Luxemburg – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Wed, 21 Aug 2019 08:53:13 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Flavio Becca und die Redbullisierung der Roten Teufel? https://120minuten.github.io/flavio-becca-und-die-redbullisierung-der-roten-teufel/ https://120minuten.github.io/flavio-becca-und-die-redbullisierung-der-roten-teufel/#comments Wed, 21 Aug 2019 07:00:47 +0000 https://120minuten.github.io/?p=6453 Weiterlesen]]> Der luxemburgische Bauunternehmer Flavio Becca hat durch sein Engagement beim Traditionsverein 1.FC Kaiserslautern dazu beigetragen, die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des FCK kurzfristig zu gewährleisten und damit den bundesweit bedeutenden und regional unersetzlichen Standort zu erhalten. Im Rahmen der Diskussion über das Engagement Beccas als Investor gab es viel Pro und Contra zum Einstieg eines externen Investors generell. Zudem gab es die Frage der Auswahl zwischen einer regionalen Investorengruppe auf der einen und des luxemburgischen Bauunternehmers auf der anderen Seite sowie die Nebengeräusche im Rahmen der Entscheidungsfindung. Kaum diskutiert wurde das Vereinsgeflecht, das Becca im internationalen Fußball unterstützt. Wenigen ist bekannt, wie die von ihm geförderten oder kontrollierten Vereine kooperieren. Dieser Artikel soll das „System Becca“, seine Auswirkungen auf Spielertransfers und mögliche Auswirkungen auf den FCK genauer unter die Lupe nehmen.

Thomas Hilmes / http://www.der-betze-brennt.de [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

von Matthias Busse | August 2019

Potenzielle Interessenskonflikte in der Kritik

Beggen, Stade Henri Durant, am 25.5.2019:

Im traditionsreichen Stadion des ehemaligen Landesmeisters Avenir Beggen findet vor knapp 2.000 Zuschauern das sogenannte Barragematch, das Relegationsspiel zwischen dem Drittletzten der luxemburgischen ersten Liga, US Hostert, und dem Dritten der zweiten Liga, Swift Hesperingen, statt. Entgegen sonstiger Gepflogenheiten ist der Zweitligist der Favorit. Hesperingen war bereits heißer Anwärter auf den direkten Aufstieg. Der Grund: der Mäzen des Landesmeisters F91 Düdelingen, Flavio Becca, hat 2018 begonnen, sein finanzielles Engagement stark zugunsten des Swift Hesperingen auszuweiten.

Ein solcher Schritt ist nicht ungewöhnlich im modernen Fußball. Brisant machte die Partie allerdings eine Personalie: Henri Bossi, 60, Erfolgstrainer der Grünwalder aus Hostert, wurde zuvor bereits als gemeinsamer Sportdirektor für F91 Düdelingen und Swift Hesperingen gehandelt, schrieb zumindest Fupa Luxemburg am Tag des Barragematches.

Ziel von Becca sei der Aufbau von Strukturen nach dem Vorbild Red Bulls, insbesondere im Hinblick auf Synergien zwischen den von ihm kontrollierten Vereinen. Die Meldung wurde vom F91 Düdelingen freilich in das Reich der Fabeln verwiesen. Gemeinsamer Sportdirektor für beide Standorte wurde Bossi schließlich auch nicht. Immerhin jedoch ist der 60-Jährige inzwischen verantwortlicher Trainer neben Teammanager Emilio Ferrera bei Luxemburgs Serienmeister. Jener Emilio Ferrera, der auch als Sportdirektor beim 1.FC Kaiserslautern gehandelt wurde, gegebenenfalls in Doppelfunktion mit seinem Engagement in Düdelingen.

Auch der unterschwellige Verdacht der Mauscheleien erwies sich als unbegründet. Mit einem 2:0 sicherte sich Hostert den Klassenerhalt. Das Problem zweier offen von Flavio Becca unterstützter Klubs in der Eliteklasse wurde damit mindestens ein weiteres Jahr aufgeschoben. Ob es in nächster Zeit tatsächlich zu einer Interessenkollision kommt, ist offen. Flavio Becca  kündigte unlängst an, sich aus dem Sponsoring in Düdelingen mittelfristig zurückzuziehen, da die Gemeinde seine Pläne für den Stadionaus- oder -neubau blockiert. Die Gemeinde Hesperingen gab hingegen grünes Licht zu seinen Stadionplänen.

Statuten begünstigen Beccas Unternehmenspraxis

Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Hesperingen nimmt 2019/20 einen neuen Erstliga-Anlauf und dürfte aufgrund der wohl beispiellosen Verpflichtung zahlreicher höherklassiger Spieler bei normalem Lauf der Dinge spätestens 2020 in die Belle Etage zurückkehren.

Dass in Luxemburg derartige Spekulationen aufkommen, sagt bereits vieles über die Turbulenzen und Machenschaften unter den Spitzenvereinen des Landes aus. Schon vor Beccas Engagement in Hesperingen, der Gemeinde, in der er als Sohn eines italienischen Vaters aufwuchs, führte das System Becca zu Spannungen unter den Vereinen der BGL-League:

Im vergangenen Sommer ließen die stärksten Konkurrenten Düdelingens, Fola Esch (trainiert von Ex-FCK-Trainer Jeff Strasser) und Progrès Niederkorn ihre Mitgliedschaft im Ligaverband LFL ruhen, um gegen angeblich unlautere Wettbewerbspraktiken Beccas zu protestieren. Stein des Anstoßes sollen informelle Absprachen des finanziell nicht mehr in der Spitzengruppe angesiedelten Rekordmeisters Jeunesse Esch mit Beccas Düdelingen gewesen sein. Esch lieh sich vor der Saison 2018/19 mehrere hochklassige, aber bei Düdelingen nicht mehr berücksichtigte Spieler wie die Torjäger Omar Er-Rafik und Antonio Luisi aus. Im Gegenzug – so die Behauptung – musste Jeunesse Esch Düdelingen versprechen, keine Spieler an die Düdelinger Kontrahenten Fola und Progrès zu verkaufen.

Düdelingens interessante Transferpolitik

Einen Nachweis für die Behauptung gibt es nicht. Dennoch ist die Transferpolitik Düdelingens für einen Verein dieser bescheidenen Größenordnung interessant. Aufgrund der vielen Leihspieler, die der Verein unterhält, ist teilweise vom „FC Chelsea Luxemburgs“ die Rede. Allein im Sommer 2019 kehrten 15 Leihspieler zum Düdelinger Lizenzspielerkader zurück. An Jeunesse Esch waren alleine sechs Spieler verliehen worden. Begünstigt wird dies durch die Statuten des luxemburgischen Vereinsfußballs, die den Gegebenheiten des zumindest semi professionellen Sports nicht angepasst sind und zu einem großen Teil EU-Recht widersprechen dürften.

Einige aktuelle Problempunkte:

  • Das Sommer-Transferfenster in Luxemburg schließt für innerluxemburgische Transfers zum 30.6., das Transferfernster für Transfers aus dem Ausland am 31.7., obgleich die Transferfenster sämtlicher anderer Ligen, mit denen man sich im europäischen Wettbewerb befindet, später schließen (Ende des UEFA-Transferfensters ist am 31.8.).
  • Im Winter-Transferfenster sind maximal zwei Transfers für den Ligakader erlaubt.
  • Die Vereine der BGL League dürfen nur 16 statt – wie international üblich – 18 Spieler in ihren Spieltagskader aufnehmen.
  • Ein Spieler darf binnen drei Jahren nach einem Transfer ins Ausland nur mit Zustimmung des letzten dem luxemburgischen Verband zugehörigen Vereins zurück nach Luxemburg wechseln. Beispiel:
    Ein Spieler wechselte 2017 von Düdelingen zum SV Elversberg. 2019 möchte ihn ein Verein aus Luxemburg verpflichten. Unabhängig vom Einvernehmen des aufnehmenden und abgebenden Vereines sowie der Vertragslage kann der Transfer nur stattfinden, wenn Düdelingen dem Transfer zustimmt.
  • Innerhalb Luxemburgs gilt, dass – unabhängig von der Vertragslage – ein Spieler drei Jahre bei einem Verein bleiben muss, ehe er zu einem anderen Klub innerhalb des Großherzogtums wechseln darf. Beispiel:
    Ein Spieler wechselt 2017 nach Düdelingen. 2019 möchte der Spieler zu einem anderen luxemburgischen Verein wechseln. Unabhängig davon, ob der Spieler vertraglich gebunden ist, ist ein Wechsel nicht möglich, er kann maximal ausgeliehen werden mit festem Wechsel 2020.
  • Nach einem Jahr Vereinszugehörigkeit darf ein Spieler an einen Drittverein verliehen werden.

Die Regeln stammen aus einer Zeit, in der es unüblich war, dass Spieler luxemburgischer Vereine Arbeitsverträge mit ihren Vereinen hatten. Bis mindestens in die 90er Jahre war der luxemburgische Fußball reiner Amateursport, in dem einzelne oder mehrere Spieler Aufwandsentschädigungen erhielten. Diese konnten je nach Verein durchaus stattliche Höhen erreichen und zogen auch bereits damals Spieler aus dem Ausland an, jedoch fehlte es an einem klassischen Markt, der sich anderenorts spätestens nach dem Bosman-Urteil bildete. Dies hatte zur Folge, dass Spieler tendenziell langfristige Verträge unterschreiben und nach Vertragsende frei wechseln können.

Die veralteten Regularien in Luxemburg führen hingegen dazu, dass der besitzende Verein eine sehr starke Machtbasis hat, was sich exemplarisch in der Kaderentwicklung des F91 Düdelingen ablesen lässt:

Im aktuellen Transfersommer musste der F91 im Nachgang zu seinem starken Europa-League-Jahr – Düdelingen erreichte als erstes luxemburgisches Team die Gruppenphase – einen großen Umbruch vollziehen. Wer mit einem Exodus zu ausländischen Profivereinen gerechnet hat, wurde jedoch eines Besseren belehrt: Nur Leon Jensen (FSV Zwickau) wechselte zu einem ausländischen Profiverein ohne Becca-Bezug. Während Marc-André Kruska seine Karriere beendete und in Bochum Nachwuchstrainer wurde, wechselten sage und schreibe 13 Spieler konzernintern zu Royal Excelsior Virton (6) und Swift Hesperingen (7).

Transfers nur innerhalb des Systems Becca möglich

Virton wurde im Sommer 2018 offiziell von Flavio Becca übernommen. Der nahe der luxemburgischen Grenze angesiedelte Verein spielte drittklassig. Binnen eines Jahres gelang der Aufstieg in die zweite belgische Liga. Diese soll nur Durchgangsstation für einen Aufstieg in die Jupiler Pro League (erste belgische Liga) sein, auch wenn Flavio Becca als Saisonziel die Akklimatisierung in der zweiten Division angibt. Hierzu wurden nicht nur namhafte Spieler aus dem Ausland verpflichtet wie der Ex-Sandhäuser Maximilian Jansen oder der Ex-Magdeburger Steven Lewerenz, sondern auch Düdelinger Schlüsselspieler wie Spielmacher Clément Couturier und Topstürmer Dave Turpel. Neuer Trainer in Virton ist zur Saison 2019/20 Dino Toppmöller, der bis zuletzt in Düdelingen an der Seitenlinie stand und großen Anteil an den Erfolgen auf der europäischen Bühne hatte. Auch umgekehrt funktioniert das System: Tim Kips, Ex-U19 Torwart des 1. FC Magdeburg, wurde von Virton eingekauft und postwendend nach Düdelingen weiterverliehen, um dort Jonathan Joubert zu beerben.

Beachtlich ist auch, wer nicht wechselte: Dominik Stolz (Ex-Sandhäuser), torgefährlicher Mittelfeldstratege, von einigen deutschen Zweitligisten umworben, sowie Halbstürmer Danel Sinani, Shootingstar der Vorsaison, dem ebenfalls mehrere Angebote aus Profiligen vorlagen. Flavio Becca soll auf einen Transfer nach Virton gedrängt haben, Sinani sträubte sich. Die Folge: Sinani steht weiterhin in Düdelingen unter Vertrag, wo er im Champions-League-Qualifikationshinspiel gegen den FC Valetta die meiste Zeit auf der Bank saß. Im Vorjahr ein noch kaum denkbares Szenario.

Für die Konkurrenz ist es unheimlich schwer, Spieler aus von Becca unterstützten Vereinen zu verpflichten. Denn – begünstigt durch die Statuten und das gute Netzwerk Beccas – sind die Hürden für Verpflichtungen sehr hoch. Die Konkurrenten sind daher angehalten, einen anderen Ansatz zu wählen.: Progrès Niederkorn ließ 2018 nach dem Europa-League-Run, der bis in Runde 3 führte, Spielmacher Olivier Thill zum russischen Erstligisten FK Ufa ziehen und stellte den bisherigen Ablöserekord in Luxemburgs Liga auf – nach unterschiedlichen Quellen zwischen 250.000 und 500.000 Euro. Im Sommer 2019 folgten Marvin Martins und Tim Hall, die zu Karpaty Lwiw nach Lemberg in die erste ukrainische Liga wechselten.

„Unser Ansatz ist der, dass wir Spielern, die sich sportlich für Profivereine interessant gemacht haben, keine Steine in den Weg legen und normalerweise vernünftige Ausstiegsklauseln festlegen“, schildert Progrès Secretaire Fernand Reiter die Vorzüge der Niederkorner Transferphilosophie, die letztlich der Not geschuldet ist: Spieler können über den Progrès als „Stepstone“ in den Profifußball kommen. Aldin Skenderovic, Neuzugang aus Elversberg, betonte, dass er sich diesen Weg über Niederkorn am schnellsten vorstellen kann und dies ausschlaggebend für einen Wechsel gewesen sei.

Das Ende eines exzessiven Leihgeschäfts

Im Hinblick auf die Leihspielerpraxis konnten Niederkorn und Fola Esch immerhin einen Erfolg erzielen. Durch den luxemburgischen Verband FLF wurde auf Drängen der beiden Vereine ein Referendum über eine Statutenänderung durchgeführt, welches mit Mehrheit angenommen wurde. Die Novellierung besagt, dass innerhalb der gleichen Liga maximal vier Spieler durch einen Verein verliehen werden dürfen, maximal zwei Spieler zu demselben Klub. So wäre zur neuen Saison eine Leihe von sechs Spielern von Düdelingen nach Esch nicht mehr zulässig.

Diese Neuregelung verhindert eine Zusammenarbeit zwischen Düdelingen und Hesperingen aktuell jedoch nicht, da Hesperingen den Aufstieg bekanntlich verpasste und Leihen von der ersten in die zweite Liga unbegrenzt zulässig sind. Für Wechsel bestehen ferner ohnehin keine Obergrenzen. Romain Schumacher, Präsident des F91 Düdelingen, kritisiert das Vorgehen der initiierenden Vereine: „Ich kann verstehen, dass eine Reform des Leihspielersystems erforderlich ist und sehe das Ausmaß der Leihen kritisch. Aber anstatt das Gesamtproblem anzugehen, hat man wieder nur Stückwerk betrieben“.

Geht es nach dem F91-Präsidenten, wäre eine umfassende Reform der Regularien für das luxemburgische Ligensystem fällig, um den Veränderungen Rechnung zu tragen, die jedoch vom Verband blockiert wird: „Dem Verband ist die Entwicklung des Ligafußballs egal. Für den Erstligafußball gibt es weder organisatorisch noch infrastrukturell Mindestanforderungen. Das ist Dorffußball und für Sponsoren einfach nicht attraktiv“. Die Vereine sollten hier zusammenarbeiten anstatt „Kirchturmpolitik“ zu betreiben. Nur gemeinsam könne man den Verband von notwendigen Veränderungen überzeugen.

Dass Düdelingen auf Grund der exponierten Stellung durch die Unterstützung Flavio Beccas Wettbewerbsvorteile genießt, ist dem Fusionsverein klar. Ebenso klar ist jedoch, dass es mit der exponierten Stellung ein Ende haben wird. „Flavio Becca hat mit Düdelingen den Himmel erreicht, mehr geht unter den aktuellen Bedingungen nicht. In Luxemburg wird er künftig Hesperingen unterstützen, die dann die jetzige Rolle des F91 einnehmen dürften“, so Schumacher.

Sportliche Auswirkungen für den 1.FC Kaiserslautern

Aktuell sind die drei Becca-Clubs Hesperingen, Düdelingen und Virton organisatorisch wie personell stark verwoben. Interessant wird die Frage, wie es sich mit dem 1.FC Kaiserslautern verhalten wird. Die dritte deutsche Liga ist dem aktuellen Niveau Düdelingens und Virtons nahe, sodass eine Erweiterung der Verwertungskette nicht nur denkbar, sondern wahrscheinlich ist. Wie stark diese ausgeprägt sein wird, dürfte auch damit zusammenhängen, wieviel Einfluss Flavio Becca beim FCK erhält.

Aufgrund der Verschiebung des Sponsorings in Luxemburg ist von einem Dreieck Kaiserslautern-Hesperingen-Virton auszugehen. Weitere Vereinsbeteiligungen schloss Flavio Becca kürzlich aus. Spekuliert wird bereits, dass Dino Toppmöller, der aktuell die UEFA-Pro-Lizenz erwirbt, in naher Zukunft das Traineramt bei den Roten Teufeln ausfüllen soll. Die bereits angesprochene Personalie Ferrera ließ ebenfalls erste Synergieüberlegungen erkennen. Über potenzielle Neuzugänge für den Kader aus Düdelingen oder Virton war – abgesehen von losen Spekulationen um Dave Turpel – noch nichts zu vernehmen.

Doch auch hier gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Kurzfristig besteht kaum hinreichendes Angebot für eine Verstärkung des FCK – abgesehen von Dominik Stolz und Danel Sinani, die Düdelingen aber nach Schluss des Transferfensters kaum mehr abgeben dürfte. Virton wurde zum Zwecke der Wettbewerbsfähigkeit in der zweiten Liga Belgiens gestärkt, wohl auch, weil hier früher Planungssicherheit bestand. Spieler, die diesen Anforderungen nicht genügen und aus Virton ausscheiden, genügen auch den Lauterer Anforderungen nicht oder stellen zumindest keine Verstärkungen dar. Interessant könnte es aber im kommenden Jahr werden:

Szenario 1:
Virton schafft den Durchmarsch in die 1. belgische Liga
Im Erfolgsfall müsste Virtons Mannschaft deutlich verstärkt werden, da das Leistungsgefälle zwischen erster und zweiter belgischer Liga gewaltig ist. Sollte Kaiserslautern selbst nicht aufsteigen und sollten Spieler vertraglich an Virton gebunden sein, aber keine sportliche Perspektive mehr haben, drängt sich eine „Weiterverwertung“ bei den Partnerklubs auf. Hier könnte nun Kaiserslautern ligaunabhängig interessant werden.

Szenario 2:
Virton verbleibt in Liga 2, Lautern steigt auf
Sollte Kaiserslautern aufsteigen und Virtons Aufstieg ins Stocken geraten, stellt sich die Frage der Prioritätensetzung bei Flavio Becca. Zur aktuellen Saison blieb zeitlich und organisatorisch keine Alternative zur Stärkung Virtons. Sollte Kaiserslautern zurück in Liga 2 gelangen, wäre es Beccas sportliches Aushängeschild und eine sofortige Konzentration darauf, inklusive Spielerdelegationen, könnte Sinn ergeben.

Szenario 3:
Virton und Kaiserslautern verharren in ihren Ligen
Auch hier würde sich die Prioritätenfrage stellen. Selbst wenn jedoch der Fokus (vorläufig) bei Virton bleiben sollte und dort aufgerüstet würde, könnte der eine oder andere Spieler für Kaiserslautern interessant werden und zum Leistungsträger für die dritte Liga taugen. In Virtons aktuellem Kader befinden sich Spieler, die über höherklassige Erfahrung verfügen und mithin einen Drittligakader aufwerten könnten.

RedBull als Vorbild?

Über kurz oder lang wird das Engagement auf dem deutlich größeren deutschen Markt Priorität genießen müssen, wenn es Flavio Becca an einem sportlichen Erfolg seines finanziellen Engagements gelegen ist. Gegenüber Sky Sports erklärte Becca bereits: „Natürlich ist die Champions League eines unserer Ziele, die wir uns setzen müssen. Sonst hätte es keinen Wert, in der dritten Liga in den FCK zu investieren“.

Aus den Aussagen lässt sich folgern, dass Kaiserslautern aus sportlicher Sicht die Nummer Eins im Becca-Imperium ist und Virton mindestens mittelfristig als Zugpferd ablösen wird. Ein logischer Schritt, den auch RedBull mit der Prioritätensetzung zugunsten Leipzigs und zulasten Salzburgs auf Grund der Größe des deutschen Marktes ging. Die getätigten Aussagen sowie das planmäßige Vorgehen lassen es sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass es Becca nur um Grundstücksspekulationen geht.

Hierzu passen auch die noch konkreteren Aussagen Beccas im Gespräch mit dem Kaiserslauterer Fanforum „Der Betze Brennt“. Hier äußert er sich zum Zeitplan in Kaiserslautern und auch zu den Synergien, die er in Bezug auf die Zusammenarbeit der von ihm unterstützten Fußballclubs erwartet:

„Das ist sicher eine unserer Ideen, aber natürlich in einem kleineren Rahmen als bei Red Bull. Wir wollen die Austauschmöglichkeiten maximieren. Als ersten Schritt möchten wir zeitnah ein gemeinsames Scouting-Netzwerk aufbauen, quasi in einem Dreieck: Kaiserslautern, Virton und Düdelingen/Hesperingen. Das Ganze soll von Kaiserslautern aus organisiert und verarbeitet werden. Die sportlichen Leiter der Vereine können sich dann untereinander austauschen, welcher der beobachteten Spieler am besten zu welchem Verein passt. Außerdem lassen sich die Kosten für jeden Einzelnen somit senken. Erste Gespräche dazu wurden bereits geführt.“

Dass als nächster logischer Schritt auch der interne Austausch von Spielern sowie Leihgeschäfte zwischen den Partnerklubs folgen könnten, ist durchaus denkbar. Und auch auf weiterer Ebene sind Parallelen zur Geschäftspraxis von Red Bull in den übrigen Partnervereinen bereits erkennbar. Förmliche Kooperationsvereinbarungen gebe es zwischen den Vereinen nicht, teilt F91-Präsident Romain Schumacher auf Anfrage mit. „Es ist sicherlich noch zu früh, hierzu definitiv Stellung zu beziehen. Dass es aber, in welcher Form auch immer, Synergieeffekte geben könnte, ist sehr wahrscheinlich und macht auch Sinn“, so Schumacher, wobei der F91 aus den genannten Gründen eher am Rande hiervon profitieren dürfte.

Die Roten Teufel unterwegs als Leoparden?

Flavio Becca verkauft interessanterweise in Gestalt des von ihm am Markt platzierten Energydrinks „Leopard Natural“ Dosen. Düdelingen warb zuvor jahrelang für „Lavazza“-Kaffee, sodass das Getränkesponsoring auf eine längere Tradition zurückblickt. Dass Becca an Werbewert und Sichtbarkeit seiner Investitionen gelegen ist, lässt sich nicht zuletzt am abgestimmten Design seiner bisherigen Clubs ablesen:

Das Türkis ist die Farbe des Energiedrinks, die ähnlich auffällig wirkt wie das rot-weiße Muster der österreichischen Konkurrenz. Es ist natürlich nicht zu erwarten, dass ein Verein wie der 1. FC Kaiserslautern – unabhängig vom Umfang des Mitspracherechtes des Investors – seine Trikotfarben ändert. Hierzu ist die Marke Rote Teufel zu wertvoll, was Becca in Interviews auch herausstellte.

Die starke Angleichung des Corporate Designs der übrigen Becca-Clubs zeigt dennoch, dass dem Investor an der Maximierung des Werbewertes gelegen ist. Es sollte nicht verwundern, wenn zumindest das Auswärtstrikot des FCK die Farbe des Energydrinks promoten würde. Becca erklärte bereits süffisant: „Eine gewisse Verbindung zu der Leopard-Farbe und Kaiserslautern haben wir entdeckt: Der Farbton ist fast identisch mit der Farbe des Fischs im Stadtwappen von Kaiserslautern.“

Über kurz oder lang dürfte Leopard Natural als Sponsor die Brust der FCK-Profis zieren. Der Energydrink soll in naher Zukunft auch auf dem deutschen Markt eingeführt werden, sodass ein Sponsoring Sinn ergeben würde.

Düdelingen als Blaupause

Es wäre ungewöhnlich, wenn Flavio Becca, anders als in den übrigen Klubs, nicht auf das maximal mögliche Mitspracherecht bestünde. Dass er bereits faktisch großen Einfluss besitzt, lässt sich am Rücktritt des bisherigen Aufsichtsratsvorsitzenden Michael Littig ermessen, dessen Rückzug von Becca zur Voraussetzung für die Gewährung einer Bürgschaft gemacht wurde.

„Flavio Becca ist nicht einfach nur ein Geldgeber, er beschäftigt sich detailliert mit der Materie und regelt auch die kleinen Dinge“, weiß Romain Schumacher. „Flavio Becca weiß, dass er in Luxemburg den Himmel erreicht hat. Mehr als letzte Saison in der Europa League ist unter den Bedingungen hier nicht möglich. Er ist ehrgeizig und höhere Ziele kann er nur im Ausland erreichen, auch wenn er jeweils die regionale Nähe wählt“.

Interessant sind vor dem Hintergrund des Mitspracherechts auch die Aussagen Flavio Beccas zu Virton. Da im belgischen Fußball die Restriktionen des deutschen Fußballs, insbesondere die 50+1-Regel, keine Anwendung finden beziehungsweise keine vergleichbaren Regularien bestehen, hat Becca hier unbeschränkt bestimmenden Einfluss:

„Ich habe mich in Virton zuerst von Leuten beraten lassen, die den Klub kannten, dann gemerkt, dass wir so in eine falsche Richtung abdriften. Letztendlich habe ich für die Trainerposition eine interne Lösung gefunden, die dann zum Erfolg geführt hat.“

Flavio Becca hat jedenfalls klare Vorstellung von Vereinsführung und sportlicher Linie, die er im Tagesgeschäft durchzusetzen versucht. Man wird sich in Kaiserslautern darauf einstellen, dass der neue Investor in vielen Punkten mitreden und viel von seiner Agenda auch durchsetzen wird. Das bisherige Engagement in Düdelingen dürfte eine gute Blaupause darstellen, wie er sich die Zusammenarbeit seiner Vereine vorstellt.

Ausblick: Wie reagieren die Fans?

Ein großer Teil der Kaiserslauterer Fanszene legt großen Wert auf die Bewahrung des Bezuges zur Vereinsgeschichte, die Erhaltung der Vereinsstruktur und steht dem Einstieg von Investoren im eigenen Verein wie auch bei der sportlichen Konkurrenz überdurchschnittlich kritisch gegenüber. Gerade das Konstrukt des von Flavio Becca gerne zitierten Red Bull-Konzerns wurde äußerst emotional diskutiert und stieß auf starke Ablehnung.

Die Zusammenarbeit von Düdelingen, Hesperingen und Virton in Bezug auf Spielertransfers, Vereinsorganisation und Sponsoring/Vereinsfarben trägt starke Züge des Geschäftsmodells von Red Bull, die insbesondere in Sachen Spielertransfers und Scouting zwischen einzelnen Standorten Wettbewerbsvorteile schaffen und im Rahmen der Durchsetzung des Corporate Designs besonders brachial vorgehen. Es wäre zu erwarten, dass dieser Punkt in der Diskussion um das Engagement Flavio Beccas einen größeren Stellenwert erhalten müsste.

Es ist mutmaßlich der geringeren Bedeutung der Fußballligen in Belgien und Luxemburg geschuldet, dass die beschriebenen Synergien und Geschäftspraktiken weniger im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind.

„So richtig diskutiert wird das in der Fanszene nicht. Ich denke, das könnte auch erstmal auf Ablehnung stoßen, da man eine Verschiebung der Macht weg vom FCK hin zu einer “Dachorganisation” führt“, meint FCK-Kenner Frederik Paulus.

Es kann und soll am Ende keine Empfehlung Pro oder Contra Investor getroffen werden. Flavio Becca ist ein Kenner der Szene und umgeben von kompetentem Personal, welches seine sportliche Expertise nachgewiesen hat. Auf der anderen Seite vereint er ein hohes Maß an Einfluss auf sich und kann die Ausrichtung des Vereines stark beeinflussen. Die Abwägung wird jeder FCK-Fan beziehungsweise jeder Beobachter individuell treffen.

Es dürfte umso wichtiger sein, dass sich das FCK-Umfeld und die Mitglieder bewusst machen, welche Perspektiven sich dem Verein in Zusammenarbeit mit dem Investor bieten und welche Chancen man nutzen und welche Risiken oder Entwicklungen man verhindern möchte. Dies gilt umso mehr, als der Tag kommen kann, an dem die Interessen der unterstützten Vereine nicht mehr deckungsgleich sind.

Beitragsbild: Westtribüne (“Westkurve”) mit Fans von Thomas Hilmes, Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

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Autor*innen-Information: Matthias Busse ist Fan des luxemburgischen Fußballs und insbesondere von Progrès Niederkorn. Außerdem bloggt er bei www.schwabenballisten.de über Fußball im Allgemeinen und RasenBallsport Leipzig im Besonderen.

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Episode 15: “Zwischen Professionalisierung und Sportplatzflair” mit Matthias Busse https://120minuten.github.io/episode-15-zwischen-professionalisierung-und-sportplatzflair-mit-matthias-busse/ https://120minuten.github.io/episode-15-zwischen-professionalisierung-und-sportplatzflair-mit-matthias-busse/#respond Tue, 24 Jul 2018 19:26:32 +0000  

In Ausgabe 15 des 120minuten-Podcasts sprechen Oliver Leiste und Endreas Müller aus der Redaktion mit Matthias Busse über den Fußball in Luxemburg. Grundlage ist Matthias’ Longread “Zwischen Professionalisierung und Sportplatzflair”, der im Juli 2018 auf 120minuten.github.io erschienen ist. Zunächst geht es generell um den Status Quo in Luxemburg und die Entwicklung der verschiedenen Vereine, die durchaus auch auf europäischer Bühne schon für Furore gesorgt haben. Dann beleuchtet die Gesprächsrunde die luxemburgische Nationalmannschaft und deren Perspektiven, auch mit Blick auf Nations League, bevor eine Außenperspektive auf den luxemburgischen Fußball geworfen wird. Ein Ausblick und die Frage, wann wir wohl ein luxemburgisches Team in der Europa-League-Gruppenphase sehen werden, runden die Folge ab.

Kapitelmarken:

00:00:00 Intro, Sendungsthemen, Vorstellungsrunde
00:04:39 Status Quo und Entwicklungen im luxemburgischen Fußball
00:33:28 Das luxemburgische Nationalteam
00:43:04 Der Blick von außen auf den luxemburgischen Fußball
00:54:14 Ausblick auf und Perspektiven für den luxemburgischen Fußball

Die von Oliver angesprochenen Artikel:

“Luxemburg darf nicht Düdelingen werden” (Der Standard)
“Traum vom Europacup: Warum immer mehr Deutsche in Luxemburg kicken” (Spiegel Online)
“Moneyball: Der luxemburgische Fußball und die Finanzen” (Luxemburger Tageblatt)

Wie immer freuen wir uns auf Euer Feedback zur aktuellen Folge und natürlich auch über eine angeregte Diskussion zum Thema auf Facebook, Twitter oder hier im Blog.

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Zwischen Professionalisierung und Sportplatzflair https://120minuten.github.io/zwischen-professionalisierung-und-sportplatzflair-die-bgl-league-im-umbruch/ https://120minuten.github.io/zwischen-professionalisierung-und-sportplatzflair-die-bgl-league-im-umbruch/#comments Sat, 07 Jul 2018 07:00:08 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5085 Weiterlesen]]> Luxemburgs BGL-League im Umbruch:

Der luxemburgische Vereinsfußball wurde über viele Jahre belächelt. In den europäischen Klubwettbewerben gab es für die Vereine abgesehen von wenigen Achtungserfolgen wenig zu gewinnen. Seit Beginn der 2010er-Jahre ist jedoch ein Aufwärtstrend erkennbar. Mit dem F91 Düdelingen und dem FC Differdingen 03 gelangen 2012/13 gleich zwei luxemburgischen Vereinen große Überraschungen. In der abgelaufenen Spielzeit sorgten mit dem FC Progrès Niederkorn und Fola Esch wiederum zwei Vereine für europaweite Aufmerksamkeit. Der Aufwärtstrend verfestigt sich und ist Folge einer zunehmenden Professionalisierung in der Ligaspitze.  Ob und inwieweit die Professionalisierung weitergeht, ist jedoch offen: die Vereine stoßen zunehmend an Wachstumsgrenzen, die Unterschiede zwischen den Spitzenteams und der Breite werden auch in Luxemburg immer größer: Europapokalluft trifft Sportplatzflair. Die aktuelle Entwicklung und die Perspektive für die kommenden Jahre soll dieser Text beleuchten.

Von FaulerZauber (bloggt bei www.schwabenballisten.de | @sballisten über Fußball im Allgemeinen und RasenBallsport Leipzig im Besonderen)

Historischer Überblick

Die Rahmendaten im Überblick: Luxemburg, ein kleines Land im Herzen Europas: 590.000 Einwohner, 104 Vereine, die Nationalmannschaft auf Platz 85 der FIFA-Weltrangliste (u.a. vor Zypern oder Israel), Rang 48 in der UEFA-Fünfjahreswertung.

1909/10 wurde erstmals eine Landesmeisterschaft ausgetragen, der Racing Club Luxemburg (heute nach mehreren Fusionen unter dem Namen „Racing Football Club Union Luxemburg“, kurz RFCUL, noch immer in der 1. Liga vertreten) war erster Landesmeister. Es dominierten in der Frühphase die Teams aus Luxemburg-Stadt, insbesondere US Hollerich-Bonneweg (später „Union Luxemburg“, heute ebenfalls Teil des RFCUL). In den 20er-Jahren verlagerte sich das Kräfteverhältnis langsam in Richtung des Südens, wo in den Industriestädten Esch an der Alzette (Fola und Jeunesse) sowie Differdingen (Red Boys) weitere Fußballgrößen heranreiften. Ende der 30er-Jahre brach schließlich die Ära von Stade Düdelingen an, dem größten Verein der dritten großen Stadt im Süden des Landes. Ende der 50er Jahre kristallisierte sich Jeunesse Esch als führende Kraft im luxemburgischen Fußball heraus, mit Avenir Beggen (aus der Agglomeration der Stadt Luxemburg) kam in den 60er Jahren ein Verein auf, der den Fußball im Duell mit der Jeunesse und Union Luxemburg bis in die 90er Jahre hinein prägen sollte. In den 70er Jahren erlebte zwischenzeitlich ein weiterer Traditionsverein aus dem Süden, der FC Progrès Niederkorn, seine bis dato größte Blütephase.

Fusionen führen zu einer Flurbereinigung

Eine wesentliche Zäsur des nationalen Fußballs wurde Anfang der 90er Jahre eingeläutet. Auch wenn zunächst Beggen, Union und Jeunesse das Maß der Dinge blieben, begann eine neue Ära am 26.4.1991, als aus Stade Düdelingen, US Düdelingen und Alliance Düdelingen der Fusionsverein „F91 Düdelingen“ aus der Taufe gehoben wurde. Sämtliche Vereine aus der „Forge du Sud“ hatten mit den Branchenführern nicht Schritt halten können und begannen ihre Kräfte zu bündeln. Bereits 1992/93 gelang die Rückkehr in die 1. Liga, wo sich F91 schnell festsetzen konnte und sich schließlich zur Saison 1999/2000 erstmals die Meisterkrone aufsetzte. Die Fusion in Düdelingen war nicht die erste, aber vermutlich die umfassendste und wurde zum Vorbild für etliche weitere Fusionen: aus Rapid Neudorf und Mansfeldia Clausen war zuvor bereits RM 86 Luxemburg geworden, nach der Fusion mit dem FC Hamm wurde der RM Hamm aus der Taufe gehoben, der ein Jahr nach der Fusion den Namenszusatz „Benfica“ einführte, ein Hinweis auf die hohe Bedeutung der portugiesischen bzw. portugiesischstämmigen Spieler, die gerade in der Hauptstadt einen besonders hohen Bevölkerungsanteil bilden. Die Erwartungshaltung möglichst alle „Benfica“-Fans im Großherzogtum auf den RM Hamm zu vereinigen, erfüllte sich allerdings nicht.

Aus CS Hollerich und Aris Bonneweg wurde kurzzeitig „Alliance 01 Luxemburg“, der sich sodann mit Union und Spora Luxemburg zu RFCU Luxemburg vereinte. Last but not least bündelten auch die Differdinger Vereine Red Boys und AS („Alliance Sportive“) ihre Kräfte zum „FC Differdingen 03“.

Während die Fusionen in Luxemburg-Stadt mehr zu einer Flurbereinigung, denn zu einer wirklichen Renaissance geführt haben, wuchs Düdelingen zur führenden Macht und Differdingen zu einem regelmäßigen Europapokalteilnehmer heran. Jeunesse Esch, der Rekordmeister, verlor seine Vorherrschaft, blieb jedoch konstant unter den Spitzenteams des Landes. Der Lokalrivale Fola Esch erlebte Mitte der 2000er nach langen Jahren in der Unterklassigkeit seine Renaissance und stieg zuletzt zum größten Rivalen des F91 auf, gekrönt von zwei Meisterschaften 2013 und 2015. Ebenso wie Fola gelang es auch dem FC Progrès Niederkorn zuletzt ohne Fusion in die Phalanx der großen Vereine vorzudringen und erstmals seit dessen Fusion den Lokalrivalen aus Differdingen hinter sich zu lassen. Vereine aus dem Norden oder Osten des Landes spielen keine herausgehobene Rolle mehr, Ettelbrück und Wiltz (Norden) sowie Grevenmacher (Osten) mussten als profilierteste Teams den Gang in die Zweitklassigkeit antreten, wobei Ettelbrück gute Aussichten besitzt, zumindest in die erste Liga zurückzukehren.

Zunehmende Professionalisierung

Das Klassement kann man aktuell wie folgt einteilen: Branchenführer ist weiter der F91 Düdelingen. Dahinter rangiert ein Dreigestirn aus Fola Esch, Differdingen 03 und Progrès Niederkorn, die im Normalfall um die Europapokalplätze spielen und bei idealem Saisonverlauf den F91 herausfordern können. Dahinter ist Jeunesse Esch und den Hauptstadtteams RM Hamm sowie RFCUL zuzutrauen, in die Phalanx einzudringen, bei allen drei Vereinen wird es jedoch davon abhängen, wie sich die Vereine strategisch aufstellen. Für die weiteren Vereine geht es mit unterschiedlichen Ansätzen vor allem darum, sich in der Liga zu etablieren. Die US Hostert und die US Bad Mondorf haben dies zuletzt eindrucksvoll geschafft, auch Union Titus Petingen hat durch die Kooperation mit dem portugiesischen Erstligisten Vitoria Guimaraes einen vielversprechenden Ansatz gefunden und versteht sich landesweit als hoch geachteter Ausbildungsverein.

Die Spitzenvereine haben allesamt gemein, dass sie ihre Strukturen in den letzten Jahren deutlich professionalisiert haben und inzwischen über den angrenzenden Bereich (Nordfrankreich, Süd-Belgien, Saarland) hinaus Strahlkraft für internationale Spieler haben, die den Zenit ihres Könnens noch nicht überschritten haben. Beispielhaft kann hier der Transfer von Dominik Stolz herangezogen werden, der 2016 als fester Rotationsspieler des deutschen Zweitligisten SV Sandhausen mit 26 Jahren den Weg zu F91 Düdelingen fand. Mittlerweile ist der Karriereschritt nach Luxemburg nicht mehr zwangsläufig mit dem langsamen Auslaufen der Karriere verbunden, auch ein Wechsel aus der BGL-League in eine größere Liga kommt immer häufiger vor. Mit Marc-Andre Kruska, Ex-Bundesliga-Spieler u.a. bei Borussia Dortmund und Energie Cottbus, folgte in diesem Sommer der nächste Hochkaräter. Vizemeister Niederkorn konnte demgegenüber mit Jordan Gobron einen Stammspieler aus der zweiten französischen Liga akquirieren.

Zumindest den Vergleich mit Vereinen wie dem 1.FC Saarbrücken oder dem SV Elversberg, die seit Jahren Spitze der Regionalliga Südwest sind, müssen die Spitzenteams nicht scheuen. Es darf vermutet werden, dass sich Düdelingen zumindest in der 3. Deutschen Liga würden etablieren können.

Unterschiedliche Philosophien – unterschiedliche Perspektiven

Fola Esch ist der älteste Verein in Luxemburg, spielte in dessen Geschichte aber eine untergeordnete Rolle. Dies änderte sich mit dem Engagement von Gérard Lopez, Mehrheitseigentümer des Formel 1-Rennstalls Renault, der als Präsident Fola wirtschaftlich zu den Topadressen der BGL-League werden ließ, sodass die Fola aktuell dem Lokalrivalen und Rekordmeister Jeunesse Esch den Rang abgelaufen hat. Wie nachhaltig diese Rangfolge ist, bleibt abzuwarten. Fola hatte sich unter der Regie von Trainer Jeff Strasser auch dank kluger sportlicher Entscheidungen in der Spitze etabliert und konnte zwei Meistertitel (2013 und 2015) erringen. Die vergangene Saison verlief – mit Ausnahme der Auftritte in der Euroleague – jedoch enttäuschend, der Rückstand auf das Spitzenduo war immens, auf der Bank nahm zur Rückserie mit Thomas Klassen bereits der dritte Trainer der Saison Platz. Da Fola über eine deutlich geringere Strahlkraft in der Stadt und überregional im Vergleich zur Escher Jeunesse verfügt, hängt die Perspektive sehr stark von den weiteren Plänen des Präsidenten ab.

Auch der F91 Düdelingen profitiert neben der Konzentrationswirkung des Großzusammenschlusses 1991 von einem starken Geldgeber im Hintergrund, dem Bauunternehmer Flavio Becca. Der F91 wurde unter seiner Ägide zum erfolgreichsten und am professionellsten geführte Verein im Großherzogtum. Kein Team verfügt über derart gute Trainingsbedingungen, kein Team kann sich sowohl finanziell als auch von der Strahlkraft so gut über die Grenzen hinaus verkaufen. Die sportliche Expertise ist hoch, der F91 versteht es seit Jahren, starke Spieler aus Luxemburg und ausnehmend gute Legionäre unter einen Hut zu bringen. Trainer ist seit 2016 Dino Toppmöller, Sohn von Ex-Bayer Leverkusen-Trainer Klaus Toppmöller, der den Kader auf hohem Niveau nochmals weiterentwickelt hat. Im Vergleich zu den übrigen Spitzenteams verfügt der F91 über einen deutlich homogeneren Kader und ist auch auf der Ersatzbank erstklassig besetzt.

Der FC Differdingen arbeitete sich konstant nach oben. Der FCD03 lebt von seiner guten Infrastruktur und hat die im Europapokal eingenommenen Gelder klug in die weitere Professionalisierung investiert. Gute Transfers, gerade im Sturmzentrum mit zunächst Pierre Piskor (90 Tore zwischen 2006 und 2013) und später Omar Er Rafik (106 Tore zwischen 2011 und 2017), ebneten den Weg für die sportliche Etablierung im Spitzenfeld. Hilfreich war neben der Fusion der Bau eines größeren Stadions („Stade Municipal“) im Stadtteil Oberkorn, das als einziges Stadion neben dem Nationalstadion „Josy Barthel“ in Luxemburg-Stadt UEFA-Standards entspricht.

„Als wir aus Glasgow nach der 0:1-Niederlage zurückkamen, wurden wir nachts um 2 Uhr von 50 Fans empfangen. Das habe ich so noch nie erlebt.“

Alexander Karapetian, Stürmer beim Football Club Progrès Niederkorn

Der FC Progrès Niederkorn definiert sich als besonders familiärer Verein und hat die Einnahmeseite in den vergangenen Jahren vor allem durch eine sehr offensive Öffentlichkeitsarbeit und die guten Kontakte des Präsidenten Fabio Marochi, die der langjährige Kapitän und nunmehrige Sportdirektor Thomas Gilgemann professionell pflegt, verbessert. Niederkorn verpasste es, sich früher in der Spitzengruppe zu etablieren, da der Verein lange als untrainierbar galt und viele Trainer nicht den richtigen Ansatz fanden. Nach einer ersten starken Saison 2010/11 folgten zwei schwache Serien, die 2012/13 um ein Haar zum Abstieg geführt hätten. Im Relegationsspiel gegen Strassen rettete sich der Progrès erst in der Verlängerung. Die Rückkehr von Paolo Amodio auf den Trainerstuhl brachte die nachhaltige Wende. Der Ex-Nationalspieler kennt die Befindlichkeiten im Verein und versteht es, den „Wohlfühlfaktor“ hoch zu halten, ohne die sportliche Spannung zu verlieren sowie darüber hinaus junge Spieler zu erreichen und zu formen. Mit dem höchsten Zuschauerschnitt der Liga neben der Escher Jeunesse lebt Niederkorn ferner von der Bindung zu seinem Publikum: „Als wir aus Glasgow nach der 0:1-Niederlage zurückkamen, wurden wir nachts um 2 Uhr von 50 Fans empfangen. Das habe ich so noch nie erlebt“, berichtete Niederkorns Topstürmer Alexander Karapetian zuletzt in einem Radiointerview. Zum Spitzenspiel der abgelaufenen Saison gegen den F91 Düdelingen wurde mit über 2.000 Zuschauern jüngst ein Zuschauerrekord in der BGL-League aufgestellt.

Jeunesse Esch verfügt über die größte Fanbasis im Land und ist der Verein mit der historisch höchsten Renommee. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Hauptkonkurrenz konnte Jeunesse zuletzt nicht mithalten, dem Präsidium fehlt es am wirtschaftlichen Netzwerk, das hinter den übrigen Topvereinen des Landes steht. Dank der Bekanntheit und Fanbasis steht die Jeunesse in diesem Bereich jedoch auch ohne Mäzen relativ gut da und dürfte langfristig in der Spitze etabliert bleiben, zumal Esch an der Alzette wirtschaftlich außerhalb der Hauptstadt das wichtigste Zentrum ist und bleibt und mit dem Branchenprimus F91 Düdelingen eine Zusammenarbeit betreibt und so regelmäßig von Transfers aus Düdelingen profitiert. Sportlich ist die Jeunesse unter dem neuen Trainer Marc Thomé wieder auf dem aufsteigenden Ast, konnte sich dennoch nicht für einen europäischen Wettbewerb qualifizieren, da zum Lokalrivalen Fola am Ende drei Pünktchen fehlten und auf Grund des überraschenden Pokalsieges des Luxemburger Hauptstadtvereins Racing Union Platz 4 nicht für die Europa-League-Qualifikation genügte.

Zukunftsaussichten

Unter dem Strich kann festgehalten werden, dass die sportliche Rangfolge in Luxemburg stark von den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Vereine abhängig ist, ähnlich wie dies auch in größeren benachbarten Ländern der Fall ist. Die Spitzenvereine rekrutieren ihre Spieler selten aus dem eigenen Nachwuchs, sondern vorrangig aus dem Ausland oder von kleineren Vereinen. Der wirtschaftliche Erfolg hängt primär an den handelnden Personen, die  Sponsorenentwicklung ist in Luxemburg sehr stark an die geschäftlichen Kontakte der „Macher“ im Verein geknüpft und weniger an den Werbewert des Fußballvereins als solchem. Erst nachrangig spielen „weiche Faktoren“ wie Umfeld, Fans und Ausstrahlung eine Rolle, die im Einzelfall aber entscheidend sein können. Düdelingen beispielsweise nutzte neben den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch das Weiterkommen gegen Red Bull Salzburg zur Verbesserung des Renommees des eigenen Vereins und des Ligawettbewerbs insgesamt. Einen ähnlichen Effekt hatte die letztjährige Sensation Niederkorns gegen die Glasgow Rangers, die dem Club einen exponentiellen Anstieg der Bekanntheit und ungeahnte Steigerungen im Merchandising einbrachte (insbesondere die grünen Auswärtstrikots wurden in größeren Mengen von Fans des Rangers-Rivalen Celtic Glasgow geordert).

Um im Spitzenfeld zu bleiben, benötigen die Vereine die Einnahmen aus der Europa-League. In der 1. Qualifikationsrunde der Europa-League erhalten die Teilnehmer garantierte 215.000 EUR, die sich durch Zuschauer- und Vermarktungseinnahmen steigern können. Für die 2. Qualifikationsrunde werden weitere 225.000 EUR ausgeschüttet. Fola Esch, die sich dank der Erfolge aus dem Vorjahr im Topf der gesetzten Teams befand, hegt die Erwartungshaltung, in die zweite Runde einziehen zu können. Allgemein ist das Anspruchsdenken gestiegen. Selbst Niederkorn, die es mit FK Qäbälä aus Aserbaidschan, bereits zwei Mal in Folge für die Gruppenphase qualifiziert, zu tun bekommen, sehen sich als nicht chancenlos für eine weitere Sensation.

Im Hinblick auf den Gesamtetat der Vereine macht dies insbesondere bei den Verfolgern des F91 Düdelingen wesentliche Sprünge aus. Für die abgelaufene Saison hat das Luxemburger Tageblatt (Ausgabe vom 13.3.2018) die Etats sowie die Zahl der professionellen Spieler und Vereinsangestellten erhoben. Hiernach ergibt sich folgende Etattabelle:

Der RFCUL Luxemburg machte keine offiziellen Angaben, dürfte jedoch mindestens im Bereich von Union Petingen anzusiedeln sein.

Bei Düdelingen lebten 13 Spieler ausschließlich vom Fußball, bei Fola Esch deren 11. Insoweit kann davon gesprochen werden, dass das Kernteam jeweils aus „Profis“ besteht, obgleich kein Spieler im Anschluss an die Karriere von den Einnahmen aus der Karriere leben kann und Anschlussbeschäftigungen ein wesentliches Kriterium für die Spieler und deren sportliche Perspektive darstellen. Niederkorn und Differdingen kamen immerhin auf sechs Spieler, die ausschließlich vom Fußball leben. Düdelingen verfügt über sechs fest angestellte Vereinsmitarbeiter, Fola Esch, Niederkorn und Differdingen immerhin über drei.

Neben den finanziellen Erwägungen, ist auch die Breitenwirkung der Europapokalspiele wichtig. Die Europapokalspiele werden vom luxemburgischen Fernsehen (RTL) live übertragen und im Netz gestreamt. Partien aus der heimischen Liga werden hingegen äußerst selten live übertragen, wöchentlich gibt es eine Zusammenfassung am Montagabend von drei der sieben Partien des Wochenendes.

Eine Profiliga als Lösung?

Es stellt sich die Frage, wie sich die Vereine und der Wettbewerb in näherer Zukunft weiterentwickeln werden. Es wurde mehrfach die Frage nach der Einführung einer „Profiliga“ gestellt. Eine solche ist jedoch weder in Sicht noch sinnvoll: zum einen gibt es zu wenig Vereine mit semi-professionellen Strukturen, zum anderen genügt die Nachfrage nicht annähernd, um Einnahmen für ein Vollprofitum zu generieren. Während die 4 Topvereine über eine Einnahmebasis für eine weitere Professionalisierung verfügen, ist die Breite davon noch weit entfernt.

Zum Vergleich: der Regionalliga Südwest-Meister in Deutschland, der 1.FC Saarbrücken, verfügt über einen Etat von ca. 3,5 Mio. EUR, durchschnittliche Regionalligisten kommen auf immerhin kleine siebenstellige Etats (zwischen 1,0 – 1,5 Mio. EUR).

So sprach sich auch der FLF-Verbandspräsident Paul Philipp jüngst gegen diese Entwicklung aus. Zum einen genügt es nicht, dass Spieler „Profi“ sind und aktuell lediglich Fußball spielen. Es bedarf auch der Absicherung für die Zukunft, entweder durch einen Verdienst, der das „Ansparen“ ermöglicht oder durch eine berufliche Anschlussperspektive. Ferner bedarf es der professionellen Betreuung der Spieler vor, während und nach den Einheiten. In diesem Bereich bauen die Vereine noch immer fast vollständig auf ehrenamtliche Kräfte. F91-Präsident Romain Schumacher führte dazu jüngst aus: „Wir wurden von der Zeit überrollt. Es gab eine Art künstliches Wachstum. Die vielen Freiwilligen in den Vereinen tragen durch die hohen Budgets eine sehr große Verantwortung”. Zusammengefasst verfügen die großen Vereine über eine weitgehend professionalisierte sportliche Ebene, während die Vereinsführung zumeist in ehrenamtlichen Händen liegt.

Entwicklungsoptionen der BGL-League:

Klar ist jedoch, dass die semi-professionell geführten Vereine Spielraum zur Entwicklung benötigen. Denkbar sind hierzu viele Szenarien,  die sich auch parallel vollziehen könnten:

Weitere Konzentration:

Es ist möglich, dass sich die Kräfte im Land noch weiter bündeln. Es war in der Vergangenheit bereits über eine „Elefantenhochzeit“ von F91 Düdelingen und Fola Esch spekuliert. Die starken Männer der Vereine, Flavio Becca und Gerard Lopez, sollen nach Informationen des Luxemburger Wortes über eine Fusion verhandelt haben. In diesem Zusammenhang wurde über den  Bau eines neuen Nationalstadions in Livingen (in der Gemeinde Roeser zwischen Esch/Alzette und Luxemburg-Stadt) spekuliert, welches einen Großfusionsverein beheimaten könnte. Auf Grund der relativen Nähe der Standorte vorwiegend im Süden des Landes wären auch weitere Zusammenschlüsse größerer Vereine denkbar.

Zielgruppe der Liga erweitern:

Im Zusammenhang mit der möglichen Fusion kritisierte F91-Präsident Romain Schumacher, der Wettbewerb in der Liga sei nicht attraktiv genug, Strukturen verkrustet, Zuschauerzahlen rückläufig. Man darf kritisch hinterfragen, ob weitere Fusionen und damit eine Entfernung von den lokalen Strukturen die Lösung sind. Nicht zufällig sind mit Jeunesse Esch und Progrès Niederkorn die Vereine Zuschauermagneten (ca. 1.000 Zuschauer im Schnitt), die lokal verankert sind und nie fusioniert wurden. Zu Fola „verirren“ sich im Schnitt ca. 350 Zuschauer, bei RFCU Luxemburg sind es sogar nur knapp 200 Zuschauer im  Schnitt, womit der Hauptstadtclub einsames Schlusslicht der Liga ist.

Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob die Liga nicht medial eine größere Außenwirkung entfalten könnte, zum Beispiel durch stärkere Öffentlichkeitsarbeit, mehr mediale Präsenz, bessere Werbeplattformen für Sponsoringpartner, etc. Ziel muss es sein, dass sich der Werbewert der Liga erhöht und dadurch ein Gegenwert zu den Sponsorenzuwendungen erhöht wird, sodass die Liga unabhängig von Mäzenatentum und persönlichen Kontakten ihre Einnahmeseite verbessern kann.

Kooperationen mit anderen Vereinen/Ligen:

Versuche von Kooperationen mit Vereinen aus größeren Ländern/Ligen gab es bereits in der Vergangenheit. So ziemlich jede Verbindung endete früher oder später ohne nachhaltigen Nutzen für beide Seiten. Es gibt Anzeichen, dass sich dies nun ändern könnte. Das aktuell spannendste Projekt ist die Verbindung zwischen Petingen und Vitoria Guimaraes aus Portugal, welche seit zwei Jahren läuft und welche einen Austausch in beide Richtungen bietet. Aktuell spielen drei Akteure aus Guimaraes in Petingen, ein Petinger Talent versucht sich in der Reservemannschaft der Portugiesen und schielt auf ein Engagement in Portugals erster Liga.

Kooperationen sind stark im Trend und der Bedarf steigt. Größere Vereine sind gehalten, immer früher Talente anzuwerben, ehe sie im eigenen Verein die Perspektive haben, sich im Seniorenbereich durchzusetzen. Der Bedarf, Spieler bei einem Kooperationspartner heranzuführen, besteht auf sämtlichen Niveauebenen, ein gelungenes Beispiel mag die Kooperation zwischen dem FC Chelsea und Vitesse Arnheim sein. Um Talenten von Vereinen aus den großen Ligen eine adäquate Spielpraxis zu ermöglichen, ist der Wettbewerb im kleinen Luxemburg jedoch zu schwach, sodass zumindest für größere Vereine aus Deutschland und Frankreich der Niveauunterschied zu groß sein dürfte, zumindest aktuell noch. Am ehesten könnte sich Belgien für eine Kooperation anbieten.

Neben der Spielpraxis könnte auch der Zugriff auf Talente aus Luxemburg Relevanz entfalten. Bislang hatte zumeist der FC Metz aus Frankreich das natürliche Zugriffsrecht auf luxemburgische Nachwuchsspieler. Inzwischen steigt die Zahl interessanter Talente und mit ihnen die Zahl der Interessenten, nicht zuletzt der FC Bayern München bemühte sich zuletzt um die Luxemburger Ryan Johannson und Vincent Thill. Hierdurch könnte das Interesse an einer Kooperation stärker werden.

Es ist wahrscheinlich, dass sich in den kommenden Jahren mindestens 2-3 Vereine in der BGL-League mit Fokus auf Nachwuchsförderung als Kooperationsvereine verstehen werden, da hier jenseits größerer Geldgeber die Chance zur sportlichen Entwicklung besteht und der Bedarf seitens der Nachbarländer größer wird.

Professionalisierung der Spielerbetreuung und -einbindung:

Auch wenn die Spieler der BGL-League im Wesentlichen nicht vom Fußball nachhaltig werden leben können und jeder Verein einen Anteil an vollerwerbstätigen Spielern behalten wird, je nach Verein in kleinerer oder größerer Zahl, so werden die Vereine in der Einbindung und Betreuung der Spieler weitere Fortschritte machen (müssen). Neben dem Gehalt / der Aufwandsentschädigung bieten die Vereine immer häufiger die Möglichkeit Beschäftigungsverhältnisse mit Perspektiven für die Zeit nach der Karriere zu vermitteln, gleiches gilt für Wohnraum und Infrastruktur.

Luft nach oben besteht in der Betreuung von Spielern außerhalb der Trainings- und Spieleinheiten, der Professionalisierung des Trainings, insbesondere im Hinblick auf die Ausweitung der Trainerstäbe, Spezialisierungen im Fitnessbereich oder medizinischen Bereich und der Trainingsinhalte. Aufgrund des in jedem Verein relevanten Anteils an Vollzeitarbeitnehmern wird der Trainingsumfang weiter 4-6 Einheiten abends betragen, reguläres Training tagsüber dürfte die Ausnahme bleiben.

Die Frage „Wo steht der luxemburgische Fußball in fünf bis zehn Jahren?“ ist aktuell nur schwer zu beantworten. Es wird stark davon abhängen, wie der Spagat zwischen der Förderung im eigenen Land und ein mit der weiteren Internationalisierung einhergehender Bedarf an weiterer Professionalisierung unter einen Hut gebracht werden kann. Für eine nachhaltige Entwicklung müsste die Abhängigkeit von einzelnen Geldgebern reduziert und die Wertschöpfung erhöht werden. Es dürften vermutlich mehrere Ansätze zum Tragen kommen, die die Liga auf mehreren Feldern entwickeln. Verschläft man die weitere Entwicklung, droht ein sportliches Loch wie in den späten 90er und 2000er Jahren.

Beitragsbild und Fotos: Wir bedanken uns beim Football Club Progrès Niederkorn für die Bereitstellung von Bildmaterial.

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