Die 60 wichtigsten Episoden der deutschen Fußballgeschichte, Teil 1

Fußball wird seit etwa 150 Jahren in Deutschland gespielt, das heißt, in den Grenzen des damaligen Kaiserreiches. Zunächst waren es vor allem englische Händler, Studierende und Touristen, die das ihnen vertraute Spiel aus der Heimat auch hier gemeinsam spielten. Dort war die reglementierte Fassung des Spiels seit einem halben Jahrhundert bekannt. Diese Serie beschreibt die 60 wichtigsten Momente des Fußballspiels in Deutschland. Im ersten Teil geht es um die Jahre 1870 bis 1903.

von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de) unter Mitarbeit der 120minuten-Redaktion | August 2019

1870er und 1880er
Engländer bringen das Fußballspiel nach Deutschland

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und zwei Fußballvarianten – Rugby und (Assoziations-)Fußball (also Fußball mit und ohne Aufnehmen des Balles) nach Deutschland. Die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nämlich nicht auf ihre liebgewonnenen Sportarten verzichten, die außerdem die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterten. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen am Fußball und imitierten ihn. Das passiert speziell in den „Engländerkolonien“. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig oder Dresden. Aber auch in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen und in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt – sowie in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

1874
Konrad Koch führt das Fußballspiel am Martino-Katharineum in Braunschweig ein

Konrad Koch erfuhr während seines Studiums von Thomas Arnold, der etwa ein halbes Jahrhundert zuvor das in England bekannte Fußballspiel der unteren Schichten mittels wesentlich mehr Regeln zu einem Spiel für seine adeligen Schüler strukturiert hatte. So lernten diese spielerisch die Ideale der Gentlemen sowie christliche Moral und gesunde Lebensführung. Koch war von Arnolds Idee begeistert und führte ein paar Jahre später, nunmehr als Lehrer am Braunschweiger Martino-Katharineum, Arnolds Fußballspiel ein.

Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie auch Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule – in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren.
Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie sie in England damals gerade um sich griff. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über.

1875
Erster Fußballverein in Deutschland (Lüneburg)

Der erste Fußballverein in Deutschland, der Fußball und nicht Rugby spielte, war der „Lüneburger College Football Club“, in dem vor allem englische, aber auch deutsche Schüler spielten. Die englische Wochenzeitung „The Field“ (vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-19.) berichtete, dass man bereits zuvor, nämlich ab 1875, in Lüneburg Fußball gespielt hätte, da aber noch ohne Regeln. Jetzt, durch die Übernahme des Regelwerks des englischen Fußballverbandes, die so genannten FA Rules, etablierte sich auch ein Fußballspiel am Lüneburg College, einer Schule für Söhne englischer Familien in Lüneburg, und das Interesse wurde gesteigert. Es folgt ein ausführlicher Spielbericht über das erste Spiel am 28. August 1875, das zwischen der klassischen und der modernen Schule des Colleges ausgetragen wurde, da es an beiden Schulen offenbar nur je ein Team gab.

„Lüneburg College Football Club. – Football has now become quite a popular game here, and the adoption of the Association rules has effected a decided improvement in the last year’s somewhat irregular play here. […] Altogether the play showed great promise, though the “off side” rule is not very strictly attended to.” (zitiert aus: The Field, Nummer 46 (1875) S. 272).

1888
Gründung des heute ältesten Fußballvereins, BFC Germania 1888 Berlin

Der heute älteste, noch bestehende Fußballverein ist der „Berliner Fußball Club Germania 1888 Berlin“, der am 15. April 1888 von den vier Brüdern Jestram sowie einigen ihrer Schulfreunde gegründet wurde. Einer der vier, Walter Jestram, wurde einer der besten deutschen Fußballspieler seiner Zeit. Wie der Name des Vereins schon sagt, wurde er in Berlin gegründet, wo laut Zeitungsberichten Engländer erstmals im Winter 1881/82 Fußball spielten. Dass die Wahl auf den Zusatz Germania fiel, zeigt, dass sich dieser Verein als deutscher, nicht-englischer Verein verstand. Seinen anti-englischen Kurs verdeutlichte der amtierende Vorstand in den ersten Jahren wiederholt, auch in der Gründung des Bundes deutscher Fußballer (BdF), dem die Spieler kurz nach dessen Gründung beitraten.

Der BFC Germania 88 gewann außerdem die erste und einzige Meisterschaft (1890), die der BdF mit fünf Berliner Mannschaften mit nur deutschen Spielern austragen ließ.

1890-1893
Bund deutscher Fußballspieler, Deutscher Fußball und Cricket-Bund

In den 1890er Jahren entstanden neue Vereine und regionale Fußballverbände. Der schon erwähnte Bund deutscher Fußballspieler wurde am 4. November 1890 von acht Berliner Fußballvereinen gegründet, darunter auch der BFC Germania 88. Man wählte den Begriff „deutscher“ im Namen, weil der Verband alle Fußballvereine des deutschen Reiches vereinen sollte. Das ließ sich aber nicht umsetzen und so waren nur Berliner Vereine seine Mitglieder und es gab bereits bei der Gründungsveranstaltung Diskussionen über die Ausrichtung des Verbandes. Die national orientierten Vereine plädierten dafür, dass keine ausländischen Spieler und Funktionäre zugelassen werden sollten und zudem der Fußball der deutschen Mentalität angepasst werden solle. Da der Vorsitzende des national eingestellten BFC Germania 88 der Vorsitzende des BdF wurde, kam es auch zu genau diesem Kurs.

Die Anhänger einer kosmopolitischen Orientierung gründeten daraufhin ein halbes Jahr später den Deutschen Fußball- und Cricket-Bund (DFuCB, 17./18. Mai 1891). Da immer mehr Vereine aus dem BdF aus- und in den DFuCB eintraten, löste sich der BdF bereits am 14. Februar 1892 wieder auf. Alle BdF-Mitglieder wurden direkt im DFuCB aufgenommen, mit Ausnahme des BFC Germania 88. Dieser wurde wegen seiner weiterhin nationalen Linie zunächst mehrfach abgelehnt, schließlich aber doch aufgenommen.

Damit traten nun allerdings im DFuCB die gleichen Diskrepanzen auf wie während der Gründungsveranstaltung des BdF. 1894 traten drei Vereine wegen zunehmender anti-englischer Spannungen aus, darunter der „English FC 1890“, weitere folgten in den anschließenden Jahren aus dem gleichen Grund. Gleichzeitig gründeten sich neue Verbände. 1894-1895 gab es mit dem Thor- und Fußballbund Berlin einen Konkurrenzverband zum DFuCB und neben der durch den DFuCB ausgerichteten Meisterschaft in Berlin weitere Meisterschaften, ausgeführt durch den Allgemeinen Deutschen Sport Bund (ab Saison 1896/97), den Verband Deutscher Ballspielvereine (ab Saison 1987/98) sowie die Freie Berliner Fußballvereinigung (ab Saison 1901/02). Immer mehr Vereine traten aus dem DFuCB aus, der sich dann am 25. Februar 1902 auflöste.

Die meisten Vereine des DFuCB und zuvor des BdF spielten auf dem Tempelhofer Feld (heute: Flughafen Tempelhof) und auf dem Exerzierplatz zur einsamen Pappel in der Bernauer Straße (heute: Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark). Es gab also für fast keine Mannschaft einen Heimvorteil.

1893-1895
Gründung der süddeutschen Fußballunion

Kurz nach der Gründung des BdF und des DFuCB in Berlin gründete Walther Bensemann am 4. Juni 1893 in Karlsruhe die süddeutsche Fußballunion (SDFU), die ein paar Vereine im südwestdeutschen Raum zwischen Straßburg und Frankfurt am Main umfasste. Der Schwerpunkt lag auf Karlsruhe. Der 20-jährige Bensemann hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vielzahl an Vereinen gegründet und war Kapitän des Straßburger FK 1890. In der SDFU wurde zunächst keine Meisterschaft ausgespielt, sondern es wurden Spiele von Auswahlmannschaften und um den von SDFU-Präsident Reverend White gestifteten Pokal gespielt. 1894 trat Bensemann aus der SDFU aus, nachdem es zu Anfeindungen gegen ihn und seinen Vorschlag einer „Meisterschaft des Continents“ gekommen war. Die SDFU weigerte sich, die Meisterschaft ausspielen und damit für etwaige Verluste aufzukommen (die Vereinskasse wies bereits ein Defizit von 150 Mark auf). Die Meisterschaft des Continents war aber nicht die einzige Uneinigkeit im SDFU zwischen Bensemann und anderen Mitgliedern. Es gab auch einen Konflikt um das Alkohol- und Kneipenverbot an Spieltagen für Mitglieder der SDFU, die Spielern aus dem nationalkonservativen, burschenschaftlichen Bereich mit Kneipenkultur bitter aufstieß. Sie waren außerdem nicht mit der kosmopolitischen Ausrichtung Bensemanns einverstanden.
1895 löste sich die SDFU auf, am 17. Oktober 1897 gründete sich für etwa den gleichen räumlichen Umkreis der Verband süddeutscher Fußballvereine, der bis 1933 existierte.

1895
Gründung von Sport im Bild

Andrew Pitcairn-Knowles (1871-1956) war einer der ersten Sportjournalisten im Deutschland des späten 19. Jahrhunderts und bezeichnenderweise Engländer. Er wuchs als Sohn eines Wollhändlers in der Wiesbadener Engländerkolonie auf und studierte später an verschiedenen Orten Chemie, Schwerpunkt: Fotochemie. Außerdem interessierte er sich für die modernen Sportarten und konsultierte mindestens die Wochenzeitung „Spiel und Sport“. Schon in seiner Jugend hatte er das Ziel, eine eigene Sportzeitung herauszugeben. In Berlin lernte er das neu entwickelte Vervielfältigungsverfahren nach Meisenbach und Riffarth kennen, das die Übertragung der Abbildungen auf Holzschnitte überflüssig machte. Dieses Verfahren nutzte er und gründete 1895 die Zeitschrift „Sport im Bild“, eine der ersten Zeitschriften, die fast vollständig mit Fotos gestaltet wurde. Auch deshalb kostete die vierteljährlich erscheinende Publikation aus Kunstdruckpapier 6 Mark. Für diesen Preis konnte man damals in Berlin 50 Pfund Brot kaufen. Für einen Arbeitnehmer in Industrie, Handel und Verkehr war der Preis ein Zehntel seines Monatsgehalts.

Um ein vielfältiges Publikum anzulocken und für den modernen Sport zu interessieren, berichtete Pitcairn-Knowles nicht nur über Sport, sondern auch über Theater, Reisen sowie Klatsch über den europäischen Adel. Letzteres insbesondere dann, wenn die kaiserliche Familie als Zuschauer bei Sportveranstaltung zugegen war. Doch trotz dieser prominenten Werbung für den modernen Sport stiegen die Verkaufszahlen kaum. Pitcairn-Knowles verkaufte 1904 verärgert seine Zeitschrift und eröffnete eine internationale Presseagentur für Sportfotos in Paris.

Der Berliner Verleger August Scherl, der seit 1899 die Illustrierte „Die Woche“ herausgab und ebenfalls mit dem neuen Fotodruckverfahren arbeitete, erwarb die „Sport im Bild“. Er änderte den Titel in „Illustrierte Zeitschrift für Sport, Gesellschaft, Theater“ und übernahm Pitcairn-Knowles’ ausgebildete Mitarbeiter. Den erfolgreichen Leichtathleten Kurt Doerry machte er zum Chefredakteur. Heute gilt Doerry als Begründer des deutschen (Massen-)Sportjournalismus der 1920er Jahre.

1898
„Plancks Fußlümmelei“ erscheint

1898 verbreitete sich die agitative Schrift des Stuttgarter Turnlehrers Karl Planck namens „Fußlümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit“ als Flugblatt schnell innerhalb des deutschen Reiches. Sie richtete sich gegen beide Fußballspielarten, also Fußball und Rugby, und spiegelte die Vorbehalte von deutschen Turnern gegen diesen Sport wider. Diese Vorbehalte galten insbesondere der gebeugten Haltung der Fußballspieler, die der aufrechten Haltung der Turner widersprach. Kostprobe gefällig? Auf Seite 6 und 7 beschreibt Planck das Fußballspiel auf folgende Weise: „Zunächst ist jene Bewegung ja schon, auf die bloße Form hin angesehen, häßlich. Das Einsinken des Standbeins ins Knie, die Wölbung des Schnitzbuckels, das tierische Vorstrecken des Kinns erniedrigt den Menschen zu Affen, selbst wenn die Haltung nicht den Grad abstoßender Häßlichkeit erreicht, den uns unser Titelbild versinnlicht. Noch ein Tupf mit dem kleinen Finger in der Linken, und das prächtige Gebilde stürzt rücklings zu Boden oder kollert in kläglichen Sprüngen dahin, um sich auf den Beinen zu erhalten.“

1900
Gründung des Deutschen Fußball-Bundes

In den 1890er Jahren erhielt der Fußball in Deutschland eine mehr und mehr national-militärische Orientierung, die von Preußen und dem dortigen Zentralausschuss zur Förderung der Jugend- und Volksspiele sowie dem Deutschen Sprachverein ausging. Die englischen Spielbegriffe wurden eingedeutscht und das Fußballspiel als Vorbereitung für den Wehrdienst verstanden. Der Zentralausschuss trat für eine Zusammenarbeit von Sportlern und Turnern ein und für eine Verbreitung der Sportarten zum Zweck der „körperlichen Ertüchtigung“, wie es zeitgenössisch hieß. Außerdem arbeitete er von Anfang an eng mit dem deutschen Militär zusammen. Versuche des Zentralausschusses, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten in den 1890er Jahren zunächst an Uneinigkeiten zwischen den regionalen Verbänden. Diese konnten beigelegt werden, sodass am 28. Januar 1900 der Deutsche Fußball-Bund gegründet wurde. Gründungsmitglieder waren sowohl einzelne Verbände als auch einzelne Vereine. Auch der DFB entschied sich für die nationale Ausrichtung, da er so seitens des Militärs den Vorzug vor den Turnern erhielt und die Exerzierplätze als Spielfelder nutzen durfte.

1903
VfB Leipzig ist erster Fußballmeister der Herren in Deutschland

Am 31. Mai 1903 stand der erste deutsche Fußballmeister der Herren fest: Der VfB Leipzig gewann gegen den DFC Prag und erhielt den gewidmeten Wanderpokal Victoria. Die Meisterschaft wurde zunächst in den Landesverbänden ausgespielt, deren Meister dann in Playoffs gegeneinander spielten. Fast 150 Vereine waren damals Mitglied im DFB, darunter bis 1904 auch im Ausland ansässige deutsche Vereine wie eben der DSC Prag. Das Finalspiel der ersten Meisterschaft fand ab 16:45 Uhr auf der Exerzierweise in Altona vor 750 bis 2000 Zuschauern statt (Angaben variieren) und endete mit einem 7:2 für den VfB Leipzig.

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Im zweiten Teil der Serie geht es um die Jahre 1904 bis 1934.

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