Schlagwort: Borussia Dortmund

“Es waren andere Zeiten” – Alfons Sikora im Interview

Alfons Sikora spielte von 1972 bis 1976 für Rot-Weiss Essen, Borussia Dortmund und den 1. FC Mülheim in der 1. und 2. Bundesliga (Nord). Als Sikora nach Dortmund wechselte, wurde er vom “Kicker” als “der neue Sigi Held” gefeiert, ein unglaublich talentierter, aber verletzungsanfälliger Stürmer. Sikora erzielte 14 Tore in 100 Spielen und war Toptorjäger für den 1. FC Mülheim in dessen Debütsaison in der 2. Liga 1972/1973, die seinerzeit in eine Nord- und Südstaffel unterteilt war. Mülheim beendete die Spielzeit auf einem bemerkenswerten 11. Rang in einer Liga mit Vereinen wie Bayer Leverkusen, dem VfL Wolfsburg, Hannover 96 und dem BVB.

In diesem Interview spricht Sikora über eine Zeit in der Geschichte von Borussia Dortmund, über die wenig bekannt ist, die Zeit in der 2. Bundesliga nämlich. Sikora zieht Parallelen zur derzeitigen Liga-Zugehörigkeit des HSV, erinnert sich an sein Leben als Spieler des 1. FC Mülheim, dem kleinsten Klub, der je in der 2. Liga spielte, und spricht über Begegnungen mit einigen der Bundesliga-Legenden, wie zum Beispiel Beckenbauer, Overath, Lippens und Uwe Seeler. Es war eine Zeit, in der Vereine wie Borussia Mönchengladbach und Bayern München den europäischen Fußball dominiert haben und Weltmeister Deutschland die Mannschaft war, die es zu schlagen galt. Die Zeit großer Erfolge für den deutschen Fußball, aber auch des größten Betrugsskandals in der Geschichte der Bundesliga.

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Ex-BVB-Physiotherapeut Kuhnt im Interview: Mit Tuchel hat es total Spaß gemacht

23 Jahre beim BVB. Meisterschaften, Champions League-Titel, Pokalsieg, Beinahe-Bankrott, Kloppo, Tuchel – all das hat Peter Kuhnt als Physiotherapeut bei Borussia Dortmund erlebt. Im Interview bei spox spricht er über den Alltag eines Physios, die vielen Reisen und wie sich der Profifußballzirkus anfühlt.

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Buchbesprechung: Die Helden von ’66

Während Fußballfans in England und sicher auch anderswo mit der Jahreszahl vor allem die WM 1966 in England assoziieren, gedenkt man in Dortmund im Mai dem Europapokalfinale der Pokalsieger 1966 gegen Liverpool. Dies wurde besonders deutlich vor dem Achtelfinalhinspiel gegen den FC Porto als auf der Südtribüne ein großes Banner mit dem Spruch

“Das Album vollenden – Ihr habt es in den Händen.”

hochgehalten wurde. Das spricht durchaus für Geschichstbewusstsein der Borussenfans, denn es dürfte den wenigsten bekannt, dass der BVB 1966 erstmals eine europäische Trophäe mit nach Hause brachte. Leider wird das Album auf unabsehbare Zeit weiterhin unvollendet bleiben und Borussia Dortmund wird dem erlauchten Kreis der Clubs nicht beitreten dürfen, die alle drei Europapokale gewonnen haben. Im Halbfinale hatten die Borussen mit West Ham den Titelverteidiger ausgeschaltet; diese wiederum hatten in der Runde davor den 1. FC Magdeburg in zwei durchaus packenden Spielen geschlagen. Im Finale dann war der BVB gegen Liverpool der krasse Außenseiter. So krass, dass selbst Billy Shankly der legendäre Trainer der Reds im Vorfeld sagte:

“Borussia Dortmund? Wer ist das schon? Das Finale in Glasgow ist für mich schon abgeschlossen. Mein neues Ziel ist das Finale der Landesmeister in der nächsten Saison.” (S. 119)

Wenn Die Dortmunder noch eine weitere Motivation benötigten, so hat Shankly sie ihnen frei Haus geliefert. Das Finale ist hart umkämpft, der Rasen durch Regen aufgeweicht. In der Verlängerung macht ausgerechnet der Spieler ein Tor, der sonst für seine Technik und seine Dribblings bekannt ist: Reinhard ‘Stan’ Libuda. Ein Torschuss von Held wird abgeblockt und fällt zu Libuda. Dieser, etwa 25m vom Tor entfernt, tut, was er sonst nie macht: er zieht ab. Die Bogenlampe wird lang und länger, geht gegen den Innenpfosten und die Hüfte von einem Verteidiger und vor dort ins Tor. Der Rest ist Geschichte und Libuda machte sich unsterblich. Vor der Saison von Schalke zum BVB gewechselt, um nach Schalkes Abstieg weiterhin in der 1. Liga zu spielen, ging er mit diesem Tor in die Annalen ein; sechs Jahre später gelang ihm dies mit den Knappen als er den DFB-Pokal gewann.
Das Buch von Gregor Schnittker beleuchtet die gesamte Saison im Europapokal, angefangen vom DFB-Pokalfinale 1965 gegen Alemannia Aachen, welches Dortmund 2-0 gewinnen konnte. Es folgen Kapitel für Kapitel die einzelnen Spiele in jeder Runde; insgesamt 4 Runden bis zum Finale im Hampden Park, der Heimspielstätte von Celtic. Soweit ist das auch gut.
In jedem Kapitel geht Schnittker auf den Gegner ein und beschreibt das Spielgeschehen. Jedoch, ehe es dazu kommen kann, werden wir mit Details überhäuft, die sich um Personalien oder Ereignisse in der Clubgeschichte des BVB drehen. Das ist etwas lang geraten und bedarf einer Kürzung bei einer zweiten Auflage.
Die interessanteste Frage wird gleich zu Beginn gestellt und soll hier kurz ausführlicher Platz finden. Kann man den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft 1954 mit dem der Dortmunder von 1966 vergleichen? Schnittker bejaht diese Frage, wird doch Erinnerung und damit Identität viel eher im Lokalen als im Nationalen gestiftet. Es war vor allem ein Achtungserfolg, dass der deutsche Fußball eben nicht nur in München, Hamburg oder Köln sein zu Hause hat, sondern auch im Ruhrgebiet, mit Ausnahme der Blau-Weißen Rivalen des BVB und sicher auch den Fans einiger anderer Clubs. Einer, der es wissen muss, ist Aki Schmidt, Kapitän der Dortmunder Elf von 1966. Er war 19 als Rahn Herbergers Elf 1954 zum Sieg schoss und 31 als er Dortmund zwölf Jahre später zum Titel führte. Er sagt:

“Der Sieg über Liverpool hat aber nicht nur uns gefallen, sondern auch Schalkern, Essenern, Duisburgern, Bochumern, den Menschen in Erkenschwick und was weiß ich noch wo.” (S. 8)

Dabei ist das Jahr 1966 in der Tat wichtig für die alte BRD. Adenauer war Geschichte und sein Nachfolger Ludwig Erhard hatte mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, die man fast gar nicht mehr kannte. Das Wirtschaftswunder kam zu einem Ende und es begann der Prozess der De-Industrialisierung und machte vor den Zechen und Stahlküchen keinen Bogen. Damit brach der Region ein wichtiges Standbein weg, was blieb war Fußball. Und Bier und die Erinnerungen. Somit half der Fußball als identitätsstiftendes Vehikel dem Pott in dieser Periode des Wandels. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist die These die Erfolge von 1954 und 1966 miteinander zu vergleichen, durchaus haltbar: beide Spiele wurden im Nachgang als Vehikel zur Identitätstiftung genutzt. Obschon auf sehr verschiedenen Ebenen, wird sowohl bei Deutschlands Sieg in Bern sowie Dortmunds Triumph in Glasgow, die Fähigkeit des Fußballs hervorgehoben, eine imaginäre Gemeinschaft zu kreieren: “Wir sind wieder wer.” Im dritten Anlauf einer deutschen Vereinsmannschaft schaffte es Borussia Dortmund, ein Finale zu gewinnen und somit den Stellenwert des deutschen Fußballs auch auf Vereinsebene zu untermauern.
Ein dickes Plus gibt es für die zahlreichen Zeitdokumente, seien es Fotos, Postkarten oder handschriftliche Notizen; dieses Buch füllt eine Lücke. Großer Kritikpunkt ist das unhandliche A4-Format des Buches, welches es nahezu unmöglich macht, es unterwegs zu lesen. Ein weiterer ist die Langatmigkeit der Kapitel. Weniger ist mehr, gilt einmal mehr. Es finden zu viele Nebensächlichkeiten Eingang in die Geschichte dieser Saison. Sicher sind das alles wichtige Puzzleteile im Gesamtbild dieser Saison, jedoch kommen diese Stücke oft zäh daher; die Protagonisten kommen ins Erzählen und dürfen das auch. Hier wäre ein etwas kritischerer Blick vom Lektor hilfreich gewesen.

Gregor Schnittker: Die Helden von ‘66. Erster deutscher Europapokalsieger Borussia Dortmund. Erschienen im Werkstatt-Verlag, 2016. ISBN: 978-3-7307-0250-5. Der Verlag hat uns freundlicherweise ein Exemplar zur Besprechung zur Verfügung gestellt.

Sebastian Kehl – Frei. Toll. Und jetzt?

Die Laufbahn eines Fußballprofis endet abrupt. Durchgeplante Tage, regelmäßiges Training, die Aufmerksamkeit von Fans und Medien – das Alles verschwand aus dem Leben von Sebastian Kehl von einem Tag auf den anderen. Kehl ging auf Weltreise. Er suchte Abstand und Selbsterkenntnis und würde fündig. Seine Eindrücke schildert er in einem ausführlichen Interview mit Anna Kemper. 

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Filmbesprechung: “Am Borsigplatz geboren – Franz Jacobi und die Wiege des BVB”

Zugegeben, so richtig wusste ich nicht, was mich wohl erwarten würde, als die silberne Scheibe im Laufwerk des Blu-ray-Players verschwand und die ersten Bilder des Films von Jan-Henrik Gruszecki, Marc Mauricius Quambusch und Gregor Schnittker über die Mattscheibe flimmerten. Ein Film über den BVB, okay, soviel wusste ich. Und irgendwas mit ‚Wurzeln’, ‚Gründungsgeschichte’, ‚Dokumentation’ und ‚Crowdfunding’. Ansonsten aber war ich eher skeptisch, ob mich eine Dokumentation über die Dortmunder Borussia tatsächlich wird fesseln können und was man über die sympathischen Ruhrpottler wohl noch so erzählen kann, was man nicht ohnehin schon wusste. In einer Kneipe gegründet. Rote Erde. Gelbe Wand. Scheiß S04. Und Franz wer?

Es ging also los und ich fing an, mir eifrig Notizen zu machen – nur um etwa 25 Minuten später festzustellen, dass ich meinen Zettel und meinen Stift inzwischen total vergessen hatte und völlig im Film versunken war. Außerdem hatte ich bis dahin schon gelernt, was es mit diesem Herrn Jacobi auf sich hat und dass Borussia Dortmund in zwei Punkten erstaunliche Parallelen zu meinem eigenen Herzensverein aufweist: Der Triumph im Europapokal der Pokalsieger 1966, also in dem Wettbewerb, den auch mein Team acht Jahre später gewinnen sollte, war der erste Europapokalsieg einer westdeutschen Mannschaft überhaupt. Angetreten war man gegen den FC Liverpool als deutlicher Außenseiter – und gewann trotzdem. Solche Geschichten sind also offenbar nicht nur an der Elbe, sondern auch am Borsigplatz der Stoff, aus dem Legenden gestrickt werden.

Originalaufnahmen ebenjenes Spiels in Glasgow dienen den Filmemachern direkt zu Beginn denn auch als Aufhänger, den Protagonisten ihres Werkes einzuführen: Den schon mehrfach angesprochenen Franz Jacobi, der als zentrale Figur bei der Gründung des Ballspielvereins Borussia 09 aus Dortmund gilt und mit dem Europapokalsieg wohl sein Lebenswerk gekrönt sah. Gruszecki, Quambusch und Schnittker aber fragen sich in diesem Zusammenhang: „Wo liegen die Wurzeln des Clubs – unsere Wurzeln?“ und setzen damit gleich einen Grundton, der den ganzen Film bestimmt. „Am Borsigplatz geboren“ ist vor allem die in bewegte Bilder gegossene Antwort auf diese Frage von Fans für Fans, wobei es der Geschichte aber schnell gelingt, auch fußball- und geschichtsinteressierte Nicht-BVBler wie mich in ihren Bann zu ziehen.

Großen Anteil daran haben zum einen die hervorragend ausgewählten Interviewpartner und Zeitzeugen (in dem Sinne, dass sie Franz Jacobi noch kennengelernt haben), denen man ihre Authentizität und ihre Verbundenheit mit dem Verein zu jedem Zeitpunkt absolut abnimmt und zum anderen die abwechslungsreiche Gestaltung des Films: Der Besuch von Original-Schauplätzen, Interviewsequenzen, vor dem Auge des Betrachters entstehende Sandmalereien, die mit Original-Zitaten Jacobis kombiniert werden und nachgespielte Szenen aus den Anfangsjahren der Borussia wechseln sich ab und tragen den Zuschauer in einer Weise durch den Film, die an keiner Stelle Langeweile aufkommen lässt. Was außerdem äußerst positiv auffällt: Den Geschichten, die unbedingt erzählt werden müssen, wird in ihrer jeweiligen Länge ebenso angemessen Raum gegeben wie Nebensträngen, die Zusatzinformationen und Rahmendaten liefern.

Eine dieser zentralen Geschichten ist der große Konflikt zwischen der katholischen Kirche in Person von Kaplan Dewald und den Gründungsvätern des Vereins – ein Aspekt, der mir bis dato ebenso unbekannt war wie die ziemlich großartige Tatsache, dass der Club seinen Namen einer Brauerei zu verdanken hat. Und das auch nur, weil in der hitzigen Diskussion um die Vereinsgründung niemand so recht an einen Namen für das Kind gedacht hatte und nun im „Wildschütz“, dem Gründungslokal, zufällig ein Schild der Borussia-Brauerei an der Wand hing. Auch die Erinnerungsarbeit kommt nicht zu kurz, als es darum geht, wie der Ausbruch des Ersten Weltkrieges natürlich auch den Club und das Vereinsleben massiv beeinflusste. Allerdings findet sich hier, wenn man denn unbedingt meckern muss, vielleicht auch die einzige kleine Schwäche im Film – die Inszenierung der Namen derjenigen, die im Krieg geblieben sind, hatte für mich als Nicht-Borusse dann doch eine Spur zu viel Pathos. Trotzdem hatte ich in der nachgestellten Szene mit einem der Dortmunder Gründungsväter im Schützengraben, der eine von ihm auf die Borussia umgemünzte Liedzeile singt, möglicherweise tatsächlich ein Tränchen im Auge. 

Wem kann man „Am Borsigplatz geboren“ also nun empfehlen? Dass der Film für alle, die es mit den Dortmundern halten, zum absoluten „Musst-Du-gesehen-haben“-Programm gehört, muss man sicher nicht extra erwähnen. Aber auch all denjenigen unter uns, die sich für die Geschichten hinter der Geschichte und für die Historie unseres Lieblingssports im Allgemeinen interessieren, sei der Film ans Herz gelegt. Und denjenigen, die liebevoll gemachte, sensationell gut recherchierte, ehrliche und mit viel Herzblut umgesetzte Fußball-Dokus lieben, denen sowieso.

Autor: Alex Schnarr

Hier geht es zur Homepage des Filmprojekts.

Der Film wurde uns von den Machern auf unsere Anfrage hin freundlicherweise zur Besprechung zur Verfügung gestellt.