Mossley AFC, mein Großvater und ich

Es gibt viele Gründe, um ins Stadion zu gehen. Sich ein Fußballspiel ansehen, ist nur einer davon. Der englische Autor Stuart Howard-Cofield erinnert sich an Spiele des Mossley AFC, die er mit seinem Großvater erlebte.

Autor: Stuart Howard-Cofield, grumpyoldfan.net

bottommossley

Blick vom Seel Park nach Bottom Mosley, mit freundlicher Genehmigung von Joe Gibbons

Die kleine Stadt Mossley liegt im Nordwesten Englands, an einem Flecken, wo sich die drei Countys Lancashire, Yorkshire und Cheshire treffen, etwa 14 Kilometer außerhalb von Manchester in Richtung der Pennines Bergkette. Die Stadt gehört zum Bezirk Greater Manchester und liegt am Flüßchen Tame. Mossley erlebte im 18. Jahrhundert seine Blüte durch die Baumwoll- und Wollindustrie. Die Nähe zu Manchester tat ein Übriges für das Wachstum der Stadt.

Der Club, Mossley Association Football Club oder AFC, gegründet 1903, spielt im windumtosten Seel Park. Dieses kleine Stadion liegt auf einer Anhöhe im Stadtteil Top Mossley. Hinter der kleinen Tribüne auf der Gegengeraden fällt der Hügel steil ab in Richtung Bottom Mossley. Der Wind aus den Pennines weht ungebremst ins Stadion und beeinflusst somit den Ausgang des Spieles. Die Kosten für neue Bälle müssen horrend sein, denn es gab und gibt kein Netz hinter besagter Tribüne und die Bälle landeten somit in Bottom Mossley oder endeten auf den Gleisen der nahen Mossley Railway Station. Dieser kleine Club hatte seine Blütezeit in den späten 70er und frühen 80er Jahren als der Mossley AFC regelmäßig unter den Topteams der Northern Premier League (etwa Landesliga in Deutschland) zu finden war. Der Wermutstropfen an diesem ansonsten schönen Stadion ist seine Größe; es erlaubte Mossley nicht in die Football Conference, den semi-professionellen Unterbau der Englischen und Walisischen Football League, aufzusteigen[i]. Ein Ausbau ist zudem nicht möglich, da die umliegenden Wohngegenden direkt an das Stadion angrenzen.

mossley finale

Der größte Erfolg der Clubgeschichte war das Finale der FA Trophy 1980 gegen Dagenham[ii]. Vor 26.000 Zuschauern im Wembleystadion unterlag die Mannschaft des damaligen Trainers Bob Murphy mit 2-1. Man behauptet, die ganze Stadt mit ihren 10.000 Einwohnern, war in Wembley an diesem Tag, um das Team zu unterstützen. Die Euphorie dieses Erfolges im Pokal trug die Mannschaft durch die 1980er Jahre. Eine Dokumentation zeigt die Vorfreude vor dem Spiel und den Stolz auf die Mannschaft trotz der Niederlage im Finale. Die Mannschaft fuhr bei der Rückkehr aus London in einem offenen Doppeldeckerbus durch Mossley und wurde von den Einwohnern gefeiert. Es gab sogar eine öffentliche Zeremonie im Rathaus zu Ehren des Teams. Der Club hat es seither nicht mehr vermocht, an diesen Erfolg anzuknüpfen. Die Erinnerung an diese Saison und diesen Tag in Wembley lebt jedoch weiter.

Es gibt jedoch Spiele im Leben, die vergisst man nicht. Die erste Meisterschaft von Manchester United nach 26 Jahren gegen die Blackburn Rovers im Jahre 1993 zum Beispiel. Oder der Sieg im Endspiel der Champions League 1999 in Barcelona gegen Bayern München. Die Erinnerung an diese Spiele wird trotz der Erfolge von United, bisher und auch in Zukunft, nicht verblassen. Auch erinnere ich mich an ein Spiel im November 1986 gegen Mossleys Lokalrivalen Stalybridge Celtic. Dieses Spiel ist eines, welches ich so schnell nicht vergessen werde. Neben dem fußballerischen Aspekt spielt dabei jedoch ein familiärer Grund eine Rolle.

Neben meiner Leidenschaft für Man United ergab sich durch einen Umzug in die Nähe von Mossley die Möglichkeit, die Spiele der „Lilywhites“ mit meinem Großvater zu besuchen. Mein Großvater Leo war sein Leben lang ein treuer Mossley-Fan. Er gehörte in Seel Park quasi zum Inventar. Logischerweise haben meine Großeltern ihre Goldene Hochzeit auch im Clubhaus im Stadion gefeiert. Als Anerkennung ihrer Treue und Leidenschaft hat ihnen der Club zwei goldene Jahreskarten geschenkt, die ihnen zukünftig freien Eintritt in Seel Park gewährten. Mein Opa meinte später zu mir, dass ein Freund ihn jedes Mal am Eingang durchgelassen hätte und dass er es ihm damit dankte, in dem er an der Bar fleißig seinen Mann stand. Dennoch sah ich ihm an, dass es ein besonderer Moment für ihn und er sehr gerührt von dieser Geste des Clubs war. Für ihn war der Club ein Stück Heimat, ein Stück Zuhause. Und es zeigt den engen Zusammenhalt der Einwohner von Mossley mit ihrem Fußballclub.

Von Natur aus ein eher gemütlicher und jovialer Mensch, konnte sich mein Großvater Leo dennoch sehr über den modernen Fußball aufregen. Meist saß er dazu in seinem Sessel und schwenkte verärgert seine Teetasse herum, sodass das kostbare Getränk über die Lehnen und den Teppich schwappte.

Der AFC spielt seit je her in Seel Park, ein Stadion auf einer Anhöhe gelegen und von drei Seiten umgeben von zeitgenössischen Tribünen. Von der offenen Seite fegt der Wind über den Platz. Da es ihm oft zu zugig wurde, zog sich mein Opa oft an die Bar im Clubhaus, direkt neben der Haupttribüne, zurück, um von dort das Spiel zu beobachten und zu kommentieren. Mit ihm zum Spiel zu gehen, war ideal: Ich traf meine Schulfreunde beim Match und gemeinsam stellten wir uns immer hinter das gegnerische Tor, um während des Spiels den Torhüter mit verbalen Nettigkeiten zu traktieren. Oder wir kickten selber mit irgendeinem Gegenstand und verhielten uns einfach wie Kinder in der Vorteenagerzeit sich eben verhalten.

Haupttribüne Mossley

Haupttribüne im Seel Park heute,
mit freundlicher Genehmigung von Joe Gibbons

Die Bühne für das Spiel gegen Stalybridge war die „Lancashire Footlit League.“ Das Hervorragende an dieser Liga war, dass es viele lokale Derbys gab, das Lebenselixier für kleinere Clubs wie den Mossley AFC oder Stalybridge Celtic, da sie für regen Zuschauerzuspruch sorgten. Das Spiel fand an einem frischen Novemberabend statt. Opa ging wie gewöhnlich in die Bar und ich gesellte mich zu meinen Freunden. Nach einem kurzen Blick zum Souvenirstand, an dem es Portemonnaies und schwarz-weiß-gestreifte Teddybären gab, gingen wir zu unseren Plätzen, wie immer um den Torhüter des Gegners davon in Kenntnis zu setzen, was wir von seinen Fähigkeiten hielten.

An diesem Abend hätte es unserer Zuarbeit nicht bedurft, denn Mossley spielte grandios. Ich kann mich zwar nicht an die Feinheiten und einzelne Begebenheiten des Spieles erinnern, aber völlig überraschend, nach einer bis dato eher durchwachsenen Saison wurde Stalybridge mit einer 5-0 Packung abgefertigt. Nach jedem Tor rannte ich erfreut in die Bar und rief „Opa, Tor!” „Ja, mein Junge!“, war seine Antwort. „5-0 Opa! Hast Du das gesehen?! 5-0!“ rief ich, erschöpft vom Hin- und Herrennen zwischen Bar und meinem Platz. „Es ist nicht jede Woche so, das weißt du sicherlich“, war seine Antwort.

Für etwa zwei Jahre ging ich regelmäßig mit Leo zum Fußball, um Mossley zu sehen. Einmal, nach einem aufregenden 3-3 Unentschieden gegen Hyde FC wurde ich anschließend Augenzeuge eines Platzsturmes mit einer anschließenden Schlägerei. Die örtlichen Jugendlichen kopierten die Hooligan-Exzesse, die allwöchentlich in und um die Stadien der großen Clubs in den oberen Ligen stattfanden. Opa beschimpfte die sich Prügelnden, legte seinen Arm schützend um mich und zog mich weg in Richtung Ausgang. „Das hat mit Fußball nichts zu tun, mein Junge. Einfach nicht hinschauen!“

Normalerweise wurden während eines Spieles nicht viele Worte zwischen uns gewechselt. Opa saß im Clubhaus, ich stand draußen. Es genügte oft ein versichernder Blick durch das Fenster, gepaart mit einem Lächeln und einem Nicken. Hinterher saßen wir bei ihm im Wohnzimmer und freuten uns, wenn Mossley bei Grandstand[iii] erwähnt wurde.

Vor einigen Jahren lag Opa im Krankenhaus und ich entschied mich für einen spontanen Besuch, statt auf einen Tag zu warten, an dem ich gemeinsam mit der Familie hingehen würde. Er empfing mich freudig und war zu Scherzen aufgelegt. Wir sprachen über die Kinder, die Arbeit und über meine Pläne für die Zukunft. Und natürlich sprachen wir auch über den Mossley AFC. Ich versprach ihm, ihn alsbald mal wieder mit zu einem Spiel zu nehmen. Zwei Tage später erhielt ich einen Anruf, dass er verstorben sei. Ich fühlte mich taub und war nicht in der Lage, noch einmal ins Krankenhaus zu gehen, um ihn ein letztes Mal zu sehen. Ich wollte mich an den lebhaften Menschen erinnern, den ich zwei Tage zuvor noch getroffen hatte.

Schuld und Bedauern sind Gefühle, die sicherlich uns alle überkommen, wenn wir nahe Verwandte oder gute Freunde verlieren. Wir wünschen uns, mehr Zeit mit ihr oder ihm verbracht zu haben und sie besser gekannt und verstanden zu haben. Aber der Altersunterschied von 50 oder mehr Jahren war mitunter schwer zu überbrücken. Das geht wohl jedem Teenager so und ist durchaus normal. Trotz ihrer Kürze waren wir glücklich, die Verbindung mit und über den Fußball gehabt zu haben. Es ist mein Fehler, dass diese Verbindung nicht länger anhielt beziehungsweise, dass sie nicht tiefer wurde. Im Lauf der Zeit habe ich festgestellt, dass das, was auf dem Platz geschah, für meinen Opa überhaupt nicht wichtig war. Ergebnisse waren für ihn nebensächlich. Warum er zum Fußball ging, der Grund, warum er immer wieder an der Bar des Clubhauses in Seel Park ging, war das Gefühl der Zugehörigkeit, der Gemeinschaft. Hier fühlte er sich zu Hause. Es gibt mir jetzt Ruhe und inneren Frieden, zu wissen, dass ich ein Stück davon mit ihm geteilt habe, ja, selbst ein Stück davon war.

Nach seinem Tod hat meine Großmutter seine Asche auf dem Rasen von Seel Park verteilt. Der Wind trug sie in die Ecke des Stadions, wo auch das Clubhaus liegt. Er hätte es gemocht, sagte ich zu mir.

Was mir von dem Spiel gegen Stalybridge in Erinnerung geblieben ist und was es so besonders gemacht hat, waren Opas Worte. Als ich das Clubhaus nach dem 5. Tor wieder verließ, hörte ich ihn in den Bierschaum murmeln:

„5-0 und ich habe jedes
dieser verdammten Dinger verpasst.“

Spielfeld Mossley

Kurz vor Anpfiff im Seel Park, mit freundlicher Genehmigung
von Joe Gibbons


 

Joe Gibbons ist Groundhopper und bloggt bei http://gibbos92.wordpress.com/. Die Bilder von seinem Besuch im Seel Park 2012 hat er uns für diesen Text zur Verfügung gestellt – vielen Dank dafür!


 

[i] Die Football League ist die älteste Fußballliga der Welt und wurde schon 1888 gegründet. Bis 1992 waren die Division 1 bis 4 unter dem Dach der Football League organisiert. Mit der Gründung der Premier League umfasst die Football League nun die ehemaligen 2-4. Ligen. Diese wurden auch umbenannt in Championship (ehemals Division 2) League One (div. 3) und League Two (div.4). Darunter spielt die Football Conference, die ebenfalls in 3 Ligen aufgeteilt ist: die Conference Premier, Conference North und die Conference South. In der Conference Premier sind alle Clubs professionell, die anderen beiden Ligen semi-professionell.

[ii] Der Club Dagenham FC spielt heute unter dem Namen Dagenham & Redbridge FC nachdem Dagenham und Redbridge Forest 1992 fusionierten. Die Daggers, so der Spitzname, spielt heute in League Two, der 4. Liga Englands.

[iii] Grandstand war eine britische Sportsendung, die von 1958 bis 2007 ausgestrahlt wurde. Für mehr als 40 Jahre war die Sendung die wichtigste Nachrichtenquelle für Sport- und insbesondere Fußballergebnisse in Großbritannien. Durch den Anstieg interaktiver Konkurrenzangebote sah sich die BBC gezwungen, die Sendung einzustellen. Ein Bestandteil der Sendung war “Final Score”, der auch heute noch läuft: Die Reporter berichten von den jeweiligen Stadien ins Fernsehstudio während in der unteren Bildschirmhälfte die Ergebnisse der anderen Ligen durchlaufen.

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