Filmbesprechung: “Am Borsigplatz geboren – Franz Jacobi und die Wiege des BVB”

Zugegeben, so richtig wusste ich nicht, was mich wohl erwarten würde, als die silberne Scheibe im Laufwerk des Blu-ray-Players verschwand und die ersten Bilder des Films von Jan-Henrik Gruszecki, Marc Mauricius Quambusch und Gregor Schnittker über die Mattscheibe flimmerten. Ein Film über den BVB, okay, soviel wusste ich. Und irgendwas mit ‚Wurzeln’, ‚Gründungsgeschichte’, ‚Dokumentation’ und ‚Crowdfunding’. Ansonsten aber war ich eher skeptisch, ob mich eine Dokumentation über die Dortmunder Borussia tatsächlich wird fesseln können und was man über die sympathischen Ruhrpottler wohl noch so erzählen kann, was man nicht ohnehin schon wusste. In einer Kneipe gegründet. Rote Erde. Gelbe Wand. Scheiß S04. Und Franz wer?

Es ging also los und ich fing an, mir eifrig Notizen zu machen – nur um etwa 25 Minuten später festzustellen, dass ich meinen Zettel und meinen Stift inzwischen total vergessen hatte und völlig im Film versunken war. Außerdem hatte ich bis dahin schon gelernt, was es mit diesem Herrn Jacobi auf sich hat und dass Borussia Dortmund in zwei Punkten erstaunliche Parallelen zu meinem eigenen Herzensverein aufweist: Der Triumph im Europapokal der Pokalsieger 1966, also in dem Wettbewerb, den auch mein Team acht Jahre später gewinnen sollte, war der erste Europapokalsieg einer westdeutschen Mannschaft überhaupt. Angetreten war man gegen den FC Liverpool als deutlicher Außenseiter – und gewann trotzdem. Solche Geschichten sind also offenbar nicht nur an der Elbe, sondern auch am Borsigplatz der Stoff, aus dem Legenden gestrickt werden.

Originalaufnahmen ebenjenes Spiels in Glasgow dienen den Filmemachern direkt zu Beginn denn auch als Aufhänger, den Protagonisten ihres Werkes einzuführen: Den schon mehrfach angesprochenen Franz Jacobi, der als zentrale Figur bei der Gründung des Ballspielvereins Borussia 09 aus Dortmund gilt und mit dem Europapokalsieg wohl sein Lebenswerk gekrönt sah. Gruszecki, Quambusch und Schnittker aber fragen sich in diesem Zusammenhang: „Wo liegen die Wurzeln des Clubs – unsere Wurzeln?“ und setzen damit gleich einen Grundton, der den ganzen Film bestimmt. „Am Borsigplatz geboren“ ist vor allem die in bewegte Bilder gegossene Antwort auf diese Frage von Fans für Fans, wobei es der Geschichte aber schnell gelingt, auch fußball- und geschichtsinteressierte Nicht-BVBler wie mich in ihren Bann zu ziehen.

Großen Anteil daran haben zum einen die hervorragend ausgewählten Interviewpartner und Zeitzeugen (in dem Sinne, dass sie Franz Jacobi noch kennengelernt haben), denen man ihre Authentizität und ihre Verbundenheit mit dem Verein zu jedem Zeitpunkt absolut abnimmt und zum anderen die abwechslungsreiche Gestaltung des Films: Der Besuch von Original-Schauplätzen, Interviewsequenzen, vor dem Auge des Betrachters entstehende Sandmalereien, die mit Original-Zitaten Jacobis kombiniert werden und nachgespielte Szenen aus den Anfangsjahren der Borussia wechseln sich ab und tragen den Zuschauer in einer Weise durch den Film, die an keiner Stelle Langeweile aufkommen lässt. Was außerdem äußerst positiv auffällt: Den Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen, wird in ihrer jeweiligen Länge ebenso angemessen Raum gegeben wie Nebensträngen, die Zusatzinformationen und Rahmendaten liefern.

Eine dieser zentralen Geschichten ist der große Konflikt zwischen der katholischen Kirche in Person von Kaplan Dewald und den Gründungsvätern des Vereins – ein Aspekt, der mir bis dato ebenso unbekannt war wie die ziemlich großartige Tatsache, dass der Club seinen Namen einer Brauerei zu verdanken hat. Und das auch nur, weil in der hitzigen Diskussion um die Vereinsgründung niemand so recht an einen Namen für das Kind gedacht hatte und nun im „Wildschütz“, dem Gründungslokal, zufällig ein Schild der Borussia-Brauerei an der Wand hing. Auch die Erinnerungsarbeit kommt nicht zu kurz, als es darum geht, wie der Ausbruch des Ersten Weltkrieges natürlich auch den Club und das Vereinsleben massiv beeinflusste. Allerdings findet sich hier, wenn man denn unbedingt meckern muss, vielleicht auch die einzige kleine Schwäche im Film – die Inszenierung der Namen derjenigen, die im Krieg geblieben sind, hatte für mich als Nicht-Borusse dann doch eine Spur zu viel Pathos. Trotzdem hatte ich in der nachgestellten Szene mit einem der Dortmunder Gründungsväter im Schützengraben, der eine von ihm auf die Borussia umgemünzte Liedzeile singt, möglicherweise tatsächlich ein Tränchen im Auge. 

Wem kann man „Am Borsigplatz geboren“ also nun empfehlen? Dass der Film für alle, die es mit den Dortmundern halten, zum absoluten „Musst-Du-gesehen-haben“-Programm gehört, muss man sicher nicht extra erwähnen. Aber auch all denjenigen unter uns, die sich für die Geschichten hinter der Geschichte und für die Historie unseres Lieblingssports im Allgemeinen interessieren, sei der Film ans Herz gelegt. Und denjenigen, die liebevoll gemachte, sensationell gut recherchierte, ehrliche und mit viel Herzblut umgesetzte Fußball-Dokus lieben, denen sowieso.

Autor: Alex Schnarr

Hier geht es zur Homepage des Filmprojekts.

Der Film wurde uns von den Machern auf unsere Anfrage hin freundlicherweise zur Besprechung zur Verfügung gestellt.

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