Aspekte beeinflussen auch die Arbeit derjenigen, die eigentlich kritisch auf solche Entwicklungen schauen sollten – die Sportjournalisten.

Um das gleich vorneweg zu sagen: Es ist legitim, dass Medienunternehmen bei Überlegungen der Aufbereitung eines Fußballspiels im Fernsehen den Aspekt der Refinanzierung eine nicht unwesentliche Rolle zukommen lassen und den Kunden in den Vordergrund stellen. Denn mit seinen monatlich regelmäßigen Zahlungen in Form eines Abonnements sorgt er, zusammen mit den Werbepartnern, für die Sicherung der TV-Rechte der Medienunternehmen. Den Kunden zufrieden zu stellen, damit er weiter für das Angebot zahlt, muss also das Ziel der Unternehmen sein. “Wer nur Minderheiten bedient, kann nicht überleben”, proklamierte einst der langjährige BR-Sportchef Werner Rabe mit Blick auf die Programmgestaltung.

Doch was bedeutet “den Kunden zufrieden stellen”? Kann kritischer Journalismus (ko)existieren, wenn Zufriedenheit erst durch die Vermittlung von Freude und Emotionen erzeugt wird? Wo ist dann noch Platz für einen Journalismus, der in erster Linie seriös, verlässlich und objektiv über das berichtet, dabei auch Hintergründe aufdeckt und hier und da zum Nachdenken anregt?

Infotainment für mehr Attraktivität

Natürlich kann kritischer Journalismus, wie man ihn aus anderen Medien, z.B. dem Printbereich, kennt, zum Unterhalten des Zuschauers vor dem Fernseher nicht taugen. Der Fernsehzuschauer schaltet die Glotze mit einer ganz anderen Intention an, als der Leser die Zeitung liest. Umgekehrt bedeutet das aber nicht, dass sich Journalismus und Unterhaltung ausschließen müssen. Für eine Sendung kann journalistisch sauber recherchiert und können Hintergründe beleuchtet worden sein. Anschließend wird der Zuschauer mit einem Informations-Mehrwert entlassen und sich dadurch unterhalten fühlen. Diverse Sendungen im Kulturbereich sind ein gutes Beispiel dafür.

Anders verhält es sich bei Fußballübertragungen und Live-Berichterstattungen, die mittlerweile zu großen Teilen im Privat- und Bezahlsendern gezeigt werden. Hier wird der kritische, hintergründige Sportjournalismus zugunsten der Attraktivität der Unterhaltung geopfert. Medienpädagoge Uli Gleich nannte das vor einigen Jahren bereits Infotainment. Die Informationen sollen leicht verdaulich präsentiert werden. Komplexe Zusammenhänge einfach darstellen – das ist doch ein Grundsatz von Journalismus, oder?

Halbzeitanalysen bei Sportübertragungen im Fernsehen

(CC BY 2.0) Ken Lund

Das Geld hat den Sportjournalismus versaut

In diesem Fall ist ein anderer Punkt wesentlich. Mit dem immer größer werdenden Pool an Mitspielern im Fußballbusiness, mit immer mehr Geld im Sport, hier sei vor allem an die Berichterstattung in den privaten Sendern gedacht, verschob sich die Achse von reiner Berichterstattung immer weiter Richtung Infotainment. Eine Entwicklung, die Gerhard Meier-Röhn, Dozent für Medien und Gesellschaft an verschiedenen Hochschulen, aufgreift: Damit sich die hohen Investitionen im Fußball lohnen, sei der Sport immer mehr zu einer Ware verkommen und deshalb im Fernsehen immer mehr inszeniert worden. “Geld hat den Sportjournalismus versaut”, so das Fazit des früheren DFB-Mediendirektors und langjährigen SWR-Sportchefs auf den Lokalrundfunktagen 2018 in Nürnberg

Die redaktionelle Freiheit, worüber man als Journalist sprechen kann, wird eingeschränkt. Nicht nur den Zuschauer gilt es zufrieden zu stellen, sondern auch die Interessen des Arbeitgebers, der viel Geld in die TV-Rechte investiert hat, sowie der (Werbe-)Partner und Sponsoren. Doch können Journalisten in einem Spannungsfeld überhaupt kritisch und unabhängig arbeiten, wenn ihre Arbeitgeber selbst Teil dieser immens gewordenen Fußball-Industrie sind?

Ein kritischer Beobachter wird nun anmerken, dass Werbeanzeigen schon seit langer Zeit in Zeitungen Einzug gehalten haben und ohne Sport die eine oder andere Zeitung kaum mehr überlebensfähig wäre. Dass die Print-Journalisten vom Erwerb der TV-Rechte für ihre Arbeit ebenfalls profitieren, steht außer Frage. Doch eine so enge Verzahnung wie bei den Bewegtbild-Anbietern mit den gezahlten Beiträgen für die Übertragungsrechte besteht nicht.

Wie viel Unterhaltung darf es denn sein?

Doch zurück zum Fernsehen, das in seinen Grundzügen mehr auf Unterhaltung ausgelegt ist als die Printmedien. Das Konzept von Fußball im Fernsehen soll dem Zuschauer vor der Mattscheibe oder dem Tablet den Fußball direkt ins Wohnzimmer bringen.

“Der Sport ist – aus der Sicht der Fans – zuallererst eine Unterhaltungsmaschine“, wie es Prof. Dr. Johannes Heil in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung formulierte. Diese Maschine beginnt bei der Übertragung selbst, durch die Fans nicht mehr ins Stadion müssen, um ihre Mannschaft live zu sehen. Und sie endet bei Interviews und Talks am Spielfeldrand, die in erster Linie eine explizite Stadion–Wohnzimmer-Nähe hervorrufen sollen. Ganz nach dem früheren Motto des Deutschen Sportfernsehen: “Mittendrin statt nur dabei”. An dieser Stelle kann kein kritischer Journalismus entstehen.

Und natürlich sind Bezahl-Sender (mehr als die Öffentlich-Rechtlichen) daran interessiert, ihr Produkt zu glorifizieren. Denn: Je mehr Menschen Fußball mögen, desto größer der potentielle Kundenkreis. Umgekehrt formuliert: Würde ein Bezahlsender, der auf Kundenabonnements und Einschaltquoten angewiesen ist, in wesentlich höherem Maße über Themen wie Doping und Korruption berichten, würde sich das unterhaltende Freude-Erlebnis beim Zuschauer wohl kaum einstellen. Es bestünde eine Gefahr der Anti-Popularisierung des Fußballs, die mit einer Schrumpfung des potenziellen Kundenkreises einhergehen würde.

Der Einfluss der Medien auf den Fußball

Betrachten wir ein einzelnes Fußballspiel, nehmen alle beteiligten Sender durch die Summen, die sie in das Fußballgeschäft pumpen, indirekt und mittelbar Einfluss auf die Qualität im deutschen Fußball. Die einfache Rechnung: Je mehr Millionen die DFL erhält, desto mehr kann sie davon an die Vereine weiterverteilen, die damit auf dem Transfermarkt bessere Argumente bei einer Verpflichtung eines Spielers haben. Im Übrigen auch eine Forderung von DFL-Geschäftsführer Christian Seifert, der die Vereinsvertreter nach dem letzten Fernsehvertrag in die Pflicht nahm. Diese (theoretische) Macht der Sender gegenüber dem Fußball ist auch Thema beim Interview mit Kommentator Uli Hebel.

Dass mehr Geld aber nicht unmittelbar zu mehr Erfolg führen muss, zeigt der Blick nach England. Dort wird von 2016 bis 2019 für die TV-Rechte knapp 2,3 Milliarden Euro pro Spielzeit bezahlt, also knapp das Doppelte im Verhältnis zu Deutschland. Seit Ankündigung des neuen Vertrags im Februar 2015 schafften es 2015/16 Manchester City als einziger englischer Viertelfinalist ins Halbfinale der Champions League. 2016/17 war Leicester sogar der einzig verbliebene englische Verein im Viertelfinale. 2017/18 waren es mit Manchester City und Liverpool immerhin zwei Klubs unter den letzten Acht. Macht summa sumarum vier aus 24 in den vergangenen drei Jahren. Auch wenn drei Teilnahmen allein auf den FC Bayern München entfallen – aus Deutschland kamen in diesem Zeitraum fünf Viertelfinalisten.

Journalistischer Mehrwert – Fehlanzeige

Soweit die Sender und Plattformen. Kommen wir zum Journalisten als Einzelperson. Bei der Live-Übertragung wird der Kommentator zur Erzählfigur. Seine Aufgabe ist es, den Zuschauer während des Spiels vor dem Bildschirm mit Informationen zu versorgen, Zusammenhänge zu erläutern und das, was auf dem Spielfeld passiert, zu kommentieren. Dazu kommt je nach Format und Sender noch ein Experte dazu, der erklärt, warum etwas auf dem Feld passiert. Eine übersichtliche Auflistung der verschiedenen Protagonisten liefert Luca Schepers in “Der Fußball und das Fernsehen – Inszenierung des Fußballs im Fernsehen”.

Zusammen sollen sie einen unterhaltenden Mehrwert schaffen, der sich allerdings nicht nur auf die Glorifizierung des Sports beschränken sollte, wie Uli Hebel betont: “Ich glaube nicht, dass die Zuschauer während der 90 Minuten Fußball nur die heile Welt hören wollen.” Stattdessen sei es laut Hebel die Aufgabe des Journalisten in der Rolle des Kommentators zu sagen, “warum es [das Spiel] nicht gut war. Ich kann nicht sagen, Spieler X ist ein schlechter Spieler. Erstens ist er Berufsfußballer und kann nicht per se schlecht sein. Und Zweitens wäre das nicht fair.”

Der Moderator wiederum hat während der zahlreichen Talks vor und nach dem Spiel auch die Aufgabe der Einordnung von Aussagen. Das wäre der journalistische Mehrwert in einem unterhaltenden Bereich wie dem Fernsehen. Doch eine Auseinandersetzung mit den Hau-drauf-Sprüche der Experten für die nächste Schlagzeile und zur Unterhaltung, Instagram-Posts als Rechtfertigung für die schlechte Leistung – sie findet nur selten statt.

Und noch ein Aufreger: Statt in der Halbzeit einer Live-Übertragung entscheidende Szenen zu analysieren, wird bei Bezahlsendern Werbung für einen Spielfilm gemacht. Das mag unter dem Aspekt der Selbst-PR und Ankündigung legitim sein, hat aber eben nichts mit Fußball und Journalismus zu tun.

Kumpanei im Sportjournalismus – ein Teufelskreislauf?

Schlimmer noch als die offensichtliche Vermengung von Werbung und redaktionellem Inhalt der Sender ist die Kumpanei, der sich Sportjournalisten teilweise auch zu Recht ausgesetzt fühlen. Die mangelnde Distanz ist ein oft in Diskussionen über und unter Sportjournalisten hervorgebrachter Aspekt und war auch Thema des Vortrags von Meier-Röhn auf den Lokalrundfunktagen.

Ein erheblicher Teil der journalistischen Arbeit macht selbstredend die persönliche Pflege von Kontakten aus. Ein Journalist, der an keinerlei Interna gelangt, keine Hintergründe kennt oder inoffiziellen Gespräche führt, kann kein Verständnis entwickeln und wird keine Exklusivgeschichten zu berichten haben. Das gilt für Print wie Fernsehen gleichermaßen. Im Sport wie in der Politik. Nähe ist im Journalismus nun mal gängig.

Die Kehrseite: Durch zu viel Nähe zu Spielern machen sich Journalisten angreifbar. Einem nahestehenden Sportler stellen nur die wenigsten Journalisten unangenehme Fragen. Gerade der Fieldreporter muss sich mit seinem Interviewpartner gut stellen, kann öffentlich nicht immer die Fragen stellen, die ihm mitunter auf den Lippen liegen. So entsteht das, was Axel Balkausky einst “Erfüllungsjournalismus” nannte – Fragen um der Fragen Willen. Nur so geht er sicher, dass er bei der nächsten Interview-Anfrage nicht ignoriert wird.

Fieldreporter sorgen bei sportlichen Live-Berichterstattungen für das Hautnah-Erlebnis

Fieldreporter im Einsatz / (CC BY 2.0) Gareth Williams

Glaubwürdigkeit vs. Nähe zum Sportler

Das mag bei SKY, die sich durch den TV-Vertrag auch das Recht auf Interviews einkaufen, ein geringeres Problem sein als bei regionalen Fernsehsendern. Aber oftmals suchen Fieldreporter deshalb die Nähe der Sportler, die sie mit dem Duzen vor laufenden Kameras unterstreichen wollen. Doch dadurch wird der Vorwurf der mangelnden Distanz der Sportjournalisten zu ihrem Themenfeld eher gefördert und der Respekt vor ihrer unabhängigen Arbeit bei den Vereinsverantwortlichen nicht unbedingt größer.

In den Augen einiger Vereinsvertreter profitieren Journalisten ohnehin von einem erfolgreichen Fußball und sollen daher im Hurra-Stil Bericht erstatten. Kritische Themen und Entwicklungen sind seitens der Vereine und Verbände unerwünscht. Da wird auch mal mit Interview-Verbot oder Akkreditierungsentzug gedroht. Mario Rieker, Leitender Redakteur Bundesliga bei DAZN, kann die Überlegungen der Vereine bei überzogenen Berichterstattungen teilweise nachvollziehen und plädiert deshalb für einen guten Umgangston untereinander: “Wenn du nicht nur auf die Schlagzeile aus bist, sondern kritisch fair, merken es die Vereine und werden dir weitere Interviews erlauben.”

Wie sehr der einzelne für Interviews und Exklusiv-Informationen die Nähe der Sportler sucht, darf jeder Journalist mit Blick auf seine Glaubwürdigkeit selbst entscheiden.

Der Sportjournalist als Fan

Apropos Glaubwürdigkeit: Diese leide, wenn man Fan wäre, lautet ein weiterer Vorwurf. Stichwort Heldenverehrung. Aber macht ein gewisses Fan-Sein für Journalisten nicht sogar Sinn? Ist gute Berichterstattung nicht erst durch Nähe im Sport möglich?  Ein Kommentator, der bereits selbst im Verein gespielt hat und sich für diesen Sport begeistert, wird mehr Empathie und mehr Leidenschaft vermitteln können, als jemand, der noch nie gegen einen Fußball getreten hat. Und Fan eines bestimmten Vereins zu sein, kann förderlich sein: “Im Zweifel ist man als Fan sogar kritischer, als der neutrale Beobachter”, so Rieker, der gleich eine Handlungsanweisung gibt, wie man zu viel Nähe ausschließt: “Wenn ich das Gefühl habe, in meiner Arbeit zu subjektiv zu sein, prüfe ich die Dinge zwei bis dreimal. So wirke ich dem Vorwurf entgegen, nicht journalistisch gearbeitet zu haben.”

Überhaupt: Haben Wirtschaftsjournalisten nicht ein gesteigertes Interesse an Finanzfragen? Werden von Politik-Journalisten nicht Artikel nach Sympathien zu handelnden Personen geschrieben und veröffentlicht? Ist es also schlimm, wenn Journalisten gleichzeitig auch Fan sind? Nein, solange sie sich dessen bewusst sind. Und genauso verhält es sich mit dem Fußball im Fernsehen und den TV-Sendern. Richtig ist, dass ein im Fußballfernsehen arbeitender Journalist selten ohne Zwänge arbeitet, weil er selbst Teil des Systems ist.

Wozu noch Journalisten?

Aber dieses Phänomen existiert nicht nur im Sport, sondern überall dort, wo Geld in großem Maße in Projekte fließt, beispielsweise in der Filmindustrie. Man muss sich also von dem Gedanken verabschieden, dass ein Bereich, der so stark mit der Unterhaltungsindustrie verbandelt ist, noch eigenständig arbeiten und kritischer Geist sein kann.

Und dennoch braucht es Journalisten, die dieser zunehmenden Kommerzialisierung im Sport entgegenwirken – gerade in Zeiten von aufkommenden Netflix-Produktionen zu Juventus Turin oder der Amazon-Reihe zu Manchester City, die gute Beispiele für eine immer größere Unterhaltung und Vermarktung und den zurückgedrängten Journalismus sind. Diese Produktionen suggerieren den Fans den Blick hinter die Kulissen.

Solange der Fan das Bedürfnis nach dem Verein hat, wird er Bedürfnis nach Journalismus haben

Doch das Material wird vom Verein vor der Veröffentlichung auf Feelgood-Faktoren überprüft. DAZN-Redakteur Rieker macht sich dennoch wenig Sorgen um den kritischen Sportjournalismus: “Wenn etwas am Lieblingsverein kritisiert wird, wird sich der Fan vielleicht aufregen, aber er wird die Inhalte konsumieren. Und solange der Fan dieses Bedürfnis hat, wird er auch ein Bedürfnis nach Journalismus haben.”

Die Chance für Journalismus liegt also im Gegengewicht zur Vermarktung des Fußballs durch kritischen Journalismus. Kritischer Journalismus heißt jedoch nicht, immer Dinge schlecht zu machen und/oder nach der skandalträchtigsten und quotenbringendsten Schlagzeile zu lechzen. Sondern es soll heißen einzuordnen, Hintergründe zu liefern, Argumente zu analysieren und auszutauschen, mehrere Positionen zu präsentieren. Kritischer Journalismus sollte, kulturell und (teilweise) unabhängig von der Annahme betrieben werden, wie viele Leute sich dafür interessieren.

“Das [„Footballleaks“] ist der kulturrelevante Teil, den Sport eben auch hat. Und Kultur bedeutet immer auch Überforderung. Auch Überforderung kann unterhalten. Das darf jeder für sich entscheiden. Und gerne auch täglich neu.”  – Uli Hebel, Kommentator und Dozent an der Macromedia Hochschule München

Öffentlich-Rechtliche Sender frei vom Quotendruck?

Und genau ein solcher Journalimus – quotenunabhängig und mit kulturellem Beitrag – ist der Bildungsauftrag der Öffentllich-Rechtlichen. Denn ohne in die Details des komplizierten Verteilungsschlüssels für die GEZ einzutauchen, lässt sich festhalten, dass die Öffentlich-Rechtlichen über ein gesichertes finanzielles Einkommen und damit Planungssicherheit verfügen, die andere TV-Anstalten nicht haben. “Man kann den privaten Sendern nicht vorwerfen, dass sie unterhalten wollen, da sie es wegen der Refinanzierung auch müssen”, konstatiert der Blogger und Journalist Klaas Reese. Gleichwohl würde er sich mehr journalistische Inhalte wünschen. Uli Hebel geht sogar noch ein Stück weiter: “Meiner Meinung nach sollte man im Journalismus nicht nur mit Quote argumentieren, auch nicht als privater Sender. Die Öffentlich-Rechtlichen aber dürfen es noch nicht einmal.”

Doch statt als Gegenpol aufzutreten, hecheln die Öffentlich-Rechtlichen in ihrem Programm den privaten Sendern teilweise hinterher. Zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen. Der Fokus auf Infotainment begann mit dem Aus der Sat1 Sportsendung “ran” und dem Wechsel von Reinhold Beckmann und Matthias Opdenhövel zur Sportschau, mit der eine neue redaktionelle Ausrichtung einherging. Zudem haben sich die Öffentlich-Rechtlichen vom Fußball abhängig gemacht. Sie, die ihn einst erst groß gemacht haben, unterwerfen sich dem Fußball, um Quote zu generieren. “Wenn neben Fußball andere Sportarten in höherem Maße im Fernsehen gezeigt würden, müsste man auch nicht jede Schlagzeile mitnehmen”, ist sich Reese sicher, dass bei einem ausgewogeneren Programm weniger Fokus auf das Drumherum beim Fußball, sondern mehr auf den Sport selbst gelegt werden könnte.

Mehr Diskussionsrunden zu Doping

Klar sind bei der Berichterstattung der ARD und des ZDF deutliche Unterschiede zu den anderen Medien erkennbar, auch bedingt durch den ihnen aufgetragenen Bildungsauftrag. Natürlich gibt es profilierte Sportjournalisten, Dunja Hayali im Sportstudio beispielsweise. Natürlich werden Themen wie Doping angesprochen. Auch unterhält die ARD mit Hajo Seppelt und seinem Team eine investigative Doping-Redaktion, wahrscheinlich eine der größten weltweit.

Allein die Frage muss erlaubt sein, warum solche Themen nur gestreift werden oder außerhalb der Primetime laufen. Selten noch wurde bei Live-Übertragungen vor einem Spiel Doping mit Hajo Seppelt besprochen, wurde statt über den Wechsel von Spieler X über Doping hintergründig mit Experteneinschätzung berichtet. Sinnvoll im unterhaltenden Mehrwert wäre hier doch die Frage, woher Doping kommt oder wie staatliche Strukturen Prozesse decken. Das kann natürlich nicht während einer Halbzeitpause passieren, aber ein Einspieler mit Hinweis auf die Sendung in der Mediathek sollte machbar sein.

Ideale Welt trifft harte Realität

In einer aus Autorensicht idealen Welt wären die Themen und Sendeplätze losgelöst(er) von der Quote. In dieser idealen Welt wäre die ARD in den 1990er nicht mit dem Sponsoring des Radteams Deutsche Telekom bereits eine sehr verfängliche Partnerschaft eingegangen, bei der sie laut Meier-Röhn als Gegenleistung Exklusiv-Interviews bekam. In einer idealen Welt würden die Öffentlich-Rechtlichen nicht mit den privaten Sendern um die Live-Übertragung und Berichterstattung des Fußballs wettbieten und sich somit in Erklärungsnot bringen, wenn sie mehr Infotainment und Schlagzeilen produzieren wollen statt ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden.

In einer idealen Welt stellen Journalisten nicht nur nette Fragen aus Angst vor dem Bedeutungsverlust ihrer Zunft. In einer idealen Welt haben Vereine etwas übrig für fair-kritische Journalisten. In einer idealen Welt werden gute, journalistische Arbeiten von Kommentatoren und Moderatoren nicht nur maximal nebenläufig erwähnt, sondern zitiert und so in die breite Öffentlichkeit gebracht.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass hintergründige Themen wie Doping die große Mehrheit der Bevölkerung nicht interessiert, zumindest nicht unmittelbar vor einem Fußballspiel, dann nämlich, wenn man zum Feierabend unterhalten werden möchte. Quote ist zwar nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Jacques Reynaud, Executive Vice President Sports & Advertising bei SKY, unterstützt diese These im Gespräch mit Günter Klein auf merkur.de: “Wo weniger Zuschauer erreicht werden, kann man eher experimentieren. Wir wollen einem Millionenpublikum das beste Fernsehergebnis bieten.”

Der Blick in die Zukunft

Im Prinzip greift hier das antike Brot-und-Spiele-Konzept. Und dazu gehört für die Mehrheit offensichtlich der unterhaltende Aspekt im Fernsehen. Die von Uli Hebel postulierte Überforderung bleibt bei den Unterhaltungsformaten teilweise auf der Strecke. Für Fans, die nicht nur abgedroschene Phrasen hören, sondern z.B. Taktikfragen beantwortet haben wollen, eine ziemlich niederschmetternde Erkenntnis.

Exemplarisch für den unterhaltenden Aspekt sei die Frage erlaubt, warum der Frauenanteil bei Moderatorinnen (vor der Kamera) deutlich höher im Verhältnis zu Kommentatorinnen (hinter der Kamera) ist. Denn wenn Frauen als Moderatorinnen journalistisch arbeiten können, warum dann auch nicht als Kommentatorin?

Ob und inwieweit der Journalismus die Unterhaltung wieder zurückdrängen kann, bleibt abzuwarten. Mit DAZN und Eurosport sind neben dem Platzhirsch SKY zwei weitere Bezahlsender auf dem Markt getreten, die nachhaltig über Konsumentenverhalten auch das Angebot bei SKY verändern könnten. Auch wenn klar ist, dass SKY eine Mehrzahl seiner Kunden behalten wird, solange sie den Großteil der Lizenzen für die Live-Übertragungen der Fußballspiele besitzt.

Blick in die Zukunft des Sportjournalismus im Fernsehen

(CC BY 2.0) Jon Candy

Ob bei der nächsten Rechte-Vergabe der deutsche Markt im Zuge der internationalen Vermarktung der DFL überhaupt noch eine Rolle spielen wird, steht höchstens in den Notizbüchern von Christian Seifert und Co. Ob dort auch die zukünftige Rolle des Journalismus‘ im Fernsehen als Teil des Systems steht, ist nicht übermittelt. Daher soll der Text mit einem Blick in die Glaskugel abschließen:

Eine Zukunftsvision: Über die Verbandelung Medien – Sport – Wirtschaft wird regelmäßig diskutiert. Vereine begreifen Journalisten als Mitspieler auf Augenhöhe, die nicht stören, sondern mit ihrer Berichterstattung zu einem gelungenen gesamtheitlichen Bild beitragen. So verhindern die Vereinsverantwortlichen die Abkehr der Fans aufgrund der immergleichen Inhalte und dem Platzen der Fußballblase. Die Debatte darüber, wie man Teil des Systems sein kann und dennoch kritisch berichtet, wird wesentlich mehr in der Vordergrund gerückt.

Die Journalisten (der Öffentlich-Rechtlichen) hingegen begeben sich im Wettkampf um die beste Quote nicht mehr auf die Suche nach den skandalträchtigsten Zitaten. Der Bezahlsender wird zwar nicht zur Enthüllungsmaschinerie investigativen Journalismus‘, kooperiert aber mit den Öffentlich-Rechtlichen. Die Rollen sind dabei klar verteilt. Der Bezahlsender liefert den Live-Content, die Öffentlich-Rechtlichen Hintergründe. Nutznießer ist der Kunde, der sich sein Angebot zurechtlegen kann und dafür nur einen Flatrate-Preis zahlt.

Zweite Zukunftsvision: Es findet eine komplette Individualisierung des Sportangebots statt. Zukünftig bezahlt der Kunde lediglich für das, was er schauen möchte. Ein Live-Spiel – 5 Euro. Eine Halbzeit – 3 Euro. Eine Doku über Doping – 3 Euro. Einen Monat nur diesen Verein oder jene Liga – 10 Euro. Alle Spiele und Trainingseinheiten eines einzelnen Spielers – 15 Euro. Ein Vorbericht – 0,50 Euro. Blick in die Kabine: 2 Euro. Bewegtbild-Rechte werden auch nicht mehr ligaweit, sondern vom Verein vermarktet. Bei Sky bereits jetzt Realität: Das Sky Ticket für einen bestimmten Tag oder eine bestimmte Woche

Dritte Zukunftsvision: Die Doku von Manchester City auf Amazon ist erst der Anfang einer Reihe solcher Original Content Produktionen. Der Fan darf hinter die Kulissen blicken, wie es Journalisten nicht mehr dürfen. Die Vereine jubilieren über neue Verbreitungskanäle, die Fernsehgelder steigen weiter, 2030 sichert sich Amazon die Komplett-Rechte an der Bundesliga und schluckt damit die anderen Bezahlsender endgültig. Die Öffentlich-Rechtlichen haben sich da schon seit Jahren nur noch auf den Amateurfußball konzentriert.

Vierte Zukunftsvision: Die Medien besinnen sich darauf, dass sie den Fußball groß gemacht haben und rebellieren gegen die Verbände. Die Öffentlich-Rechtlichen zeigen explizit nur noch andere Sportarten, der Fußball versinkt im medialen Niemandsland – oder für Unsummen auf den Club-TVs . Stattdessen machen 2030, nach einer Hochphase des American Football, nun vor allem Trend- und Outdoorsportarten den meisten Anteil im Fernsehen aus.

Interview mit Uli Hebel

“Der Ball ist die Botschaft”

Uli, es werden immer größere Summen für die TV-Rechte zur Fußball-Übertragung bezahlt. Die Beträge müssen irgendwie refinanziert werden. Muss ein Sportjournalist im Fernsehen auch ein guter Verkäufer sein?

Hebel: Klar, zur Rolle des Journalisten ist gewissermaßen die des Verkäufers dazu gekommen. Die Grenzen zwischen redaktionellen und werblichen Inhalten verschwimmen immer mehr. Diese sind aber zu trennen. Ich verkaufe aber, wenn du so willst, dem Zuschauer seinen Sport und dann und wann Programm des Senders. Ich bin Journalist und kein Testimonial oder Verkäufer. Plakativ gesprochen mindestens zu 95 Prozent. Das ist mein Anspruch.

Für eine gewisse Unterhaltung musst du auch noch sorgen, schließlich will der Kunde animiert werden…

Hebel: Das Wort Unterhalter wird oft mit dem Klassenclown gleichgesetzt. Unterhaltung kann auch aus einer dreistündigen Sendung bestehen, aus der du idealerweise mit mehr Wissen herausgehst. Mich unterhält Football Leaks mehr als ein langweiliges Fußballspiel, auch wenn es in dem Buch um das „Schlechte“ im Fußball geht. Das ist der kulturrelevante Teil, den Sport eben auch hat. Und Kultur bedeutet immer auch Überforderung. Auch Überforderung kann unterhalten. Das darf jeder für sich entscheiden. Und gerne auch täglich neu.

Der Vorwurf, Sportjournalisten seien mehr Unterhalter und keine richtigen Journalisten ist also falsch?

Hebel: Natürlich operieren wir nicht am offenen Herzen, wir beeinflussen auch nicht in dem Maße Menschenleben wie in der Politik oder Wirtschaft. Aber ich lasse es nicht zu, dass Sportjournalisten sagen, wir sind NUR Sportjournalisten. Wir machen einen großen Teil des gesellschaftlichen Lebens aus. Und egal über welches Thema du Journalismus betreibst: Du hast kritisch zu sein!

Kritisch sein, beißt sich das nicht mit den Interessen des Senders, der ein Produkt verkaufen will?

Hebel: Ich glaube einfach nicht, dass die Zuschauer während der 90 Minuten Fußball nur die heile Welt hören wollen. Es gehört zur Fußballberichterstattung dazu, alles anzusprechen. Das müssen wir den Zuschauern zutrauen und vor allem zumuten. Geht es dann um zu komplexe politische Themen, dann sage ich in der Sendung auch mal, das sollen andere machen. Ich spreche aber Dinge klar an, kann oder mag sie aber nicht einordnen und überlasse das Feld dann lieber einem Experten. Aussagen gegen Rassismus beispielswese wirst du von mir aber immer wieder mal hören.

Also noch nie Probleme mit dem Chef bekommen, weil du bei einem Spiel zu kritisch berichtet hast?

Hebel: Natürlich haben die Verantwortliche Angst, dass das Produkt kaputt gemacht wird. Aber DAZN traut uns die Abwägung zu. Ich würde mir das im Übrigen aber auch nicht verbieten lassen, etwas Kritisch anzumerken; dafür werde ich ja bezahlt. Meine Meinung wiederzugeben. Das Wichtigste ist: Du musst bei dir bleiben. Wenn du nicht versuchst, sozial erwünscht zu sein, dann wird es der Zuschauer verstehen.

Kannst du das an einem Beispiel fest machen?

Hebel: Angenommen die ersten 45 Minuten einer Partie waren totaler Dreck und du sagst das auch so: Dann wertest du dein Produkt natürlich ab und hast deinen Beruf nicht verstanden. Die Aufgabe des Journalisten ist es, zu sagen warum es nicht gut war. Ich kann nicht sagen, Spieler X ist ein schlechter Spieler. Erstens ist er Berufsfußballer und kann nicht per se schlecht sein. Und Zweitens wäre das nicht fair. Ich darf und soll kritisch sein, muss dabei aber respektvoll bleiben. Diesen Grundsatz sollten wir bedienen…

Häufig hört man, den Sportjournalisten fehle es an Distanz. Sie würden sich zu sehr mit Athleten rühmen wollen, eine Kumpelei stattfinden und kritische Fragen auf Sendung nicht stellen. Kann man diese Spirale überhaupt durchbrechen?

Hebel: Natürlich besteht die Gefahr, zukünftig keine Interviews mehr zu bekommen, wenn du kritisch über jemanden sprichst. Das muss sich das Fußballbusiness im Besonderen auch anschreiben lassen. Die Verantwortlichen denken, sie sind mit ihren Formaten nicht abhängig von Medien. Sie irren.

Inwiefern?

Hebel: Medien und Massensport leben von der Wechselwirkung. Die Medien sollten rigoroser sein und den Vereinen klarmachen: Ihr könnt eure Vereins-Formate behalten. Aber wenn ihr Geld von uns kassiert, müsst ihr uns Spieler für ein Interview anbieten und nicht alles exklusiv ausstrahlen. Wenn wir nicht mehr berichten würden, verlieren die Zuschauer den Zugriff und die Verbindung zwischen dem Fan und dem Sportler wird beschnitten. Das ist dann plötzlich ein zentrales Druckmittel, da ein Großteil der Vereinseinnahmen über die Fernsehgelder generiert wird.

Es gibt aber noch die Eintrittskarten, Merch-Artikel…

Hebel: Klar, aber wenn du nicht mehr gesendet wirst, findest du irgendwann nicht mehr statt. Das passiert nicht sofort, sondern erst über ein paar Jahre hinweg. Wenn du als Bayern München nicht mehr übertragen werden würdest, hättest du nur noch die Zuschauer in der Arena. Aber nicht die Abermillionen vor den Bildschirmen. Das sind ja die potenziellen Kunden für Vereinskanäle oder Fanartikel.

Im Konjunktiv weitergedacht: Als Bayern München würde ich entgegnen, dass du als Sender mit mir die höchsten Einschaltquoten in Deutschland generierst…

Hebel: Klar. Es wird immer jemanden geben, der sich die Rechte sichert, wenn du dieses Argument in die Realität umsetzen würdest. Ich diskutiere das Ideal. Und Ideal ist immer auch Utopie. Du kannst als Sender-Verantwortlicher dieses Argument in Verhandlungen nicht bringen, aber durchaus die Relevanz der Sender klar machen. Wir Medien sorgen für eine objektive Berichterstattung, daran sollte den Vereinsverantwortlichen auch gelegen sein. Wir schwimmen zwar nicht im selben Boot, aber auf selber See.

Stichwort Objektivität: Oftmals werden offensichtlich werbliche Inhalte von Journalisten im Fernsehen vorgetragen. Da wird ein Stadionname oder eine Marke genannt…

Hebel: Als Journalist lebe ich von meinem Wort, von meiner Glaubwürdigkeit. Ist es kein redaktioneller Beitrag, hat es mit Journalismus nichts zu tun. Ich stehe für best-mögliche Unabhängigkeit. Vereinen oder Waren gegenüber. Wenn ich Werbung mache, dann nimmt mich irgendwann keiner mehr ernst. Und die Verschmelzung von redaktionellen Inhalten und Werbung ist das größte Verbrechen der Medienlandschaft oder größer: die Meinungsfreiheit.

Wie sieht denn für dich perfekter Sportjournalismus aus?

Hebel: Fair, kritisch, auch positiv kritisch, reflektiert, sauber recherchiert, dann und wann meinungsstark und polarisierend. Aber ohne das hysterische, sozial erwünschte, von Klicks getriebene. Es gibt viele, die sich im Sportjournalismus selbst profitieren wollen, und das auf dem Rücken des Sportjournalismus‘ austragen. Das ist nicht der Sinn des Berufs. Der Ball ist die Botschaft.

In unserer Reihe zum Sportjournalismus sind außerdem erschienen:

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