Frauen und Fußball – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 04 Sep 2019 14:44:17 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Frauen in Schaltzentralen des Fußballs: Allein unter Männern https://120minuten.github.io/frauen-in-schaltzentralen-des-fussballs-allein-unter-maennern/ https://120minuten.github.io/frauen-in-schaltzentralen-des-fussballs-allein-unter-maennern/#respond Thu, 05 Sep 2019 07:00:40 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6486 Weiterlesen]]> Noch nie wurde im Fußball so intensiv über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskutiert wie in diesem Sommer während der Weltmeisterschaft in Frankreich. Jenseits der Lohnungleichheit sind in den Führungsetagen und Trainerteams des Fußballs kaum Frauen vertreten. In etlichen Ländern fehlen sogar grundlegende Strukturen für Mädchen- und Frauenfußball. Wie kann der beliebteste Sport weiblicher und damit demokratischer werden? Teil 12 und Abschluss der Themenreihe „Fußball und Menschenrechte.“

Autor: Ronny Blaschke, ronnyblaschke.de

Karen Espelund hatte schlaflose Nächte. Sie entwickelte Ideen, Themen, neue Ansätze, aber oft stieß sie auf Widerstände. Vor mehr als dreißig Jahren war Espelund die erste Frau im Vorstand des norwegischen Fußballverbandes. „Ich wollte nicht das Maskottchen der Männer sein“, sagt sie. „Leider müssen Frauen in Gremien immer wieder ihre Kompetenz unter Beweis stellen. Man muss ziemlich hart arbeiten und besser vorbereitet sein.“ Espelund setzte sich durch, erzeugte Sichtbarkeit für Frauen in Führungsriegen. 1999 wurde sie Generalsekretärin des norwegischen Verbandes. Zwischen 2012 und 2016 saß sie im Exekutivkomitee der Uefa.

Doch noch immer ist Karen Espelund eine von wenigen Ausnahmen. Nur 3,7 Prozent der Führungspositionen im europäischen Spitzenfußball werden von Frauen besetzt, so eine Studie des internationalen Netzwerkes Fare, Football Against Racism in Europe aus dem Jahr 2014. In den Klubs der Bundesliga, im DFB und in der Deutschen Fußball-Liga sitzen knapp 250 Personen in Aufsichtsräten, Präsidien, Vorständen. Mehr als 95 Prozent: Männer.

Karen Espelund war mehr als 20 Jahre in einer Führungsposition beim norwegischen Fußballverband tätig, Foto: Ronny Blaschke

Karen Espelund profitierte Ende der 1980er Jahre von einer neuen Frauenquote im norwegischen Verband. Inzwischen müssen mindestens zwei Frauen im Vorstand sitzen. Aktuell sind es vier Männer und vier Frauen. „Ob bei der Rekrutierung von Mitarbeitern, bei Ausschreibungen oder Wahlperioden: Häufig suchen wir nach Personen, die uns ähnlich sind“, sagt Karen Espelund. „Eine Quote kann traditionelle Strukturen brechen. Alle Forschungen zeigen: Diversität führt zu den besten Ergebnissen in jeder Organisation.“

Nur eine Frau im DFB-Präsidium

Auch dank Karen Espelund ist der norwegische Verband in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit weiter als andere Organisationen der Fußballindustrie. Die ehemalige Spielerin Lise Klaveness ist für sämtliche Nationalteams verantwortlich. Nationalspielerinnen erhalten seit 2017 die gleichen Prämien wie ihre männlichen Kollegen. Und dennoch wird die Debatte weiter intensiv geführt, etwa durch Weltfußballerin Ada Hegerberg, die wegen der „jahrelangen Benachteiligung“ gegenüber männlichen Spielern nicht mehr für das norwegische Nationalteam spielen möchte. Besonders intensiv wird die Debatte von den Weltmeisterinnen aus den USA mit ihrer Kapitänin Megan Rapinoe geführt, aber in den meisten anderen Ländern findet eine solche Debatte gar nicht erst statt.

Es dauerte lange, bis andere Verbände dem norwegischen Erfolgsmodell folgten. Die Fifa wünscht sich für ihr Führungsgremium mindestens sechs Frauen. Sie hält sich jedoch mit Forderungen und Empfehlungen gegenüber ihren mehr als 200 nationalen Mitgliedsverbänden zurück. Der DFB hat nur eine Frau in seinem Präsidium, Hannelore Ratzeburg, und die ist zuständig für Mädchen- und Frauenfußball.

Auch wegen der gesetzlichen Quote ist der Frauen-Anteil in Führungspositionen der Wirtschaft gestiegen: In Ostdeutschland auf 44 Prozent, im Westen auf 27 Prozent. Und im Fußball? Anfang 2018 kandidierte beim des FSV Mainz 05 die Juristin Eva-Maria Federhenn für den Vorstandsvorsitz. Etliche Fans sprachen ihr die Kompetenz ab, weil sie eine Frau ist. Solche Äußerungen seien keine Seltenheit, sagt Katharina Dahme. Die Aufsichtsratschefin des Regionalligisten SV Babelsberg wurde mal in einer VIP-Raum eines Stadions von einem Funktionär des gegnerischen Klubs kritisch gemustert. „Ich habe gesagt, dass ich Mitglied im Aufsichtsrat bin“, sagt Dahme. „Dann war er sehr erschrocken und hat deutlich gemacht, dass Frauen im Fußball nichts zu suchen hätten.“

In den ersten vier deutschen Ligen ist Katharina Dahme neben Sandra Schwedler beim FC St. Pauli die einzige Frau, die an der Spitze eines Aufsichtsrates steht. Der DFB hatte 2016 mit dem Deutschen Olympischen Sportbund ein Leadership-Programm gestartet. 24 Frauen wurden mit Führungsaufgaben vertraut gemacht. Einige der 21 Landesverbände im Fußball haben danach eigene Programme entwickelt. Katharina Dahme findet, dass sich auch die großen Klubs öffnen sollten. Noch haben engagierte Frauen in deren Gremien den Status von Exotinnen, und so geben sie den Druck manchmal auch untereinander weiter. „Manche Klubs geben sich vielleicht schon zufrieden mit einer Frau im Gremium“, sagt Dahme. „Aber wir sollten nach mehr Kandidatinnen suchen. Oft sind Frauen eher skeptisch und müssen anders ermuntert werden. Männer dagegen sind oft überzeugt, dass sie das können.“

Die erste Chefin eines israelischen Profiklubs

Seit September 2018 erzeugt eine Wanderausstellung Aufmerksamkeit für Frauen im Fußball, ihr Titel: „FanTastic Females. Football Her Story“. Die Fotos und Kurzfilme porträtieren mehr als achtzig Frauen aus 21 Ländern: Ultras, Aktivistinnen, Führungskräfte. „Das Projekt ist wunderbar, denn es nimmt unsere Leidenschaft in allen Facetten ernst“, sagt die Israelin Daphna Goldschmidt, einer der Porträtierten mit einer seltenen Biografie im Fußball.

Daphna Goldschmidt führt als erste Frau einen israelischen Profiverein, Foto: Ronny Blaschke

Mit Anfang zwanzig gehörte Daphna Goldschmidt 2007 zu den Gründerinnen ihres Vereins. Sie besuchte jedes Spiel von Hapoel Katamon Jerusalem. Sie sang, klatschte, hüpfte auf der Tribüne, wurde zu einem der einflussreichsten Vereinsmitglieder. Doch sie zögerte mehr als drei Jahre, um für den Vorstand zu kandidieren. „Das einzige, was mich davon abhielt, war die Angst, nicht gewählt zu werden und keinen Erfolg zu haben“, sagt Goldschmidt. Vor anderthalb Jahren wurde Daphna Goldschmidt zur Vorsitzenden von Hapoel Katamon Jerusalem gewählt. Als erste Frau führt sie einen Profiverein in Israel. „Das öffnet vielleicht auch anderen Frauen die Tür, die vielleicht gar nicht glauben, dass ein solcher Weg möglich ist.“

Hapoel Katamon hat sich in den vergangenen Jahren aus der fünften in die zweite Männerliga vorgearbeitet, aber Goldschmidt beschreibt lieber die sozialen Projekte: Sprachkurse für Einwanderer, Turniere für jüdische und muslimische Jugendliche. Goldschmidt hat es dabei nicht immer leicht, zum Beispiel bei Treffen mit Funktionären anderer Vereine. „Es ist immer noch seltsam, in einem Konferenzraum die einzige Frau zu sein“, erzählt sie. „Manchmal sagt mir jemand, ich hätte diese oder jene Entscheidung nur getroffen, weil ich eine Frau bin. Dann entgegne ich: Haben Sie ein Argument, das relevanter ist?“ Eine Antwort erhält sie darauf dann nicht mehr.

Kaum Trainerinnen in der Frauen-Bundesliga

Und wie sieht es an den Seitenlinien aus? Im deutschen Männerfußball hatten zuletzt zwei Trainerinnen für Schlagzeilen gesorgt: Imke Wübbenhorst übernahm 2018  vorübergehend den Fünftligisten BV Cloppenburg, die ehemalige Nationalspielerin Inka Grings den Viertligisten SV Straelen. Beide Beispiele täuschen darüber hinweg, dass Frauen im Trainingswesen eine Nebenrolle spielen. Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich vor wenigen Wochen wurden neun der 24 Teams von einer Frau trainiert.

Deutlicher wird der Unterschied in Deutschland: In der Frauen-Bundesliga wurden zuletzt zwei der zwölf Teams von einer Frau trainiert. Eine von ihnen: Carmen Roth beim SV Werder Bremen. Der Verein wollte ihren Vertrag früh verlängern, doch Roth lehnte nach langem Bedenken ab. Sie kehrt zurück nach München, nimmt dort ihren unbefristeten Job bei einer Versicherung wieder auf. Ihr Arbeitgeber hatte sie für den Fußball zwei Jahre lang freigestellt. „Ich bin ein Sicherheitsmensch“, sagt Carmen Roth. „Man verdient zwar auch im Frauenfußball inzwischen ganz gut, aber man ist nicht dauerhaft abgesichert. Ich möchte nicht mit fünfzig dastehen und keinen Job zu haben.“

Carmen Roth hat fast 150 Bundesligapartien bestritten, die meisten für den FC Bayern. Schon als Spielerin arbeitete sie bei der Versicherung. Sie hatte den Wunsch, Bundesliga-Trainerin zu werden. Dafür benötigte sie drei Lizenzen: C, B und A. Carmen Roth nahm für die mehrwöchigen Kurse jeweils ihren Jahresurlaub. Ehemaligen Nationalspielerinnen wird der Einstieg ins Trainingswesen hingegen erleichtert, sie können den Grundlagenkurs überspringen. Carmen Roth plädiert dafür, dass auch ehemaligen Bundesliga-Spielerinnen ohne Länderspielerfahrung der Einstieg ins Trainingswesen erleichtert werden solle: „Eine Spielerin, die dreißig oder vierzig Stunden pro Woche arbeiten geht, leistet mehr als eine Spielerin, die sich nur auf den Fußball konzentrieren kann.“

Eine Frau führt ein Männerteam in Hongkong zur Meisterschaft

Noch höher sind die Anforderungen bei der mehrmonatigen Ausbildung zum „Fußball-Lehrer“ beim DFB. In der Regel war unter den 25 Teilnehmenden pro Jahrgang höchstens eine Frau. Die Ursachen dafür liegen bereits an der Basis: In den vergangenen Jahren haben sich mehr Frauen um die C-Lizenz bemüht, die unterste Kategorie, meist für Kinder- und Jugendfußball. Eine Stufe höher, an der Schwelle zum Leistungssport, sinkt der weibliche Anteil enorm. Das liege nicht an der fehlenden Bereitschaft der Frauen, sagt die Berliner Trainerin und Aktivistin Johanna Small: „Man ist als Frau in diesen Kursen schnell in einer Sonderrolle. Wir merken, wenn man einen Kurs nur für Frauen gibt, dass da wesentlich größeres Interesse ist.“

Beim DFB werden auch die Nationalteams der Juniorinnen von Frauen trainiert. In anderen Ländern ist das noch lange keine Selbstverständlichkeit. Bei der WM vor vier Jahren in Kanada wurden acht der 24 Teams von Frauen trainiert. Nun in Frankreich waren es neun. Im professionellen Männerfußball lassen sich Trainerinnen an einer Hand abzählen. Corinne Diacre betreute in Frankreich den Zweitligisten Clermont Foot. 2017 übernahm sie das Frauen-Nationalteam.

Chan Yuen Ting führte das Herren-Team des Eastern SC in Hongkong zur Meisterschaft, Foto: Ronny Blaschke

Internationale Aufmerksamkeit zog Chan Yuen Ting in Hongkong auf sich. Als Trainerin führte sie das Männerteam des Eastern SC zur Meisterstadt des Stadtstaates, im Alter von 27 Jahren. Für die BBC gehörte Chan Yuen Ting 2016 zu den 100 einflussreichsten Frauen der Welt. „In der asiatischen Champions League haben wir viele Spiele hoch verloren“, erzählt sie. „Die Kritik in den Medien war enorm. Doch ich wollte meine Linie beibehalten. Dabei ist es wichtig, gegenüber den Spielern die richtige Balance zu finden. Ich diskutiere mit jedem. Aber es gibt auch feste Regeln.“

Chan Yuen Ting ist eine zierliche Frau, etwa 1,60 Meter groß. In ihrem Team wurde sie von vier Assistenztrainern unterstützt, es gab noch eine Frau, eine Physiotherapeutin. Die Hälfte der Spieler war älter als Chan Yuen Ting. Bei Auswärtsspielen in der Champions League wurde sie als Vorbild gefeiert. Doch nach zwei Jahren gab die studierte Sport- und Gesundheitsmanagerin ihren Posten auf. Sie wollte die höchste Lizenz im asiatischen Trainingswesen erwerben. „Meine Eltern wollten nicht, dass ich im Fußball arbeite“, sagt Chan Yuen Ting. „Wir haben uns oft gestritten, denn wenn ich etwas unbedingt will, kann ich ziemlich stur sein. Nach einigen Jahren haben sie gemerkt, dass ich mich durch Fußball weiter entwickeln kann. Inzwischen kommen sie öfter ins Stadion uns schauen unsere Spiele.“

„Bei den meisten Verbänden ist Frauenfußball nur ein Häkchen“

Durch welche Strukturen können solche Karrieren wahrscheinlicher werden? Die Fifa schreibt bei der U17-WM der Frauen pro Team mindestens eine Trainerin und eine Medizinerin vor. Die Uefa fördert Einstiegskurse in Osteuropa. Aber reicht das? Wie lässt sich schon im Breiten- oder Schulsport das Interesse von Mädchen für ein späteres Engagement im Fußball wecken? Seit ihrer Premiere 1991 ist die WM der Frauen gewachsen: Erst 12, dann 16 und nun zum zweiten Mal 24 Teams. Doch das Wachstum täuscht darüber hinweg, dass Frauenfußball in etlichen Regionen noch keine langfristige Basis hat: auf dem Balkan, in der arabischen Welt, in vielen Ländern Afrikas.

Khalida Popal hat etliche Verbesserungsvorschläge. Sie ist in Kabul aufgewachsen, liebt den Fußball seit ihrer Kindheit. Nach der Schule kickte sie mit ihren Brüdern und anderen Jungen auf der Straße. Doch in Afghanistan empfinden viele Menschen Fußballerinnen als Provokation. So musste Khalida Popal früh das Improvisieren lernen. „Viele Leute sagten, ich solle in der Küche arbeiten und nicht an Fußball denken. Die Jungs wollten nicht mehr mit mir spielen. Ich habe mich in anderen Schulen umgehört und vielen Mädchen ging es wie mir.“ 2004 suchten Khalida Popal und ihre Freundinnen ein Trainingsgelände. Sie wurden beschimpft, bedroht, mit Müll beworfen. Einen sicheren Platz erhielten sie auf einem Nato-Gelände. 2007 formten sie ein afghanisches Nationalteam, Khalida Popal wurde Kapitänin, später Teammanagerin. Dem ersten Länderspiel in Pakistan folgte ein Turnier in Bangladesch.

Khalida Popal gründete ein afghanisches Frauen-Nationalteam, Foto: Ronny Blaschke

Doch Khalida Popal und ihre Mitstreiterinnen waren weitgehend auf sich gestellt. „Es ist die grundsätzliche Denkweise im Fußball, die uns das Leben schwer macht“, sagt Popal. „Bei der Fifa und den meisten Verbänden ist Frauenfußball nur ein Häkchen, eine lästige Verpflichtung. Für uns waren die Funktionäre gar nicht erreichbar, wir mussten immer wieder nachhaken. Frauenfußball ist für viele Verbandsleute eine Durchgangsstation in ihrer Karriere. Wenn es nach mir ginge, würden wir unsere eigene Fifa haben, mit Leuten, die sich tatsächlich für Frauenfußball interessieren.“

Mit Fußball gegen kulturelle Barrieren

Caitlin Fisher setzt sich für die Gleichbehandlung weiblicher Profi-Spielerinnen ein, Foto: Ronny Blaschke

2011 spielten in Afghanistan 1.000 Frauen Fußball. Khalida Popal erhielt Morddrohungen. Sie floh nach Dänemark, unterstützte aus der Ferne das Nationalteam. Ihre Erfahrungen sind keine Seltenheit, das zeigt ein Bericht von FIFPro von 2017. Die Profivereinigung hatte weltweit 3.600 Spielerinnen befragt. Fast die Hälfte von ihnen erhält von ihren Klubs keinen Lohn. Unter Nationalspielerinnen erhält ein Drittel keine Prämien. Von denjenigen mit Einkommen berichten fast vierzig Prozent von verspäteten Zahlungen, schriftliche Verträge gibt es oft gar nicht. „Wir haben im Frauenfußball eine lange Geschichte der Ungerechtigkeit“, sagt Caitlin Fisher von FIFPro. „Das drückt sich in den Ländern unterschiedlich aus. Durch ungleiche Bezahlung, aber auch durch schlechte Spielfelder, eine veraltete Ausstattung oder fehlende Wettbewerbe. Manche Nationalteams müssen für ihre Auswärtsspiele tagelang im Bus sitzen.“ Vieles von dem führt dazu, dass neunzig Prozent der Befragten ein vorzeitiges Ende ihrer Laufbahn in Erwägung ziehen.

Die mehr als 200 Mitgliedsverbände der Fifa sind verpflichtet, auch den Frauenfußball zu fördern. Doch im Jahr 2013 beispielsweise haben nur 97 von ihren ein Frauen-Länderspiel ausgetragen. Die Fifa hat ihre Entwicklungsprogramme zuletzt erweitert. Bestimmte Förderungen sind an Nachwuchsturniere oder Trainingscamps von Mädchen und Frauen gebunden. So können Kontinental- und Nationalverbände jährlich mehrere Millionen Dollar zusätzlich erhalten. Die langjährige Trainerin Monika Staab ist aktuell in Gambia in Westafrika aktiv und sagt: „Es gibt zu wenig Programme, um das auch zu fördern. Oft hat man das Gefühl, das Fördergeld kommt nicht an den richtigen Stellen an. Erst letztes Jahr hat der afrikanische Kontinentalverband ein Frauen-Komitee erstellt. Das ist schade, denn das Potenzial für Frauenfußball in Afrika ist groß.“

Monika Staab bildet Trainer*innen aus, Foto: Ronny Blaschke

Monika Staab war in den vergangenen zwölf Jahren in vielen Ländern unterwegs, auch als Trainerin in Bahrain und Katar. 2018 wurde sie nach Gambia entsandt, vom Auswärtigen Amt und vom Deutschen Olympischen Sportbund. Von den zwei Millionen Einwohnern in Gambia sind 44 Prozent jünger als 14. Monika Staab bildet Trainer und Sportlehrer fort, knüpft Kontakte zwischen Fußballverband und Schulministerium. „Meine Aufgabe ist, den Mädchen das Selbstvertrauen zu vermitteln. Dass sie sich ein bisschen gegen das Klischees und die kulturellen Barrieren auflehnen. Und dass sie dieses Selbstvertrauen dann auch mit in die Schule oder ins Studium nehmen.“

Etliche NGOs übernehmen Aufgaben der Verbände

Unabhängige Expertinnen für Frauenfußball sind in Entwicklungsländern selten. Auch deshalb bleiben gefährliche Netzwerke unerkannt. Seit Anfang des Jahres wurden in mindestens fünf Ländern Vorwürfe gegen Trainer und Betreuer geäußert, wegen Belästigung und sexualisierter Gewalt. In Afghanistan soll der Verbandspräsident Keramuddin Karim Jugendspielerinnen vergewaltigt haben. Die Aktivistin Khalida Popal machte das ganze öffentlich. Weltweite Medienberichte folgten, schließlich wurde Keramuddin Karim von der Fifa lebenslang gesperrt. Khalida Popal sagt: „Viele der Nationalverbände in unterentwickelten Ländern werden wie die Mafia geführt. Wir wollten die Vergewaltigungen früher öffentlich machen, aber viele E-Mails gingen verloren. Die Funktionäre schützen sich wie eine Bruderschaft. Frauen aus Afghanistan wurde lange nicht gehört. Im Gegenteil: Sie mussten sich rechtfertigen, als wären sie Beschuldigte.“

Laut der Studie der Profivereinigung FIFPro haben 18 Prozent der befragten Spielerinnen Sexismus erlebt. 3,5 Prozent berichteten von gewaltsamen Übergriffen. Die großen Fußballverbände haben bislang wenig Stellung dazu bezogen. Vielleicht sind auch deshalb etliche NGOs für Frauen im Fußball entstanden. „Discover Football“, „Women win“ oder „Right to play“. Khalida Popal hat in Dänemark eine Initiative für geflüchtete Frauen gegründet. Ihr Titel: „Girl Power“.


Autor und Themenreihe

Ronny Blaschke beschäftigt sich als Journalist mit den gesellschaftlichen Hintergründen des Sports, u. a. für die Süddeutsche Zeitung, den Deutschlandfunk und die Deutsche Welle. Mit seinen Büchern stieß er wichtige Debatten an, zuletzt mit „Gesellschaftsspielchen“ zur sozialen Verantwortung des Fußballs.


Die ganze Themenreihe auf einen Blick

Frauen in Schaltzentralen des Fußballs: Allein unter Männern

Noch nie wurde im Fußball so intensiv über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskutiert wie in diesem Sommer während der Weltmeisterschaft in Frankreich. Jenseits der Lohnungleichheit sind in den… Weiterlesen

0 Kommentare

Fußball in Ägypten: Rebellische Ultras im Untergrund

Am 21. Juni beginnt in Ägypten der Afrika-Cup. In wohl keinem anderen Land ist der Fußball so politisch aufgeladen wie in Ägypten. Seit mehr als hundert Jahren nutzen Autokraten in… Weiterlesen

0 Kommentare

Fußball in Syrien: Werkzeug der Propaganda

Im Nahen Osten sind Fußball, Politik und Militär eng verknüpft. Zum Beispiel in Syrien: Diktator Assad möchte nach acht Jahren Krieg zum Alltag zurückkehren. Das Nationalteam kann ihm als Symbol… Weiterlesen

0 Kommentare

Der Fußball verdrängt nicht mehr

Über Jahrzehnte war der Fußball ein Symbol für die Ignoranz gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. Doch inzwischen haben Fans, Aktivisten und Historiker eine lebendige und kritische Erinnerungskultur rund um ihre… Weiterlesen

0 Kommentare

Nur die Fassade ist bunt – Migration und Fußball

Der Rücktritt von Mesut Özil aus dem deutschen Nationalteam war das Fußballthema des Jahres 2018. Die Diskussion über Rassismus und Identität wird noch lange nachwirken, aber einige Fragen gehen dabei… Weiterlesen

0 Kommentare

Mit Toren und Titeln für die Unabhängigkeit – Katalonien und das Baskenland

In kaum einem Land werden regionale Spannungen so emotional ausgetragen wie in Spanien. Auch der Fußball dient den Befürwortern der Abspaltung als Vernetzungshilfe, vor allem im Baskenland und in Katalonien.… Weiterlesen

2 comments

Gegen den Willen des Sultans – Fankultur in der Türkei

Im Zuge des Machtgewinns für Präsident Erdoğan sind gesellschaftliche Freiräume in der Türkei geschrumpft. Wie unter einem Brennglas wird das seit Jahren im Fußball deutlich. Politiker und Unternehmer nutzen den… Weiterlesen

0 Kommentare

Getarnter Hass – Israel, Antisemitismus und Fußball

Der Antisemitismus ist eine der ältesten Diskriminierungsformen im Fußball, doch in den vergangenen Jahren hat er sich gewandelt. Feindseligkeit gegenüber Juden wird zunehmend als brachiale Kritik an Israel geäußert. Wenn… Weiterlesen

0 Kommentare

Fansticker in der Waffenkammer – Ultrakultur in der Ukraine

Das Champions-League-Finale in Kiew verdeutlicht, wie sehr auch der Fußball unter dem Krieg in der Ost-Ukraine leidet. Viele Ultras sind ins Visier der prorussischen Separatisten geraten – aufgeben wollen sie… Weiterlesen

2 comments

Propaganda in kurzen Hosen

Die WM 1978 in Argentinien fand in einer Militärdiktatur statt, die 30.000 Leben kostete. Die Gleichgültigkeit von Verbänden wie dem DFB stärkte das Selbstbewusstsein des Folterregimes, doch die internationale Aufmerksamkeit… Weiterlesen

6 comments

Offensive im Verborgenen

In vielen Ländern ist die Zivilgesellschaft eine geachtete Partnerin des Rechtsstaates – in Russland gilt sie als Gegenbewegung. Seit Jahren werden dort Grundrechte von Organisationen eingeschränkt. Doch es gibt Gruppen,… Weiterlesen

3 comments

Spielwiese Menschenrechte

Vertreibung, Diskriminierung, unmenschliche Arbeitsbedingungen: Sportereignisse wie die WM in Russland gehen mit der Aushöhlung von Menschenrechten einher – und die Gleichgültigkeit der Profis lässt autoritäre Regime alltäglich erscheinen. Wie kann… Weiterlesen

0 Kommentare

Wir stellen vor: die Longread-Themenreihe bei 120minuten

Im Herbst 2017 konnten wir uns ein Grow-Stipendium des Netzwerk Recherche sichern. Neben der tatkräftigen Unterstützung durch Workshops und andere Angebote ist auch eine finanzielle Zuwendung Bestandteil des Stipendiums. Was… Weiterlesen

4 comments

Die Veröffentlichung dieses Beitrags wurde auch durch die Unterstützung des 120minuten-Lesekreises möglich. Stellvertretend für alle bedanken wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bei Ralf, einem Lesekreis-Mitglied. Du möchtest 120minuten ebenfalls aktiv unterstützen? Dann bitte hier entlang!

]]>
https://120minuten.github.io/frauen-in-schaltzentralen-des-fussballs-allein-unter-maennern/feed/ 0 6486
It’s A Different World: Frauen im Fußball https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/ https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/#comments Thu, 02 May 2019 08:00:18 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5915 Weiterlesen]]> Eigentlich sollte es längst selbstverständlich sein, dass Fußball nicht nur ein Männer-, sondern auch ein Frauensport ist. Sei es in Sachen Spieler*innen, Fans oder Funktionäre. Die Realität sieht oft leider anders aus. Wie also können Frauen im Fußball sichtbarer werden? Der Frage geht dieser Text aus dem „Zeitspiel“-Magazin nach.

„Das soll unser Fußball sein?“ „Nein! Setzt euch gegen Sexismus ein.“ Tolle Choreo in Freiburg. (Foto: Nordtribuene.org)

von Mara Pfeiffer, 120minuten.github.io | April 2019

Frauen im Fußball sind Spielerinnen, Fans, Journalistinnen, Trainerinnen, Verantwortliche und Funktionärinnen. Frauen im Fußball sind aktiv, begeistert, hetero, lesbisch, schwarz, weiß, divers. Frauen im Fußball interessieren sich für kickende Männer und Frauen. Frauen im Fußball sind Ultras und VIPs, stehen in den Kurven und auf dem Rasen. Frauen im Fußball fahren auswärts, trinken Bier und Apfelschorle. Frauen im Fußball lieben ihren Sport.

Wir haben dieselben Themen, wie Männer im Fußball. Doch viel zu oft werden wir auf einen Aspekt reduziert: Unser Frau-Sein. Darauf regen sich zwei Seelen, zumindest in meiner Brust. Auf der einen Seite habe ich keine Lust, mein Geschlecht zu thematisieren, weder, wenn ich als Fan in der Kurve stehe, noch, wenn ich als Journalistin über Fußball schreibe.

Da sich aus der Rolle als Frau in diesem von Männern dominierten Business aber nach wie vor auch ganz eigene Problemfelder ergeben – Stichworte Sexismus, sexualisierte Gewalt, Job-Diskriminierung – ist es notwendig, das Gespräch hierzu weiter zu führen. Mit dem Ziel, beim Fußball als Frau wie als Mann irgendwann nur über das zu reden, was auf dem Rasen passiert, statt darüber, welches Geschlecht Spieler*innen oder Protagonist*innen haben.

Netzwerk ist Trumpf

Eine, die das Thema „Frauen im Fußball“ seit Jahrzehnten umtreibt, ist Antje Hagel. Die 57-Jährige arbeitet im Offenbacher Fanprojekt und hat 1994 das Fanzine „Erwin“ mitgegründet. „Ich hatte immer den Wunsch, Frauen sichtbar zu machen“, erklärt Hagel. Das gelingt da am besten, wo diese Banden bilden und so gründeten Besucherinnen der Tagung „Abseitsfalle – Fußballfans, weiblich“ der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) 2004 direkt ein Netzwerk, um sich gegenseitig zu unterstützen, verzahnen und sichtbar zu machen: F_in – Netzwerk Frauen im Fußball. „Ich saß mit Nicole (Selmer stellv. Chefredakteurin ballesterer) auf dem Podium anlässlich der Ausstellung ‚Tatort Stadion‘ und dachte danach nur: Ich möchte die noch mal treffen, das war alles viel zu kurz“, erinnert Hagel sich lachend an die Anfänge. In der Mailingliste für den informellen Austausch lesen aktuell etwa 200 Frauen, einmal im Jahr treffen die F_ins sich zum persönlichen Austausch.

„Die Treffen sind auch deshalb toll, weil immer neue Frauen dazu kommen.“ Darunter viele Ultras, aber auch Journalistinnen oder Wissenschaftlerinnen. Um die Berührungsängste mit Veranstaltungsorten gering zu halten, gehen die Frauen gern an solche, die keine klassischen Fußballzentren sind – in diesem Sommer findet das Treffen in Jena statt. Männer sind dabei nicht willkommen. „Darüber haben wir viel gesprochen und es geht definitiv nicht um eine Ausgrenzung, sondern den Schutzraum für die Teilnehmerinnen.“

Allen Frauen gemein sind „Erfahrungen in von Männern dominierten Feldern. Wir sind alle besonders, in einem ganz positiven Sinne“, beschreibt Hagel die geteilte Rolle. Über diese persönlichen Erlebnisse wird gesprochen, andere Erfahrungen werden gemeinsam gemacht, sei es durch neue Erkenntnisse bei Vorträgen oder in Workshops, „bei denen einige Frauen zum Beispiel das erste Mal eine Sprühdose in die Hand nehmen.“ Auch eine Wattwanderung haben die F_ins schon hinter sich, was zunächst ungewöhnlich klingen mag, aber „sehr nah, besonders und persönlich war.“ Erlaubt ist ohnehin alles, gewünscht, was verbindet und die Frauen im Miteinander stärkt, bevor sie in ihre jeweiligen Strukturen zurückkehren.

Module gegen Sexismus

Zur Stärkung der Frauen auch in der Kurve gehört es, Probleme, die sie dort erleben, sichtbar zu machen. Mit der Fanorganisation Unsere Kurve und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte hat F_in im letzten Sommer eine Online-Umfrage „Zum Umgang mit Sexismus, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Kontext Fußball“ unter dessen Akteuren initiiert, deren erste Ergebnisse jetzt vorliegen. Zu den Anforderungen, die sich daraus ergeben, gehören klare Ansprechpartner*innen und Vernetzung auf lokaler Ebene ebenso wie ein positives Engagement der Verbände und Möglichkeiten der Weiterbildung. Eine selbst formulierte Aufgabe der ehrenamtlich in F_in organisierten Frauen ist deshalb derzeit, Module gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Stadion zu entwickeln, die dann beispielsweise bei Workshops in den Verein an deren Mitarbeiter*innen weitergegeben werden können.

Frauen sprechen Fußball

Banden zu bilden ist nicht nur da wichtig, wo es auf den ersten Blick offensichtlich scheint, also rund um den Fußball der Männer. Im Bereich Frauenfußball spielen Sichtbarmachung und Vernetzung ebenfalls eine wichtige Rolle, nicht nur, aber auch für Frauen aus Ländern, in denen Gleichberechtigung generell ein noch schwierigeres Thema ist als in Deutschland. „Fußball als Empowerment-Strategie“, unter diesem Motto steht Discover Football. Das Projekt will Fußball für Begegnungen zwischen Frauen nutzen, die sich sonst nie getroffen hätten. Alle zwei Jahre veranstalten die Macher*innen ein Festival.

„Wir laden um die 100 Frauen ein, die teilweise noch nie gereist sind, kein Englisch können“, erzählt Sonja Klümper. Seit 2010 ist die Diplompädagogin mit einem Bachelor in Sozial- und Politikwissenschaften bei Discover Football, seit 2011 Projektkoordinatorin. Eine besondere Herausforderung ist die Finanzierung über Projektmittel, die Planungssicherheit selten über ein halbes Jahr gewährleistet. „Es ist schon irgendwo prekär, das so zu machen, andererseits sind wir sehr stolz darauf, was wir auf diese Art bisher schon geschafft haben.“

Plattform zur Begegnung

Mit dem diesjährigen Fußballturnier, das wie immer von einem breiten Kulturprogramm flankiert wird, feiern Projekt und Festival zehnjähriges Bestehen, Ende des Jahres soll aus diesem Anlass auch eine Ausstellung über die Entwicklung im Frauenfußball eröffnen. „In unserer Arbeit erleben wir, es sind strukturelle Probleme, die Frauen mit Diskriminierung beim Fußball und in der Gesellschaft haben.“ Im Netzwerk vereint spüren die Spielerinnen, sie sind nicht alleine mit ihren Problemen. „Wir wollen nicht irgendwo hingehen und dort klassische Entwicklungsarbeit machen, das ist gar nicht unser Thema“ betont Klümper.

Anliegen der Projektmitarbeiter*innen ist es, eine Plattform zur Begegnung zu bilden und die Frauen bei ihren Besuchen in ihren Themen zu stärken. „Wer in bestimmen Ländern in den Fußball geht, ist schon stark und entscheidungswillig, die Einladung zum Festival verändert aber oft positiv, wie die Frauen anschließend zuhause wahrgenommen werden.“ Geht es um Sichtbarmachung, ist ein Anliegen von Discover Football, Stereotype in der Darstellung von Frauen aufzubrechen. „Wir wollen Geschichten über sie erzählen, die auf den ersten Blick so nicht zu erwarten sind und die ohne diesen Austausch untergehen würden.“

Neuer Podcast: FRÜF – Frauen reden über Fußball

„In FRÜF steckt, was der Name verspricht: Frauen reden über Fußball. Hinter FRÜF steckt ein stetig wachsendes Podcast-Kollektiv von Frauen, für die Fußball mehr ist als nur eine Sportart. Wir sind Fans, Journalistinnen, Spielerinnen – und manche von uns sogar alles davon. Wir sind diskussionsfreudig, aber solidarisch. Uns interessieren fußballerische Trends, der Diskurs über 50+1 oder die gesellschaftliche Relevanz von Antirassismus-Kampagnen des DFB genauso wie die Unterschiede im Umgang mit Frauen- und Männerfußball, die weibliche Fußballsozialisation oder der Umgang mit Sexismus im Stadion. Über solche Fragen sprechen wir in wechselnder Besetzung in unserer monatlichen Sendung.

FRÜF ist keine Sportschau in rosa und keine Analyse von Spielerfrauen-Instagram-Profilen – bei FRÜF geht es um Fußball. Punkt. Wir geben dabei weiblichen Perspektiven und Stimmen eine Plattform, die in anderen Sendungen einfach viel zu selten auftauchen – weil wir es können. Denn wir sind viele.“ Kristell Gnahm & Rebecca Görmann

Weibliche Fans als Inspiration

Die Geschichte(n) weiblicher Fankultur erzählt die Ausstellung Fan.Tastic Females – Football Her.Story, die erstmals im September 2018 in Hamburg gezeigt wurde und seit Oktober auf Tour ist. Unter der Federführung von Football Supporters Europe (FSE), die auch Träger der Ausstellung sind, haben rund 70 Ehrenamtliche aus Europa und der Türkei (Frei-)Zeit, Arbeit und Herzblut investiert, um weibliche Fankultur jenseits der gängigen Stereotype zu zeigen. Die Ausstellung vereint 80 Videos von Frauen aus 21 Ländern, für die Teams von Freiwilligen monatelang durch Europa reisten, um Interviews zu führen. Dabei haben die Macher*innen auf die Bedürfnisse der Fans behutsam Rücksicht genommen, wenn diese beispielsweise ihr Gesicht nicht zeigen oder auch anonym bleiben wollten, was in manchen Ländern schon aus Selbstschutz notwendig ist, oder aber dem Schutz der Fangruppe dienen kann.

„Ohne eine stabile Vertrauensbasis, die über Jahre erarbeitet wurde, wäre das Projekt nicht möglich gewesen“, erklärt Sue Rudolph aus dem Orga-Team. So gelingt es, die ganze Vielfalt weiblicher Fans zu zeigen: Kutten bis Ultras, Frauen in Führungspositionen oder nationalen Netzwerken. Damit kann das Anliegen der Macher*innen gelingen, „Vorbilder zu schaffen, die vielleicht sogar andere Frauen inspirieren, sich ihren Platz auf der Tribüne zu erobern.“

Höhepunkte hinterm Bus

Wie aber geht Frau selbst mit der ihr zugewiesenen Rolle in der Männerdomäne Fußball um beziehungsweise wie bricht sie diese idealerweise auf? Für mich ist dabei immer wichtig, zu betonen: Die meisten Erfahrungen, die ich als weiblicher Fan im Stadion und als Journalistin im Fußball gemacht habe, sind positiv. Ersteres ist auch deswegen bedeutsam, weil Fans in einigen Medien als unzivilisierte, pöbelnde Rowdys verunglimpft werden, die eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen. Allerdings werden negative Erfahrungen zum einen nicht weniger prägend, wenn sie vereinzelt auftreten. Zum anderen spüre ich durchaus, im beruflichen Umfeld nehmen diese zu, je intensiver ich mich dem Fußball widme.

Mein erster Heimbereich war der Q-Block des FSV Mainz 05 und dort habe ich in zig Jahren im Gewimmel niemals auch nur eine negative Erfahrung gemacht. Dumme und übergriffige Sprüche gab es nur von Gästefans oder eben auswärts. Aus Gesprächen weiß ich, dass viele Frauen diese Erfahrung machen. Offenbar hält die gemeinsame Leidenschaft für ein Team Männer eher davon ab, die Frauen im eigenen Block zu belästigen, wobei ich das nicht mit Zahlen belegen kann, sondern nur qua Erfahrungsaustausch. So erklärte mir einmal ein FCK-Fan nach dem Sieg seiner Mannschaft in Mainz mit Alkoholfahne, er werde jetzt hinter dem Bus seiner Reisetruppe dafür sorgen, dass mein Tag nicht ohne Höhepunkt ende.

Brüste für Einsfuffzig

Anfang der 2010er Jahre gab es in Mainz noch das wunderbare Fanzine „TORToUR“, das an Spieltagen auch verkaufend unter die Menschen gebracht werden musste. In einer Ausgabe habe ich von meinen Erfahrungen als Verkäuferin berichtet, das liest sich unter anderem so:

„Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass eine Gruppe junger Männer mich an ihren Tisch winkte. Die Drei bestellten ein Heft, ich händigte es ihnen aus, kramte nach Wechselgeld und wollte mich verabschieden, als einer von ihnen um eine weitere TORToUR bat. Gerne händigte ich ihm sein zweites Heft aus, da erreichte bereits die Bitte um eine weitere Ausgabe mein Ohr. Bei aller Begeisterung musste ich doch stutzen: ‚Ihr interessiert euch wohl sehr für die Heimfans?‘ Worauf der eifrige Käufer erklärte: „Nee, gar nicht. Aber das Heft kostet ja nur Einsfuffzig, und wenn du dich vorbeugst, um es uns zu geben, kann ich dir in den Ausschnitt gucken.‘“

Inzwischen habe ich die derbsten Sprüche eindeutig als Journalistin zu hören bekommen. Los geht das mit Situationen, die ich in der Summe fast als Kleinigkeiten abtue, wie den Kollegen, der mir bei meinem Besuch im TV-Studio erklärte, es sei toll, „Mal etwas Blondes, Weibliches auf dem Sofa“ zu haben. Er tat dies erst, nachdem alle anderen den Raum verlassen hatten, wohl, weil er es eigentlich besser weiß, sich den Spruch aber nicht verkneifen wollte. So wie der Kollege, der befand, im Anschluss an ein gemeinsames Projekt hätten sich für mich mehr neue Kontakte ergeben als für ihn. Er erklärte, das liege daran, dass ich „Brüste habe und die auch zeige“ – seine charmante Art kann natürlich unmöglich der Grund gewesen sein.

Gekommen, um zu bleiben

Als Journalistin war ich von Anfang an transparent mit meiner 05-Vereinsliebe und schreibe einige Formate auch bewusst mit dem Kurven-Ansatz. Das nutzen vereinzelte Kollegen, um eine künstliche Angriffsfläche zu schaffen. „Fangirl mit Kugelschreiber“ ist da eine versuchte Beleidigung, über die ich angesichts der zahlreichen Sportjournalist*innen, die sich „ihrem“ Verein klar zuordnen lassen, ohne das offen zu thematisieren, nur lachen kann.

Gar nicht lustig sind Angriffe von Lesern, die sich statt mit den Inhalten meiner Artikel nur mit meinem Geschlecht befassen. Wenn Texte mit der Mutmaßung kommentiert werden, mir sei „beim Schreiben die Milch eingeschossen“ oder mir mitgeteilt wird, ich kritisiere den Trainer bloß deswegen nicht, weil ich ihn „ganz offensichtlich ficke“, kann ich daran nichts Witziges finden und es beschäftigt mich auch nach vielen Jahren in diesem Job.

Fest steht aber auch, Rückzug ist keine Option. Ich liebe das, was ich tue, so wie viele meiner Kolleginnen, so wie die weiblichen Fans, Wissenschaftlerinnen, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, die Aktiven und Funktionärinnen. Wir sind, wie die Band „Wir sind Helden“ das vor Jahren so wunderbar textete und sang, „Gekommen um zu bleiben“ und lassen uns aus dem Fußball, der längst auch unsere Domäne ist, nicht vertreiben. Wir breiten uns aus, bilden Banden und schlagen Wurzeln. Wir mischen mit, suchen uns Räumen und erheben unsere Stimme. Wir sind „Frauen im Fußball“ und wir gehören genau hierher. Mit uns ist jeder Zeit zu rechnen.

_____________________

Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 14 des Zeitspiel-Magazins, das Heft mit dem Schwerpunkt “Die andere Hälfte – Frauen und Fußball” kann hier bezogen werden.

_____________________

Autorinneninfo: Mara Pfeiffer ist freiberufliche Journalistin und Autorin. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem 1. FSV Mainz 05, aktuell unter anderem als Kolumnistin für die Allgemeine Zeitung Mainz, im SWR Flutlicht oder als Expertin bei Amazon. Auch in Büchern hat die „Wortpiratin“ sich dem Verein schon gewidmet, zuletzt erschien ihr 05-Krimi „Im Schatten der Arena“.

]]>
https://120minuten.github.io/its-a-different-world-frauen-im-fussball/feed/ 2 5915
Episode 26: “Die andere Hälfte – Frauen und Fußball” mit Hardy Grüne https://120minuten.github.io/episode-26-die-andere-haelfte-frauen-und-fussball-mit-hardy-gruene/ https://120minuten.github.io/episode-26-die-andere-haelfte-frauen-und-fussball-mit-hardy-gruene/#respond Wed, 24 Apr 2019 18:04:07 +0000  

In Ausgabe 26 des 120minuten-Podcasts spricht Oliver Leiste aus der Redaktion mit Hardy Grüne vom “Zeitspiel”-Magazin und Redaktionskollegin Mara Pfeiffer über Frauen im Fußball. Anlass ist die neueste “Zeitspiel”-Ausgabe die sich genau mit diesem Thema beschäftigt.

Zunächst erklärt Hardy die Beweggründe für diese Themensetzung, die Ziele des Magazins und wie die Redaktion bei der Erstellung der Ausgabe vorgegangen ist. Anschließend berichtet Mara über ihre Erfahrungen als Fan und Journalistin im Männerfußball. Sie erzählt von vielen positiven Erfahrungen und krassen Ausfällen. Zudem erklärt sie, warum es wichtig ist, dass Frauen sich vernetzen und sich Schutzräume suchen.

In der Folge dreht sich die Diskussion um Veränderungen für und durch Frauen – bei Fans, Vereinen und Verbänden. Solche, die es schon gab. Und jene, die noch notwendig sind. Auch die Notwendigkeit einer DFB-Präsidentin wird thematisiert.

Den erwähnten Podcast “FRÜF – Frauen reden über Fußball” findet Ihr auf fruef.de.

femalekick.com heißt die Webseite, die Euch zum Podcast “Female Kick” führt.

Alles zu den “Fan.tastic females” findet Ihr auf fan-tastic-females.org.

Zu Beginn der Aufnahme hatten wir leider mit dem einen oder anderen Tonproblem zu kämpfen. Wir hoffen aber, dass die Folge trotzdem gut hörbar ist.

Wie immer freuen wir uns auf Euer Feedback und natürlich auch über eine angeregte Diskussion zum Thema auf Facebook oder Twitter.

Alle bisher erschienenen Folgen des 120minuten-Podcasts findet Ihr in unserer Episodenliste.

Um in Zukunft keine neue Folge zu verpassen, abonniere doch am besten unseren Podcast-Feed:

 

Und wo Ihr schon mal hier seid: Hört doch auch mal bei unserer neuen Podcast-Reihe “ballesterer in 120minuten” rein.

]]>
https://120minuten.github.io/episode-26-die-andere-haelfte-frauen-und-fussball-mit-hardy-gruene/feed/ 0 5908
Episode 22: “Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung” https://120minuten.github.io/episode-22-sportjournalistinnen-in-der-fussballberichterstattung/ https://120minuten.github.io/episode-22-sportjournalistinnen-in-der-fussballberichterstattung/#respond Mon, 21 Jan 2019 21:33:51 +0000  

In Ausgabe 22 des 120minuten-Podcasts spricht Oliver Leiste mit seinem Redaktionskollegen Alex Schnarr und der Soziologin und Bildungswissenschaftlerin Silke Kassebaum über das Thema “Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung”. Grundlage des Gesprächs ist Alex‘ Text mit dem Titel “Bildet Banden!”, der am 16. Januar 2019 auf 120minuten.github.io erschienen ist.

Die Runde steigt mit der Frage ein, ob und inwiefern es überhaupt ein Problem ist, wenn Frauen  Fußballspiele kommentieren bzw. darüber berichten und schreiben. Dann geht es um Mechanismen der Ungleichheit, um die Frage, was Frauen- möglicherweise von Männernetzwerken unterscheidet und um Quoten als einem möglichen Mittel, der Geschlechterungleichheit im Sportjournalismus zu begegnen. Darüber hinaus thematisiert die Diskussionsrunde die Wichtigkeit einer geschlechtergerechten Sprache, veränderte Perspektiven in einer heterogeneren Sportredaktion und die Frage, was man auch im Kleinen tun kann, um zu mehr Sichtbarkeit von Sportjournalistinnen in der Fußballberichterstattung beizutragen.

Wie immer freuen wir uns auf Euer Feedback zur aktuellen Folge und natürlich auch über eine angeregte Diskussion zum Thema auf Facebook, Twitter oder direkt unter dem Text.

Alle bisher erschienenen Folgen des 120minuten-Podcasts findet Ihr in unserer Episodenliste.

Um in Zukunft keine neue Folge zu verpassen, abonniere doch am besten unseren Podcast-Feed:

 

Und wo Ihr schon mal hier seid: Hört doch auch mal bei unserer neuen Podcast-Reihe “ballesterer in 120minuten” rein.

]]>
https://120minuten.github.io/episode-22-sportjournalistinnen-in-der-fussballberichterstattung/feed/ 0 5631