Doping im Fußball – Teil des Systems

Doping im Fußball ist ein Thema, welches zu selten angesprochen wird. Es ist Zeit, das zu ändern, sagt Daniel Drepper.

Autor: Daniel Drepper, Fussballdoping unter Zuarbeit von Christoph Wagner

Infos zu Doping im Fußball gibt es in einem Wald in Österreich. In Laakirchen, 80 Kilometer östlich von Salzburg, im Heimatdorf des Dopingdealers Stefan Matschiner. „Fußball ist ein Einzelsport, da kämpft jeder für sich“, sagt Matschiner. „Ist doch klar, dass da gedopt wird.“ Stefan Matschiner kann das sagen, er hat selbst mehrere Fußballer mit Dopingmitteln versorgt. „Es ist einfacher, einen geständigen Mafioso zu finden, als einen geständigen Fußballer.“ Das sagt Raffaele Guariniello, der Staatsanwalt, der Doping bei Juventus Turin aufgedeckt hat. Doping im Fußball gibt es von der Kreisliga bis zur Champions League. Wie verbreitet ist der Betrug? 

Es ist 15.30 Uhr, der Landgasthof Waldesruh am Ufer der Traun hat noch geschlossen; der ehemalige Dopingdealer Stefan Matschiner ist der bekannteste Sohn des Dorfes, für ihn schließt der Besitzer früher auf. Als Leichtathlet dopte Matschiner selbst, später versorgte er Spitzensportler mit Medikamenten. „Spinne im Netz“ nannte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der Tour-de-France-Dritte Bernhard Kohl war sein erfolgreichster Kunde, bis am 30. März 2009 die Polizei vor der Tür steht. Matschiner bricht mit dem Leistungssport, schreibt ein Enthüllungsbuch. Wie viele Fußballer Matschiner genau versorgt hat und auch deren Herkunft will der Österreicher nicht nennen, um die ehemaligen Kunden nicht zu enttarnen. Die offizielle Antwort: „Ich habe von 2003 bis 2009 mehrere Fußballer aus verschiedenen europäischen Ländern versorgt.“ Matschiners Fußballer nahmen Testosteron und das Blutdopingmittel EPO. Der beste seiner Spieler spielte die Qualifikation zur Champions League. Über Doping im Fußball redet Matschiner wie andere über ihren Tag im Büro. Moralische Bedenken hat er keine. „Warum sollte ich etwas bereuen? Das System funktioniert so, wie es funktioniert. Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.“

Dopende Fußballer sind keine Einzelfälle. Neben verschiedenen Einzelfällen stehen die großen Skandale: Juventus Turin war in den 90ern systematisch mit Epo gedopt. Der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes soll Real Madrid, den FC Barcelona, Betis Sevilla und den FC Valencia betreut haben, berichtete die französische Zeitung Le Monde. Barcelona verklagte die Zeitung, deren Sportchef konnte keine Dokumente vorlegen und musste 15000 Euro Strafe zahlen. Vor Gericht schwieg Fuentes. „Ich bin drei Mal mit dem Tod bedroht worden, es wird kein viertes Mal geben“, sagte er damals Le Monde.

In Dopingfälle (zum Teil in Zusammenhang mit Drogenmissbrauch) sind auch eine ganze Reihe namhafter Fußballer verwickelt – hier eine Auswahl – ein Klick auf den Namen führt zu weiteren Informationen.





Kokainmissbrauch 1993 Nandrolon Nandrolon Nandrolon Nandrolon Steroide Kokain Bromantan Ephedrin Nandrolon nachträglich freigesprochen Kokain

Ein Bundesligaspieler bei Fuentes?

„Dopingstrukturen wie sie im Fahrradsport vorhanden sind, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen“, sagt Thomas Hitzlsperger 2013 im Interview mit der ZEIT. Er führt regelmäßige Kontrollen als Gegenargument an und den Schaden, der dem Team zugefügt würde, nicht dem Doper allein. Dass Fußballer bei Fuentes Kunde waren, hat dieser selber einmal angedeutet. In der Untersuchungshaft habe er angeblich einem Zellengenossen gegenüber behauptet, wenn er rede, dann müsste Spanien den Europameistertitel 2008 zurückgeben. Hat sich die spanische Justiz jemals für die Namen der Fußballer interessiert? Eufemiano Fuentes lebt heute auf den Kanarischen Inseln. Noch 2011 arbeitete er als Arzt für den Drittligisten UD Las Palmas. Angeblich versorgt er weiterhin Sportler mit Dopingmitteln. Fuentes war für uns bislang nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Auch die deutsche Geschichte ist nicht frei von Skandalen: Die Helden von Bern hatten höchstwahrscheinlich Pervitin im Blut, ein Aufputschmittel aus dem Krieg. Sporthistoriker wie Erik Eggers sind sich sicher, dass die Weltmeister 1954 verbotene Methoden nutzten – auch wenn Spieler und Trainer das stets abgestritten haben. (Hier gibt es einen ausführlichen Text zu den Dopingvorwürfen)

Das Wunder von Bern? Gerüchte und Anschuldigungen schon 1954
Dabei gab es schon 1954 Gerüchte und sogar Anschuldigungen gegenüber der Nationalelf, während des WM-Finales 1954 Aufputschmittel genommen zu haben. Die Vorwürfe kamen von keinem geringeren als Ferenc Puskas, dem Kapitän der ungarischen Nationalmannschaft. Kurz nach dem Finale von Bern berichtete Puskas was er gesehen hatte: Nadeln und Spritzen in der deutschen Kabine. Die Angelegenheit wuchs sich zu einer Affäre aus, denn Puskas wurde zur Persona Non Grata und es wurde deutschen Mannschaften verboten gegen eine Mannschaft anzutreten, in der Puskas aufläuft. Dies führte 1960 dazu, dass der DFB heimlich still und leise einen Rückzieher machte. Denn die Frankfurter Eintracht spielte im Finale des Europapokals gegen Real Madrid, wo Puskas damals spielte. Um es aber zu keinen diplomatischen Problemen kommen zu lassen, wurde der Bann aufgehoben. Eine weise Entscheidung, denn noch heute sprechen die Menschen in Glasgow von diesem Finale.
Auch von anderer Seite gab es Verdächtigungen und Gerüchte. Die englische Tageszeitung Daily Herald hatte 1954 von Gerüchten gehört und diese auch gedruckt. Wie der Zufall es wollte, spielte am 1. Dezember 1954 England gegen den Weltmeister, in Wembley. Auf einem Empfang vor dem Spiel fragte der Sportreporter des Daily Express, Desmond Hackett, den Nationaltrainer Sepp Herberger, ob denn seine Mannschaft wieder ‘pep injections’ bekommen würde. Herberger wies den Fragenden brüsk ab indem er antwortete, dies sei lediglich Angelegenheit der deutschen Mannschaft und gehe niemanden etwas an, schon gar nicht die Presse. Dies war Grund genug für Hackett, Herberger ‘the old Herr Hush Hush’ zu nennen.

In der DDR waren die Nationalkicker systematisch gedopt, das belegen Stasi-Akten. Auch viele Clubs aus dem Osten nutzten das DDR-Anabolikum Oral-Turinabol. Im westdeutschen Fußball der Achtziger Jahre soll das Aufputschmittel Captagon nach Aussage mehrerer Trainer und Spieler üblich gewesen sein.
Wie verbreitet ist Fußballdoping? „Ähnlich verbreitet, wie in anderen Sportarten, wie in der Leichtathletik oder im Triathlon“, sagt Stefan Matschiner. „Es ist ein latentes Problem, aber nicht mehr im Ausmaß der 80er oder 90er Jahre. Wegen der besseren Laboranalysen kann man nicht mehr so viele Sachen machen.“ Organisiertes Teamdoping hält Matschiner heutzutage für unwahrscheinlich. „Mir persönlich ist nur ein Fall in einem südeuropäischen Land bekannt“, sagt Matschiner. „Ich glaube eher, dass sich gute Freunde zusammentun und sich gesondert nach medizinischer Versorgung umschauen.“ Auch Matschiner versorgte Spieler, die sich gegen Teamkollegen durchsetzen wollten. Hat es geholfen? „Ich habe nie etwas Negatives gehört, sonst wären sie ja nicht immer wiedergekommen.“

Mangelhafte Kontrollen in der Bundesliga

Warum fliegen so wenig gedopte Fußballer auf? Ein Grund sind lückenhafte Dopingtests. Im Fußball gilt trotz verbesserter Analysen noch immer: Erwischt werden nur die Dummen. In der Bundesliga gibt es keine Bluttests, so dass zum Beispiel Blutdoping nicht nachgewiesen werden kann. Im Schnitt testen Kontrolleure jeden deutschen Spieler nur alle drei Jahre und mit Ausnahme von Nationalspielern bekommen Profis nur zu offiziellen Trainingszeiten Besuch. Bei der EM in Polen und der Ukraine werden zwar Bluttests durchgeführt, aber die Trainingskontrollen haben Mängel. So hat ein Spieler 60 Minuten Zeit, bis er zum Trainingstest erscheinen muss. Das reicht im Zweifel, um Proben zu verfälschen.
Trotz allem gibt es noch immer Ärzte und Trainer, die behaupten, es gebe im Fußball kein Doping. „Ich sage mit Überzeugung, dass im Fußball nicht gedopt wird“, sagte Jürgen Klopp vor drei Jahren. Das Standardargument: Doping im Fußball bringt nichts. Für „völligen Schwachsinn“ hält Stefan Matschiner diese Theorie. „Wenn ich die Ausdauer steigere, habe ich auch die anderen Fähigkeiten am Ende des Spiels besser unter Kontrolle.“

Das Sportinstitut der Uni Mainz liegt wenige hundert Meter vom Bruchweg entfernt, der alten Heimat der Mainzer Fußballer. Hier forscht Antje Dresen. Als Soziologin sieht Dresen die Spieler nicht als Einzeltäter, sondern nimmt das Umfeld in den Blick: Was führt dazu, dass sich Spieler für Doping entscheiden? „Im Fußball geht es um permanente Leistungssteigerung. Das nächste Spiel ist immer das wichtigste. Gleichzeitig sind die körperlichen Fähigkeiten begrenzt“, sagt Dresen. „Doping ist eine Mehrzweckwaffe gegen den Druck, der auf Fußballern lastet.“ Fußballer haben oft keine Ausbildung, sind abhängig davon, mit ihrem Körper bis Mitte 30 möglichst gutes Geld zu verdienen. Der Konkurrenzkampf, erfolgsabhängige Prämien und der öffentliche Druck tun ihr Übriges. Ein Beispiel sind Zeitschriften wie der Kicker, die nach jedem Spiel die Profis einzeln benoten. „Wenn ein Fußballer sich ausschließlich auf den Sport konzentriert, sitzt er in der Dopingfalle“, sagt Dresen. Aus Antje Dresens Fenster schaut man geradeaus auf das Sportmedizinische Institut der Uni Mainz. Hier arbeitet Perikles Simon, einer der bekanntesten Dopingforscher Deutschlands. Simon fragt sich, was dieser stetig steigende Druck für die Gesundheit der Spieler bedeutet. „Man kann nicht den finanziellen Druck auf die Spieler beliebig erhöhen und dann davon ausgehen, dass die ihre Gesundheit im Auge behalten“, sagt Simon. „Wenn Teams in der Lage sind, systematisch Spieler zu dopen, scheint der Druck in der Szene so hoch zu sein, dass sich die Spieler kaum wehren können. Und dann sind das nicht menschenwürdige Arbeitsbedingungen.“ Besonders technisch versierte, aber konditionell schwache Fußballer seien anfällig für die Doping-Versuchung. Die Geschwindigkeit des Spiels hat sich in den vergangenen Jahren extrem erhöht. Der Druck, topfit zu sein, steigt.

Systematisches Teamdoping – absolut jeder spricht bei diesem Thema über Juventus Turin. 1996 gewann Juve die Champions League. Zwei Jahre später nimmt der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello, selbst Juve-Fan, die Ermittlungen auf. 40.000 Seiten Akten produziert er, ruft Spieler wie Zidane und Cannavaro in den Zeugenstand. Am Ende beweist Guariniello Teamdoping. Der bis heute spektakulärste Fall.
Die Staatsanwaltschaft liegt am Corso Vittorio Emmanuele II, einer der wichtigsten Adern Turins. Am Ende der Prachtstraße thront der rot verklinkerte Bau der Justiz. Raffaele Guariniello sitzt im siebten Stock, bewacht von zwei Carabinieri und drei Sekretärinnen. In Italien ist Guariniello ein Star – er ist mittlerweile über 70 Jahre alt, aber er wühlt weiter. Während des Gespräches unterzeichnet er hereingereichte Akten, telefoniert immer wieder kurz. „Im Fußball bin ich auf eine Mauer des Schweigens gestoßen“, sagt Guariniello. Trotzdem startet vier Jahre nach Beginn seiner Ermittlungen der Prozess, am 31. Januar 2002.

39 Verhandlungstage und zweieinhalb Jahre braucht das Gericht, dann entscheidet es: Teamarzt Riccardo Agricola muss 22 Monate in Haft. Juve legt Einspruch ein, das dritte Verfahren wird 2007 wegen Verjährung eingestellt. Juve entkommt einer Strafe, doch die Fakten bleiben: 281 verschiedene Medikamente hatte Juves Vereinsarzt in der Apotheke, auch das Blutdopingmittel EPO haben die Spieler bekommen. Juventus liegt fünf Jahre zurück, aber Guariniello bleibt dran. Aktuell untersucht er eine Reihe mysteriöser Todesfälle: Italienische Fußballer erkranken 24 Mal häufiger an der tödlichen Nervenkrankheit ALS als die Normalbevölkerung. Doping könnte die Ursache sein.

Sportärzte versuchen immer wieder, die medizinischen Grenzen auszuloten. Für den Einsatz solch grenzwertiger Mittel gibt es ein prominentes Beispiel: Der ehemalige Bremer Stürmer Ivan Klasnic verklagt Werder Bremens Mannschaftsarzt Götz Dimanski auf mehr als eine Millionen Euro Schmerzensgeld: Klasnic‘ Niere versagte und er wirft Dimanski vor, die Krankheit nicht erkannt und durch hohe Mengen an Schmerzmitteln verschlimmert zu haben. Seit Jahren warten die Beteiligten auf ein Urteil. Weder Dimanski noch Klasnic äußern sich zum laufenden Verfahren.

Mir tun die Spieler leid
Interessant ist hier ein Interview mit dem Ex-Mannschaftsarzt von Schalke 04, Thorsten Rarreck im Handelsblatt. Laut eigenen Erfahrungen hat die Einnahme von Schmerzmitteln nicht nur vor wichtigen Spielen, sondern auch im Training enorm zugenommen. Ibuprofen und Diclofenac stehen dabei ganz oben: sie müssen bei Dopingtests zwar angegeben werden, sind aber handelsübliche Schmerzmittel, die jeder erwerben kann. Allerdings, so Rarreck, sei das bedenklich. Durch kontinuierlichen Einsatz solcher Mittel würden die Regenerationskräfte des Körpers dauerhaft geschwächt bzw. werden unterdrückt. Auf Dauer werden andere Organe angegriffen. Auch Rarreck kann sich ein systematisches Doping in der Bundesliga nicht vorstellen.

Dass jedoch das Gegenteil der Fall ist, beweist die folgende Geschichte:
Wer im Internet nach Doping im Fußball sucht, findet Menschen, die sich über Aufputschmittel unterhalten und über Steroide. Im Amateurfußball. Einer der Kreisliga-Doper meldet sich schließlich. Er habe in einer bayerischen Landesauswahl gespielt und Aufputschmittel genommen, um alles aus sich herauszuholen. „Die Wirkung war teilweise grandios. Aber die Nacht nach den Spielen ging es mir einfach nur verdammt mies.“ Erst ist er bereit für ein Treffen, später meldet sich der anonyme Amateur nicht mehr zurück.

Ganzes Kreisliga-Team auf Ephedrin

Die Aussagen des dopenden Amateurfußballers unterstreicht Mischa Kläber. Der Sportsoziologe der TU Darmstadt hat für seine Doktorarbeit auch mit vier dopenden Kreisliga-Kickern gesprochen. In einem Fall dopte am Ende die gesamte Mannschaft mit Ephedrin. Das Aufputschmittel macht Spieler auf dem Platz aggressiver, schneller, wacher. Kläber berichtet von weiteren Mitteln: Von Speed, von Kokain, in einem Fall auch vom Steroid Nandrolon, das beim Muskelaufbau hilft. Ein Spieler nutzte es nach einem Kreuzbandriss zur Turbo-Genesung. „Ephedrin und verschreibungspflichtige Schmerzmittel sind in den niedrigeren Klassen sehr weit verbreitet“, sagt Kläber. Einen Fußballer in tieferen Klassen hat auch Stefan Matschiner betreut. Auch er besorgte seinem Kunden Ephedrin.

Doping im Fußball, das sind keine Einzelfälle. Doping im Fußball ist Teil des Systems.

Disclaimer

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Schmerzmitteln im Fußball befasst. fussballdoping.de wird von dem gemeinnützigen Recherchebüro CORRECT!V betrieben. Das Büro finanziert sich aus Spenden, die von der Steuer absetzbar sind. Mehr Informationen zu einer Mitgliedschaft bei CORRECT!V finden Sie unter correctiv.org.

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