Historie – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 22 Aug 2018 09:07:10 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Vom Kaiserreich zur Kommerzialisierung: Deutschland und der moderne Fußball https://120minuten.github.io/vom-kaiserreich-zur-kommerzialisierung-deutschland-und-der-moderne-fussball/ Thu, 23 Aug 2018 06:58:44 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5228 Weiterlesen]]> „Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Hauptsächlich werden die Anfänge des Fußballs – 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland – untersucht

Der erste von zwei Teilen befasste sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England. Im nun folgenden zweiten Teil geht es um die Entwicklung des modernen Fußballs in Deutschland.

Von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de)

Fußball wird in Deutschland bekannt

Ein Spiel des Dresdner Fußball Clubs aus den Anfangstagen des Sports in Deutschland.

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gab es in England football, in Frankreich soule, in Italien calcio. In Deutschland, genauer gesagt dem damaligen deutschen Kaiserreich, gab es vor dem 19. Jahrhundert kein Fußballspiel. Es konnte also nicht auf schon bekannte Formen zurückgreifen, die in der Folgezeit reguliert wurden. Fußball war unbekannt. Und daher musste er erstmal Fuß fassen, um modernisiert werden zu können. Denn das Wort modern setzt ja voraus, dass es schon eine Vorform, eine antike Form zuvor gab.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und beide Fußballvarianten, Rugby und (Assoziations-)Fußball, nach Deutschland. Denn die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf die liebgewonnenen Sportarten verzichten, die auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterte. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen an Fußball und imitierten ihn. Das passiert vor allem in den so genannten Engländerkolonien in Deutschland. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, oder in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen. Auch in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt sind hier Beispiele – und in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

Soziale Herkunft der Fußball-Liebhaber
In der Forschung wird noch über die soziale Basis der Fußball-Liebhaber diskutiert – waren es Angestellte oder doch Arbeiter, die in Deutschland das Fußballfieber entfachten? Oder waren es Arbeiter, die als verdeckte Bezahlung einen Bürojob erhielten und sind diese dann als Arbeiter oder Angestellte zu zählen? Eggers merkt an, dass die Quellenlage über die Mitgliederstruktur des DFB vor dem ersten Weltkrieg sehr dürftig ist und viele Fußballspieler noch in den 1920er Jahren als Pseudobezahlung eine scheinbare Angestelltenstellung erhielten, aber aus dem Arbeitermilieu stammten. Als Belege nennt er Clubs im Ruhrgebiet und die Mannschaft von Bayern München 1925, deren Spieler vor allem aus dem Arbeitermilieu stammten und die mit Schein-Arbeitsplätzen und der dazu entsprechenden Bezahlung geködert wurden.

Engländer in Deutschland und Konrad Koch

Es waren aber nicht nur die in Deutschland lebenden Engländer, die den Fußball in Deutschland bekannt machten, sondern auch Konrad Koch, der Thomas Arnolds Ideologie und Leben profund während seines Studiums erforscht hatte. Koch muss von Arnold begeistert gewesen sein, denn er kopierte ihn und führte als Lehrer das Fußballspiel 1874 am Martino-Katharineum in Braunschweig ein, um die Jugendlichen fit zu machen und um die Basis für eine athletische Elite zu legen. Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren. Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie es in England damals gerade passierte. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über. Als die erste Assoziationsfußballmannschaft in Deutschland gilt der Lüneburg College Football Club, bei dem den Namen der Spieler nach auch aus Deutschland stammende Schüler spielten. 

Vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-20. Wer mehr zu Konrad Koch wissen möchte, sei Malte Oberschelps 2015 erschienene Biografie über Koch sehr empfohlen.

Denn in Deutschland war das Turnen die Körperertüchtigung Nummer Eins. Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt geworden, war das Turnen eng mit studentischen Verbindungen und dem Einheits- und Nationalgedanken verbunden. Die aus England kommenden Sportarten wie Rugby oder Assoziationsfußball, Tennis oder Cricket wurden argwöhnisch beobachtet, weil sie eben aus England stammten und nicht deutschen Ursprungs, also nicht Teil der deutschen Kultur waren. Dazu kamen die Übersetzungsschwierigkeiten des englischen Begriffs sports, der letztendlich einfach in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Auch Fachbegriffe wie offside, hand, to center oder goal wurden zunächst übernommen.

Die Spielbewegung und der Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen

Im November 1882 erließ der preußische Kultusminister, Gustav von Goßler, den nach ihm benannten Spielerlass. Er ermunterte darin die preußischen Kommunen, Spielplätze zu bauen und Turnen (später auch Bewegungsspiele/Sport) als regelmäßigen Teil des Unterrichts zu integrieren. Gleichzeitig sollten schulfreie Spielenachmittage etabliert werden.

Gustav von Gossler

Neun Jahre später, am 21. Mai 1891, gründeten von Goßler und der preußische Abgeordnete Emil Freiherr von Schenckendorff den Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen (ab 1897 Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugendspielen), kurz ZA. Der ZA war dabei kein Zusammenschluss von Fußball-Liebhabern verschiedener sozialer Herkunft, sondern bestand vor allem aus Mitgliedern der Nationalliberalen Partei und dessen Alldeutschen Verbandes (gemeinsame Ziele: Stärkung des deutschen Nationalbewusstsein, Pro-Imperialismus), somit vor allem Politikern, Beamten und Armee-Angehörigen. Ihr vorrangiges Ziel war aber nicht, den Sport politisch zu vereinnahmen, sondern vielmehr eine philanthropische, erzieherische, militärische und sozialdarwinistische Mischung, eine „gesunde“ Elite an sportlichen Deutschen und damit potentiellen Soldaten heranzuziehen. Daher versuchten die engagierten Persönlichkeiten, die Gräben zwischen Turnern und Sportlern aufzufüllen und zwischen ihnen zu vermitteln. Turnen und Sport (zeitgenössisch auch Bewegungsspiele genannt) sollten parallel existieren und sich ergänzen. Um diese Absicht zu erreichen, versuchte der ZA, die einzeln wirkenden Kräfte in Deutschland zu bündeln, um so das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen. Dazu gehörte der Zentralverein für Körperpflege in Volk und Schule, der Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen, das Komitee für die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen 1896 und später der 1911 gegründete Jungdeutschlandbund, in dessen Bundesleitung auch viele Mitglieder des ZA vertreten waren und der sich wie der ZA in der vormilitärische Ausbildung engagierte.

Wie versuchte man, die Ziele zu erreichen? Nun, durch einen intensiven Lobbyismus in Militärbehörden und Schul- und Stadtverwaltungen, Englandreisen, regelmäßige und verschiedene Zielgruppen ansprechende Veröffentlichungen und eine enorm große Werbetätigkeit. Die Geldmittel kamen aus dem preußischen Kultusministerium und anderen deutschen Landesregierungen.

Der ZA erreichte letztendlich seine Ziele der Verbreitung der Sportarten und die nationale Ausrichtung dieser.

Der Deutsche Fußballbund

Logo des Deutschen Fußballbundes von 1900

In den 1890er Jahren entstanden eine Reihe von neuen Vereinen und auch erste regionale Fußballverbände, zum Beispiel in Berlin (Bund Deutscher Fußballspieler 1890, Deutscher Fußball- und Cricketbund 1891). Doch während Vereine in England gewachsene Gemeinschaften waren, gab es in Deutschland eine hohe Fluktuation in den Vereinen und daher auch einen geringen Zusammenhalt der Spieler. Die Identifikation mit einem Club war also nicht gewachsen – das kam dem ZA ungelegen. Seine Versuche, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten zunächst an Unstimmigkeiten zwischen den Verbänden. Nach einigen Jahren der Vermittlung gab es Ende Januar 1900 in Leipzig einen neuen Versuch, einen deutschen Verband zu gründen. Nun stimmten 60 der 86 Vereine für die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Die Gründungsmitglieder waren sowohl regionale Verbände (Verband südwestdeutscher Fußballvereine, beide Berliner Verbände und der Hamburg-Altonaer Fußball-Bund) als auch einzelne Vereine aus Prag, Magdeburg, Dresden, Hannover, Leipzig, Braunschweig, München, Naumburg, Breslau, Chemnitz und Mittweida – also aus dem ganzen damaligen Deutschland. Der Spielausschuss des DFB erstellte in den kommenden Jahren einheitliche Statuten und Spielregeln nach englischem Vorbild (1906 herausgegeben) und es gab einen regelmäßigen Spielbetrieb um die Deutsche Meisterschaft (ab der Saison 1902/1903) und den Kronprinzenpokal (ab der Saison 1908/1909).

Im DFB entschied man sich für die nationale und gegen die kosmopolitische Ausrichtung. Denn so erhielten sie vor den Turnern den Vorzug, um die Exerzierplätze als Spielfeld benutzen zu dürfen. Als Wehrsport wurde der Stereotyp eines Fußballers mit soldatischen Idealen aufgeladen: Kampf und Opfermut bis zur letzten Minute, Pflichttreue und Treue zur eigenen Mannschaft sowie Charakterstärke und Idealismus. An diesem Ideal hat sich bis heute wenig geändert und es ist auch der Grund, weshalb in Deutschland die Legalisierung von entlohntem Fußball noch vehementer abgelehnt und stigmatisiert wurde als in England. Vieles ist in Deutschland wie in England verlaufen, nur etwa 50 Jahre später, aber nicht in diesem Punkt: Während Fußball in England modern wurde, als er legaler Profifußball wurde und viele Menschen direkt oder indirekt durch das Fußballspiel Erwerbsmöglichkeiten fanden, wurde Fußball in Deutschland durch das Militär und das soldatische Ideal, also durch das deutsche Amateurideal, modern. Das änderte sich auch nicht, als der Profifußball etwa 50 Jahre nach der Legalisierung in England auch in Deutschland legalisiert wurde. Das ist vielleicht ein Grund, weshalb in Deutschland das Begriffspaar moderner Fußball mittlerweile stark negativ konnotiert ist und die 50+1-Regelung nicht schon längst über den Haufen geworfen wurde. Es ist aber vielleicht auch der Grund dafür, dass häufig und des Geldes wegen wechselnde Spieler als Söldner(!) beschimpft werden, weil sie nicht bis zu ihrem letzten Atemzug ihrer Mannschaft treu blieben – bewusst sehr pathetisch formuliert.

Währenddessen stieg die Mitgliederzahl des DFB rapide an und versiebzehnfachte sich zwischen 1904 und 1913.

Wie schon gesagt, Goßlers Idee ging also auf, Fußball wurde Wehrsport. Schon vor 1910 spielte die Marine ihre eigene Fußballmeisterschaft aus, ab 1911 auch das Landesheer. Der DFB wurde wie der ZA Mitglied in staatlichen, militärisch geprägten Jugendorganisationen wie dem 1911 gegründeten Jungdeutschland.

Als Wehrsport musste sich Fußball nun aber endgültig von dem Vorwurf des undeutschen Sportes lösen und Sprachbarrieren  beseitigen. Daher gab es ab den 1890er Jahren immer wieder Artikel in Zeitungen, Pamphlete und auch Bücher, die die englischen Begriffe eindeutschten.

Moderner Fußball: Die Fußballbegeisterung wird Teil der deutschen Gesellschaft

Viele deutsche Soldaten lernten das Fußballspiel erst als Wehrsport während des ersten Weltkrieges kennen; liebten und lebten ihn. Die Spiele dienten hier, in dem reinen Stellungskrieg, vor allem zur psychischen Stabilisierung von Truppeneinheiten und zur Hebung deren Stimmung, fand aber auch durch seinen klassennivellierenden Charakter allgemeine Beliebtheit bei den nichtadeligen Milieus. Diese Begeisterung endete nicht mit dem Kriegsende – im Gegenteil. Manche spielten Fußball fortan in Vereinen und viele weitere wurden begeisterte Zuschauer. 1920 hatte der DFB die 500.000er Marke seiner Mitglieder geknackt. Jetzt begann der Fußball, auch in Deutschland ein Massenphänomen zu werden.

In dieser Zeit, in der Weimarer Republik, nahm Fußball eine Mittlerrolle zwischen der deutschen Bevölkerung und der Reichswehr ein. Dabei war die Grenze zwischen zivilem und Militärsport fließend. Das Wort Kampf wurde in den 1920er Jahren zu einem Schlüsselbegriff: Kampfspiele, Kampfbahn, Kampfgemeinschaft, usw. Der Fußball diente als vormilitärisches Feld, um trotz dem Verbot einer Armee, die kommende Generation an die Tugenden der Soldaten heranzuführen. Außerdem tarnten sich viele paramilitärische Vereinigungen als Sportclubs wie die Box- und Sportabteilung der NSDAP. Diese wurde aber schon verhältnismäßig früh, nämlich im November 1921, von Hitler in Sturmabteilung, SA, umbenannt.

Waren Sportarten wie Fußball nach Ende des ersten Weltkrieges ein gutes Ventil, um die psychische Belastung der Kriegsjahre zu kompensieren, bargen sie damit aber in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Gewaltpotenzial. Viele, die das Fußballspiel während des Krieges kennengelernt hatten, spielten einen derart unfairen Fußball oder benahmen sich als Zuschauer mit Platzstürmen und Gewaltandrohungen gegen Schiedsrichter und Gegner so rüde, dass Fußball zu Beginn der 1920er Jahre nicht nur breite Beliebtheit erfuhr, sondern gleichzeitig einen sehr schlechten Ruf erlangte. Der sehr angesehene Schiedsrichter Peter Joseph „Peco“ Bauwens legte 1925 wegen des Verhaltens der Spieler und Zuschauer in der Halbzeit des Spieles 1. FC Nürnberg gegen MTK Budapest schlicht sein Amt nieder.

Zu der Problematik von Fußball in der Weimarer Republik und Bauwens vgl. Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999. S. 306-339.

 

Dabei entwickelte sich der Fußball durch die zahlreichen Zuschauer zu einem veritablen Wirtschaftsgut. Diesen verlorenen Respekt versuchte der DFB abermals durch die Verknüpfung mit dem soldatischen Ehrbegriff wiederherzustellen – erfolgreich.

Die ersten Radioübertragungen

Unterstützung erfuhr der Fußball in Deutschland wie in England durch Journalismus, Getränke- und Bauindustrie, Wettbüros, Fotografie und Sportartikelhersteller. Auch Zigarren- und Zigarettenfabriken sowie Schnapsbrennereien profitierten von dem Sport, denn es war auf den Zuschauerrängen üblich, sich zwischendurch mit einem Schluck aus dem Flachmann oder einer Zigarre zu stärken. Neu und in diesem Fall ganz elementar war für Sportinteressierte das moderne Medium Radio, dessen Verkaufszahlen sich zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen. Es war für Sport und Medium eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC (Ende 1925)? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, um 1928 stark zurückzurudern: Um nicht die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Endspiel sowie drei Länderspiele vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem solche Spiele, bei denen eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten war.

Der DFB war kein Einzelfall. U.a. auch England und Schweden ließen die Übertragungen teils verbieten (Schweden) oder diskutierten über ein generelles Verbot (England).

Moderner Fußball: Profifußball wird (zum ersten Mal) legal

Mitte der 1920er Jahre kam es in Deutschland zu den ersten ernsten Anläufen, dass Fußballspieler ein bezahlter Beruf wird. Denn durch den Dawes-Plan (1925) und seine Unterstützungen begannen viele Städte, neue Stadien zu errichten, um mit Hilfe der Fußballbegeisterung die städtischen Kassen zu füllen. Um die Hypotheken schneller zurückzuzahlen und das Stadion auszulasten, musste man attraktive Spiele bieten und daher Fußballergrößen in die Vereine der Stadt locken. Außerdem war ab 1925 die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen wieder möglich. Der Ehrgeiz , eine besonders schlagkräftige Mannschaft nominieren zu können, war deshalb groß. Unter der Hand gezahlte Zuwendungen waren längst die Regel.

Der DFB blieb bei seinem soldatischen Ideal des Fußballers, den der ehrenvolle Verdienst leitete, nicht der finanzielle . Bei Zuwiderhandlung drohte die Disqualifikation aus Meisterschaft und Pokalwettbewerb. Dabei war der Wunsch vieler Vereine, wettbewerbsfähig zu anderen Ländern zu sein. Bereits 1925 hatte der DFB eine Satzungsänderung verabschiedet, die es deutschen Vereinen stark erschwerte, gegen ausländische Profimannschaften zu spielen. (Der Boykott wurde erst 1930 auf Druck der FIFA aufgehoben.)

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb weiterhin bei seinen Prinzipien. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten also nicht unter Tage arbeiten, erhielten dafür aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es noch 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbandes innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein. Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen. Aber der Profifußball wurde noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine blieb und zwei Jahre später fürchtete der DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass er wie ca. 50 Jahre zuvor Alcock in England den Fußballsport legalisiert, um ihn dann besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht. Daran hatten nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB wurde 1933 mit der Leitung des Fachamts Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte direkt die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs rückgängig.

Moderner Fußball: Profifußball wird (wieder) legal

1950, noch vor der Neugründung des DFB, beschloss die Delegiertenversammlung der Landesverbände, ein Vertragsspielerstatut zur Legalisierung des bezahlten Fußballs. Ein Spieler, der noch einem weiteren Beruf nachging, durfte dennoch nicht mehr als 320 DM monatlich erhalten, d.h. nicht mehr als den Lohn eines Facharbeiters. Aus dem Jahresgehalt errechnete sich die Ablösesumme. Zur der gehörte auch immer ein Gastspiel des neuen Vereines.

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Am Ziel der Träume? Fußball und der Nationalsozialismus

Der Fußball in Deutschland hat es in seinen Anfangsjahren nicht leicht. Gesellschaftliche Vorbehalte, Konkurrenz durch die traditionsreiche Turnerschaft, das unsägliche Geschacher um das Amateurgebot. Unter der Regie des machtbewussten DFB hat sich der Fußball dennoch zum Spiel der Massen entwickelt, wie ich in meinem ersten geschichtlichen Überblick für 120minuten aufgezeigt habe. Ideale Voraussetzungen für die Nationalsozialisten, das Spiel für seine Zwecke zu ge- und missbrauchen? Welche Rolle spielte der DFB dabei? Wie hat der deutsche Fußball auf die verordnete „Gleichschaltung“ reagiert? Und wie ging es in Sachen Profitum weiter?

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1954 wurde Deutschland überraschend Weltmeister. In den Folgejahren nahm die Bedeutung der Nationalmannschaft wegen fehlender Erfolge jedoch spürbar ab. Viele Spieler wechselten zu Vereinen ins Ausland, wo der Profifußball längst etabliert war und sie höhere Gehälter erhielten. Beispielsweise nach Italien, wo Helmut Haller (1962-1968 FC Bologna, 1968-1973 Juventus Turin), Karl-Heinz Schnellinger (1963-1964 AC Mantua, 1964-1965 AS Rom, 1965-1976 AC Mailand) oder auch Horst Szymaniak (1961-1963 CC Catania, 1963-1964 Inter Mailand, 1964-1965 FC Varese) spielten. Um dem Trend entgegenzuwirken, beschloss der DFB auf seinem Bundestag 1962 die Einführung einer Berufsspielerliga, der Bundesliga. Neben Amateurspielern und Vertragsspielern gab es nun auch Lizenzspieler, die ein dreimal so hohes Gehalt wie Vertragsspieler erhalten und einen Teil der Transfersumme kassieren konnte. Aber die Bestimmungen waren in den 1960er Jahren noch recht restriktiv, weshalb in der ersten Bundesligasaison nur 34 Spieler Fußball als Vollzeitberuf ausgeübt haben sollen. Sie brauchten einen guten Leumund, durften aber ihren Namen nicht für Werbezwecke zur Verfügung stellen und so weiteren Lohn erhalten und die Gesamtbezüge aus Lohn, Handgeld, Prämien und Ablösesummen durften nicht 1200 DM monatlich übersteigen.

Für den DFB lohnte sich die Einführung der Bundesliga: Die Nationalmannschaft hatte wieder Erfolg und da in den 1960er Jahren schon viele Haushalte über einen Fernseher verfügten, konnte sich der DFB durch Fernsehübertragungsgebühren, Werbeeinnahmen und Sponsorengelder finanzieren.

Für die Vertrags- und auch Lizenzspieler war das Fußballspiel innerhalb der vom DFB gesetzten Grenzen nicht rentabel und so verwundert es nicht, dass es in der Saison 1970/71 zu einem so großen Bestechungsskandal kam und der DFB abermals zum Umdenken gezwungen wurde. 1972 wurde der Markt geöffnet – seitdem steigen die Einkommen der Fußballprofis kontinuierlich. Die Liberalisierung der elektronischen Medien und das Bosmanurteil vom Dezember 1995 haben diesen Effekt noch einmal deutlich verstärkt.

Fazit: Moderner Fußball durch Eventisierung und Taktik

Doch wann hielt der moderne Fußball nun tatsächlich Einzug in Deutschland? Je nach Betrachtungsweise gibt es dafür drei Möglichkeiten:

  1. Macht man den modernen Fußball an der allgemeinen, nationalen Begeisterung fest, so war es der erste Weltkrieg.
  2. Verbindet man den modernen Fußball mit Profifußball und seinen Folgen, so waren es die 1960er und 1970er Jahren, da die erste Legalisierung 1932 nur wenige Monate Bestand hatte.
  3. Nimmt man den Begriff “moderner Fußball” dagegen als Ausgangspunkt, liegt der Beginn in den 1980er Jahren. Bis 1976 existierte dieser Begriff in der deutschsprachigen Literatur noch gar nicht. Seitdem gab es ein kurzes kleineres Maximum von 1987 bis 1988, das ab 2002 wieder erreicht wurde und mindestens bis 2008 übertroffen wurde.

Lag die erste Häufung des Begriffs Ende der 1980er Jahre an dem Wechsel von Trainer Arrigo Sacchi zum AC Milan und seiner dort etablierten Spielidee? Wurde dieses Ereignis in der deutschsprachigen Literatur tatsächlich so gewürdigt? Oder hat es eine andere Ursache? Darauf habe ich leider keine Antwort.

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Schlafende Zwerge https://120minuten.github.io/schlafende-zwerge/ https://120minuten.github.io/schlafende-zwerge/#respond Wed, 27 Sep 2017 07:04:55 +0000 https://120minuten.github.io/?p=3764 Weiterlesen]]> Warum der Fußball im Baltikum nicht auf die Beine kommt

In der Champions League oder der Euro League sucht man nach Mannschaften aus dem Baltikum vergebens. Im Teilnehmerfeld der großen Nationenturniere sind sie ebenfalls eigentlich nie zu finden. Doch auch in Litauen, Lettland und Estland selbst spielt “König Fußball” fast keine Rolle. Neben einer schlechten Infrastruktur gibt es dafür auch gesellschaftliche Ursachen.

Autor: Oliver Leiste (120minuten.github.io)

Jedes Jahr im Juli, wenn die großen Fußballnationen noch tief in der Sommerpause, oder wahlweise in der Endphase einer Weltmeisterschaft stecken, beginnen fernab der öffentlichen Wahrnehmung die Qualifikationsrunden für Champions League und Euro League. In Deutschland bekommt man von diesen Spielen nur etwas mit, wenn entweder die Glagow Rangers am luxemburgischen Meister Düdelingen scheitern oder RB Salzburg mal wieder frühzeitig die Segel streicht. Von Levadia Tallinn oder Zalgiris Vilnius hört man jedoch selbst dann nicht. Auch von keiner anderen Mannschaft aus Estland, Lettland oder Litauen. Und wenn Ende August die Gruppen ausgelost werden, ist die Europapokal-Saison in diesen Ländern schon längst wieder beendet.

Das gleiche Bild zeigt sich bei Welt- oder Europameisterschaften. Teilnehmer aus dem Baltikum: Fehlanzeige. Ein einziges Mal gelang Lettland die Qualifikation für eine EM. 2004 war das. Damals trotzten die Letten in Portugal dem Vizeweltmeister Deutschland sogar ein 0:0 ab. Was hierzulande das Ende von Rudi Völlers Amtszeit einläutete, wurde in Lettland frenetisch gefeiert. Von solchen Sternstunden sind die Mannschaften des Baltikums heute weit entfernt. Was mit Sicherheit auch dazu beiträgt, dass sich in den baltischen Staaten kaum jemand für Fußball interessiert, wie drei Besuche vor Ort zeigen

Nomme Kalju  – Levadia Tallinn, August 2015

An einem sonnigen Mittwochabend empfängt der Tabellenvierte der estnischen Meistriliiga, Nomme Kalju, am Stadtrand von Tallinn den Vorjahresmeister Levadia Tallinn. Ein Spitzenspiel, sollte man meinen. Das Interesse ist überschaubar. Gut 1.000 Zuschauer haben sich auf einem schicken Sportplatz eingefunden, der in Deutschland vielleicht einem Oberligisten als Heimat dienen könnte. Der “Gästeblock” – ein fünf Meter breiter Bereich auf der einzigen Tribüne – bleibt an diesem Tag leer. Die Gästefans verfolgen das Spiel lieber hinter dem Zaun in einem Waldstück stehend. Gerade mal eine handvoll Levadia-Anhänger hat die Reise, die aus dem Stadtzentrum vielleicht 20 Minuten dauert, auf sich genommen. Am Ende quälen sich beide Mannschaften zu einem müden 0:0

Auf den zweiten Blick war das Match aus Zuschauersicht aber sogar tatsächlich ein Spitzenspiel. Denn im Schnitt schauen die Spiele der Meistriliiga etwa 250 Menschen. Der Fußballblog “The Ball is round” erstellte vor einiger Zeit eine Liste der am schlechtesten besuchten Spitzenligen Europas. Estland gewann in dieser unrühmlichen Kategorie. Auch Lettland und Litauen belegten vordere Platzierungen.

Im August 2015 empfängt Nomme Kalju den FC Levadia Tallinn.

Litauen – Schottland, September 2017

Weiter geht es in Litauen. In der WM-Qualifikation empfängt die Nationalmannschaft Schottland. Dass hier ein Länderspiel stattfindet, merkt man eigentlich nur an den Gästen. Die Straßen und Kneipen der Hauptstadt Vilnius sind schon zwei Tage vor dem Spiel voll mit Schotten. Ankündigungen oder Werbung für das Spiel sucht man dagegen vergebens. Fragt man die Litauer nach ihrer Nationalmannschaft, erntet man nur Schulterzucken. “Das interessiert hier eigentlich keinen”, sagt einer. Deutlich mehr Begeisterung weckt die gleichzeitig stattfindende Basketball-EM. Im Basketball gehört Litauen zur europäischen Spitze, bei den Spielen sind die Kneipen voll. Die Nationalspieler sind auf Werbetafeln und selbst in den Kneipengesprächen omnipräsent.

Fanmarsch von litauischen Fans vor dem Spiel gegen Schottland.

Am Spieltag besteht die “Tartan Army”, so heißen die Schottland-Fans aufgrund ihrer Kilts, aus etwa 2.500 Männern und Frauen. Gemeinsam marschieren sie vom Rathaus zum nahen Stadion. Auch auf litauischer Seite gibt es einen Fanmarsch. An ihm beteiligen sich weniger als 100 Menschen. Mit etwas Rauch und viel Getöse machen sie auf sich aufmerksam. Es bleibt ein kurzer Moment, in dem der neutrale Beobachter sieht, dass Litauen am heutigen Spiel beteiligt ist.

Weil nur 5.000 Zuschauer ins LFF-Stadion passen, stehen sich beim Spiel zwei einigermaßen gleich große Fanlager gegenüber. Das kleine Häufchen Litauer, das auch den Fanmarsch veranstaltet hat, versucht, die eigene Mannschaft zu unterstützen. Nennenswerte Beteiligung der anderen litauischen Anhänger gibt es nicht – kein Vergleich zur schottischen Wand hinter dem einen Tor. Auch die Infrastruktur wirkt sich negativ auf die Stimmung aus. Tribünen gibt es nur auf drei Seiten. Hinter dem zweiten Tor ist eine weitere Spielfläche. Dort sind die Merchandise-Stände aufgebaut. Auf dem Rest der Fläche spielen Kinder, und sogar einige Erwachsene, selbst. Zur Entwicklung einer packenden Länderspielatmosphäre trägt das sicher nicht bei. Insgesamt wirkt die gesamte Veranstaltung wie ein sehr gut besuchtes Oberligaspiel und nicht wie ein Qualifikationsspiel für eine Weltmeisterschaft. Schottland hat schließlich wenig Mühe und setzt sich mit 3:0 durch.

Fanblock der litauischen Fans beim Länderspiel gegen Schottland.

Lettland – Schweiz, September 2017

Das gleiche Bild zeigt sich wenige Tage später in Riga. Hier erwartet Lettland die Schweiz. In der Altstadt findet man ebenfalls Werbung für die Basketball-EM und zahlreiche Schweizer. Fußballinteressierte Letten trifft man erst unmittelbar vor dem Skonto Stadion. Trotzdem bleiben im Stadion an diesem Tag viele Plätze leer. Gut 7.600 Zuschauer sehen die Partie, für die Stimmung sind fast ausschließlich die 1.500 bis 2.000 Schweizer zuständig. Was sicher auch daran liegt, dass die lettische Mannschaft wie eine Amateurtruppe wirkt und gegen die Schweizer Bundesliga-Auswahl von Beginn an chancenlos ist. Am Ende hält sich die lettische Niederlage mit 0:3 noch in Grenzen.

Dass es auch anders geht, zeigte sich exakt ein Jahr vor diesem Fußballspiel. Im September 2016 wurde die Olympiaqualifikation im Eishockey ausgetragen. Wenige hundert Meter vom Skonto Stadion entfernt standen sich in der Arena Riga Lettland und Deutschland im entscheidenden Spiel gegenüber. Die Euphorie der Letten war riesig, die Atmosphäre in der Halle gigantisch. Auch wenn Deutschland am Ende mit 3:2 gewann, verging den etwa 500 DEB-Fans phasenweise Hören und Sehen ob des Krachs, den 10.000 Letten veranstalteten.

Die Letten sind, genau wie Litauer und Esten, sehr stolz auf ihre kleinen Länder und entsprechend begeisterungsfähig, wenn ihre Landsleute sportliche Höchstleistungen vollbringen. Doch im Fußball sucht man diese Begeisterung vergebens. Aber woran liegt es, dass Fußball im Baltikum überhaupt keine Rolle spielt? Bei der Beantwortung dieser Frage kommen verschiedene historische, gesellschaftliche und strukturelle Aspekte zum Tragen.

Basketball als zweite Religion

Estland, Lettland und Litauen waren bis 1991 Teil der Sowjetunion. Spitzenfußball wurde aber woanders gespielt. In Moskau natürlich, in Leningrad – dem heutigen Sankt Petersburg – oder in Kiew. Aus den baltischen Staaten war lediglich Zalgiris Vilnius einigermaßen regelmäßig in der Wysschaja Liga, der obersten Spielklasse, vertreten. Zwischen 1953 und 1989 kamen die Litauer auf elf Spielzeiten in der ersten Liga. Mannschaften aus Riga und Tallinn spielten dagegen zuletzt Anfang der sechziger Jahre in der Wysschaja Liga. Die fehlende Fußballtradition wirkt bis heute nach.

Basketball sorgt in Litauen für große Begeisterung. Fußball eher nicht.

Hinzu kommt, dass es in anderen Sportarten wesentlich öfter Erfolge zu feiern gibt. Schon zu Sowjetzeiten stellten Litauer den Großteil der Basketballnationalmannschaft. Die Vergleiche zwischen Zalgiris Kaunas und ZSKA Moskau waren mehr als nur Spiele. Sie gehörten zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen das kleine baltische Land den großen Regenten in der Hauptstadt eins auswischen konnte und waren entsprechend prestigeträchtig. Seit der Unabhängigkeit gehört Litauen regelmäßig zu den Top-Teams im europäischen Basketball.

Das “Dream-Team” der USA ist wohl jedem Basketballfan ein Begriff. In Anlehnung an diese Super-Mannschaft erschien 2012 der Dokumentarfilm “The other Dream Team”. Er erzählt die Geschichte der litauischen Nationalmannschaft, die 1992 bei den Olympischen Spielen Bronze gewann. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Basketballmannschaft damit zum Symbol für Freiheit und die großen Hoffnungen des kleinen Landes.

Auch auf Vereinsebene sind die litauischen Mannschaften sehr erfolgreich. Kaunas kann in einer modernen Arena regelmäßig fünfstellige Zuschauerzahlen verzeichnen. Man spricht sogar von Basketball als zweiter Staatsreligion. Entsprechend träumen viele Kinder von einer Basketballkarriere. Das Nachwuchssystem ist deutlich besser aufgebaut als beim Fußball. Bis heute genießt der Sport einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft, weil er für Litauen die Chance bietet, der Welt zu zeigen, dass man in etwas gut ist. Und so als Projektionsfläche für den großen Nationalstolz dient.

Fußball, der Minderheitensport

Auch in Lettland ist Basketball sehr populär und gilt im Gegensatz zum Fußball als rein lettische Sportart. Im Eishockey hat Dinamo Riga in Lettland eine ähnliche Stellung wie Zalgiris Kaunas in Litauen. Schon zu Sowjetzeiten war Dinamo Riga sehr erfolgreich. Seit einigen Jahren spielt der Klub in der KHL, dem europäischen Pendant zur amerikanischen NHL. Spiele von Dinamo sind ein nationales Ereignis, vor allem, weil der Klub auch den Großteil der Nationalmannschaft stellt. Dem Vernehmen nach haben sich vor 1991 Basketballer und Eishockeyspieler in sehr unruhigen und gefährlichen Zeiten zur Unabhängigkeit Lettlands bekannt. Die Fußballer taten das nicht, was man ihnen bis heute übel nimmt.

Am Beispiel Lettlands zeigt sich ein weiteres Problem der russisch dominierten Fußballvergangenheit. Nach der Unabhängigkeit sollte Lettisch zur Amtssprache in der Nationalmannschaft werden. Das Problem: viele Spieler sprachen damals gar kein Lettisch. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Auch die meisten Trainer beherrschten die Sprache nicht. Seit 1991 war Russisch nur einmal nicht Amtssprache in der Nationalmannschaft – als zwischen 1999 und 2001 mit Gary Johnson ein Engländer Nationaltrainer war. Im Futbolgrad-Blog erklärt Ruben Martinez, woran das liegt. In Lettland gibt es eine sehr große russische Minderheit. Etwa 30 Prozent der Einwohner des kleinen Landes sind russischstämmig. Während viele Letten Eishockey oder Basketball bevorzugen, ist Fußball der Lieblingssport der russischen Bevölkerungsgruppe. Entsprechend ist Russisch auch bei einem großen Teil der Spieler in der Nationalmannschaft und auch in der Virsliga, der höchsten Spielklasse Lettlands, verbreitet.

Für die Akzeptanz des Sports in Lettland ist das ein Problem. Die Repressionen der Sowjetzeit sind tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Die nationale Identität Lettlands beruht im Wesentlichen auf diesen Erinnerungen und der Abgrenzung zu Russland. Der russisch dominierte Fußball taugt deshalb nicht als Identifikationsstifter und wird auch deswegen abgelehnt.

Im Fokus der Wettmafia

Ein weiterer Grund für die geringe Beliebtheit des Fußballs ist permanenter Wettbetrug. In Lettland wurden in den vergangenen Jahren drei Mannschaften aus der Virsliga ausgeschlossen. Sie hatten sich allzu offensichtlich an Spielmanipulationen beteiligt. Mehrere Verwarnungen und Gespräche brachten keine Verbesserung. In der Saison 2017 spielen deshalb nur noch sieben Mannschaften in der höchsten Liga Lettlands. Auch in den darunter folgenden Spielklassen mussten einige Vereine eliminiert werden. Der Deutsche Oliver Schlegl arbeitet als Spielerberater in Lettland. Knapp ein Jahr lang war er Geschäftsführer der Virsliga. Gemeinsam mit dem Autoren des Textes hat er die Länderspiele in Vilnius und Riga besucht. Davor und danach diskutierten beide sehr viel über den Fußball im Baltikum. Schlegl berichtet davon, dass er während seiner Zeit als Geschäftsführer fast wöchentlich Anrufe von Sportsradar, einem Schweizer Unternehmen, das den internationalen Wettmarkt überwacht, bekam. Immer wieder gab es Anzeichen, dass Spiele in Lettland verschoben werden sollten. Dabei ist es in Lettland seit wenigen Jahren sogar strafbar, sich an Spielmanipulationen zu beteiligen.

In den anderen baltischen Ländern sieht es nur unwesentlich besser aus. Estland hatte 2013 seinen letzten großen Wettskandal. Damals wurden elf Männer, darunter acht Fußballprofis, verhaftet, weil sie Spiele verschoben haben sollen. Darunter waren auch Qualifikationsspiele zur Euro League. 2014 veröffentlichte Transparency International eine Studie zu “Match fixing in Lithuania”. Befragt wurden Fußballer und Basketballer. 28 Prozent der Fußballer und 44 Prozent der Basketballspieler wussten, dass sich Mitspieler an solchen Aktivitäten beteiligt hatten. Viele waren schon selbst angesprochen worden. Auch in Litauen wurde 2017 ein Verein eliminiert.

Wettbetrug ist für die Spieler vor allem deshalb attraktiv, weil ihre Profigehälter meist sehr gering sind. Mit europäischen Spitzengehältern lassen sich die Summen nicht vergleichen, wohl eher mit der Regionalliga in Deutschland. Auch ist die Zahlungsmoral der Klubs bisweilen sehr schlecht, so dass die Spieler immer wieder sehr lange auf ihre Gehälter warten müssen. Mit ein paar verschobenen Spielen lässt sich oft ein vielfaches des eigentlichen Lohns verdienen.  

Fehlende Infrastruktur und fehlender Wille

Ins Skonto Stadion in Riga kann man vom angrenzenden Parkplatz hineinschauen.

In den Jahren nach der Unabhängigkeit gab es sicher wichtigere Probleme als den Aufbau professioneller Fußballstrukturen. Doch auch mehr als 25 Jahre nach der Loslösung von der Sowjetunion ist in den baltischen Staaten in Sachen Fußball noch nicht viel passiert. Oliver Schlegl ärgert sich darüber maßlos und führt zwei Beispiele an, die zeigen, dass es auch anders ginge. Island und Luxemburg haben es dem Fußball-Fachmann derzeit besonders angetan. Die Isländer haben vor etwa zehn Jahren in Fußballhallen investiert und damit ganzjährige Trainingsmöglichkeiten geschaffen. Auch die Trainerausbildung wurde verändert. Viele Isländer hospitierten in anderen europäischen Ländern. Die Folge: Die Dichte gut ausgebildeter Nachwuchstrainer ist so hoch wie nirgendwo sonst in Europa. Das Ergebnis konnte man in den vergangenen Qualifikationsrunden beobachten. Die WM 2014 verpasste Island noch knapp. Für die EM 2016 qualifizierten sich die Nordeuropäer dann sicher und schafften es sogar ins Viertelfinale. Dabei hat Island gerade mal 300.000 Einwohner. “Das ist ein Stadtteil von Riga”, bemerkt Schlegl.

Fußballzwerg Luxemburg machte zuletzt durch Achtungserfolge gegen Weißrussland und Frankreich auf sich aufmerksam. Hinter diesen Ergebnissen stecken nicht nur zwei gute Spiele, sondern eine langfristige Entwicklung. 2011 wurde der Deutsche Reinhold Breu zum technischen Direktor ernannt. Gemeinsam mit einem internationalen Team sollte er die Nachwuchsförderung im Großherzogtum reformieren. Bei diesem Vorhaben orientierte sich Breu an den Entwicklungen beim DFB in den frühen 2000ern. Im Nachwuchsbereich hat Luxemburg in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Das nächste Ziel ist es, diese in den Männerfußball zu übertragen.Vor einiger Zeit betrachtete das Online-Magazin “lessentiel” das Thema. Auch Ansgar Heck, einer von Breus Mitstreitern kam dabei zu Wort: “Jonas Hector ist in Deutschland aus der Oberliga in die Bundesliga gekommen. Solch ein vergleichbarer Fall ist in Luxemburg nicht möglich. Hier muss die Förderung fast ausschließlich über den Verband laufen”.

Eine Aussage, die sich gewiss auch auf die Nachwuchsentwicklung in den baltischen Staaten übertragen ließe. Doch in der Hinsicht passiert wenig. Gelder, die dem lettischen Verband von Fifa und Uefa für Talentförderung und Infrastruktur bereitgestellt werden – gut 7,5 Millionen Euro pro Jahr – versickern überwiegend in privaten Taschen, ist sich Oliver Schlegl sicher.  “Auch von dem Geld, dass eine Bank als Sponsor nach der EM 2004 zur Verfügung gestellt hat, ist nichts Sichtbares geblieben.” Deswegen hätte es von der Bank oder anderen größeren Sponsoren auch kein Interesse gegeben, sich nach Ablauf des Vertrags erneut zu engagieren.

Die Verantwortlichen in Lettland hätten sich viel zu lange auf dem Erfolg von 2004, der zudem noch auf der Ausbildung aus Sowjettagen beruhte,  ausgeruht, so Schlegl. Notwendige Veränderungen lassen seit Jahren auf sich warten. Die Trainings- und Spielbedingungen für die Vereine sind miserabel. Das Skonto Stadion ist das einzige Stadion im Land, das für internationale Spiele zugelassen ist. Fußballhallen gibt es kaum. In den langen Wintermonaten müssen sich teilweise drei Vereine gleichzeitig eine überdachte Spielfläche teilen. Theoretisch muss jeder Erstligaverein eine Jugendakademie betreiben. Doch zu Infrastruktur und Ausbildungsqualität gibt es keine Vorgaben. “Die Trainerausbildung ist eine Katastrophe” behauptet Schlegel. “Es gibt natürlich auch A- und B-Lizenzinhaber. Aber was man hier in diesen Lehrgängen lernt, ist nicht mit Deutschland vergleichbar. Das merkt man besonders am taktischen Können der Spieler.“ Einzige Ausnahme in Lettland ist der FK Metta aus Riga. Der Klub sieht sich als reiner Ausbildungsverein. Die erste Mannschaft ist nur Beiwerk, um dem Verein ein Gesicht zu geben. Schlegl glaubt, Metta ist die erfolgreichste Jugendakademie des gesamten Baltikums. In den lettischen Nachwuchs-Nationalmannschaften stellt Metta oft die meisten Spieler. “Auch wenn sie die 1. Mannschaft ziemlich vernachlässigen, ist das der Weg, den die Vereine hier gehen sollten”, glaubt Spielerberater Schlegl. Schließlich würden Spieler aus dem eigenen Nachwuchs für eine höhere Identifikation mit den Fans sorgen. Zudem könnten gut ausgebildete Fußballer Transfererlöse und damit die so dringend benötigten Einnahmen generieren. Zu guter Letzt würde auch die Nationalmannschaft profitieren, wenn es Letten schaffen, sich später bei guten internationalen Vereinen durchzusetzen.  “Doch leider” ergänzt Schlegl “macht sich darüber in Lettland kaum jemand Gedanken.”

Funktionärskrieg in Litauen

Aus Litauen hört man ähnliches. Auf der einen Seite gibt es Funktionäre, die vor allem aufgrund finanzieller Eigeninteressen Reformen blockieren. Verbandspräsident Edvinas Eimontas wollte dies nach seiner Wahl im Januar 2016 ändern. Doch den Kampf gegen die Gremien, die ihn ins Amt gehoben hatten, verlor er. Und damit auch seinen Posten.

Auf der anderen Seite wird die Nachwuchsentwicklung sträflich vernachlässigt. Zwar gibt es in Litauen Nachwuchstrainer. Viele von ihnen sind aber mittlerweile in die Jahre gekommen und nur die wenigsten nach modernen Standards ausgebildet. Junge Trainer sehen keine Perspektive im Fußball. Im Gegensatz zu den anderen baltischen Staaten, deren Ligen relativ ausgeglichen sind, dominiert Zalgiris Vilnius die A Lyga, die erste Liga Litauens, fast nach Belieben. Der fehlende Wettbewerb trägt auch nicht unbedingt zu großem Zuschauerinteresse bei.

Zwerge werden klein bleiben

Eine kleine aktive Szene unterstützt Nomme Kalju.

Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass die Ausgangsbedingungen für den Fußball im Baltikum nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht besonders gut waren. Das lag zum einen an fehlenden Strukturen, aber auch an der Beliebtheit anderer Sportarten wie Basketball oder Eishockey. Fehlende Erfolge und mangelndes Zuschauerinteresse stehen seitdem in einer Wechselbeziehung. Weil baltische Mannschaften international keine Rolle spielen, kommen kaum Zuschauer zu den Spielen. Aufgrund fehlender Atmosphäre im Stadion sind die Vereine und Nationalmannschaften jedoch uninteressant für größere Sponsoren. Deshalb fehlt es an Möglichkeiten, Infrastruktur aufzubauen und Trainer auszubilden. Diese wären jedoch die Grundlage für eine mittelfristige Entwicklung starker Nachwuchsmannschaften und im nächsten Schritt von international konkurrenzfähigen Spielern. Momentan scheint es in den baltischen Fußballverbänden niemanden zu geben, der die Beharrlichkeit hätte, entsprechende Strukturen über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu entwickeln. Korruption und Spielmanipulationen tun ihr Übriges zum schlechten Ansehen des Sports in Estland, Lettland und Litauen.

Auch in den Medien spielt der Fußball kaum eine Rolle. Spiele werden nur sporadisch übertragen, in den Zeitungen finden sich nur selten große Berichte. Es fehlt also nicht nur an Publikum, es gibt auch keinen öffentlichen Druck, der manchmal nötig ist, um Veränderungen anzustoßen.

In Deutschland spricht man von “schlafenden Riesen”, wenn Vereine auf eine glorreiche Vergangenheit zurückblicken, nun aber in den Niederungen des Amateurfußballs verschwunden sind. Oft heißt es dann, man müsste diese Riesen nur aufwecken, um sie zu alter Größe zu führen. Was aber nur in den seltensten Fällen wirklich gelingt. Die baltischen Fußballverbände sind in der Hinsicht eher schlafende Zwerge. Sie waren noch nie besonders groß und werden so wenig beachtet, als lägen sie tief schlafend im dunklen Wald. Oliver Schlegl ist überzeugt, dass neue Erfolge baltischer Mannschaften auch wieder eine Begeisterungswelle auslösen könnten. So wie in Lettland 2004. Momentan lässt sich jedoch nicht erkennen, dass sich am aktuellen Zustand mittelfristig etwas ändern wird. Es gibt ein paar private Initiativen, um dem Fußball im Baltikum auf die Beine zu helfen. Doch solange die alten Funktionäre weitreichende Veränderungen blockieren, werden die schlafenden Zwerge wohl liegen bleiben. Und solange wird Fußball im Baltikum auch niemanden interessieren.


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https://120minuten.github.io/schlafende-zwerge/feed/ 0 3764 Kurzrezension – Rückpässe – Fibel für Fußball-Romantiker https://120minuten.github.io/kurzrezension-rueckpaesse-fibel-fuer-fussball-romantiker/ https://120minuten.github.io/kurzrezension-rueckpaesse-fibel-fuer-fussball-romantiker/#respond Fri, 26 Feb 2016 07:12:48 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1941 Weiterlesen]]> In “Rückpässe – Fibel für Fußball-Romantiker” wirft Hajo Steinert, Kopf der Literaturredaktion des Deutschlandfunks, auf 168 Seiten einen Blick zurück auf die Geschichte des Fußballs und auf das, woraus sich dieser Sport, so wir ihn heute kennen, entwickelt hat.

978-3-8319-0621-5Die über 60 kurzen Texte, die jeweils mit einem Schlagwort überschrieben sind, widmen sich mal den Früh- bzw. Vorformen des Fußballs in Japan oder England, ein anderes Mal dem Fußball der Nachkriegszeit im Ruhrgebiet oder den Trikots von Torhütern. Ein bunter Strauß an Themen, deren einzige Gemeinsamkeit der Blick in die mal ferne mal nicht ganz so ferne Vergangenheit ist. Die einzelnen Texte sind kurzweilig und knackig und zur Lektüre zwischendurch geeignet.

An der Kürze kranken viele der Texte jedoch auch. Denn der Autor versucht sich fast immer an einem Rundumschlag und nicht an einer Detailbetrachtung. Auf 1½ Seiten den Bogen zubekommen, z.B. vom traditionellen japanischen Kemari zu den heute in der Bundesliga spielenden Japanern – schwierig. So erscheinen die Kausalketten und die geschilderte Abfolge der Ereignisse dann manches Mal so stark vereinfacht, dass beim Leser das Gefühl bleibt, zum Kern der Sache nicht vorgedrungen und stattdessen weit über das Ziel hinaus geschossen zu sein.

Auch die Einschätzungen des Autors sind in vielen Fällen nicht ganz nachvollziehbar, z.B. wenn er über Konrad Koch schreibt:

Derselbe Koch war es auch, der die bis heute verzwicketeste aller Regeln im Fußball, das Abseits, von der “Engländerei” übernahm und ins Regelbuch schrieb.

Diese Verallgemeinerung hört sich so an, als wäre Koch ursächlich dafür verantwortlich, dass noch heute die Abseitsregel gilt. Für die Regelauslegung eines Lehrers in Braunschweig wird sich die Fußballwelt aber wohl eher wenig interessiert haben.

Über solcherlei und Ähnliches stolpert man beim Lesen immer wieder und benötigt dann für die kurzen Texte länger als gedacht, weil man innehalten muss und sich fragt, was sich der Autor wohl bei seiner Formulierung gedacht hat. Manchmal sind die Erläuterungen des Autors auch einfach faktisch falsch, wenn z.B. die kurzen Hosen der Sechziger Jahre mit Ewald Lienen in Verbindung gebracht werden, der, Jahrgang ’53, bis 1974 beim eher unbekannten VfB Schloß Holte kickte.

Das mag ein Detail sein, aber wenn der Lesefluss immer wieder durch solche Ungereimtheiten unterbrochen wird – ärgerlich. Und wie viel mag der Leser dann noch von der Beschreibung einer Vorform des Fußballs im Mittelalter auf Grönland halten?

Die einzelnen Texte wollen zu viel in ihrer Kürze erzählen und lassen meist die Liebe zum Detail vermissen. Ein bisschen fühlen sie sich an wie vom Hörensagen unüberprüft niedergeschrieben. Ein Pluspunkt sind die Abschnitte, in denen der Autor lebhaft eigene Erinnerungen aus der Vergangenheit des Fußballs beschreibt. Da fühlt sich der Leser abgeholt und kann ein bisschen eintauchen in die Vergangenheit. Das passiert leider viel zu selten, um dem eigenen Anspruch einer Fibel für Fußball-Romantiker gerecht zu werden.

Rückpässe – Fibel für Fußballromantiker
erschienen bei Ellert & Richter, 168 Seiten, ISBN: 978-3-8319-0621-5, Preis: 14.95 EUR

Der Verlag hat uns ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.

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Fußball in Schottland – Von Kriegserklärungen und Pokalsensationen https://120minuten.github.io/fussball-in-schottland-von-kriegserklaerungen-und-pokalsensationen/ Tue, 09 Feb 2016 19:01:55 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1957 Weiterlesen]]> Der schottische Fußball ist weit mehr als das Old Firm. Julian Gieseke möchte in einer Reihe von Texten bei Cavanis Friseur UK auch mal andere Teams und ihre durchaus bewegte Geschichte ins Rampenlicht stellen. Den Anfang machen die Berwick Rangers. Wobei Berwick-upon-Tweed genaugenommen zu England und nicht zu Schottland gehört. Wieso der Verein dennoch eng mit dem schottischen Fußball verwachsen ist – Julian Gieseke verrät es. 

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Stürmer, Star, Rebell – Der Mythos Otto Siffling https://120minuten.github.io/stuermer-star-rebell-der-mythos-otto-siffling/ Sun, 10 Jan 2016 19:01:55 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1889 Weiterlesen]]> Bereits im Fußball der 1930er-Jahre gab es schillernde Stars. In diese Kategorie fällt auch Otto Siffling, einer der herausragenden Stürmer seiner Zeit. Dieses Porträt versucht seine Rolle und Rezeption im geschichtlichen Kontext einzuordnen. War er ein Rebell?   

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László Kubala, “Erbauer” des Camp Nou. https://120minuten.github.io/laszlo-kubala-erbauer-des-camp-nou/ Tue, 01 Dec 2015 19:01:51 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1836 Weiterlesen]]> Spielverlagerung ist die deutschsprachige Anlaufstelle für alle Fußballtaktik-Begeisterten. Dort erscheinen aber auch immer wieder Porträts von Fußballern und Trainern, die tiefe Einblicke in den Werdegang herausragender Fußball-Persönlichkeiten liefern. Im Dezember 2015 ließ es sich das SV-Team nicht nehmen, täglich ein Porträt zu veröffentlichen.

Im ersten Text dieser Reihe widmet sich Constantin Eckner László Kubala. Der Ungar war die prägende Figur des FC Barcelona der 50er-Jahre. Das Porträt verrät, wie er in Katalonien landete und warum er auch als “Erbauer” des Camp Nou bezeichnet wird.   

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Fußballtrainer Ernst Happel: Grantler, Lebemann, Genie https://120minuten.github.io/fussballtrainer-ernst-happel-grantler-lebemann-genie/ Thu, 12 Nov 2015 08:12:55 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1685 Weiterlesen]]> Ernst Happel ist eine Trainerlegende. Seine Spielphilosophie war der Zeit voraus. Sein Charakter nicht immer einfach. Tim Jürgens porträtiert den Mann, der den HSV zum Europapokalsieger der Landesmeister machte.  

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Sheffield – Tagebuch eines Spielers https://120minuten.github.io/sheffield-tagebuch-eines-spielers/ Sat, 31 Oct 2015 19:01:55 +0000 https://120minuten.github.io/?p=1672 Weiterlesen]]> Ein heruntergekommener Platz erwartet denjenigen, der sich nach Sheffield aufmacht und sich auf Spurensuche begibt. Nicht wenige sehen die Stadt in Nordengland als Wiege des modernen Fußballs. Ein deutscher Marketingmann hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Andenken aufrecht zu erhalten. 

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