Fifa – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 22 Aug 2018 09:07:10 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Vom Kaiserreich zur Kommerzialisierung: Deutschland und der moderne Fußball https://120minuten.github.io/vom-kaiserreich-zur-kommerzialisierung-deutschland-und-der-moderne-fussball/ Thu, 23 Aug 2018 06:58:44 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5228 Weiterlesen]]> „Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Hauptsächlich werden die Anfänge des Fußballs – 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland – untersucht

Der erste von zwei Teilen befasste sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England. Im nun folgenden zweiten Teil geht es um die Entwicklung des modernen Fußballs in Deutschland.

Von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de)

Fußball wird in Deutschland bekannt

Ein Spiel des Dresdner Fußball Clubs aus den Anfangstagen des Sports in Deutschland.

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gab es in England football, in Frankreich soule, in Italien calcio. In Deutschland, genauer gesagt dem damaligen deutschen Kaiserreich, gab es vor dem 19. Jahrhundert kein Fußballspiel. Es konnte also nicht auf schon bekannte Formen zurückgreifen, die in der Folgezeit reguliert wurden. Fußball war unbekannt. Und daher musste er erstmal Fuß fassen, um modernisiert werden zu können. Denn das Wort modern setzt ja voraus, dass es schon eine Vorform, eine antike Form zuvor gab.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und beide Fußballvarianten, Rugby und (Assoziations-)Fußball, nach Deutschland. Denn die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf die liebgewonnenen Sportarten verzichten, die auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterte. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen an Fußball und imitierten ihn. Das passiert vor allem in den so genannten Engländerkolonien in Deutschland. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, oder in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen. Auch in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt sind hier Beispiele – und in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

Soziale Herkunft der Fußball-Liebhaber
In der Forschung wird noch über die soziale Basis der Fußball-Liebhaber diskutiert – waren es Angestellte oder doch Arbeiter, die in Deutschland das Fußballfieber entfachten? Oder waren es Arbeiter, die als verdeckte Bezahlung einen Bürojob erhielten und sind diese dann als Arbeiter oder Angestellte zu zählen? Eggers merkt an, dass die Quellenlage über die Mitgliederstruktur des DFB vor dem ersten Weltkrieg sehr dürftig ist und viele Fußballspieler noch in den 1920er Jahren als Pseudobezahlung eine scheinbare Angestelltenstellung erhielten, aber aus dem Arbeitermilieu stammten. Als Belege nennt er Clubs im Ruhrgebiet und die Mannschaft von Bayern München 1925, deren Spieler vor allem aus dem Arbeitermilieu stammten und die mit Schein-Arbeitsplätzen und der dazu entsprechenden Bezahlung geködert wurden.

Engländer in Deutschland und Konrad Koch

Es waren aber nicht nur die in Deutschland lebenden Engländer, die den Fußball in Deutschland bekannt machten, sondern auch Konrad Koch, der Thomas Arnolds Ideologie und Leben profund während seines Studiums erforscht hatte. Koch muss von Arnold begeistert gewesen sein, denn er kopierte ihn und führte als Lehrer das Fußballspiel 1874 am Martino-Katharineum in Braunschweig ein, um die Jugendlichen fit zu machen und um die Basis für eine athletische Elite zu legen. Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren. Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie es in England damals gerade passierte. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über. Als die erste Assoziationsfußballmannschaft in Deutschland gilt der Lüneburg College Football Club, bei dem den Namen der Spieler nach auch aus Deutschland stammende Schüler spielten. 

Vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-20. Wer mehr zu Konrad Koch wissen möchte, sei Malte Oberschelps 2015 erschienene Biografie über Koch sehr empfohlen.

Denn in Deutschland war das Turnen die Körperertüchtigung Nummer Eins. Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt geworden, war das Turnen eng mit studentischen Verbindungen und dem Einheits- und Nationalgedanken verbunden. Die aus England kommenden Sportarten wie Rugby oder Assoziationsfußball, Tennis oder Cricket wurden argwöhnisch beobachtet, weil sie eben aus England stammten und nicht deutschen Ursprungs, also nicht Teil der deutschen Kultur waren. Dazu kamen die Übersetzungsschwierigkeiten des englischen Begriffs sports, der letztendlich einfach in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Auch Fachbegriffe wie offside, hand, to center oder goal wurden zunächst übernommen.

Die Spielbewegung und der Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen

Im November 1882 erließ der preußische Kultusminister, Gustav von Goßler, den nach ihm benannten Spielerlass. Er ermunterte darin die preußischen Kommunen, Spielplätze zu bauen und Turnen (später auch Bewegungsspiele/Sport) als regelmäßigen Teil des Unterrichts zu integrieren. Gleichzeitig sollten schulfreie Spielenachmittage etabliert werden.

Gustav von Gossler

Neun Jahre später, am 21. Mai 1891, gründeten von Goßler und der preußische Abgeordnete Emil Freiherr von Schenckendorff den Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen (ab 1897 Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugendspielen), kurz ZA. Der ZA war dabei kein Zusammenschluss von Fußball-Liebhabern verschiedener sozialer Herkunft, sondern bestand vor allem aus Mitgliedern der Nationalliberalen Partei und dessen Alldeutschen Verbandes (gemeinsame Ziele: Stärkung des deutschen Nationalbewusstsein, Pro-Imperialismus), somit vor allem Politikern, Beamten und Armee-Angehörigen. Ihr vorrangiges Ziel war aber nicht, den Sport politisch zu vereinnahmen, sondern vielmehr eine philanthropische, erzieherische, militärische und sozialdarwinistische Mischung, eine „gesunde“ Elite an sportlichen Deutschen und damit potentiellen Soldaten heranzuziehen. Daher versuchten die engagierten Persönlichkeiten, die Gräben zwischen Turnern und Sportlern aufzufüllen und zwischen ihnen zu vermitteln. Turnen und Sport (zeitgenössisch auch Bewegungsspiele genannt) sollten parallel existieren und sich ergänzen. Um diese Absicht zu erreichen, versuchte der ZA, die einzeln wirkenden Kräfte in Deutschland zu bündeln, um so das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen. Dazu gehörte der Zentralverein für Körperpflege in Volk und Schule, der Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen, das Komitee für die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen 1896 und später der 1911 gegründete Jungdeutschlandbund, in dessen Bundesleitung auch viele Mitglieder des ZA vertreten waren und der sich wie der ZA in der vormilitärische Ausbildung engagierte.

Wie versuchte man, die Ziele zu erreichen? Nun, durch einen intensiven Lobbyismus in Militärbehörden und Schul- und Stadtverwaltungen, Englandreisen, regelmäßige und verschiedene Zielgruppen ansprechende Veröffentlichungen und eine enorm große Werbetätigkeit. Die Geldmittel kamen aus dem preußischen Kultusministerium und anderen deutschen Landesregierungen.

Der ZA erreichte letztendlich seine Ziele der Verbreitung der Sportarten und die nationale Ausrichtung dieser.

Der Deutsche Fußballbund

Logo des Deutschen Fußballbundes von 1900

In den 1890er Jahren entstanden eine Reihe von neuen Vereinen und auch erste regionale Fußballverbände, zum Beispiel in Berlin (Bund Deutscher Fußballspieler 1890, Deutscher Fußball- und Cricketbund 1891). Doch während Vereine in England gewachsene Gemeinschaften waren, gab es in Deutschland eine hohe Fluktuation in den Vereinen und daher auch einen geringen Zusammenhalt der Spieler. Die Identifikation mit einem Club war also nicht gewachsen – das kam dem ZA ungelegen. Seine Versuche, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten zunächst an Unstimmigkeiten zwischen den Verbänden. Nach einigen Jahren der Vermittlung gab es Ende Januar 1900 in Leipzig einen neuen Versuch, einen deutschen Verband zu gründen. Nun stimmten 60 der 86 Vereine für die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Die Gründungsmitglieder waren sowohl regionale Verbände (Verband südwestdeutscher Fußballvereine, beide Berliner Verbände und der Hamburg-Altonaer Fußball-Bund) als auch einzelne Vereine aus Prag, Magdeburg, Dresden, Hannover, Leipzig, Braunschweig, München, Naumburg, Breslau, Chemnitz und Mittweida – also aus dem ganzen damaligen Deutschland. Der Spielausschuss des DFB erstellte in den kommenden Jahren einheitliche Statuten und Spielregeln nach englischem Vorbild (1906 herausgegeben) und es gab einen regelmäßigen Spielbetrieb um die Deutsche Meisterschaft (ab der Saison 1902/1903) und den Kronprinzenpokal (ab der Saison 1908/1909).

Im DFB entschied man sich für die nationale und gegen die kosmopolitische Ausrichtung. Denn so erhielten sie vor den Turnern den Vorzug, um die Exerzierplätze als Spielfeld benutzen zu dürfen. Als Wehrsport wurde der Stereotyp eines Fußballers mit soldatischen Idealen aufgeladen: Kampf und Opfermut bis zur letzten Minute, Pflichttreue und Treue zur eigenen Mannschaft sowie Charakterstärke und Idealismus. An diesem Ideal hat sich bis heute wenig geändert und es ist auch der Grund, weshalb in Deutschland die Legalisierung von entlohntem Fußball noch vehementer abgelehnt und stigmatisiert wurde als in England. Vieles ist in Deutschland wie in England verlaufen, nur etwa 50 Jahre später, aber nicht in diesem Punkt: Während Fußball in England modern wurde, als er legaler Profifußball wurde und viele Menschen direkt oder indirekt durch das Fußballspiel Erwerbsmöglichkeiten fanden, wurde Fußball in Deutschland durch das Militär und das soldatische Ideal, also durch das deutsche Amateurideal, modern. Das änderte sich auch nicht, als der Profifußball etwa 50 Jahre nach der Legalisierung in England auch in Deutschland legalisiert wurde. Das ist vielleicht ein Grund, weshalb in Deutschland das Begriffspaar moderner Fußball mittlerweile stark negativ konnotiert ist und die 50+1-Regelung nicht schon längst über den Haufen geworfen wurde. Es ist aber vielleicht auch der Grund dafür, dass häufig und des Geldes wegen wechselnde Spieler als Söldner(!) beschimpft werden, weil sie nicht bis zu ihrem letzten Atemzug ihrer Mannschaft treu blieben – bewusst sehr pathetisch formuliert.

Währenddessen stieg die Mitgliederzahl des DFB rapide an und versiebzehnfachte sich zwischen 1904 und 1913.

Wie schon gesagt, Goßlers Idee ging also auf, Fußball wurde Wehrsport. Schon vor 1910 spielte die Marine ihre eigene Fußballmeisterschaft aus, ab 1911 auch das Landesheer. Der DFB wurde wie der ZA Mitglied in staatlichen, militärisch geprägten Jugendorganisationen wie dem 1911 gegründeten Jungdeutschland.

Als Wehrsport musste sich Fußball nun aber endgültig von dem Vorwurf des undeutschen Sportes lösen und Sprachbarrieren  beseitigen. Daher gab es ab den 1890er Jahren immer wieder Artikel in Zeitungen, Pamphlete und auch Bücher, die die englischen Begriffe eindeutschten.

Moderner Fußball: Die Fußballbegeisterung wird Teil der deutschen Gesellschaft

Viele deutsche Soldaten lernten das Fußballspiel erst als Wehrsport während des ersten Weltkrieges kennen; liebten und lebten ihn. Die Spiele dienten hier, in dem reinen Stellungskrieg, vor allem zur psychischen Stabilisierung von Truppeneinheiten und zur Hebung deren Stimmung, fand aber auch durch seinen klassennivellierenden Charakter allgemeine Beliebtheit bei den nichtadeligen Milieus. Diese Begeisterung endete nicht mit dem Kriegsende – im Gegenteil. Manche spielten Fußball fortan in Vereinen und viele weitere wurden begeisterte Zuschauer. 1920 hatte der DFB die 500.000er Marke seiner Mitglieder geknackt. Jetzt begann der Fußball, auch in Deutschland ein Massenphänomen zu werden.

In dieser Zeit, in der Weimarer Republik, nahm Fußball eine Mittlerrolle zwischen der deutschen Bevölkerung und der Reichswehr ein. Dabei war die Grenze zwischen zivilem und Militärsport fließend. Das Wort Kampf wurde in den 1920er Jahren zu einem Schlüsselbegriff: Kampfspiele, Kampfbahn, Kampfgemeinschaft, usw. Der Fußball diente als vormilitärisches Feld, um trotz dem Verbot einer Armee, die kommende Generation an die Tugenden der Soldaten heranzuführen. Außerdem tarnten sich viele paramilitärische Vereinigungen als Sportclubs wie die Box- und Sportabteilung der NSDAP. Diese wurde aber schon verhältnismäßig früh, nämlich im November 1921, von Hitler in Sturmabteilung, SA, umbenannt.

Waren Sportarten wie Fußball nach Ende des ersten Weltkrieges ein gutes Ventil, um die psychische Belastung der Kriegsjahre zu kompensieren, bargen sie damit aber in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Gewaltpotenzial. Viele, die das Fußballspiel während des Krieges kennengelernt hatten, spielten einen derart unfairen Fußball oder benahmen sich als Zuschauer mit Platzstürmen und Gewaltandrohungen gegen Schiedsrichter und Gegner so rüde, dass Fußball zu Beginn der 1920er Jahre nicht nur breite Beliebtheit erfuhr, sondern gleichzeitig einen sehr schlechten Ruf erlangte. Der sehr angesehene Schiedsrichter Peter Joseph „Peco“ Bauwens legte 1925 wegen des Verhaltens der Spieler und Zuschauer in der Halbzeit des Spieles 1. FC Nürnberg gegen MTK Budapest schlicht sein Amt nieder.

Zu der Problematik von Fußball in der Weimarer Republik und Bauwens vgl. Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999. S. 306-339.

 

Dabei entwickelte sich der Fußball durch die zahlreichen Zuschauer zu einem veritablen Wirtschaftsgut. Diesen verlorenen Respekt versuchte der DFB abermals durch die Verknüpfung mit dem soldatischen Ehrbegriff wiederherzustellen – erfolgreich.

Die ersten Radioübertragungen

Unterstützung erfuhr der Fußball in Deutschland wie in England durch Journalismus, Getränke- und Bauindustrie, Wettbüros, Fotografie und Sportartikelhersteller. Auch Zigarren- und Zigarettenfabriken sowie Schnapsbrennereien profitierten von dem Sport, denn es war auf den Zuschauerrängen üblich, sich zwischendurch mit einem Schluck aus dem Flachmann oder einer Zigarre zu stärken. Neu und in diesem Fall ganz elementar war für Sportinteressierte das moderne Medium Radio, dessen Verkaufszahlen sich zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen. Es war für Sport und Medium eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC (Ende 1925)? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, um 1928 stark zurückzurudern: Um nicht die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Endspiel sowie drei Länderspiele vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem solche Spiele, bei denen eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten war.

Der DFB war kein Einzelfall. U.a. auch England und Schweden ließen die Übertragungen teils verbieten (Schweden) oder diskutierten über ein generelles Verbot (England).

Moderner Fußball: Profifußball wird (zum ersten Mal) legal

Mitte der 1920er Jahre kam es in Deutschland zu den ersten ernsten Anläufen, dass Fußballspieler ein bezahlter Beruf wird. Denn durch den Dawes-Plan (1925) und seine Unterstützungen begannen viele Städte, neue Stadien zu errichten, um mit Hilfe der Fußballbegeisterung die städtischen Kassen zu füllen. Um die Hypotheken schneller zurückzuzahlen und das Stadion auszulasten, musste man attraktive Spiele bieten und daher Fußballergrößen in die Vereine der Stadt locken. Außerdem war ab 1925 die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen wieder möglich. Der Ehrgeiz , eine besonders schlagkräftige Mannschaft nominieren zu können, war deshalb groß. Unter der Hand gezahlte Zuwendungen waren längst die Regel.

Der DFB blieb bei seinem soldatischen Ideal des Fußballers, den der ehrenvolle Verdienst leitete, nicht der finanzielle . Bei Zuwiderhandlung drohte die Disqualifikation aus Meisterschaft und Pokalwettbewerb. Dabei war der Wunsch vieler Vereine, wettbewerbsfähig zu anderen Ländern zu sein. Bereits 1925 hatte der DFB eine Satzungsänderung verabschiedet, die es deutschen Vereinen stark erschwerte, gegen ausländische Profimannschaften zu spielen. (Der Boykott wurde erst 1930 auf Druck der FIFA aufgehoben.)

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb weiterhin bei seinen Prinzipien. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten also nicht unter Tage arbeiten, erhielten dafür aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es noch 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbandes innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein. Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen. Aber der Profifußball wurde noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine blieb und zwei Jahre später fürchtete der DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass er wie ca. 50 Jahre zuvor Alcock in England den Fußballsport legalisiert, um ihn dann besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht. Daran hatten nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB wurde 1933 mit der Leitung des Fachamts Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte direkt die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs rückgängig.

Moderner Fußball: Profifußball wird (wieder) legal

1950, noch vor der Neugründung des DFB, beschloss die Delegiertenversammlung der Landesverbände, ein Vertragsspielerstatut zur Legalisierung des bezahlten Fußballs. Ein Spieler, der noch einem weiteren Beruf nachging, durfte dennoch nicht mehr als 320 DM monatlich erhalten, d.h. nicht mehr als den Lohn eines Facharbeiters. Aus dem Jahresgehalt errechnete sich die Ablösesumme. Zur der gehörte auch immer ein Gastspiel des neuen Vereines.

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Am Ziel der Träume? Fußball und der Nationalsozialismus

Der Fußball in Deutschland hat es in seinen Anfangsjahren nicht leicht. Gesellschaftliche Vorbehalte, Konkurrenz durch die traditionsreiche Turnerschaft, das unsägliche Geschacher um das Amateurgebot. Unter der Regie des machtbewussten DFB hat sich der Fußball dennoch zum Spiel der Massen entwickelt, wie ich in meinem ersten geschichtlichen Überblick für 120minuten aufgezeigt habe. Ideale Voraussetzungen für die Nationalsozialisten, das Spiel für seine Zwecke zu ge- und missbrauchen? Welche Rolle spielte der DFB dabei? Wie hat der deutsche Fußball auf die verordnete „Gleichschaltung“ reagiert? Und wie ging es in Sachen Profitum weiter?

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1954 wurde Deutschland überraschend Weltmeister. In den Folgejahren nahm die Bedeutung der Nationalmannschaft wegen fehlender Erfolge jedoch spürbar ab. Viele Spieler wechselten zu Vereinen ins Ausland, wo der Profifußball längst etabliert war und sie höhere Gehälter erhielten. Beispielsweise nach Italien, wo Helmut Haller (1962-1968 FC Bologna, 1968-1973 Juventus Turin), Karl-Heinz Schnellinger (1963-1964 AC Mantua, 1964-1965 AS Rom, 1965-1976 AC Mailand) oder auch Horst Szymaniak (1961-1963 CC Catania, 1963-1964 Inter Mailand, 1964-1965 FC Varese) spielten. Um dem Trend entgegenzuwirken, beschloss der DFB auf seinem Bundestag 1962 die Einführung einer Berufsspielerliga, der Bundesliga. Neben Amateurspielern und Vertragsspielern gab es nun auch Lizenzspieler, die ein dreimal so hohes Gehalt wie Vertragsspieler erhalten und einen Teil der Transfersumme kassieren konnte. Aber die Bestimmungen waren in den 1960er Jahren noch recht restriktiv, weshalb in der ersten Bundesligasaison nur 34 Spieler Fußball als Vollzeitberuf ausgeübt haben sollen. Sie brauchten einen guten Leumund, durften aber ihren Namen nicht für Werbezwecke zur Verfügung stellen und so weiteren Lohn erhalten und die Gesamtbezüge aus Lohn, Handgeld, Prämien und Ablösesummen durften nicht 1200 DM monatlich übersteigen.

Für den DFB lohnte sich die Einführung der Bundesliga: Die Nationalmannschaft hatte wieder Erfolg und da in den 1960er Jahren schon viele Haushalte über einen Fernseher verfügten, konnte sich der DFB durch Fernsehübertragungsgebühren, Werbeeinnahmen und Sponsorengelder finanzieren.

Für die Vertrags- und auch Lizenzspieler war das Fußballspiel innerhalb der vom DFB gesetzten Grenzen nicht rentabel und so verwundert es nicht, dass es in der Saison 1970/71 zu einem so großen Bestechungsskandal kam und der DFB abermals zum Umdenken gezwungen wurde. 1972 wurde der Markt geöffnet – seitdem steigen die Einkommen der Fußballprofis kontinuierlich. Die Liberalisierung der elektronischen Medien und das Bosmanurteil vom Dezember 1995 haben diesen Effekt noch einmal deutlich verstärkt.

Fazit: Moderner Fußball durch Eventisierung und Taktik

Doch wann hielt der moderne Fußball nun tatsächlich Einzug in Deutschland? Je nach Betrachtungsweise gibt es dafür drei Möglichkeiten:

  1. Macht man den modernen Fußball an der allgemeinen, nationalen Begeisterung fest, so war es der erste Weltkrieg.
  2. Verbindet man den modernen Fußball mit Profifußball und seinen Folgen, so waren es die 1960er und 1970er Jahren, da die erste Legalisierung 1932 nur wenige Monate Bestand hatte.
  3. Nimmt man den Begriff “moderner Fußball” dagegen als Ausgangspunkt, liegt der Beginn in den 1980er Jahren. Bis 1976 existierte dieser Begriff in der deutschsprachigen Literatur noch gar nicht. Seitdem gab es ein kurzes kleineres Maximum von 1987 bis 1988, das ab 2002 wieder erreicht wurde und mindestens bis 2008 übertroffen wurde.

Lag die erste Häufung des Begriffs Ende der 1980er Jahre an dem Wechsel von Trainer Arrigo Sacchi zum AC Milan und seiner dort etablierten Spielidee? Wurde dieses Ereignis in der deutschsprachigen Literatur tatsächlich so gewürdigt? Oder hat es eine andere Ursache? Darauf habe ich leider keine Antwort.

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Die heimlichen Hüter der Regeln https://120minuten.github.io/die-heimlichen-hueter-der-regeln/ https://120minuten.github.io/die-heimlichen-hueter-der-regeln/#comments Wed, 22 Feb 2017 08:00:35 +0000 https://120minuten.github.io/?p=3122 Weiterlesen]]> Die Arbeit des International Football Association Board

Ein kleiner Personenkreis legt die Regeln fest, nach denen Fußball gespielt wird. Sie bestimmen über die Zukunft des Spiels. Die Strukturen und die Entscheidungsfindung folgt jahrzehntealten Mustern und man lässt sich nur ungern in die Karten schauen.

Autor: Endreas Müller (120minuten.github.io, endreasmueller.blogspot.de)

“[…] Außerdem denke ich, dass es Regeländerungen geben wird, die das Spiel beeinflussen, wie der Videobeweis oder Zeitstrafen. Aber auch da spielt Geld eine Rolle. Vielleicht eine Auszeit als Werbepause. Alles eine Frage der Vermarktung.”

Julian Nagelsmann im kicker, 02/2017

 

Wer macht eigentlich die Spielregeln im Fußball? Damit meine ich nicht die sportpolitischen und teils fragwürdigen Entscheidungen von Verbänden wie FIFA, UEFA oder DFB, wenn es um die Vergabe von Turnieren, Regeln für Transfers, Nachwuchsförderung oder Ähnliches geht. Ich meine die eigentlichen Regeln, die das Geschehen auf dem Platz bestimmen: also so allgemeine Dinge wie die Größe des Spielfelds oder die Anzahl der Spieler, aber auch so pikante Details wie die Einführung neuer Technologien oder wann der Schiedsrichter zwingend einen Platzverweis aussprechen muss.

Die erste Anlaufstelle ist der DFB, der für jede Saison Spielregeln herausgibt. Schon auf Seite 2 der aktuellen Regeln findet eine Organisation Erwähnung, die nur selten öffentlich in Erscheinung tritt, das IFAB, the International Football Association Board. Wer oder was ist das IFAB, was macht es und wie arbeitet es? Das ist nicht wirklich klar und mag einerseits mit der Metaebene zu tun haben, auf der das IFAB operiert, aber auch mit einer zurückhaltenden Öffentlichkeitsarbeit, denn bis vor kurzem hatte das IFAB noch nicht mal eine eigene Internetseite.

IFAB?

Das IFAB trat das erste Mal im Juni 1886 zusammen. Vertreter des englischen, nordirischen, schottischen und walisischen Fußballverbands riefen die Institution mit dem Ziel ins Leben, ein einheitliches Regelwerk zu schaffen. Das sollte Länderspiele vereinfachen. Bis dahin wurde immer nach den Regeln des jeweiligen Gastgebers gespielt. Das IFAB konnte sich erfolgreich als Institution zur Weiterentwicklung und Überprüfung des Regelwerks etablieren und es wurden eine Reihe von allgemein gültigen Regeln beschlossen, die heute integraler Bestandteil des Spiels sind: z.B. Tornetze, Elfmeter oder die Spielzeit von 90 Minuten.

Die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründete FIFA machte sich die IFAB-Regeln zu eigen und trat 1913 dem IFAB bei. Seit ihrer Gründung bis heute hat das IFAB die Hoheit über alle Regeländerungen. Nationale Verbände wie der DFB setzen vom IFAB beschlossene Änderungen in ihren Spielregeln um.

Das Wichtigste und alles entscheidende Gremium innerhalb des IFAB ist die General Assembly. Sie entscheidet letztendlich über alle Veränderungen im Alleingang. Die General Assembly besteht aus Vertretern der obersten Entscheidungsträger des englischen, nordirischen, schottischen und walisischen Fußballverbands sowie aus Vertretern der FIFA. Jeder der Nationalverbände hat bei Abstimmungen eine Stimme, die FIFA hat vier. Für die Zustimmung zu einer Regeländerung bedarf es sechs Stimmen. Sind alle nationalen Verbände gegen eine Änderung, wird sie nicht beschlossen, ist die FIFA gegen eine Änderung, kann sie ebensowenig beschlossen werden. So einfach ist das.

Auf einem jährlichen Treffen, dem Annual General Meeting, werden der Assembly Vorschläge für Regeländerungen vorgelegt. Diese Vorschläge wurden vorab vom Board of Directors ausgearbeitet. Das Board besteht aus den Generalsekretären der vier Nationalverbände und der FIFA. Das so genannte Technical Subcommittee, ebenfalls bestückt mit Vertretern und Experten der britischen Nationalverbände und der FIFA, soll beratend zur Seite stehen. Vor Kurzem wurden zwei weitere beratende Gremien eingeführt, die erstmals auch die Mitarbeit durch andere National- und Kontinentalverbände ermöglichen. In diesen beiden Advisory Panels sitzen u.a. Anthony Baffoe (CAF), Andreas Rettig, Wynton Rufer (OFC) oder Pierluigi Collina.

“The idea of the panels is that they will be more proactive and they will be able to look at these things and debate them while the IFAB’s role will be as the final decision-makers.”

Jonathan Ford, Vorsitzender des walisischen Fußballverbands und IFAB-Mitglied im Jahr 2014, als die Panels eingeführt wurden

 

Dennoch: das Board und die General Assembly bilden den kleinen Kreis, der die Weiterentwicklung des Fußballregelwerks maßgeblich bestimmt.

Ist das IFAB schwerfällig?

Veränderungen des Regelwerks brauchen Zeit. Denn die Auswirkungen von Änderungen müssen sorgsam abgeschätzt und geprüft werden, wirken sie sich doch direkt auf alle Spiele weltweit aus. In Anbetracht des Milliardengeschäfts Fußball keine triviale Angelegenheit, denn die Fußballregeln sind einer der wichtigsten Garanten für die Attraktivität des Sports und damit auch für seine wirtschaftliche Position. Neue Regelungen wie die aktuell diskutierten Zeitstrafen werden besprochen, in einzelnen Ligen ausprobiert, die Testläufe ausgewertet und bei Eignung ein Textentwurf für die Umsetzung in einer Regel vorbereitet. Von der Idee bis zur Implementierung einer Regel vergehen mehrere Jahre.

Eine sorgfältige und bedachte Vorgehensweise ist wichtig, aber man muss dem IFAB attestieren, dass es eine stockkonservative Institution ist. Das behauptet sie sogar von sich selbst:

“The IFAB is a conservative body and needs to be when it comes to the laws of Association Football.”

Ray Ellingham, Mitglied eines IFAB Advisory Panels und der walisischen FA, 2015

 

Das Selbstverständnis des IFAB ist eher vom Bild des Bewahrers und Verteidigers bestehender Regeln geprägt als von Innovation. Progressiv denkende Fußballbeobachter seufzen wohl öfter innerlich, wenn sie von einem innovativen Vorschlag zur Verbesserung des Spiels lesen und wissen, dass es wohl Wunschdenken bleibt. Freunde des “guten, alten Fußballs” werden erleichtert aufatmen, da sie sich sicher sein können, dass das IFAB Neuerungen nur sehr langsam ins Spiel einsickern lassen wird.

In diesem Zusammenhang sollte man aber nicht vergessen, dass dem Fußball auch durch Unterlassen geschadet wird. Nämlich dergestalt, dass dringend notwendige Regeländerungen nicht vorgenommen werden. Wie lange dauerte es, bis sich die IFAB zur Einführung der Rückpassregel durchrang und damit dem langsamen Hintenherumgeschiebe von der Abwehr zum Torwart und zurück ein Ende bereitete? Der Fußball der 80er war weniger attraktiv, weil Mannschaften die nicht vorhandene Rückpassregel für Zeitspiel einsetzten. Auch das Aufweichen der viel diskutierten Dreifachbestrafung nahm viele Jahre in Anspruch. Eine schnellere Umsetzung hätte den Ausgang einer Vielzahl von Spielen, auch auf höchstem Niveau, wohl maßgeblich beeinflusst.

Bei aller Kritik am wenig progressiven Vorgehen des IFAB – Regeländerungen müssen auch umgesetzt werden. Und das nicht nur von Bundesliga-Referees, sondern auch von ehrenamtlichen Schiris bis hinunter in den Amateurbereich. Jede Änderung verlangt ein Umdenken, das Verinnerlichen der neuen Regel und die sichere Anwendung sowohl im WM-Finale als auch in der Kreisklasse. All das muss abgewogen werden, bevor man eine Regelanpassung auf Spieler und Schiedsrichter loslässt.

Ein Beispiel ist die Veränderung der Abseitsregel. Sie wurde in den letzten Jahren modifiziert, um angreifenden Mannschaften einen Vorteil zu verschaffen. Dass soll natürlich die Attraktivität des Spiels erhöhen, aber die Umsetzung stellte die Schiedsrichter vor Probleme. David Elleray, ehemaliger FIFA-Schiedsrichter und heute Technical Director des IFAB, sieht die Umsetzung der jüngsten umfangreicheren Regeländerungen positiv, weiß aber auch, dass die Veränderung für Diskussionen gesorgt hat und es im Fall der Abseitsregel durchaus Meinungsverschiedenheiten und verschiedene Interpretationen gibt.

Ist das IFAB korrumpierbar?

Um die Arbeit des IFAB wurde nie größeres Aufheben gemacht. Es gab keine größeren öffentlichen Skandale oder Gerüchte, wie man sie von FIFA, DFB und UEFA kennt. Problematisch ist jedoch die Struktur des IFAB. Ein kleiner Kreis von Personen/Institutionen bestimmt über das Regelwerk des beliebtesten und umsatzstärksten Sports weltweit. Die Beeinflussung der Vergabe von EM- und WM-Turnieren ist selbstredend viel interessanter für Manipulationsversuche, einfach wegen der Unmittelbarkeit der Auswirkungen erfolgreicher Einflussnahmen. Ein Einwirken auf das IFAB würde einem Verband/Funktionär nicht direkt einen Vorteil bringen, aber die weitreichenden Konsequenzen von Regeländerungen können langfristig den Fußballsport entscheidend verändern.

Fragen an und Antworten von David Elleray, Technical Director des IFAB

1. In recent years several changes to the rules implemented by IFAB were to the benefit of the attacking team – especially regarding the offside rule. On the pitch, this proved to cause some difficulties for the referees which had to apply these new rules. Do you also see these difficulties and do the advantages outweigh the disadvantages?
The Laws of the Game have undergone a substantial revision which aimed to make them clearer, more easily understood by everyone (not just referees) and fairer. This has, of course, initially led to some challenges but overall the ‘new’ Laws seem to have been very well accepted by everyone and we have provided a lot of support to the associations and league to make this transition as smooth as possible. There will always be discussion and controversies as football decisions are not always clear cut and this remains the case with offside although we tried to reduce disagreement and different interpretations by focusing on the physical impact/action of the offside player.

2. How do the four British national associations and the FIFA manage their contributions to IFAB, are their specific working groups or departments within each body which coordinate the work?
If you go to The IFAB website (http://www.theifab.com/#!/structure) you will find the various IFAB working groups notably the Technical Subcommittee (made up of experts from the 4 British FAs and FIFA) and the two Advisory Panels (TAP + FAP) which are drawn from experts across the world of football, with representatives proposed by all six football confederations as well as by the members of IFAB.

3. People involved in IFAB often fill a position at FIFA or a national FA. How many people are working full-time for IFAB and how many are directly contributing to IFAB approximately?
Before 13 January 2014, the administration of The IFAB was mainly handled by FIFA and the four British FAs. Since then, The IFAB has an independent administration, run by the Secretary/CEO (Lukas Brud), who employs two full-time staff and multiple consultants for specific projects or with specific skills. My work as Technical Director is also on a consultancy basis as I have other positions including those with The FA and UEFA. Overall, around 30 persons from the various bodies contribute to our work on a regular basis. Also, FIFA’s Football Technology Innovation department (Headed by Johannes Holzmüller) is strongly supporting The IFAB with experiments and/or implementation of new elements into the game (e.g. goal-line technology, vanishing spray, Technology for Video Assistant Referees etc.).

4. Can you briefly explain how IFAB is funded? Is this done directly through FIFA and the four British associations or is work done on a voluntary basis?
The IFAB is funded primarily by FIFA and the 4 British FAs, based on the needs to run projects and run our administration.

5. Does IFAB see any need to strengthen the position of national football associations (apart from the four British ones) regarding its work and how do national associations (other than the four British) contribute/participate in IFAB work nowadays?
Please see the answer to Qu 2. In addition, we have very good interaction with the vast majority of countries. We regularly receive questions and requests for clarifications on the Laws as well as suggestions for changes/modifications which, where appropriate, we consider and progress. The IFAB’s interaction with the world of football is probably stronger than ever before, helped by the publicity from the recent Law revision and the Video Assistant Referee experiment which we are currently overseeing in over a dozen countries. Also, during the 2013 FIFA Congress, all 211 football associations unanimously confirmed that the membership structure of The IFAB should remain as it is; in particular, after introducing the two advisory panels representing the global football community and a process where every football body can contact IFAB and make proposals much easier and more efficient than in the past. After the upcoming Annual General Meeting in March, we will conduct a major consultation with every national FA and other football stakeholders on a number of Law-related issues.

Zumal die meisten Nationalverbände quasi kein Mitbestimmungsrecht bei neuen Regeln haben. Vier Mitgliedsverbände der FIFA haben 50 % der Stimmrechte. Die restlichen Verbände sind nur indirekt durch die FIFA vertreten und haben kaum Einfluss auf die eigentlichen Abstimmungen. Die historisch gewachsene Struktur mit vier Vertretern aus dem Mutterland des Fußballs und einem kleinen elitären Entscheiderkreis erscheint bei näherer Betrachtung den Anforderungen an einen globalen Fußball, wie wir ihn heute erleben, nicht mehr gewachsen. Auch wenn der FIFA-Modus bei Abstimmungen zu Turniervergaben, eine Stimme je Verband, Bestechung Tür und Tor geöffnet hat, so erscheint er doch weitaus demokratischer als das Prozedere des IFAB.

Seit 2014 ist etwas Bewegung in die IFAB gekommen, David Elleray verweist auf eine eigenständige, von den IFAB-Mitgliedern unabhängige Verwaltung, die installiert wurde. Inzwischen hat das IFAB einen CEO sowie zwei Vollzeitangestellte und Experten, die auf Beraterbasis tätig sind und in der Regel Positionen bei der FIFA oder den britischen Verbänden bekleiden, wie David Elleray selbst. Insgesamt sind etwa 30 Personen direkt an der Arbeit des IFAB beteiligt.

Etwas mehr als zwei Dutzend Personen koordinieren und lenken also die Weiterentwicklung des Fußball-Regelwerks. Das wirft natürlich auch die Frage auf, wie die Arbeit des IFAB finanziert wird. David Elleray verweist auf Zuwendungen der fünf IFAB-Mitglieder. In den Statuten der Organisation sind dazu folgende Aussagen zu finden:

“In pursuit of its objective, the association can make use of the membership fees and of other kinds of contributions and proceeds, such as its annual budget, which is approved at the Annual General Meeting (AGM) of the previous year.”

sowie

“The membership fees should not exceed CHF 5,000 per year and should be paid by each member[…]”

Das jährliche Budget des IFAB beträgt also 5 x 5.000 Schweizer Franken + X. Es bleibt festzuhalten, dass das IFAB finanziell abhängig von seinen fünf Mitgliedern ist und die Mitgliedsbeiträge von 25.000 Schweizer Franken vermutlich nur schwerlich ausreichen, um die Arbeit des IFAB zu finanzieren. Jährlich werden Audits, auch bezüglich der Finanzen, durchgeführt, die Ergebnisse bleiben aber intern.

Muss sich etwas am IFAB ändern?

Grundsätzlich sollte die Frage erlaubt sein, ob eine eigene “Gewalt”, ein Gremium, das weitestgehend unabhängig von Verbänden und Vereinen agiert, nicht besser geeignet wäre, das Regelwerk voranzubringen. Eine eigene Instanz, bestehend aus Experten, wie sie jetzt in den sogenannten Advisory Panels sitzen, wäre wohl unabhängiger von Verbandsinteressen.

In Anbetracht der anstehenden Veränderungen im Fußball, die zwangsläufig zum Einsatz von mehr Technologien führen werden und damit die Arbeit des IFAB noch mehr in den Fokus rücken, bedarf es eines integeren Gremiums, dass die Belange aller Fußballverbände gleichermaßen vertritt. Liest man diesen Bericht über die mögliche Einführung des Videobeweises, wird die Absurdität des derzeitigen Prozedere augenscheinlich: Der niederländische Verband macht einen Vorschlag und muss Überzeugungsarbeit bei Engländern, Walisern, Schotten und Nordiren leisten, um seine Idee auf die Agenda zu bringen. Das klingt nach Gutsherrenart und Hinterzimmerarbeit und wird den Herausforderungen eines sich immer schneller entwickelnden Fußballs kaum gerecht. Der aktuelle Abstimmungsmodus trägt sein Übriges bei. Das Verfahren mit den sechs nötigen Stimmen für die Durchsetzung einer Änderung macht das Gestalten schwierig und erleichtert stattdessen das Blockieren.

Auf die Frage, ob das IFAB eine Notwendigkeit für mehr Mitbestimmung durch alle Fußballverbände sieht, verweist David Elleray auf die international besetzten oben angesprochenen Advisory Panels mit beratender Funktion und den regen Austausch mit Fußballverbänden. In den vergangenen Jahren hat das IFAB seine Arbeit transparenter gemacht und man beruft sich auf eine Abstimmung unter FIFA-Mitgliedern aus dem Jahr 2013, in der die Struktur des IFAB abgenickt wurde. Darüber hinaus plant man für 2017 eine großangelegte Umfrage aller Fußballverbände.

Durchaus Schritte in die richtige Richtung, aber keine Änderung der grundlegenden Struktur. Eine kleine Gruppe von Entscheidungsträgern, die zusätzlich weitere Ämter in nationalen Verbänden ausfüllt, ist vermutlich schwerlich vor der Verfolgung persönlicher und verbandsseitiger Interessen gefeit. Den Vorwurf, dass das IFAB die Innovation im Fußball verzögert und damit Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern und Stagnation Vorschub leistet, muss sie sich wohl gefallen lassen. Denn das Bewahren des Status Quo scheint ein nicht unerheblicher Teil ihres Auftrags zu sein.

Das 131. Annual General Meeting (AGM)

Auf dem AGM beschließt die General Assembly des IFAB einmal jährlich Regeländerungen und lässt sich über laufende Experimente zu geplanten Veränderungen informieren. Am 3. März findet das AGM 2017 in London statt. Thema werden u.a. Zeitstrafen, die Möglichkeit einer 4. Einwechslung und der Videobeweis sein. Die Agenda des Meetings kann man hier nachlesen. Im aktuellen IFAB-Rundschreiben sind die Themen auf Deutsch zusammengefasst

Dank: Vielen Dank an David Elleray vom IFAB für die schnelle Beantwortung unserer Fragen und an Alex Feuerherdt für sein fachliches Feedback.

Beitragsbild: Shadows / Boris Baldinger via Flickr | CC-BY-SA 2.0

Du hast auch ein Thema, das Dich bewegt und das gut zu 120minuten passen könnte? Dann wäre vielleicht unser Call for Papers etwas für Dich!

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https://120minuten.github.io/die-heimlichen-hueter-der-regeln/feed/ 1 3122 Kostenloses Hörbuch – Fifa-Mafia von Thomas Kistner https://120minuten.github.io/kostenloses-hoerbuch-fifa-mafia-von-thomas-kistner/ https://120minuten.github.io/kostenloses-hoerbuch-fifa-mafia-von-thomas-kistner/#respond Mon, 01 Feb 2016 12:16:29 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1863 Weiterlesen]]> Die Fifa hält die Welt in Atem. Schon vor ziemlich genau einem Jahr eröffnete ich eine Link11 mit diesem Satz. Seitdem ist viel ans Licht gekommen und man hat das Gefühl, dass sich jetzt aber wirklich mal etwas ändern würde im Fußballweltverband. Ende Februar ist es nun so weit – die Fifa wählt einen neuen Präsidenten.

Wer sich bis dahin noch einen Einblick in die dunklen Machenschaften verschaffen möchte, dem kann ich an dieser Stelle das hervorragende Sachbuch von Thomas Kistner empfehlen – Fifa Mafia – Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball. Das Buch aus dem Jahr 2012, welches 2014 in einer erweiterten, überarbeiteten Fassung erschien, erklärt minutiös das zwielichtige System Fifa und dessen Entstehung. Es bildet nicht die jüngsten Ereignisse ab, sondern erklärt vielmehr, wie sich die Fifa zu dem entwickelt hat, was sie heute ist.

Zu Kistners Fifa-Mafia gibt es auch eine Hörbuchfassung, die ich beim Durchstöbern von Spotify entdeckt habe. Ein kostenloser Account beim Musikstreamingdienst Spotify reicht aus, um in den Genuss des Hörbuchs zu kommen:

Hörbuch: Fifa-Mafia – Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball bei Spotify hören

Bei der Hörbuchfassung handelt es sich sehr wahrscheinlich um die ursprüngliche Erstveröffentlichung von 2012.

Das ist übrigens nicht das einzige Hörbuch, das bei Spotify zu finden ist. Beim Aufspüren von Titeln im Spotify-Katalog hilft die App Spooks. Sie listet verfügbare Hörbücher in Kategorien und Neuheiten. Spooks ist kostenlos verfügbar im Web (Beta), für iOS und Android. Einen kurzen Überblick zur App gibt Carsten Knobloch.

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https://120minuten.github.io/kostenloses-hoerbuch-fifa-mafia-von-thomas-kistner/feed/ 0 1863
Kann es einen Fußball ohne Fifa geben? https://120minuten.github.io/kann-es-einen-fussball-ohne-fifa-geben/ https://120minuten.github.io/kann-es-einen-fussball-ohne-fifa-geben/#respond Wed, 27 May 2015 14:09:39 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1208 Weiterlesen]]> Die Fifa ist Herr über den Fußball. Die Fifa scheint durchsetzt von Korruption. Der Fußball leidet darunter, ist aber auf die Fifa angewiesen. Ohne Fifa keine WM. Ist das wirklich so, fragen Dominik Bardow und Johannes Nedo. Sie versuchen die Frage zu beantworten, ob ein Fußball ohne Fifa denkbar ist und zeigen auf, welche Alternativen es schon heute gibt.

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https://120minuten.github.io/kann-es-einen-fussball-ohne-fifa-geben/feed/ 0 1208
Platini ist ein ängstlicher Verwalter, kein Kämpfer https://120minuten.github.io/platini-ist-ein-aengstlicher-verwalter-kein-kaempfer/ https://120minuten.github.io/platini-ist-ein-aengstlicher-verwalter-kein-kaempfer/#respond Sat, 06 Sep 2014 17:29:27 +0000 https://120minuten.github.io/?p=382 Weiterlesen]]> Michel Platini wird nicht gegen Sepp Blatter bei der Wahl zum FIFA-Präsidenten antreten. Ein Porträt des Franzosen, der der UEFA treu bleiben will und ein Einblick in die Verstrickungen und Strukturen in UEFA und FIFA.

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Die Dritte Welt frisst Blatter aus der Hand https://120minuten.github.io/die-dritte-welt-frisst-blatter-aus-der-hand/ https://120minuten.github.io/die-dritte-welt-frisst-blatter-aus-der-hand/#respond Mon, 28 Apr 2014 14:06:00 +0000 https://120minuten.github.io/?p=34 Mark Pieth, ehemaliger Anti-Korruptionsbeauftragter der Fifa, über den Fortgang oder besser gesagt den Stillstand bei Reformen im Fußballweltverband und die Rolle von Sepp Blatter.

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In Widersprüchen gefangen https://120minuten.github.io/in-widerspruechen-gefangen/ https://120minuten.github.io/in-widerspruechen-gefangen/#respond Thu, 17 Apr 2014 06:00:00 +0000 https://120minuten.github.io/?p=35 Das Innenleben der Fifa ist schwer zu durchschauen, die Reputation in der Öffentlichkeit scheint dahin. Die NZZ mit einem Blick auf Reformer, Bremser und Leichen im Keller.

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Dreck am Ball https://120minuten.github.io/dreck-am-ball/ https://120minuten.github.io/dreck-am-ball/#respond Thu, 01 Jul 2010 12:24:00 +0000 https://120minuten.github.io/?p=63 Weiterlesen]]> Auch wenn der Text schon etwas älter ist – er fasst die Baustellen innerhalb der FIFA gut zusammen: Vetternwirtschaft, Korruption von innen und außen – begünstigt durch die Struktur des Weltverbands.

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