Schlagwort: Belletristik

Buchbesprechung: Philipp Winkler – Hool

Bücher, die sich fiktional mit Fußball beschäftigen sind rar, was wohl zum einen daran liegen kann, dass die Materie Fußball schwer in Worte zu fassen ist, oder zum anderen weil der Sport eher nicht als literarisch betrachtungswürdig angesehen wurde. Bisher. Wie dem auch sei, Philipp Winkler ist mit “Hool” nicht der große Fußballroman gelungen, aber dennoch ein Buch über einen jungen Menschen, der Fußball nutzt, um seine Aggressionen auszuleben und dessen Leben irgendwie ins Negative abzugleiten scheint.

Die Figuren in Winklers Roman Hool sind zum größten Teil sogenannte Millennials, die oft als Zielgruppe beschworen werden, aber selten zu Wort kommen, bzw. ernst genommen werden. Das ist ein Fehler, sind diese Leute doch die Zukunft. Dabei könnte Winklers Hauptfigur Heiko Kolbe für so etwas wie eine Versinnbildlichung von Leuten stehen, die per se nicht politisch sind, eine Meinung gegen Nazis haben, die aber durch gezielte Falschinformation dem rechten Pöbel von AfD und Pegida auf den Leim gehen. Das Vakuum ist vorhanden in der Person Kolbes.

Dabei ist Heiko Kolbe kein Einzelfall; Leute wie ihn gibt es viele in Deutschland. Oftmals besteht ihre einzige Möglichkeit der öffentlichen Kommunikation in der Kommentarfunktion bei facebook oder anderen ähnlichen Netzwerken. Und das ist, was Hool so interessant macht. Winkler gibt denen eine Stimme, die keine haben oder deren Stimme gern überhört wird. Die Stimmen sprechen dabei im Dialekt der Hannoveraner Gegend, was durchaus schlüssig ist. Würde ein Fitnessstudiobetreiber in korrektem Hochdeutsch sprechen, fehlte dem Roman ein gehöriges Stück Authentizität. Ähnlich wie Clemens Meyer, dessen “Als wir träumten” die Verunsicherung der Wendezeit sehr gut beschreibt, schafft es Winkler mit seiner Figur des Heiko Kolbe ein Bild einer Generation zu skizzieren, die alles andere als nur auf Party aus ist, die genauso verunsichert ist und darunter leidet, dass man sie nicht ernst nimmt.

Hool beginnt mit einer Kampfszene und man befürchtet, dass dem eine Aufreihung von Kämpfen, Saufgelagen und Frauengeschichten folgt. Dem ist aber nicht so. Vielmehr erliest man einen Lebensabschnitt von Heiko Kolbe, dem Protagonisten und Ich-Erzähler der Geschichte. Hier geht es um Erinnerungen an die Kindheit als die Familie intakt und das Leben einfach waren. Ganz anders als die Realität, in der Kolbe sich als Aushilfe in der Muckibude seines Onkels finanziell über Wasser hält, seine Beziehung in die Brüche gegangen ist und er darunter leidet. So sehr, dass er des Nachts sogar vor ihrem Haus im Auto sitzt, nur um zu sehen, ob und dass sie zu Hause ist. Gleichsam ist die Familie ein Problem; der Vater ist Alkoholiker und bedarf stationärer Hilfe, die Schwester dagegen ist ein Musterbeispiel der Mittelklasse: Haus, Mann und Kind. In ihrer Mittelklasseexistenz ist aber keine Zeit für den Vater und dessen liebstes Hobby: Tauben. Letztere verpflichtet sich Heiko zu versorgen als dieser in einer Entzugsklinik ist. Dies geschieht mehr schlecht als recht. Die Mutter kommt nur in Erinnerungen vor. Diese Gemengelage machen es nicht einfach für Heiko Kolbe, das Leben zuversichtlich zu sehen. Sein Halt sind die Mitstreiter der Hannover 96 Firm, deren Anführer sein Onkel Achim ist.

Der Suizid von Robert Enke im Herbst 2009 kommt im Buch ebenso vor wie eine Diskussion über die Kommerzialisierung des Spiels. Ultras sind nur eine Facette davon, denkt sich Heiko. Für ihn ist es ein Greuel, sich im Stadion hinsetzen zu müssen; selbst stehen, ja das Spiel an sich, ist für ihn nur Nebensache. Es geht ausschließlich darum, sich mit anderen zu verabreden und zu kämpfen, ihre Stadt, ihre Farben zu vertreten und zu verteidigen. Sie sind Hooligans, haben nichts mit Nazis am Hut, Politik ist ihnen egal, sie wollen Spaß haben. Genau darauf werden sehr gern die Millennials reduziert: Spaß und sorgenfreies Leben. Was ist daran falsch fragt man sich? Gleichzeitig ist es eine groteske Fehleinschätzung, deren Folge Radikalisierung sein kann, egal in welche Richtung.

“Some guys come home from work and wash up,
And go racing in the street”*

So oder so ähnlich fühlt es sich auch für Heiko an: er wartet darauf, dass etwas geschieht, was, weiß er selber nicht. Während seine Freunde neue, sie erfüllende Aufgaben haben, tritt Kolbe irgendwie auf der Stelle. Er ist ein Bewahrer des Status Quo, dem jede Änderung zuwider scheint und doch weiß er sehr wohl, dass etwas geschehen muss. Ein letzter Kampf gegen Braunschweig und dann ist es vorbei. Als sein Vermieter, Arnim verschwindet, ist es Zeit für Heiko, die Zelte abzubrechen. Arnim hatte eine Vorliebe für seltene Tiere. Bei seinem fluchtartigen Abschied muss Heiko den Tiger erschießen, nur einer der Kampfhunde ist noch am Leben und Siegfried der Geier will trotz offenem Fenster nicht in die Freiheit. Und ist damit irgendwie auch Sinnbild für Heiko: er könnte, will aber nicht.

*Bruce Springsteen: Racing in the Street, Columbia Records, 1978

”Hool”
Philipp Winkler, Hool, Roman. Berlin: Aufbau-Verlag, 2016. ISBN: 978-3-351-03645-4. Der Roman ist in jedem gut sortierten Buchhandel und beim Aufbau-Verlag erhältlich.
NB: Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

Buchbesprechung und Verlosung: Imran Ayata – Ruhm und Ruin. Ein Roman in 11 Kapiteln.

Wir verlosen den Roman “Ruhm und Ruin” von Imran Ayata!

Der Verbrecherverlag hat uns freundlicherweise ein Exemplar des Romans zur Verlosung bereitgestellt. Wie Ihr gewinnen könnt? Indem Ihr bis 28. Januar, 12 Uhr, über die unten eingebundene Box teilnehmt. Dann heißt es Daumen drücken. Zur Teilnahme genügt bereits ein Kommentar, Ihr könnt aber auch zusätzliche Lose verdienen. Was Ihr dafür tun müsst, erfahrt Ihr unten. Allen Teilnehmern wünschen wir viel Glück.

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Unsere Rezension zu “Ruhm und Ruin”

Das Thema ist derzeit in aller Munde: Migration und Flüchtlinge. Imran Ayatas Buch “Ruhm und Ruin”, welches im Verbrecher-Verlag erschienen ist, vereint zwei Themen, die Deutschland derzeit in Atem halten. Da ist zum Einen der Fußball, bei dem es zusehends klar wird, dass die WM 2006 nicht mit rechten Dingen nach Deutschland kam. Das Interview von Franz Beckenbauer in der Süddeutschen Zeitung im November ist ein guter Beleg für den Morast, in dem der DFB steckt. Und auch sonst liegt im Fußball einiges im Argen. Das Andere ist das Thema Migration. Jahrzehntelang wurde es totgeschwiegen beziehungsweise wurde so getan als ob das Thema nicht existierte, denn Migranten aus Jugoslawien, der Türkei, Griechenland, Makedonien waren keine Migranten, sondern Gastarbeiter. Die Problematik wurde linguistisch weggeschlossen, ehe sie in den 90ern und frühen Nullerjahren brachial zurückkam. Dabei war die alte Bundesrepublik sehr wohl ein Einwanderungsland, nur wollte es keiner wahr haben.

 

Dieses kleine Bändchen enthält 11 Kapitel, besitzt also Mannschaftsstärke, dreht sich dabei aber nur periphär um Fußball, sondern vielmehr um die Einbettung eines Fußballvereins in seine unmittelbare Umgebung. In jedem dieser 11 Abschnitte spricht eine andere Person über Fußball bzw. über die Beziehung zum eben jenem Kiezverein. Im Mittelpunkt steht dabei ein deutsch-türkischer Fußballer, Arda Toprak, der es schafft, vom Kiezclub zu einem Bundesligaverein zu wechseln und sogar in die Nähe der Nationalmannschaft rückt. Dann werfen ihn zwei Verletzungen zurück und die Laufbahn ist beendet. Dass seine Begabung ihn in seinem Kiez herausstellte, ist ihm bewusst:

“In unserer Hood träumten alle davon, entdeckt zu werden. Jeder wollte raus aus Elend und Mittelmaß … Mich traf es besser. Ich hatte das Ticket zum Glück gelöst.” (S.13)

In elf Kapiteln reden elf verschiedene Menschen über die Rolle des Vereins und ihre Sicht der Dinge auf den Club, das Schicksal Topraks, von dem vieles abhing, was ihm wiederum zu viel war und wie alles irgendwie zusammenhängt: Leben, Liebe, Fußball. Was passiert, wenn alles auf eine Karte, in diesem Fall auf die Karrierehoffnung des Sohnemanns, gesetzt wird, zeigt sich am Schicksal des Vaters, der sich als Manager in die totale Abhängigkeit seines Sohnes begibt und das größte Opfer bringt: er erleidet einen Zusammenbruch und muss ins Krankenhaus; aus Fikret Toprak wird Deli Fikret: der verrückte Fikret. In seinem Gespräch, eigentlich sind Selbstgespräche im Krankenhaus verboten, sagt er:

“Es sollte unseren Kindern anders ergehen. So haben Esra und ich uns das ausgemalt. Bei Allah, was ist daran falsch? Wir waren bereit, alles dafür zu tun, damit sie Erfolg haben. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert.” (S.29)

Da ist die Schwester, Yasemin, die gern die traditionellen Schubladen schließen möchte und ein eigenes Modelabel gründen möchte. Aber:

“Eine Frau, die Yasemin Toprak heißt, ist für andere Schubladen vorgesehen.”

Sie redet über Mode und Sex. Sie macht keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung über die gescheiterten Modepläne. Sie hat die Nase voll und wer könnte es ihr verwehren? Hoffnung kommt auf für sie, als sie ein Angebot eines Praktikums in Paris erhält.

Das Schicksal der Familie ist aber nur eine Facette dieses gut geschriebenen Buches. Viel aufschlussreicher sind dagegen die Kapitel, in denen Vereinsmitglieder zu Wort kommen, also Vereinspräsidenten und solche, die es werden wollen, die Social-Media-Beauftragten, Trainer und anderen Leute, die alle irgendwie mit dem Verein zusammenhängen. Dabei kommt zutage, wie vielschichtig der Verein ist; längst sind nicht mehr nur türkischstämmige Spieler dabei und sogar ein Afrikaner mischt mit, genannt Türk Richard. Dieser mag keinen türkischen Tee, weil er so süß ist. Das Buch entlarvt den typischen deutschen Rassismus und so wird Kabul schon mal in die Türkei gelegt und ein Jugendtrainer des Kiezclubs wird Kollege Kebab genannt. Die Kurdenfrage ist problematisch und wird so gut es geht vermieden. Wenn aber jemand diese Frage in den Raum wirft auf einer Vereinssitzung – und das geschieht mit Regelmäßigkeit – ist schnell alles andere nebensächlich und Fußball sowieso. Wie für Türken ist es auch für afrikanisch-stämmige Deutsche schwierig oder gar unmöglich, als solche wahr genommen zu werden. So ergeht es Türk Richard, einem Lokalpolitiker, der im Vereinsvorstand sitzt, obwohl Fußball ihn “nicht sonderlich interessiert”. Er habe so viele Rollen bekleidet und alles dreht sich bei seinen Mitmenschen um die eine Frage:

“Warum tun sich die meisten damit schwer, dass ich Deutscher bin? Natürlich kenne ich die Antwort”. (S. 98)

Was dann folgt, ist eine Watsche an die Politik, die sich nur zu Wahlkampfzeiten blicken lässt, denn die meisten Mitglieder haben einen deutschen Pass und Pass = Wählerstimme.

Was ist ein Fußballverein? Eine Institution zur Identitätsbildung? Oder ein aus Ich-AGs bestehendes Gebilde? Genau diese Diskussion ist eines der zentralen Themen, die Komünist Yusuf, Türk Richard oder andere Vereinsmitglieder diskutieren. Hintergrund ist die Idee eines türkischen Geschäftsmannes, Şefik Aslan, den Verein als Präsident zu leiten und zu professionalisieren. Letzterer scheitert und die Tradition obsiegt. Verharrt der Fußball zu sehr im Überkommenen und wehrt sich gegen die Veränderung? Für Aslan ist es so und es kränkt ihn, dass er seine Ideen im Verein nicht wird umsetzen können. In wohl keinem anderen Bereich frönt man der Tradition so sehr in Deutschland wie im Fußball und dabei ist doch klar, dass Tradition erfunden ist.
Wie sehr der Volkssport Nr. 1 bereits wirtschaftlichen Zwängen unterworfen ist, tritt deutlich zutage in der Aussage des Schiedsrichters Herr Licht. Videobeweis? Da wurden die TV-Anstalten eher befragt als die Unparteiischen. Rassismus auf dem Platz? Nicht in Deutschland und die Polizei hat den Hitlergruß auch nicht gesehen, also keine Aufregung erzeugen. Bestechung? Suizidversuche eines Schiedsrichters? Morddrohungen? All das ist der wöchentliche Wahnsinn auf Deutschlands Plätzen, nur kümmert es keinen, wie es scheint. Irgendein großer Trainer postulierte einst, dass die Wahrheit auf dem Platze liege; nach Lektüre dieses Buches bleibt festzuhalten, dass dem nicht so ist.
Es bleibt “Türk Richard” überlassen, es auf den Punkt zu bringen, was den Verein ausmacht, für ihn und andere. Der Verein “ist eine hochpolitische Veranstaltung” sowie ein “Labor für Machtspiele”. Denn, “es geht um Fußball, es geht um unseren Alltag. Es geht um unser Leben”. Bill Shankly hätte seine Freude. Dieser Satz soll als Schlusspunkt dienen, denn er fasst es treffend zusammen, was dieses Buch und diesen Sport ausmacht.

NB: Der Roman basiert auf dem Theaterstück “Liga der Verdammten” welches 2013 im Berliner Ballhaus Naunynstraße aufgeführt wurde. Das Buch ist im Verbrecher-Verlag erschienen und kostet €19.-