Der europäisierte Fußballfan?

Die Europäisierung des Fußballs und ihre Auswirkungen auf Fans

Clubfußball hat seit seiner Entstehung immer wieder Ländergrenzen überwunden. Seit den 1890er Jahren gab es regelmäßige Turniere und Freundschaftsspiele zwischen Clubs verschiedener europäischer Länder. Seit 1927 wurde der „Mitropa-Cup“ als einer der ersten  internationalen Club-Wettbewerbe ausgespielt. Das Turnier zentral- und osteuropäischer Vereinsteams ist erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1992 verschwunden. Später kamen weitere Wettbewerbe hinzu – bis zum heutigen System aus Champions League und Europa League. Soweit ist das Phänomen der Europäisierung im Fußball nichts Neues – in den vergangenen 30 Jahren hat sich jedoch die Geschwindigkeit und Intensität, mit der sich der Vereinsfußball europäisiert hat, massiv erhöht. Grund genug, sich genauer anzuschauen, wie diese rapide Veränderung konkret aussieht und wie sie die Fußballfans beeinflusst.

Von Regina Weber, DFG-Projekt “EUFoot”

„Es gibt nicht viele Dinge, für die Eltern und pubertierende Kinder sich gemeinsam begeistern können. Der Fußball ist so eine Sache. Er spendiert uns ein Wir-Gefühl, das sonst nicht mehr zu haben ist.“[1] Fußball verbindet, über Altersgrenzen, über soziale Grenzen hinweg. Das Bonmot vom Fußball als „letztem Lagerfeuer“, an dem Menschen zusammenkommen, wurde so häufig verwendet, das kein Urheber mehr auszumachen ist. Dahinter steht die Idee, dass mit Fußball Zugehörigkeit und Gemeinschaft ausgedrückt wird, aber auch die Abgrenzung gegen den Gegner, das „Wir“ und das „die anderen“ – kurz: Fußball schafft Identität.

Die identitätsstiftende Rolle von Fußball kommt üblicherweise ins Spiel, wenn es um Nationalmannschaften geht. Zahlreiche Anekdoten über identitätsstiftende Spiele sind allgegenwärtig: Der „offizielle“ Fußballkrieg zwischen Honduras und El Salvador 1969, in Deutschland das „Wunder von Bern“ (1954), in Polen das „siegreiche Unentschieden“ gegen die UdSSR bei der Weltmeisterschaft 1982, nur ein Jahr nach dem aus Moskau verordneten Kriegsrecht in Polen. Neuere Forschung widmet sich den Spielen zwischen England und Deutschland und kommt zu dem Schluss, dass die (impliziten) Bezüge zum zweiten Weltkrieg bei diesem Duell nach wie vor eine große Rolle in der medialen Berichterstattung spielen, auch wenn die entsprechende Kriegsrhetorik nachlässt.[2]

Andere bekannte Fußballstories weisen hingegen darauf hin, dass Identitätsbildung von Fußballfans nicht nur über Nationalmannschaften funktioniert: Geschichten über bürgerkriegsähnliche Zustände am Rande des Spiels Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad 1990, die – laut Narrativ – den Zerfall Jugoslawiens mit einläuteten oder über die besondere Rolle, die einzelne Vereine für eine Region einnehmen (am berühmtesten FC Barcelona oder Athletic Bilbao). Diese Beispiele zeigen, dass es die Dynamiken um die Zugehörigkeit zu einem bestimmten (imaginierten) Kollektiv auch im Clubfußball gibt. Gerade hier haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Wettbewerbe, Spielermärkte und Strukturen massiv verändert und europäisiert.[3]

Auch wenn es manchmal so wirkt, als wäre die Überschreitung nationaler Grenzen im Clubfußball eine Entwicklung der 1990er und folgenden Jahre, war der Fußball quasi seit seiner „Geburt“ europäisch. Philippe Vonnard, Grégory Quin und Nicolas Bancel haben unter dem Titel „Building Europe with the ball“[4] Geschichten der Europäisierung des Clubfußballs von 1905 bis 1995 zusammengetragen. Bereits rund 90 Jahre vor der Gründung der Champions League hat es europäische Club-Wettbewerbe gegeben. Warum sollte man also über Europäisierung im Fußball und ihre möglichen Auswirkungen auf die Fans sprechen? Weil die Entwicklungen der vergangenen zwanzig bis dreißig Jahre in ihrer Geschwindigkeit und Intensität alles Vorherige in den Schatten stellen und „Europa“ im Fußball mittlerweile enorm präsent ist, sowohl als spielerisches Ziel vieler Vereine als auch als Bezugsraum für Medienberichterstattung, bei Vereinsverantwortlichen und für die Spieler. Diese Entwicklungen sollten an den Fans nicht spurlos vorbei gegangen sein.

Europäisierung des Fußballs

Zunächst wäre zu klären, was „Europäisierung“ eigentlich bedeutet. In der Politikwissenschaft versteht man darunter in der Regel die inländische Veränderung von Politik (inklusive ihrer Akteure, Institutionen und Instrumente), verursacht durch europäische Integration und deren Dynamik.[5] Übertragen auf den Fußball meint Europäisierung also jede Form der Veränderung in den nationalen (und niedrigeren) Ligen und ihrer Akteuren (Vereine, Spieler, Medien und Fans), die auf europäische Entwicklungen zurückzuführen sind. Europäische Entwicklungen können dabei bedeuten: Gesetze oder Verordnungen der EU, die sich auf den Fußball auswirken (zum Beispiel die berühmte Bosman-Entscheidung des EuGH), Entscheidungen der UEFA über den Spielbetrieb von Champions League und Europa League oder die Zusammenarbeit von Vereinen über Liga- und Landesgrenzen hinweg. Die „geheimen“ Schubladenpläne für eine europäische SuperLeague, die einige Top-Vereine geplant haben, stellt demnach auch eine Form der Europäisierung dar.

Die  Beispiele deuten bereits an, dass Europäisierung kein reiner Top-down-Prozess ist, sondern sowohl Entwicklungen „von unten“, also aus den einzelnen Ligen oder Vereinen, als auch Entwicklungen „von oben“, also Entscheidungen von UEFA oder EU-Institutionen, umfasst.[6] Oftmals bedingen sich auch beide gegenseitig. Wie aber sah die Europäisierung im Clubfußball in den vergangenen 25 Jahren aus?

Spielermärkte post Bosman

Die als „Bosman-Urteil“ bekannt gewordene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gilt oft als Ausgangspunkt der Europäisierung im Fußball. Es ist wahrscheinlich der bekannteste Fall von Regulierung durch die Europäische Union im Fußball. Das EuGH-Urteil aus dem Jahr 1995 änderte zwei Regelungen des Fußballtransfersystems: Das traditionelle Transfersystem, nachdem auch für vertragslose Spieler eine Ablösesumme zu zahlen war, wurde ebenso für ungültig erklärt wie die Beschränkung der Anzahl an ausländischen Spieler aus EU-Ländern in einer Mannschaft. Beide Praktiken von Vereinen wurden als Verstoß gegen das Recht auf Freizügigkeit nach Artikel 48 des Vertrags von Rom eingestuft, da sie EU-Bürger diskriminierten. In der Folge haben die nationalen Fußballverbände ihre Transferregeln und Spielbeschränkungen neu gestaltet. Die Entscheidung hat klargestellt, dass auch Sportverbände die Freizügigkeitsrechte der EU einhalten müssen. Die Auswirkungen auf die Spielermärkte der europäischen Ligen waren enorm. Das Urteil beförderte eine massive Europäisierung (und Internationalisierung) der Spielermärkte.

Das Gericht ließ jedoch gleichzeitig zu, dass Einschränkungen der Freizügigkeit gerechtfertigt sein können, um höhere Ziele, wie das Wettbewerbsgleichgewicht im Sport, aufrechtzuerhalten. In der Folge änderten die nationalen Fußballverbände ihre Regelungen, allerdings auf sehr unterschiedliche Arten. In Ländern wie Deutschland gibt es keine Unterscheidung zwischen EU-Ausländern und Nicht-EU-Ausländern, während in Österreich finanzielle Anreize für den Einsatz von österreichischen Spielern hart an der Grenze des nach dem Urteil festgelegten gesetzlichen Rahmens sind. Zusätzlich gelten staatliche Regelungen zu Arbeitserlaubnissen, die wiederum für Spieler aus der EU anders sind als für Spieler aus dem Rest der Welt.[7] In der Folge (und natürlich auch durch die unterschiedliche Attraktivität der einzelnen Ligen) entwickelten sich die Spielermärkte innerhalb der EU sehr unterschiedlich.

Fernsehübertragungen

Die Übertragungsrechte von Fußballspielen haben zwischen 2000 und 2005 ebenfalls mehrere Auseinandersetzungen zwischen einigen Fußballverbänden (DFB und englischer FA, aber auch der UEFA) und der Europäischen Union verursacht. Während die Europäische Kommission die zentrale Vermarktung der Übertragungsrechte für die wichtigsten Fußballveranstaltungen (d.h. Bundesliga-, Premier League und Champions-League-Spiele) als Einschränkung des Wettbewerbs und damit als Verstoß gegen EU-Recht betrachtete, plädierten viele Vereine für ein zentrales Marketing. Trotz heterogener Interessen zwischen den Vereinen – einige Spitzenclubs bevorzugen ein dezentrales Marketing, um ihren finanziellen Nutzen zu maximieren – konnten sie ihre Interessen koordinieren. Durch entsprechende Lobbyarbeit auf europäischer Ebene, insbesondere durch die UEFA, kam es zu einem Kompromiss mit der EU-Kommission, der die Fußballübertragung teilweise vom direkten Wettbewerb freistellt, gleichzeitig aber die Anzahl der Anbieter, die zentral vermarktete Rechte kaufen, erhöht. In der Folge konkurrierten verschiedene Anbieter um die Ausstrahlung von Fußballrechten, mit dem Ergebnis, dass die als wertvoll geltenden Fußballspiele (vor allem die Spiele der ersten Ligen) auf mehrere Anbieter verteilt sind und sich neue Anbieter (z.B. DAZN) etablierten, die nicht nur die inländische Liga, sondern auch Spiele ausländischer Ligen ausstrahlen.

Europäische Koordination von Clubinteressen

Während die Geschichte der internationalen und regionalen Fußballverbände bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreicht, ist die grenzüberschreitende Koordination einzelner Vereine eine relativ neue Entwicklung. Fußballverbände wie die FIFA und die UEFA werden als Dachverbände der nationalen Fußballverbände gebildet. Dies gibt den Clubs nur einen indirekten Einfluss auf die UEFA, da der nationale Verband in der Regel die divergierenden Interessen aller seiner Mitglieder ausgleichen muss und darüber hinaus eigene Interessen vertritt. Dies führte zur intensiven Zusammenarbeit verschiedener “Top-Clubs” aus mehreren europäischen Ländern, zuerst bekannt geworden unter dem Begriff G14. Ihr Hauptziel war es, ihre Position als “Marktführer” im europäischen Fußball zu nutzen, um Druck auf UEFA und FIFA auszuüben. Konflikte gab es u.a. um Entschädigungen von Nationalspielern, aber vor allem ging es darum, das europäische Vereinswettbewerbssystem, vor allem die Champions League, zugunsten der Spitzenvereine zu reformieren. Im Jahr 2008 wurden die G14 aufgelöst, aber die transnationale Clubkoordination bleibt intakt – in der inzwischen größeren und umfassenderen European Club Association (ECA), die trotz ihrer ca. 200 Mitglieder immer noch vorwiegend Top-Clubs vertritt. Nicht zuletzt die mit Football Leaks bekannt gewordenen Absprachen zwischen einigen wenigen Top-Clubs zeigen, dass es zwischen Clubs und Verbänden Spannungen gibt und die Interessen der Clubs weniger durch nationale Zugehörigkeit als durch eine ähnliche Position im europäischen Fußballmarkt geprägt werden.

Europäische Ligen (Champions League und Europa League)

Die Entwicklung der europäischen Club-Wettbewerbe von einem Cup zu einem De-facto-Ligasystem der Champions League und der Europa League ist das für Fans sichtbarste und zugänglichste Zeichen von Europäisierung im Fußball. Die Champions League wurde 1992 als Ersatz für den European Cup eingeführt. Die stärksten nationalen Ligen Europas können bis zu fünf Mannschaften für den Wettbewerb stellen, mit der Europa League entsteht eine quasi-2. Liga, sowohl für die zweite Reihe der nationalen Ligen als auch für die schwächeren Vereine der großen Ligen. In den letzten Jahren wurde die Anzahl an europäischen Pflichtspielen in den beiden Wettbewerben systematisch ausgeweitet, um mehr Vereine aus kleineren Ligen teilnehmen zu lassen. Diese Ausdehnung geht mit der neuen „Europa League 2“ kontinuierlich weiter. Die Champions League kann dabei einerseits als “Motor, der Europa enger zusammen bringt” bezeichnet werden, aber diese Zuschreibung birgt auch immer die Gefahr, selber zum ideologisch aufgeladenen Mythos zu werden.[8]

Eine positive Sichtweise auf diese Entwicklung unterstreicht die vereinigende Rolle einer europaweiten De-facto-Fußballliga. Ein transnationales Medienereignis mit einer europäisierten Zuschauerschaft könnte dazu beitragen, grenzüberschreitende Erfahrungen und ein Gefühl der Zugehörigkeit zu schaffen. Spiele wie Viertelfinale, Halbfinale und Finale der Champions League ziehen Zuschauer weit über die Heimatländer der teilnehmenden Mannschaften hinaus an. In diesem Sinne hat der britische Fußballforscher Anthony King die Champions League schon 2000 als Motor für Europa bezeichnet: “Die wachsenden Verbindungen zwischen großen europäischen Vereinen und ihre immer häufigeren Begegnungen auf dem Platz, die von Millionen von Menschen in ganz Europa im Fernsehen verfolgt werden, sind ein wichtiger Faktor für die europäische Integration”.[9] Dies sollte sich natürlich auf die Unterstützer auswirken.

Gleichzeitig hat der Club-Wettbewerb handfeste Nachteile: Die Champions League wirkt sich massiv nachteilig auf den Wettbewerb in den nationalen Ligen aus, einschließlich der Chancen, die europäische Liga zu erreichen, ohne dabei im nächsten Jahr angesichts der berüchtigten „Doppelbelastung“ gleich komplett baden zu gehen. Die hohe Hürde, hier mitzuspielen, führt zu finanziellen Problemen in Vereinen und trägt zu einer wachsenden Spaltung bei. Auf der einen Seite eine kleine Gruppe mächtiger und leistungsfähiger Elite-Clubs, meist aus einigen wenigen (westeuropäischen) Ligen und einer wachsenden Anzahl von kleineren Ligen, in denen die nationalen Wettbewerbe durch den Einfluss der europäischen Super-Liga massiv beeinflusst werden.

Auswirkungen auf Fußballfans

Die kurze Übersicht über vier relevante Entwicklungen im Fußball zeigt, dass wesentliche Strukturen des Fußballs europäisch beeinflusst werden. Dies wird verursacht durch nationale Verbände, durch die europäische Ebene (EU, UEFA) und durch grenzüberschreitendes Handeln von einzelnen Vereinen, insbesondere durch die Top-Clubs, die ihre Interessen grenzüberschreitend organisieren. Die Ergebnisse der skizzierten Europäisierungsdynamiken lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Bosman-Urteile und ihre Folgen beschleunigten die Entwicklung einer zunehmenden Europäisierung (bzw. Internationalisierung) der Spielermärkte. Eine internationale Mannschaft ist in den meisten Vereinen die Regel, und es gibt viele Indikatoren dafür, dass dies Fußballfans nicht daran hindert, sich mit “ihrer” Mannschaft zu identifizieren. Die Entwicklung der Champions League (und der Europa League) zu einer de facto europäischen Liga (die eng mit der gemeinsamen Einfluss der europäischen Top-Vereine verbunden ist) beeinflusst Fußballfans: Sie erleben einen regelmäßigen Wettbewerb zwischen Vereinen aus anderen Ländern und Clubs ihrer Liga (d.h. entweder ihrer Vereine oder deren Konkurrenten). Dies deutet darauf hin, dass die Europäisierung nicht nur die Fußballstrukturen, sondern auch das Fan-Sein beeinflusst.

Während die oben skizzierten Entwicklungen mittlerweile recht gut bekannt sind, wissen wir wenig bis gar nichts darüber, wie sich diese Veränderungen auf Fußballfans auswirken. Man kann aber davon ausgehen, dass die Veränderung im Fußball auch die Wahrnehmung der Fans verändert. Aus anderen Bereichen (z.B. Erasmus-Studierendenaustausch, binationale Ehen, Auslandsaufenthalte aus beruflichen Gründen) wissen wir, dass der Kontakt und regelmäßige Austausch innerhalb Europas das eigene Selbstverständnis beeinflusst und zu stärkeren Zugehörigkeitsgefühlen zu Europa führt. Daher stellt sich unweigerlich die Frage, ob das im Bereich des Fußballs auch so ist.

In den vergangenen Jahren haben sich bereits einige Fanforscher/innen mit diese Fragen beschäftigt. Dabei hat sich gezeigt, dass es Fußballfans durchaus prägt, wenn sie regelmäßig „mit Europa“ konfrontiert werden. Gerade die regelmäßigen Kontakte von Fans, die ihrem Verein zu Spielen ins europäische Ausland folgen, zu anderen Fans führen zu einem größeren Interesse an Fußball anderer Ligen. Fans haben über das Internet umfangreiche Möglichkeiten, Informationen über andere Ligen zu bekommen. Wenn, wie mittlerweile z.B. bei kicker.de üblich, über viele andere europäische Ligen berichtet wird, spielt auch die Sprachbarriere keine Rolle mehr. Darüber hinaus haben Befragungen unter Fußballfans in verschiedenen europäischen Ländern gezeigt, dass das Interesse an Champions League und Europa League hoch ist – unabhängig von der Teilnahme des eigenen Vereins. Viele Fußballfans sind davon überzeugt, dass Fußball einen Beitrag zur europäischen Zusammenarbeit leistet.[10]

Allerdings hat diese Entwicklung auch eine Kehrseite. Es ist zu vermuten, dass die genannten positiven Auswirkungen nur auf einen kleinen Teil der Fans zutreffen werden. Das Reisen in europäische Städte ist schon allein aus finanziellen Gründen nur für wenige Fans möglich, ganz zu schweigen vom zeitlichen Aufwand und den Anstoßzeiten mitten in der Woche bei langwierigen Fluganreisen. Die positiven Auswirkungen von direktem Kontakt stellen sich sicher nicht ein, wenn es sich um Kontakte wie beim Europa-League-Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und Lazio Rom im Dezember 2018 handelt. Daher gehört zu der Geschichte des europäischen Fußballs auch die Veränderung der Fanszenen: Der europäisierte Spitzenfußball wird sicher nur einen kleinen Teil der jeweiligen Fans direkt erreichen. Wie er sich auf die breite Masse der Fans auswirkt bleibt abzuwarten.

Projekt EUFoot

Regina Weber ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt: Der Identitätseffekt europäisierter Lebenswelten: Europäisch werden durch Fußball? (EUFoot). Das Projekt ist an der Universität Mainz und der Hochschule Rhein-Waal angesiedelt. Es untersucht die Auswirkungen der Europäisierung im Fußball auf die Identität von Fußballfans anhand verschiedener Vereine aus der Premier League, der deutschen Bundesliga, der österreichischen Bundesliga und der Ligue 1.

Weitere Informationen: www.eufoot.de sowie www.twitter.com/eu_foot

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Fußnoten:

[1] Menskens, Sabine; Fußball-WM als letztes Lagerfeuer der Nation, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article130141326/Fussball-WM-als-letztes-Lagerfeuer-der-Nation.html

[2] Die veränderte, weniger kriegerische Wahrnehmung zeigt sich, wenn man die Beschreibungen der EM 1996 und der WM 2010 vergleicht: Maguire, Joseph; Poulton, Emma; Possamai, Catherine (1999): Weltkrieg III?: Media Coverage of England Versus Germany in Euro 96. In: Journal of Sport and Social Issues 23 (4), S. 439–454 und Kioussis, George N. (2018): Remember the Teutons: English coverage of Germany at the 2010 World Cup. In: Soccer & Society 19 (2), S. 288–300.

[3] Ich benutze den Begriff „Europäisierung“ in diesem Text, auch wenn manche Entwicklungen über Europa hinausgehen und gerade bzgl. Spielermärkten einige europäische Kategorien (wie z.B. EU, EWR) nur eine geringe Rolle spielen. Allerdings wären für den Begriff „Internationalisierung“ auch die Entwicklungen in Asien, Afrika und Amerika zu berücksichtigen, die hier nicht Thema sind. Die meisten hier skizzierten Entwicklungen sind von EU-Institutionen oder europäischen Organisationen wie der UEFA beeinflusst und auch die Spielermärkte werden nach wie vor vorwiegend von europäischen Spielern dominiert.

[4] Vonnard, P., Quin, G., & Bancel, N. (Eds.). (2016). Building Europe with the Ball. Bern, Schweiz: Peter Lang UK.

[5] Zum Weiterlesen: Radaelli, Claudio M. (2000): Whither Europeanization? Concept Stretching and Substantive Change. In: SSRN Journal, online: https://ssrn.com/abstract=302761. Bezogen auf Fußball und Fanidentität: Niemann, Arne; Brand, Alexander (2013): Europeanisation from below? Football Spectatorship, Mediatisation and European Identity. UACES 43rd Annual Conference. Online verfügbar unter https://www.uaces.org/documents/papers/1301/niemann.pdf.

[6] Die Dynamiken sind ausführlich beschrieben in: Brand, Alexander; Niemann, Arne; Spitaler, Georg (2013): The Two-Track Europeanization of Football: EU-Level Pressures, Transnational Dynamics and Their Repercussions within Different National Contexts. In: International Journal of Sport Policy and Politics 5 (1), S. 95–112. https://internationale.politik.uni-mainz.de/files/2013/02/Brand-Niemann-Spitaler-2013-Two-track-Europeanisation-of-Football.pdf

[7] Ein Beispiel ist Großbritannien, wo die Arbeitserlaubnis für Profifußballer aus nicht-EU-Ländern davon abhängig ist, ob sie in der Vergangenheit bereits internationale Spiele für ihre Heimat bestritten haben. Die Menge der erforderlichen Spiele hängt wiederum vom FIFA-Ranking des Landes ab. Ausführlich: https://www.inbrief.co.uk/football-law/footballer-work-permits/

[8] Zur Champions League als Mythos ausführlich: https://international.politics.uni-mainz.de/mpiep-no-17/

[9] King, Anthony (2000): Football fandom and post-national identity in the New Europe. In: Br J Sociology 51 (3), S. 419–442.

[10] Zum Beispiel Untersuchungen im Rahmen des FREE project: https://cordis.europa.eu/project/rcn/102047/reporting/en

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Kategorie q 120minuten

Endreas Müller heißt in Wirklichkeit ganz anders und beschäftigt sich schon länger mit Fußball im Allgemeinen und dem Bloggen im Besonderen. Vor einiger Zeit stellte er sich gemeinsam mit Christoph Wagner die Frage, warum es eigentlich in der deutschen Blogosphäre noch keine Plattform für lange Fußballtexte gibt – die Idee von ‚120minuten’ war geboren.

1 Kommentare

  1. Uwe Kölsch

    Der Beitrag blendet einige wichtige Aspekte des europäisierten Fanseins meines Erachtens aus, da er sich zu sehr auf die Verbandsebene und die führenden Teams konzentriert. Dabei passiert an der Basis sehr viel, welches eine deutlich stärkere Beachtung verdient.

    Da sind zum einen die vielfältigen Kontakte diverser Ultragruppen über Ländergrenzen hinweg. Es ist hier müßig eine längere Aufzählung folgen zu lassen, doch hat es sich zur Normalität des Fanlebens entwickelt, wenn etwa Fans von Austria Wien zum Begräbnis eines bekannten Fans von Rot-Weiss Essen kommen, Dortmunder Ultras in Napoli anzutreffen sind oder Mitglieder der Ultras Frankfurt sich in Bergamo aufhalten. Selbst bei kleineren und unterklassigen Vereinen haben sich längst Kontakte auf Ebene der Ultras ins Europäische Ausland etabliert.

    Weiterhin ist gerade unter deutschen Fans das Groundhoppen immer beliebter geworden. An einem Sonntagmorgen kann man als Hopper inzwischen auf einem tschechischen Platz problemlos mehrere Hopper anderer Vereine bei einem Jugendspiel treffen, welche man dann einige Stunden später bei einem Fünftligaspiel wiedersieht. (Hier spielen entsprechende Apps bei der Routenplanung sicherlich eine Rolle). Tschechien, Italien und Belgien sind beispielsweise sehr beliebte Zielländer geworden. Es ist nichts besonderes mehr, wenn auch jüngere Hopper bereits einmal die beiden ersten Ligen eines benachbarten Landes komplett abgehoppt haben.

    Bei grenznahen Vereinen waren Kontakte der Fangruppen untereinander schon früher nicht unüblich, doch mit günstigen Flugverbindungen haben sich diese auch auf ganz andere Länder ausgeweitet.

    Europapokalteilnahmen haben für die Anhänger der beteiligten Vereine selbstverständlich eine große Bedeutung und werden vom Umfeld entsprechend wahrgenommen. Doch selbst ein Testspiel des 1. FC Magdeburgs bei den Bolton Wanderers wurde von 1500 Fans begleitet, deren Auftreten in Großbritannien geradezu begeisterte Reaktionen hervorrief.

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