Feminismus – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 01 May 2019 11:00:33 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 It’s A Different World: Frauen im Fußball https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/ https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/#comments Thu, 02 May 2019 08:00:18 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5915 Weiterlesen]]> Eigentlich sollte es längst selbstverständlich sein, dass Fußball nicht nur ein Männer-, sondern auch ein Frauensport ist. Sei es in Sachen Spieler*innen, Fans oder Funktionäre. Die Realität sieht oft leider anders aus. Wie also können Frauen im Fußball sichtbarer werden? Der Frage geht dieser Text aus dem „Zeitspiel“-Magazin nach.

„Das soll unser Fußball sein?“ „Nein! Setzt euch gegen Sexismus ein.“ Tolle Choreo in Freiburg. (Foto: Nordtribuene.org)

von Mara Pfeiffer, 120minuten.github.io | April 2019

Frauen im Fußball sind Spielerinnen, Fans, Journalistinnen, Trainerinnen, Verantwortliche und Funktionärinnen. Frauen im Fußball sind aktiv, begeistert, hetero, lesbisch, schwarz, weiß, divers. Frauen im Fußball interessieren sich für kickende Männer und Frauen. Frauen im Fußball sind Ultras und VIPs, stehen in den Kurven und auf dem Rasen. Frauen im Fußball fahren auswärts, trinken Bier und Apfelschorle. Frauen im Fußball lieben ihren Sport.

Wir haben dieselben Themen, wie Männer im Fußball. Doch viel zu oft werden wir auf einen Aspekt reduziert: Unser Frau-Sein. Darauf regen sich zwei Seelen, zumindest in meiner Brust. Auf der einen Seite habe ich keine Lust, mein Geschlecht zu thematisieren, weder, wenn ich als Fan in der Kurve stehe, noch, wenn ich als Journalistin über Fußball schreibe.

Da sich aus der Rolle als Frau in diesem von Männern dominierten Business aber nach wie vor auch ganz eigene Problemfelder ergeben – Stichworte Sexismus, sexualisierte Gewalt, Job-Diskriminierung – ist es notwendig, das Gespräch hierzu weiter zu führen. Mit dem Ziel, beim Fußball als Frau wie als Mann irgendwann nur über das zu reden, was auf dem Rasen passiert, statt darüber, welches Geschlecht Spieler*innen oder Protagonist*innen haben.

Netzwerk ist Trumpf

Eine, die das Thema „Frauen im Fußball“ seit Jahrzehnten umtreibt, ist Antje Hagel. Die 57-Jährige arbeitet im Offenbacher Fanprojekt und hat 1994 das Fanzine „Erwin“ mitgegründet. „Ich hatte immer den Wunsch, Frauen sichtbar zu machen“, erklärt Hagel. Das gelingt da am besten, wo diese Banden bilden und so gründeten Besucherinnen der Tagung „Abseitsfalle – Fußballfans, weiblich“ der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) 2004 direkt ein Netzwerk, um sich gegenseitig zu unterstützen, verzahnen und sichtbar zu machen: F_in – Netzwerk Frauen im Fußball. „Ich saß mit Nicole (Selmer stellv. Chefredakteurin ballesterer) auf dem Podium anlässlich der Ausstellung ‚Tatort Stadion‘ und dachte danach nur: Ich möchte die noch mal treffen, das war alles viel zu kurz“, erinnert Hagel sich lachend an die Anfänge. In der Mailingliste für den informellen Austausch lesen aktuell etwa 200 Frauen, einmal im Jahr treffen die F_ins sich zum persönlichen Austausch.

„Die Treffen sind auch deshalb toll, weil immer neue Frauen dazu kommen.“ Darunter viele Ultras, aber auch Journalistinnen oder Wissenschaftlerinnen. Um die Berührungsängste mit Veranstaltungsorten gering zu halten, gehen die Frauen gern an solche, die keine klassischen Fußballzentren sind – in diesem Sommer findet das Treffen in Jena statt. Männer sind dabei nicht willkommen. „Darüber haben wir viel gesprochen und es geht definitiv nicht um eine Ausgrenzung, sondern den Schutzraum für die Teilnehmerinnen.“

Allen Frauen gemein sind „Erfahrungen in von Männern dominierten Feldern. Wir sind alle besonders, in einem ganz positiven Sinne“, beschreibt Hagel die geteilte Rolle. Über diese persönlichen Erlebnisse wird gesprochen, andere Erfahrungen werden gemeinsam gemacht, sei es durch neue Erkenntnisse bei Vorträgen oder in Workshops, „bei denen einige Frauen zum Beispiel das erste Mal eine Sprühdose in die Hand nehmen.“ Auch eine Wattwanderung haben die F_ins schon hinter sich, was zunächst ungewöhnlich klingen mag, aber „sehr nah, besonders und persönlich war.“ Erlaubt ist ohnehin alles, gewünscht, was verbindet und die Frauen im Miteinander stärkt, bevor sie in ihre jeweiligen Strukturen zurückkehren.

Module gegen Sexismus

Zur Stärkung der Frauen auch in der Kurve gehört es, Probleme, die sie dort erleben, sichtbar zu machen. Mit der Fanorganisation Unsere Kurve und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte hat F_in im letzten Sommer eine Online-Umfrage „Zum Umgang mit Sexismus, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Kontext Fußball“ unter dessen Akteuren initiiert, deren erste Ergebnisse jetzt vorliegen. Zu den Anforderungen, die sich daraus ergeben, gehören klare Ansprechpartner*innen und Vernetzung auf lokaler Ebene ebenso wie ein positives Engagement der Verbände und Möglichkeiten der Weiterbildung. Eine selbst formulierte Aufgabe der ehrenamtlich in F_in organisierten Frauen ist deshalb derzeit, Module gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Stadion zu entwickeln, die dann beispielsweise bei Workshops in den Verein an deren Mitarbeiter*innen weitergegeben werden können.

Frauen sprechen Fußball

Banden zu bilden ist nicht nur da wichtig, wo es auf den ersten Blick offensichtlich scheint, also rund um den Fußball der Männer. Im Bereich Frauenfußball spielen Sichtbarmachung und Vernetzung ebenfalls eine wichtige Rolle, nicht nur, aber auch für Frauen aus Ländern, in denen Gleichberechtigung generell ein noch schwierigeres Thema ist als in Deutschland. „Fußball als Empowerment-Strategie“, unter diesem Motto steht Discover Football. Das Projekt will Fußball für Begegnungen zwischen Frauen nutzen, die sich sonst nie getroffen hätten. Alle zwei Jahre veranstalten die Macher*innen ein Festival.

„Wir laden um die 100 Frauen ein, die teilweise noch nie gereist sind, kein Englisch können“, erzählt Sonja Klümper. Seit 2010 ist die Diplompädagogin mit einem Bachelor in Sozial- und Politikwissenschaften bei Discover Football, seit 2011 Projektkoordinatorin. Eine besondere Herausforderung ist die Finanzierung über Projektmittel, die Planungssicherheit selten über ein halbes Jahr gewährleistet. „Es ist schon irgendwo prekär, das so zu machen, andererseits sind wir sehr stolz darauf, was wir auf diese Art bisher schon geschafft haben.“

Plattform zur Begegnung

Mit dem diesjährigen Fußballturnier, das wie immer von einem breiten Kulturprogramm flankiert wird, feiern Projekt und Festival zehnjähriges Bestehen, Ende des Jahres soll aus diesem Anlass auch eine Ausstellung über die Entwicklung im Frauenfußball eröffnen. „In unserer Arbeit erleben wir, es sind strukturelle Probleme, die Frauen mit Diskriminierung beim Fußball und in der Gesellschaft haben.“ Im Netzwerk vereint spüren die Spielerinnen, sie sind nicht alleine mit ihren Problemen. „Wir wollen nicht irgendwo hingehen und dort klassische Entwicklungsarbeit machen, das ist gar nicht unser Thema“ betont Klümper.

Anliegen der Projektmitarbeiter*innen ist es, eine Plattform zur Begegnung zu bilden und die Frauen bei ihren Besuchen in ihren Themen zu stärken. „Wer in bestimmen Ländern in den Fußball geht, ist schon stark und entscheidungswillig, die Einladung zum Festival verändert aber oft positiv, wie die Frauen anschließend zuhause wahrgenommen werden.“ Geht es um Sichtbarmachung, ist ein Anliegen von Discover Football, Stereotype in der Darstellung von Frauen aufzubrechen. „Wir wollen Geschichten über sie erzählen, die auf den ersten Blick so nicht zu erwarten sind und die ohne diesen Austausch untergehen würden.“

Neuer Podcast: FRÜF – Frauen reden über Fußball

„In FRÜF steckt, was der Name verspricht: Frauen reden über Fußball. Hinter FRÜF steckt ein stetig wachsendes Podcast-Kollektiv von Frauen, für die Fußball mehr ist als nur eine Sportart. Wir sind Fans, Journalistinnen, Spielerinnen – und manche von uns sogar alles davon. Wir sind diskussionsfreudig, aber solidarisch. Uns interessieren fußballerische Trends, der Diskurs über 50+1 oder die gesellschaftliche Relevanz von Antirassismus-Kampagnen des DFB genauso wie die Unterschiede im Umgang mit Frauen- und Männerfußball, die weibliche Fußballsozialisation oder der Umgang mit Sexismus im Stadion. Über solche Fragen sprechen wir in wechselnder Besetzung in unserer monatlichen Sendung.

FRÜF ist keine Sportschau in rosa und keine Analyse von Spielerfrauen-Instagram-Profilen – bei FRÜF geht es um Fußball. Punkt. Wir geben dabei weiblichen Perspektiven und Stimmen eine Plattform, die in anderen Sendungen einfach viel zu selten auftauchen – weil wir es können. Denn wir sind viele.“ Kristell Gnahm & Rebecca Görmann

Weibliche Fans als Inspiration

Die Geschichte(n) weiblicher Fankultur erzählt die Ausstellung Fan.Tastic Females – Football Her.Story, die erstmals im September 2018 in Hamburg gezeigt wurde und seit Oktober auf Tour ist. Unter der Federführung von Football Supporters Europe (FSE), die auch Träger der Ausstellung sind, haben rund 70 Ehrenamtliche aus Europa und der Türkei (Frei-)Zeit, Arbeit und Herzblut investiert, um weibliche Fankultur jenseits der gängigen Stereotype zu zeigen. Die Ausstellung vereint 80 Videos von Frauen aus 21 Ländern, für die Teams von Freiwilligen monatelang durch Europa reisten, um Interviews zu führen. Dabei haben die Macher*innen auf die Bedürfnisse der Fans behutsam Rücksicht genommen, wenn diese beispielsweise ihr Gesicht nicht zeigen oder auch anonym bleiben wollten, was in manchen Ländern schon aus Selbstschutz notwendig ist, oder aber dem Schutz der Fangruppe dienen kann.

„Ohne eine stabile Vertrauensbasis, die über Jahre erarbeitet wurde, wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, erklärt Sue Rudolph aus dem Orga-Team. So gelingt es, die ganze Vielfalt weiblicher Fans zu zeigen: Kutten bis Ultras, Frauen in Führungspositionen oder nationalen Netzwerken. Damit kann das Anliegen der Macher*innen gelingen, „Vorbilder zu schaffen, die vielleicht sogar andere Frauen inspirieren, sich ihren Platz auf der Tribüne zu erobern.“

Höhepunkte hinterm Bus

Wie aber geht Frau selbst mit der ihr zugewiesenen Rolle in der Männerdomäne Fußball um beziehungsweise wie bricht sie diese idealerweise auf? Für mich ist dabei immer wichtig, zu betonen: Die meisten Erfahrungen, die ich als weiblicher Fan im Stadion und als Journalistin im Fußball gemacht habe, sind positiv. Ersteres ist auch deswegen bedeutsam, weil Fans in einigen Medien als unzivilisierte, pöbelnde Rowdys verunglimpft werden, die eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen. Allerdings werden negative Erfahrungen zum einen nicht weniger prägend, wenn sie vereinzelt auftreten. Zum anderen spüre ich durchaus, im beruflichen Umfeld nehmen diese zu, je intensiver ich mich dem Fußball widme.

Mein erster Heimbereich war der Q-Block des FSV Mainz 05 und dort habe ich in zig Jahren im Gewimmel niemals auch nur eine negative Erfahrung gemacht. Dumme und übergriffige Sprüche gab es nur von Gästefans oder eben auswärts. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Frauen diese Erfahrung machen. Offenbar hält die gemeinsame Leidenschaft für ein Team Männer eher davon ab, die Frauen im eigenen Block zu belästigen, wobei ich das nicht mit Zahlen belegen kann, sondern nur qua Erfahrungsaustausch. So erklärte mir einmal ein FCK-Fan nach dem Sieg seiner Mannschaft in Mainz mit Alkoholfahne, er werde jetzt hinter dem Bus seiner Reisetruppe dafür sorgen, dass mein Tag nicht ohne Höhepunkt ende.

Brüste für Einsfuffzig

Anfang der 2010er Jahre gab es in Mainz noch das wunderbare Fanzine „TORToUR“, das an Spieltagen auch verkaufend unter die Menschen gebracht werden musste. In einer Ausgabe habe ich von meinen Erfahrungen als Verkäuferin berichtet, das liest sich unter anderem so:

„Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass eine Gruppe junger Männer mich an ihren Tisch winkte. Die Drei bestellten ein Heft, ich händigte es ihnen aus, kramte nach Wechselgeld und wollte mich verabschieden, als einer von ihnen um eine weitere TORToUR bat. Gerne händigte ich ihm sein zweites Heft aus, da erreichte bereits die Bitte um eine weitere Ausgabe mein Ohr. Bei aller Begeisterung musste ich doch stutzen: ‚Ihr interessiert euch wohl sehr für die Heimfans?‘ Worauf der eifrige Käufer erklärte: „Nee, gar nicht. Aber das Heft kostet ja nur Einsfuffzig, und wenn du dich vorbeugst, um es uns zu geben, kann ich dir in den Ausschnitt gucken.‘“

Inzwischen habe ich die derbsten Sprüche eindeutig als Journalistin zu hören bekommen. Los geht das mit Situationen, die ich in der Summe fast als Kleinigkeiten abtue, wie den Kollegen, der mir bei meinem Besuch im TV-Studio erklärte, es sei toll, „Mal etwas Blondes, Weibliches auf dem Sofa“ zu haben. Er tat dies erst, nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, wohl, weil er es eigentlich besser weiß, sich den Spruch aber nicht verkneifen wollte. So wie der Kollege, der befand, im Anschluss an ein gemeinsames Projekt hätten sich für mich mehr neue Kontakte ergeben als für ihn. Er erklärte, das liege daran, dass ich „Brüste habe und die auch zeige“ – seine charmante Art kann natürlich unmöglich der Grund gewesen sein.

Gekommen, um zu bleiben

Als Journalistin war ich von Anfang an transparent mit meiner 05-Vereinsliebe und schreibe einige Formate auch bewusst mit dem Kurven-Ansatz. Das nutzen vereinzelte Kollegen, um eine künstliche Angriffsfläche zu schaffen. „Fangirl mit Kugelschreiber“ ist da eine versuchte Beleidigung, über die ich angesichts der zahlreichen Sportjournalist*innen, die sich „ihrem“ Verein klar zuordnen lassen, ohne das offen zu thematisieren, nur lachen kann.

Gar nicht lustig sind Angriffe von Lesern, die sich statt mit den Inhalten meiner Artikel nur mit meinem Geschlecht befassen. Wenn Texte mit der Mutmaßung kommentiert werden, mir sei „beim Schreiben die Milch eingeschossen“ oder mir mitgeteilt wird, ich kritisiere den Trainer bloß deswegen nicht, weil ich ihn „ganz offensichtlich ficke“, kann ich daran nichts Witziges finden und es beschäftigt mich auch nach vielen Jahren in diesem Job.

Fest steht aber auch, Rückzug ist keine Option. Ich liebe das, was ich tue, so wie viele meiner Kolleginnen, so wie die weiblichen Fans, Wissenschaftlerinnen, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, die Aktiven und Funktionärinnen. Wir sind, wie die Band „Wir sind Helden“ das vor Jahren so wunderbar textete und sang, „Gekommen um zu bleiben“ und lassen uns aus dem Fußball, der längst auch unsere Domäne ist, nicht vertreiben. Wir breiten uns aus, bilden Banden und schlagen Wurzeln. Wir mischen mit, suchen uns Räumen und erheben unsere Stimme. Wir sind „Frauen im Fußball“ und wir gehören genau hierher. Mit uns ist jeder Zeit zu rechnen.

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Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 14 des Zeitspiel-Magazins, das Heft mit dem Schwerpunkt “Die andere Hälfte – Frauen und Fußball” kann hier bezogen werden.

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Autorinneninfo: Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem 1. FSV Mainz 05, aktuell unter anderem als Kolumnistin für die Allgemeine Zeitung Mainz, im SWR Flutlicht oder als Expertin bei Amazon. Auch in Büchern hat die „Wortpiratin“ sich dem Verein schon gewidmet, zuletzt erschien ihr 05-Krimi „Im Schatten der Arena“.

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“Allmächtige Corinthians-Girls”: Wie brasilianische Fußballfans gegen Sexismus kämpfen https://120minuten.github.io/corinthias-girls-brasilien-kampf-gegen-sexismus/ https://120minuten.github.io/corinthias-girls-brasilien-kampf-gegen-sexismus/#respond Sat, 20 Apr 2019 08:00:20 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5871 Weiterlesen]]> Als leidenschaftliche Fußballfans gründen brasilianische Frauen feministische Gruppen, um Sexismus im Sport zu bekämpfen. Dabei scheuen sie auch nicht die Auseinandersetzung mit Giganten, zeigt das Beispiel Corinthians.

Von Rosiane Siqueira
Übersetzung: Alexander Schnarr

Movimento Toda Poderosa Corinthiana: Eine feministische, brasilianische Gruppe weiblicher Corinthians-Fans, die gegen Sexismus im Fußball kämpfen.

Frauen auf der ganzen Welt wünschen sich die Freiheit, tun zu können, was sie möchten – und das beinhaltet, ihre Stimme für diese eine Liebe zu erheben: den Fußball. Brasilien sieht sich im Rahmen der letzten politischen Ereignisse einer radikalkonservativen Welle gegenüber, allerdings sind das reaktionäre Verhalten und diffuser Seximus nichts Neues für das Land: Zwischen 1941 und 1983 war es Frauen gesetzlich verboten, Sport zu treiben, mit der Begründung, dass sportliche Aktivitäten „mit ihrer Natur nicht kompatibel“ seien.

Es sind erst 36 Jahre vergangen, seitdem dieses Gesetz abgeschafft wurde. Viele der weiblichen Anhänger sind älter als 36 und haben ihre Passion über eine lange Zeit unterdrücken müssen. Heutzutage fühlen sie sich durch feministische Bewegungen in verschiedenen Bereichen bestärkt und verändern die Fußball-Szene in Brasilien.

Die furchtlosen Corinthians-Anhängerinnen

Die Bewegung namens „Movimento Toda Poderosa Corinthiana“ („Die allmächtige Corinthians-Mädchen-Bewegung, als Referenz auf den Spitznamen des brasilianischen Teams Sport Club Corinthians Paulista, „Die allmächtigen Corinthians“) ist eine der größten Gruppen weiblicher Fans im Land und verantwortlich für verschiedene Initiativen, die Respekt einfordern und Sexismus innerhalb des Fußballs bekämpfen.

Die Gruppe erlangte erstmals 2016 große Aufmerksamkeit, nachdem sie einen Offenen Brief gegen die Titelseite einer der berühmtesten brasilianischen Sportzeitungen, Lance!, veröffentlichten. Bei der Zeitung hatte man sich dazu entschieden, die Schönheit eines kurvigen Team-Models hervorzuheben, anstatt auf den beeindruckenden Sieg der Mannschaft am Abend vorher einzugehen. Der Brief wies auf die „Objektivierung“ von Frauen und den Sexismus im Leitartikel hin, der sich stets nur an eine männliche Leserschaft richtet. Die Zeitung hat auf die Kritik nie geantwortet.

Keine Angst vor Nike

2017 entschloss sich die Gruppe dazu, den Kampf gegen einen Giganten aufzunehmen: Nike. Nach der Vorstellung der Corinthians-Trikots für die neue Saison informierte der Ausstatter darüber, dass das Auswärtstrikot nicht in einer Frauenversion produziert werden wird. Das Unternehmen gab an, dass es dafür nicht genügend Nachfrage geben würde. Das Thema erhielt dank des Protests der Gruppe gewaltige Resonanz via Facebook, Instagram und Twitter: „Nicht genügend Nachfrage, Nike? Hold my beer….“ 1:0 für die Damen. Nach einem Monat intensiver Online-Angriffe überlegte Nike es sich anders und begann damit, Frauen-Versionen der Auswärtstrikots über die Webseite und in allen Corinthians-Läden zu verkaufen.

Die Aktionen, die durch die Bewegung initiiert wurden, dauern an und adressieren allgemeine Probleme innerhalb des Sports. So gab es eine Kampagne gegen Sexismus während der letzten Weltmeisterschaft in Russland oder es werden interne Entscheidungen der Vereinsführung hinterfragt, wie z.B., als Corinthians beschloss, einen Spieler zu verpflichten, dessen körperliche Aggressionen gegenüber seiner Freundin öffentlich bekannt waren.

Weibliche Fans zwischen Männern auf der Tribüne im Corinthians-Stadion in Sao Paolo, Brasilien. Auf der Fahne steht: Corintians-Mädchen gegen Sexismus.

Der Verein selbst achtet auf die Forderungen der Mädchen. Corinthians sind Pioniere im Engagement gegen Sexismus und Gewalt gegenüber Frauen in Brasilien, auf und neben dem Platz. Anfang 2019 unterzeichnete Corinthians gemeinsam mit zwei anderen großen Clubs des Landes, Palmeiras und São Paulo, eine Kooperationsvereinbarung mit der Stadtverwaltung von São Paulo. Sie verpflichteten sich dazu, sich dem Kampf gegen Gewalt gegenüber Frauen anzuschließen und weibliche Opfer von Aggressionen innerhalb der Familie und des häuslichen Umfeldes zu schützen.

Die wachsende, feministische Revolution im brasilianischen Fußball

Es sind nicht nur die weiblichen Fans von Corinthians, die gegen Sexismus in Brasilien kämpfen. Zahlreiche Gruppen und Kollektive von Frauen sind in letzter Zeit im Land entstanden, jede mit Verbindungen zu ihrem jeweiligen Herzensteam. Bei einigen Clubs findet man sogar mehr als eine Gruppe, die sich entwickelt und sich für verschiedene Themen engagiert. Trotz der Rivalität zwischen den Vereinen interagieren die Mädchen und ihre Gruppen in der Regel miteinander. Letzten Endes haben sie alle das gleiche Ziel: Respekt von Männern und das Recht, ihr Team zu lieben und frei zu unterstützen.

Gemeinsam glauben alle an ein simples und wichtiges Prinzip des Feminismus: Empathie. Kein Mädchen verdient es, belästigt zu werden, sich schämen zu müssen oder Angst davor zu haben, das zu tun, was es liebt: sein Team anzufeuern. Brasilien erlebt mehr und mehr, wie Frauen an den Fußball-Ritualen teilhaben, zu den Spielen gehen, in Sportlerinnen-Karrieren investieren, das Thema als Fan oder Journalistin diskutieren, den Sport selbst ausüben und Akteurinnen sind in etwas, das traditionell männlich ist.

Beitragsbilder: Die Fotos wurden von der Autorin zur Verfügung gestellt.

The Almighty Corinthians Girls Movement: How Brazilian football fans fight sexism

Der Text in der englischen Originalfassung/ English original version

Passionate for football, brazilian women are creating feminist groups to fight against sexism in the sport.

Women from all around the world desire the freedom to do whatever they like – and it includes speaking up their voices about one true love: football. Brazil faces a radical conservative wave in its recent political events but the reactionary behavior and diffused sexism are not something new to the country: from 1941 until 1983, a law forbade women from practicing sports under the argument that the sports practices were “incompatible with their nature”.

It has been only 36 years since this law was repealed. Many of the female supporters are older than that and have repressed their passion for a long period of their lives. Nowadays, feeling more and more empowered by feminist movements in different spheres, those women are changing the scenario of the football in Brazil.

The fearless Corinthians female supporters

The Movement named “Movimento Toda Poderosa Corinthiana” (The Almighty Corinthians Girls Movement, in a reference to how the Brazilian Team, Sport Club Corinthians Paulista, is called: The Almighty Corinthians) is one of the biggest collective of female supporters in the country and has created different initiative to demand respect and fight the sexism within football.

The Group got the attention widely for the first time in 2016 after releasing a public letter against one cover page from the most famous Brazilian sports newspaper, Lance!. The edition opted to highlight the beauty of the curvy muse model of the team instead of the impressive victory the team had done the night before. The letter pointed the “objectification” of the women and sexism of its editorial, always considering only its male audience. The newspaper never answered about the critics.

In 2017, the Collective decided to fight a battle against a giant: Nike. After launching the Corinthians uniforms for that season, the brand informed that the second uniform would not be produced in female versions. The company claimed that there was insufficient sales demand for that. The topic got massive repercussion through Facebook, Instagram and Twitter thanks to the protest created by the group. “Not enough female demand, Nike? Hold my beer…” 1×0 for the ladies. After one month of intense online attacks, Nike changed his mind and started to sell the female versions at the website and at all Corinthians stores.

And the campaigns created by the Movement go on, addressing general issues within the sport, such as the campaign against sexism during the World Cup in Russia, or questioning internal decisions and the management of the team, such as when Corinthians decided to hire a player who has a public record of physical aggression against his girlfriend.

The Club itself has paid attention to the demand of the girls. Corinthians has been one of the pioneering teams to engage into campaigns against sexism and violence against women in Brazil, inside and outside the field. At the beginning of this year, Corinthians together to other two of the biggest clubs in Brazil, Palmeiras and São Paulo, signed a cooperation agreement with the city hall of São Paulo. They committed to join in the fight against violence against women and to protect women victims of aggression in the family and residential environment.

The growing feminist revolution in Brazilian football

Not only Corinthians female supporters are fighting the sexism in Brazil. Numerous groups and collectives of women has emerged recently in the country, each one related to their heart team. For some of them, it is possible to find even more than one group emerging and being engaged into various topics. Despite the rivalry among them, the girls and their groups normally interact with the others. After all, they all aim the same: respect from the men and the right to love and support their team freely.

Commonly, they all believe in a simple and important principle from feminism: empathy. No girl deserves to be harassed, shamed or afraid to do something they love to: cheer for their team. More and more, Brazil sees women taking part of the football ritual, going to games, investing in a sports career, debating the topic as a fan or a journalist, practicing the sport and being the protagonist of something traditionally manly.

Although this feminist wave seems to be a breakthrough in Brazilian football, there is still a lot to be explored and debated within a society that shows signs of flirtation with regression when it comes to social rights and prejudice. Sexism, racism, homophobia and violence are still ghosts in every stadium of the country.

Every small initiative helps to create a safer environment for every human being with its own differences and particularities. And the girls know that very well! Holding each other’s hand, they do not intent to rewrite the world football history but to help writing new chapters.

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Episode 22: “Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung” https://120minuten.github.io/episode-22-sportjournalistinnen-in-der-fussballberichterstattung/ https://120minuten.github.io/episode-22-sportjournalistinnen-in-der-fussballberichterstattung/#respond Mon, 21 Jan 2019 21:33:51 +0000  

In Ausgabe 22 des 120minuten-Podcasts spricht Oliver Leiste mit seinem Redaktionskollegen Alex Schnarr und der Soziologin und Bildungswissenschaftlerin Silke Kassebaum über das Thema “Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung”. Grundlage des Gesprächs ist Alex‘ Text mit dem Titel “Bildet Banden!”, der am 16. Januar 2019 auf 120minuten.github.io erschienen ist.

Die Runde steigt mit der Frage ein, ob und inwiefern es überhaupt ein Problem ist, wenn Frauen  Fußballspiele kommentieren bzw. darüber berichten und schreiben. Dann geht es um Mechanismen der Ungleichheit, um die Frage, was Frauen- möglicherweise von Männernetzwerken unterscheidet und um Quoten als einem möglichen Mittel, der Geschlechterungleichheit im Sportjournalismus zu begegnen. Darüber hinaus thematisiert die Diskussionsrunde die Wichtigkeit einer geschlechtergerechten Sprache, veränderte Perspektiven in einer heterogeneren Sportredaktion und die Frage, was man auch im Kleinen tun kann, um zu mehr Sichtbarkeit von Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung beizutragen.

Wie immer freuen wir uns auf Euer Feedback zur aktuellen Folge und natürlich auch über eine angeregte Diskussion zum Thema auf Facebook, Twitter oder direkt unter dem Text.

Alle bisher erschienenen Folgen des 120minuten-Podcasts findet Ihr in unserer Episodenliste.

Um in Zukunft keine neue Folge zu verpassen, abonniere doch am besten unseren Podcast-Feed:

 

Und wo Ihr schon mal hier seid: Hört doch auch mal bei unserer neuen Podcast-Reihe “ballesterer in 120minuten” rein.

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Bildet Banden! https://120minuten.github.io/bildet-banden/ https://120minuten.github.io/bildet-banden/#comments Wed, 16 Jan 2019 08:00:23 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5494 Weiterlesen]]> Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung

40 Prozent der Fans von Bundesligamannschaften sind weiblich, aber nur etwa 10 Prozent der im Fußballjournalismus Tätigen sind Frauen. Woran liegt das? Und wie blicken Sportjournalistinnen eigentlich selbst auf ihr Arbeitsfeld? Ein Text über Selbstvertrauen, Mut, Vorbilder und: Netzwerke.

© Arne Müseler / arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0

Alexander Schnarr, 120minuten.github.io | Januar 2019

Welches Geschlecht hat der Fußball?

Als ich das erste Mal über diese Frage nachdachte, kam die Antwort ziemlich schnell und aus dem Bauch heraus. Sie lautete: Für mich ist der Fußball männlich. Grammatikalisch sowieso, klar, aber eben auch im übertragenden Sinne.

Die Gründe für diese spontane Antwort liegen, zumindest bei näherer Betrachtung meines eigenen Fußballkonsums, auf der Hand: Erstmal bin ich selbst ein Mann, der fast ausschließlich Männern bei dem Versuch zusieht, das Runde ins Eckige zu befördern. Und der sich lange überhaupt gar keine Gedanken darüber machte, warum mir der Sport nahezu ausschließlich von Männern näher gebracht wird. Dann kommt dazu, dass im öffentlichen Raum Einigkeit darüber zu herrschen scheint, dass per se die „Männerversion“ gemeint ist, wenn irgendwo der Begriff „Fußball“ fällt. Geht es um Kontexte, in denen Frauen dem runden Leder hinterher jagen, spricht man wie selbstverständlich von „Frauenfußball“. Gleichzeitig würde aber wohl kaum jemand auf die Idee kommen, beispielsweise die alle vier Jahre stattfindende FIFA-WM als „Männerfußball-Weltmeisterschaft“ zu bezeichnen. Außerdem hat meine spontane Zuschreibung des Fußballs als männlich möglicherweise viel damit zu tun, dass in der Berichterstattung über (Männer-)Fußball eben hauptsächlich Männer sichtbar werden. Gemeint sind hier nicht diejenigen, über die geredet wird, sondern diejenigen, die medienseitig für das Reden bzw. das Berichten verantwortlich sind.

Beispiele gefällig? Bei der (Männerfußball-)Weltmeisterschaft 2018 gab es mit Claudia Neumann genau eine Frau, die für das deutsche Fernsehpublikum Spiele kommentierte. Die Spielberichts-Einspieler in der Sportschau und im „aktuellen sportstudio“ werden von Männern gesprochen. Beim Streaming-Anbieter DAZN werden die Kommentatoren von ehemaligen Spielern als Experten und eben nicht die Kommentatorinnen von ehemaligen Spielerinnen als Expertinnen unterstützt. Das ist, nebenbei bemerkt, allein schon deshalb erstaunlich, weil die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen in den letzten Jahrzehnten deutlich erfolgreicher war als die der Männer. Man sollte also annehmen, dass es genug ehemalige Spielerinnen gibt, die kompetent und vor Fernsehpublikum über ihren Sport sprechen können. Vermutlich gibt es die auch, nur eben nicht im deutschen Fernsehen. Stattdessen erklären uns zum Beispiel Benjamin Lauth, Ralph Gunesch und Jonas Hummels bei DAZN das Spielgeschehen. Das tun sie auf fachlich hohem Niveau und das soll darum auch gar nicht als Kritik verstanden werden. Unter dem Strich bleibt aber der Eindruck: Männer erklären Männern, wie (Männer-)Fußball funktioniert.

Noch deutlicher als im Fernsehen fällt die Diskrepanz im Print-Bereich aus. Marcus Bölz forschte im Rahmen seiner Dissertation, die 2013 bei Springer VS erschien, zum Fußballjournalismus in Deutschland. Sein Zugang war ein ethnographischer, was bedeutete, loszugehen und mit denjenigen zu sprechen, die Fußballjournalismus betreiben. Eine Aussage aus dem sehr erhellenden Werk unter anderem: „Für den Sportteil [einer der untersuchten Regionalzeitungen, A.S.] arbeiten ausschließlich Männer. Auf Nachfrage, ob es denn eine freie Mitarbeiterin gebe, stutzen sie und erinnern sich erst nach einiger Zeit an den einen oder anderen Namen. Nur bei Randsportarten gibt es weibliche freie Mitarbeiter, und diese sind dann auch Teil der Mannschaften, für oder über die sie berichten. Jedoch haben sie eine Fotografin, die häufig und gerne für sie die Fotos von den lokalen „Top-Spielen” der Woche macht. Genauso wie bei [Regionalzeitung 3] waren auch bei [Regionalzeitung 1] und [Regionalzeitung 2] keine Frauen mit einer innerredaktionellen fußballjournalistischen Tätigkeit befasst.“ (Bölz 2013, 102) Das ist natürlich nur ein Schlaglicht, allerdings auch ein Befund, der während der Recherchen zu diesem Text von mehreren Akteur*innen bestätigt wurde.

„Stop, Moment mal“, mag der eine oder die andere spätestens jetzt einwenden, „zumindest im Fernsehen sind doch ständig Frauen in Sportsendungen zu sehen!“ Das stimmt natürlich: Katrin Müller-Hohenstein und Dunja Hayali moderieren beispielsweise „das aktuelle sportstudio“, womit 50 Prozent des Moderator*innen-Teams dort weiblich sind. Die Sportschau kommt auf eine Quote von knapp 30 Prozent, hier übernehmen laut Webseite Julia Scharf und Jessy Wellmer im Wechsel mit fünf männlichen Kollegen die Moderation. Auch im Pay-TV ist die Anzahl an Frauen vor der Kamera verhältnismäßig hoch. Trotzdem handelt es sich dabei statistisch gesehen um Ausnahmen: Frauen im Sportjournalismus machen schon seit Jahrzehnten nur 10 Prozent der in diesem Bereich Beschäftigten aus. Nimmt man jetzt noch ernst, dass sich über die Hälfte der Beiträge im deutschen Sportjournalismus um Fußball drehen, wie es der International Sports Press Survey 2011 erhob, wird auch anhand der Zahlen klar: Fußballjournalismus ist eine Männerdomäne.

Hier noch ein weiterer statistischer Fakt: Frauen in der Fußball-TV-Berichterstattung sind im Schnitt rund zehn Jahre jünger als ihre männlichen Kollegen. Ob das bedeutet, dass Frauen im Fernsehen im Gegensatz zu Männern neben fachlicher auch so etwas wie optische Kompetenz mitbringen müssen, lässt sich bei einer so subjektiven Kategorie wie „Aussehen“ zwar nicht seriös feststellen. Das Nachdenken darüber lohnt sich aber allemal.

Bleibt noch die Frage, ob das alles denn überhaupt ein Thema ist. Es rennen doch eh nur Männer zum Fußball. Das letzte Refugium. Der Nachmittag oder die Tour mit den Jungs. Bier trinken, rumgrölen und ungestraft auch mal eine Träne verdrücken dürfen, wenn der Herzensverein vielleicht gerade in die nächst tiefere Spielklasse abgestiegen ist. Nun, auch hier offenbart der Blick in die Statistik ein ganz anderes Bild: Laut einer Erhebung im Jahr 2018 beträgt der Anteil an weiblichen Fußballfans unter denjenigen Menschen, die Interesse an mindestens einem Verein der (Männer-)Bundesliga haben, 40,3 Prozent.

Wenn 90 Prozent der Sportjournalisten männlich, aber mehr als 40 Prozent der Fans weiblich sind, verliert die Berichterstattung da nicht eine ziemlich große Zielgruppe aus dem Blick? Und woran liegt es, dass das Sportressort dasjenige ist, in dem die Wahrscheinlichkeit, eine Frau zu treffen, mit weitem Abstand zu allen anderen Journalismus-Bereichen am geringsten ist? Über diese und andere Fragen habe ich mit verschiedenen Akteur*innen aus dem Sportjournalismus gesprochen.

Es heißt ja auch nicht ‚Königin Fußball‘

Um einen Eindruck davon zu bekommen, ob mich mein Gefühl hinsichtlich der Frage, wer über Fußball schreibt, nicht vielleicht gänzlich täuscht, griff ich zunächst in das Regal der von mir abonnierten Monatszeitschriften. Neben „Socrates“ füllt dort der „ballesterer“ aus Österreich mittlerweile schon mehrere Stehordner. Spontan und wahllos mal elf Ausgaben durchgeblättert und siehe da: Sieben verschiedene Autorinnen sind dort (allerdings in sehr unterschiedlicher Quantität) mit Beiträgen vertreten. Bei „Socrates“ ist der Befund ein anderer: In zehn Ausgaben konnte ich drei verschiedene Autorinnen zu Fußballthemen finden, sechs der von mir betrachteten Hefte enthielten keine Fußballtexte von Frauen. Allerdings muss man natürlich dazu sagen, dass bei „Socrates“ eine ganze Bandbreite an Sportarten Raum bekommt, was das Ergebnis möglicherweise verfälscht. Stichprobenartig schaute ich mir zusätzlich noch die „SportBild”, die „11Freunde“ und den „kicker“ an und fand meine Vermutung dort deutlich bestätigt: Über Männerfußball schreiben vor allem Männer.

Warum das beim „ballesterer“ etwas anders ist, erklärt mir die stellvertretende Chefredakteurin Nicole Selmer so: „Wir suchen zwar nicht explizit nach Frauen, aber die Leute sehen schon, dass bei uns eben auch Texte von Frauen erscheinen. Vielleicht gibt es dadurch eine größere Offenheit.“ Wenn es darum geht, Autor*innen für Themenschwerpunkte zu finden, spielt das Geschlecht zwar nicht primär eine Rolle, aber: „Mir fallen auch Frauen ein, weil ich natürlich selbst Frauen-Netzwerke habe“, so Selmer. Generell bestätigt sie den Umstand, dass im Sportressort und gerade im Fußball vor allem Männer für die Produktion von Beiträgen verantwortlich zeichnen. Weil wenige Frauen da sind, kommen eben auch wenige Frauen nach und das liegt möglicherweise daran, dass sich in diesem Bereich schon sehr früh Männernetzwerke bilden. Selmer dazu: „Man spielt zusammen, man guckt zusammen und irgendwann schreibt man vielleicht auch drüber.“ Schließlich heißt es ja auch nicht ‚Königin Fußball‘.

Das Thema „Netzwerke“ spricht auch Stefanie Opitz an, deren Diplomarbeit 2001 den Titel „Allein unter Männern. Berufssituation von Sportjournalistinnen“ trug und die heute sowohl in der Journalist*innen-Ausbildung an der TU Dortmund als auch in der Redaktion des „aktuellen sportstudios“ tätig ist. Auf die Frage, wie sich die Situation ihrer Wahrnehmung nach seit 2001 verändert hat, fällt die Antwort deutlich aus: „Generell sind die Redaktionen stark männlich geprägt, die Zahlen zeigen das ja auch. Es gibt viel zu wenig Frauen im Sportressort, mit Ausnahme vielleicht im Fernsehbereich. Im Print-Bereich hat sich da wenig bewegt, wenngleich es einfacher geworden ist, als Frau im Sportjournalismus Fuß zu fassen. Dadurch, dass der Bereich stark männlich besetzt ist, was die Kommunikatoren und die Medieninhalte betrifft, ist er für Frauen nicht so interessant. Viele Männer finden ja auch den Weg in den Sportjournalismus über den Sport an sich. Da mehr Männer als Frauen Fußball spielen, landen auch mehr Männer in diesem Ressort, die dann dort ihre Netzwerke haben. Es fehlt an Vorbildern.“

Dieses Phänomen stellt sie auch in ihrem eigenen journalistischen Arbeitsbereich fest: „Zu uns in die Redaktion kommen eher Hospitanten als Hospitantinnen.” Ähnlich äußerte sich auch Sportredakteur Andreas Rüttenauer von der Tageszeitung taz: „Jede Frau, die sich in den vergangenen Jahren bei uns um ein Praktikum beworben hat, haben wir auch genommen. Es waren insgesamt vier.“

Denkt man an mögliche weibliche Vorbilder im Sportjournalismus, könnte einem die bereits genannte Katrin Müller-Hohenstein einfallen. Das „aktuelle sportstudio“ moderiert Müller-Hohenstein bereits seit 2006, neben Länderspielen der deutschen (Männer-)Fußball-Nationalmannschaft begleitet sie für das ZDF regelmäßig auch andere Sport-Großereignisse. Auf die Frage, wie sich der Sportjournalismus heute für Frauen darstellt, antwortet sie so: „Ganz ehrlich? Ich kann die Frage nach der Frau in der Männerdomäne nicht mehr hören. Das klingt für mich jedes Mal so, als seien wir irgendwelche bedauernswerten Exoten. Was ist denn das ‘Feld für Frauen’? Gibt es auch das ‘Feld für Männer?'”.

„Ja, klar!“ ruft mir die Statistik entgegen, wenngleich Müller-Hohenstein in ihrer Antwort darauf verweist, dass eben die Diskussion um den Gegenstand der Berichterstattung stärker im Vordergrund stehen sollte als die Frage, welches Geschlecht diejenigen haben, die diesen Gegenstand bearbeiten. Darüber hinaus bezieht sich Katrin Müller-Hohenstein hier vor allem auf ihre eigenen Erfahrungen in ihrem Arbeitsgebiet, die sie als durchweg positiv beschreibt (das ganze Kurzinterview gibt es in der Klappbox am Ende dieses Textes).

„Ich habe mich immer sehr wohl gefühlt“

Eigene positive Erfahrungen in der Branche schildert auch Jana Wiske, die viele Jahre als Redakteurin beim kicker gearbeitet hat und inzwischen als Professorin an der Hochschule Ansbach lehrt. Für sie war immer klar, im Sportjournalismus arbeiten zu wollen, “weil es einfach ein spannender Bereich ist”. Auf die Frage, wie sie selbst ihre Tätigkeit als Sportjournalistin erlebt hat, antwortet sie so: „Ich habe mich immer sehr wohl und sehr gut aufgehoben gefühlt“. Gleichwohl weiß sie auch um das Image des Berufsfeldes: „Die Branche hat ihren Ruf weg und wenn das so ist, ist das auch in der Berufswahl schwierig. Selbstverständlich arbeitet man viel mit Männern zusammen und braucht dann auch jemanden, der einen fördert. Das ist in den letzten Jahren aber besser geworden, weil inzwischen bewusst gefördert wird.“

Die taz und die Idee eines 'feminineren Sportjournalismus'

Eine ganz eigene, progressive Idee zur Förderung von Frauen im Sportjournalismus verfolgt die taz, wie mir Sportredakteur Andreas Rüttenauer erklärte. Im eigenen Haus führte man vor zwei Jahren eine Evaluation durch und stellte fest: „Wir haben im Prinzip überall 50 Prozent Journalistinnen, nur nicht im Sport. Die Sportredaktion hat sich irgendwie so entwickelt, dass es eben nur Männer sind und klar, das kann man natürlich auch kritisieren. Bei drei Mannsbildern in der Redaktion fällt es nicht immer leicht, die feminine Perspektive mitzudenken.“ Als Reaktion auf die hausinterne Evaluation kam unter anderem der Gedanke auf, sich in Form eines eher niedrigschwelligen Zugangs (angehende) Sportjournalistinnen direkt ins Haus zu holen. „Im Prinzip war das so eine Girls’-Day-Variante“, so Rüttenauer. „Wir holen uns die Nachwuchsjournalistinnen her, lernen sie besser kennen und bilden sie dann gegebenenfalls auch für unsere Redaktion aus.“ So entstand unter anderem zusammen mit der taz Panter Stiftung zur (Männer-)Fußball-Weltmeisterschaft 2018 der Workshop „Frauen und Fußball“, in dem sich zehn Journalistinnen dem Thema „Nähe“ widmeten.

Eine andere Reaktion war die, sich im Sportbereich so ein bisschen von der (Männer-)Bundesliga zu entfernen, wobei Rüttenauer auch verdeutlicht, dass die taz ohnehin keine Verlaufs-, sondern eher eine “Spotlight-Berichterstattung” mit einer Seite am Tag bzw. zwei Seiten am Wochenende macht. Die Themensetzung richtet sich dann auch danach, wer verschiedene Themen gut bearbeiten kann; die Bundesliga kann da schon mal den Kürzeren ziehen. „Wenn wir eine Frau haben, die über das Thema „Turnen“ etwas schreiben kann, dann bringen wir das eben auch.“

Allerdings verweist er im Gespräch auch auf zwei interessante Probleme: „Alles, was wir machen, führt dazu, dass die Leute noch mehr von uns wollen. Beispiel Frauenfußball: Wenn wir da was bringen, dann sagen die Leute: Die machen ja doch nur Geschichten, aber keine kontinuierliche Berichterstattung darüber.“ Und, um beim Beispiel Frauenfußball zu bleiben: „Wenn man Frauensport so ernst nimmt wie Männersport, dann muss man auch so darüber schreiben, trifft dann dort aber auf eine Szene, die darauf gar nicht vorbereitet ist.“ So war für Manuel Neuer, Jerome Boateng, Timo Werner und Co. vielleicht absehbar, welches mediale Echo ihr Ausscheiden in der Vorrunde der letzten WM auslösen würde. Die Kritik der taz an der Frauenfußball-Nationalmannschaft nach deren WM-Aus wurde dort, so Rüttenauer, deutlich expliziter wahrgenommen als üblicherweise bei den männlichen Kollegen.

Auf die Frage, was „femininerer Sportjournalismus“ aus taz-Perspektive insgesamt bedeutet, antwortet Andreas Rüttenauer so: „Es geht dabei vor allem um frauenbestärkende Initiativen, die Suche nach best practice und eben auch um den Schritt weg von der klassischen Sportberichterstattung. Letztlich ist die Frage der Berichterstattung ja auch Teil einer Emanzipationsgeschichte. Eigentlich geht es eher darum, andere, „weiblichere“ Themen zu setzen, als Frauen zum Beispiel über Männerfußball berichten zu lassen. Das kann bei uns auch bedeuten, dass wir drei Männer auch mal einen Schwerpunkt zum Frauensport gestalten.“

Interessant ist beim Ansatz der taz auch noch ein anderer Punkt, der wieder zum eigentlichen Thema dieses Textes zurückführt. Die Zeitung fördert Frauen aktiv, will dem Thema „Frauen in der Sportberichterstattung“ viel Platz einräumen (so berichtet z.B. Alina Schwermer für die taz über den Lokalsport in Berlin) und auch Entwicklungsmöglichkeiten geben. Die Erfahrung ist allerdings: „Wenn wir gute Leute ausbilden, kann es uns passieren, dass die schnell wieder weg sind.“ Eigentlich logisch in einem Bereich, in dem Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Damit bleibt auch für die taz das Thema „Förderung und Entwicklung“ ein durchaus ambivalentes.

2015 führte Jana Wiske eine Vollerhebung unter Sportjournalist*innen durch, die den Befund verschiedener anderer Studien hinsichtlich der Geschlechterverteilung bestätigte und weitere interessante, empirische Einblicke in das Berufsfeld bietet. So konnte sie unter anderem ermitteln, dass das Durchschnittsalter der Sportjournalist*innen 2015 bei 48 Jahren lag, 62,8 Prozent der 1006 Befragten fest angestellt waren und 41,1 Prozent ihre Haupttätigkeit bei der Zeitung hatten (vgl. Sportjournalist 5/2017, S. 15). Auch den eingangs geschilderten Befund zur TV-Berichterstattung kann Wiske empirisch untersetzen: „So arbeiten anteilig deutlich mehr Frauen beim Fernsehen (14,8 Prozent) als generell im Sportjournalismus (9,5 Prozent). Hier dürfte das optische Erscheinungsbild eine wichtige Rolle spielen, oftmals verleihen Frauen als Moderatorinnen den Fußballübertragungen Leuchtkraft“ (ebd., S.17).

Die Gründe dafür, dass der Anteil an Frauen im Sportjournalismus über die Jahrzehnte hinweg konstant niedrig ist, sieht Jana Wiske im Gespräch mit 120minuten auch in den Arbeitsbedingungen: „Es gibt im Prinzip kein Wochenende, da ist es mit sozialen Kontakten dann schwierig. Es ist große Flexibilität gefordert, vor allem auch, was den Zeitplan der Sportler angeht. Ich hatte beim kicker mal am Montag ein Gespräch mit meinem Chefredakteur und saß dann am Dienstag direkt im Flugzeug nach L.A..“

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist auch für Erich Laaser, den Präsidenten des Verbandes Deutscher Sportjournalisten, ein Punkt, der Frauen möglicherweise von einem Einstieg in den Sportjournalismus abhält. Im Gespräch mit Juliane Schiemenz vom journalistinnenbund sagt er dazu Folgendes: “Die Vereinbarkeit ist natürlich schlecht, man muss wissen, worauf man sich einlässt, wenn man das macht. Wenn man mit Kollegen spricht, Ü 40, die eine Familie haben, die verheiratet sind – da ist das alles arrangiert. Aber in den Zwanzigern, wenn man grad erst anfängt in dem Job, da einen Partner zu finden, der sagt: ‘Okay, dann machen wir das so, das funktioniert schon’ – das halte ich für schwer.“

Auch Jana Wiske berichtet davon, dass es gerade als Frau im Fußballkontext nicht immer einfach ist. „In Deutschland heißt Sportjournalismus ja vor allem Journalismus rund um den Fußball und das ist das Liebste, was die Männer haben. Da muss man es als Frau abkönnen, dass man da nicht immer auf große Gegenliebe stößt. Es wird einem unter Umständen wenig zugetraut und ja, man kann es leichter haben im Leben.“ Andererseits: „Ich habe mich damals bewusst dafür entschieden und dann gilt es auch, nicht zu jammern.“

Das Thema „Geschlecht“ sieht auch Nicole Selmer vom ballesterer ambivalent, wenn es um die eigenen Erfahrungen in der Fußballberichterstattung geht: „Manchmal spielt es schon eine Rolle, dass ich eine Frau bin, obwohl ich dazu sagen muss, dass wir beim ballesterer natürlich keinen klassischen Tagesjournalismus machen. Was mich manchmal ärgert, ist, dass ich schriftlich als „Herr Selmer“ angesprochen werde, weil die Leute im Fußballjournalismus offenbar automatisch denken, ich wäre ein Mann. Mitunter glaube ich auch, dass Menschen mir Dinge erklären, die sie Männern nicht erklären würden. Das ist aber nicht unbedingt schlecht, weil man so eben mehr Infos bekommt. Und: Die Leute erinnern sich an mich, das ist dann natürlich auch gut – und gleichzeitig auch schwierig, wenn man Fehler macht.”

„Wichtiger als das Geschlecht ist es, Qualitätsjournalismus im Sportressort zu machen”

Was braucht es nun aber, um als Frau in der Männerdomäne Fußballberichterstattung Fuß zu fassen? Eine Quote, so zumindest Jana Wiske und Stefanie Opitz, jedenfalls schon mal nicht: “Ich möchte nicht für einen Job ausgewählt werden, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich etwas kann“, so Wiske. „Eine Quote würde den extremen Kritikern doch in die Karten spielen, weil es dann heißen würde: ‘Die hat den Job nur wegen ihres Geschlechts.’ Leistung und Kompetenz müssen sich durchsetzen und nichts anderes. Dass heutzutage eine gewisse Hilfestellung da sein muss, verstehe ich, gleichzeitig will ich diese Hilfestellung aber nicht. Das ist durchaus ein Dilemma.”

Kompetenz und Qualität sind die Themen, die auch Stefanie Opitz betont: „Das Sportressort hat ja mehr zu bieten als nur Ergebnisberichterstattung. Man sollte grundsätzlich über die Qualität kommen, auch mal hintergründige Sachen machen und sportpolitische Themen wie Korruption, Doping etc. stärker aufgreifen. Wichtiger als die Frage des Geschlechts ist es, Qualitätsjournalismus im Sportressort zu machen und auch in der Ausbildung für kritische Sportberichterstattung zu motivieren.“ Opitz fehlen vor allem alternative, inhaltliche Konzepte, insbesondere in der Lokalsport-Berichterstattung. “Man ist nicht mutig genug, auch mal auf andere Zielgruppen zu fokussieren, da wünsche ich mir tatsächlich mehr Mut in den Redaktionen. Gegebenenfalls würde sich auch die Themensetzung bei der Berichterstattung verändern, wenn mehr Frauen Sportthemen machen.“ Gleichzeitig weiß Stefanie Opitz aber auch: „Frauen müssen immer unter Beweis stellen, dass sie Ahnung haben. Männer haben es da leichter.”

Das unterstellte Kompetenzdefizit hebt auch Medienjournalistin Diemut Roether im Gespräch mit dem journalistinnenbund hervor und thematisiert dazu noch einen weiteren interessanten Punkt: “Eine Untersuchung in Österreich zeigte, dass die befragten Sportjournalistinnen sowohl fachlich als auch journalistisch besser ausgebildet waren als ihre männlichen Kollegen. Trotzdem sahen sie sich häufig mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Frauen nicht die notwendige Kompetenz für das Sportressort mitbringen und mussten mehr leisten als die Männer, um sich zu behaupten. In der Befragung wurde häufig über ein schlechtes Arbeitsklima in den Sportredaktionen geklagt. Dennoch sprachen sich die befragten Frauen mehrheitlich dagegen aus, mehr Frauen einzustellen. […] Offensichtlich hatten die Sportjournalistinnen große Angst vor weiblicher Konkurrenz. Auch die ZDF-Sportreporterin Claudia Neumann sprach sich kürzlich in einem Interview mit dem Journalist gegen Frauenquoten im Sportjournalismus aus. ‘Bitte nicht’, sagte sie, ‘ich bin für ein glasklares Leistungsprinzip. Wenn es gute Frauen gibt, werden die sich auch im Sportjournalismus durchsetzen. Die ganze Quotendiskussion ist überflüssig.‘”

Bildet Banden!

Der Fußball als des Mannes liebstes Spielzeug, familienunfreundliche Arbeitszeiten (die aber für Sportjournalisten genauso gelten), Männernetzwerke, die Frauen möglicherweise von einem Einstieg in den (fußballbezogenen) Sportjournalismus abhalten, wenige weibliche Vorbilder – auf diese Punkte ließen sich über alle Gesprächspartner*innen hinweg die Gründe zusammenfassen, die zu einer 10-zu-90-Prozent-Verteilung zwischen Frauen und Männern in der Sport- und Fußballberichterstattung führen. Trotzdem, da waren sich alle interviewten Journalistinnen einig, sind Sportjournalismus und insbesondere der Fußball spannende Arbeitsfelder. Was also ist ihr Rat für Frauen, die über diesen Bereich als mögliches Tätigkeitsfeld nachdenken?

„Selbstbewusst auftreten!“ ist die Antwort von Stefanie Opitz auf diese Frage. „Frauen sollten in die Redaktionen gehen, sich zeigen und deutlich machen: ‚Das ist mein Ding, hier will ich arbeiten.‘ Von männlichen Netzwerken sollte man sich nicht abschrecken lassen, sondern sich gegebenenfalls eine Nische suchen, dort starten und dann eben eigene Netzwerke aufbauen. Wenn man einmal drin ist, kann man sich gut auch woanders ins Gespräch bringen.“

In eine sehr ähnliche Richtung argumentiert auch Nicole Selmer: „Zunächst sollte man sich erst einmal klar machen: Was sind meine Themen, was interessiert mich überhaupt, worüber kann und will ich schreiben? Dort sollte man sich dann ein eigenes Netzwerk schaffen. Vielleicht sollte man auch einfach gar nicht so viel darüber nachdenken, dass man als Frau in einer Männerdomäne arbeitet. Andererseits kann das aber natürlich auch gut sein, weil man als Frau zum Beispiel Geschlechterdifferenzen eher sieht und für Dinge, die Männern selbstverständlich erscheinen, eventuell noch mal einen anderen Blick hat.“

Das Thema „Motivation“ spricht auch Katrin Müller-Hohenstein an: „Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam. Aber ich würde Frauen als erstes raten, ihre Motivation zu überprüfen. Ist es tatsächlich das Thema, das sie interessiert? Oder geht es ihnen in erster Linie darum, sich selber zu präsentieren. Dann sind sie hier falsch. Sie brauchen ein ehrliches Interesse an der Sache, große Einsatzbereitschaft – und manchmal auch ein dickes Fell.“

Auch Jana Wiske plädiert für Mut, Selbstbewusstsein und eben: Netzwerke. „Man sollte als Frau auf jeden Fall versuchen, in dem Bereich Fuß zu fassen, aber man sollte es auch gut versuchen. Das bedeutet, seine Hausaufgaben zu machen, Netzwerke zu bilden und eben auch fachlich kompetent zu sein. Angst ist fehl am Platz, stattdessen hilft ein selbstbewusstes Auftreten. Und man sollte sich nicht entmutigen lassen, wenn mal ein Missgeschick passiert.“

Die Frage, wie mehr (sichtbare) Frauen in der Fußballberichterstattung dessen inhaltliches Erscheinungsbild verändern könnten, muss selbstverständlich (vorerst) eine hypothetische bleiben. Dennoch gibt es natürlich bereits erste Tendenzen, die eine größere Themenvielfalt, andere Schwerpunktsetzungen und viele spannende Geschichten zumindest andeuten. Im Übrigen kann sich auch die 120minuten-Redaktion von einer ziemlich einseitigen, nämlich einer männlichen, Perspektive auf den Fußball nicht freisprechen; bisher sind auf 120minuten.github.io erst ganze vier Texte von Autorinnen erschienen. Und ja, es ist im Jahr 2019 durchaus Zeit, das zu ändern.

Bleibt noch die Überlegung, ob der fußballbezogene Sportjournalismus nicht eine größere Zielgruppe, die der weiblichen Fans nämlich, aus dem Blick verliert, wenn vorwiegend Männer über (Männer-)Fußball reden und schreiben. Hier konnten meine Gesprächspartner*innen für diesen Beitrag ebenfalls nur spekulieren. Möglicherweise ist das aber auch noch einmal eine ganz eigene Geschichte, die ein andermal erzählt werden wird.

Interview mit Katrin Müller-Hohenstein

Was waren Beweggründe dafür, in den Sportjournalismus zu gehen und wie verlief der Einstieg?

Ich habe vor meinem Engagement beim ZDF viele Jahre beim Radio gearbeitet. Ich hatte dort eine tägliche Magazinsendung, in der alles thematisiert wurde, was aktuell und relevant war. Von Politik über Gesellschaft bis hin zu Sport. Und am Wochenende habe ich die Fußballsendung am Samstagnachmittag moderiert. Das hat mir mit am meisten Spaß gemacht. Der Sport war also immer schon da, wenn auch nicht ausschließlich. Das aktuelle Sportstudio habe ich schon als Kind geschaut und bereits damals meinen Eltern mitgeteilt, dass ich diese Sendung irgendwann einmal moderieren werde. Ich wollte nur diese Sendung – keine andere. Der Einstieg lief dann allerdings ein wenig anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Nach zehn Jahren wieder die erste Frau zu sein, die diese Traditionssendung moderiert, war offenbar ein riesiges Thema. Entsprechend war das Medienecho. Ich weiß noch heute, wie ich mir damals gedacht habe: Was wollen die denn alle, ist doch nur eine Fernsehsendung. 🙂

Wie stellt sich das Feld für Frauen aus ihrer Perspektive dar und wie hat es sich seit dem Berufseinstieg ggf. auch verändert?

Ganz ehrlich? Ich kann die Frage nach der Frau in der Männerdomäne nicht mehr hören. Das klingt für mich jedes Mal so, als seien wir irgendwelche bedauernswerten Exoten. Was ist denn das „Feld für Frauen“? Gibt es auch das „Feld für Männer“? Ich kann Ihnen nur meine Perspektive schildern – und die ist durchweg positiv. Ich habe noch nie auch nur ansatzweise Vorbehalte bei Spielern, Trainern oder anderen Verantwortlichen aus der Welt des Sports gespürt. Ein einziges Mal hatte ich sogar einen erkennbaren Vorteil. Das war, als ich Louis van Gaal im Sportstudio zu Gast hatte. Der meinte, es sei schon clever vom ZDF gewesen, ihm eine Frau da hinzusetzen. Da sei er gleich viel freundlicher gewesen. Zum Glück gibt es in den letzten Jahren immer mehr Frauen im Sportjournalismus. Da hat sich das Thema hoffentlich bald von alleine erledigt.

Über 40 Prozent der Stadiongänger*innen sind Frauen, aber nur etwa 10 Prozent der Sportjournalisten sind weiblich. Verliert der Fußballjournalismus da nicht eine wichtige Perspektive? Inwiefern würde sich die Berichterstattung über Fußball aus ihrer Sicht verändern, wenn mehr Frauen in den Redaktionen arbeiten würden?

Sie glauben gar nicht, wieviele Frauen beim ZDF in der Sportredaktion arbeiten. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mal an einem Samstagnachmittag in Mainz in der Redaktion saß – um mich herum nur Frauen – und ich mir damals dachte: Das musst Du Dir jetzt aber echt merken, wenn mal wieder so eine Frage kommt. Dass es noch nicht genug sind, steht außer Frage. Aber daran können vor allem die Frauen selber etwas ändern.

Was würden sie angehenden Journalistinnen raten, die über den (fußballbezogenen) Sportjournalismus als Arbeitsfeld nachdenken?

Das klingt jetzt vielleicht etwas seltsam. Aber ich würde ihnen als erstes raten, ihre Motivation zu überprüfen. Ist es tatsächlich das Thema, das sie interessiert? Oder geht es ihnen in erster Linie darum, sich selber zu präsentieren. Dann sind sie hier falsch. Sie brauchen ein ehrliches Interesse an der Sache, große Einsatzbereitschaft – und manchmal auch ein dickes Fell.

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Beitragsbild: © Arne Müseler / arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0

In unserer Reihe zum Sportjournalismus sind außerdem erschienen:

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