moderner Fußball – 120minuten https://120minuten.github.io Lange Texte. Über den Fußball. Thu, 15 Aug 2019 20:48:36 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.4.2 73012590 Episode 29: “Überleben im Turbokapitalismus II” https://120minuten.github.io/episode-29-ueberleben-im-turbokapitalismus-ii/ https://120minuten.github.io/episode-29-ueberleben-im-turbokapitalismus-ii/#respond Thu, 15 Aug 2019 20:48:36 +0000  

In Ausgabe 29 des 120minuten-Podcasts spricht Alex Schnarr aus der Redaktion mit den “Zeitspiel”-Herausgebern Hardy Grüne und Frank Willig sowie mit Marcel Delfs vom SC Fortuna Wellsee über das Titelthema von Zeitspiel-Ausgabe 15, “Überleben im Turbokapitalismus II”.

Zunächst berichten Hardy und Frank darüber, welche Idee hinter dem Schwerpunkt von Heft Nr. 15 steckt und wie die Macher an das Thema herangegangen sind. Im weiteren Verlauf geht es dann erst einmal ganz grundsätzlich um die Frage, wovon wir eigentlich sprechen, wenn wir von “dem Fußball” reden und ob der Profi- und der Amateurbereich nicht inzwischen zwei voneinander getrennte Welten mit eigenen Logiken sind. Marcel und Frank geben dann Einblicke in die Arbeit beim SC Fortuna Wellsee bzw. bei Arminia Hannover, bevor die Diskussionsrunde im weiteren Verlauf darüber nachdenkt, welche Macht die Vereine im Turbokapitalismus haben und welche gesellschaftlichen Erwartungen man an den Amateurfußball eigentlich herantragen kann. Die Folge endet mit einem Blick in die Zukunft und je einem Wunsch der Gesprächspartner an die/den künftige/n DFB-Präsident*in.

Leider gab es während der Aufnahme kleinere technische Probleme, die sich an einigen Stellen auch auf die Tonqualität niedergeschlagen haben. Wir hoffen sehr, dass sie den Hörgenuss nicht übermäßig schmälern.

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Episode 18: “Die Wurzeln des modernen Fußballs” mit Petra Tabarelli https://120minuten.github.io/episode-18-die-wurzeln-des-modernen-fussballs-mit-petra-tabarelli/ https://120minuten.github.io/episode-18-die-wurzeln-des-modernen-fussballs-mit-petra-tabarelli/#respond Thu, 25 Oct 2018 15:56:48 +0000  

In Ausgabe 18 des 120minuten-Podcasts spricht Oliver Leiste aus der Redaktion mit Petra Tabarelli und Redaktionskollege Christoph Wagner über die Wurzeln des modernen Fußballs. Grundlage des Gesprächs sind Petras Longreads zum Thema, in denen sie sowohl die Entwicklungen in England als auch in Deutschland nachgezeichnet hat. Dementsprechend stehen natürlich auch beide Länder im Fokus. Es geht zunächst um die Frage, wer den Fußball in England eigentlich erfunden hat und welchem Zweck er ursprünglich diente. Unter anderem besprochen wird außerdem, ob nicht vielleicht doch die Schotten die eigentlichen Erfinder dessen sind, was wir heute als Fußball bezeichnen würden. Anschließend geht der Blick nach Deutschland und wird vergleichend betrachtet, warum hier einige Dinge einfach länger brauchten als im Mutterland der schönsten Nebensache der Welt. Abschließend steht die Frage im Mittelpunkt, wann genau der moderne Fußball denn nun eigentlich modern wurde.

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Vom Kaiserreich zur Kommerzialisierung: Deutschland und der moderne Fußball https://120minuten.github.io/vom-kaiserreich-zur-kommerzialisierung-deutschland-und-der-moderne-fussball/ Thu, 23 Aug 2018 06:58:44 +0000 https://120minuten.github.io/?p=5228 Weiterlesen]]> „Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Hauptsächlich werden die Anfänge des Fußballs – 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland – untersucht

Der erste von zwei Teilen befasste sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England. Im nun folgenden zweiten Teil geht es um die Entwicklung des modernen Fußballs in Deutschland.

Von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de)

Fußball wird in Deutschland bekannt

Ein Spiel des Dresdner Fußball Clubs aus den Anfangstagen des Sports in Deutschland.

Im Mittelalter und der Frühen Neuzeit gab es in England football, in Frankreich soule, in Italien calcio. In Deutschland, genauer gesagt dem damaligen deutschen Kaiserreich, gab es vor dem 19. Jahrhundert kein Fußballspiel. Es konnte also nicht auf schon bekannte Formen zurückgreifen, die in der Folgezeit reguliert wurden. Fußball war unbekannt. Und daher musste er erstmal Fuß fassen, um modernisiert werden zu können. Denn das Wort modern setzt ja voraus, dass es schon eine Vorform, eine antike Form zuvor gab.

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts kamen die in England beliebten Sportarten wie Cricket, Baseball und beide Fußballvarianten, Rugby und (Assoziations-)Fußball, nach Deutschland. Denn die in Deutschland lebenden Engländer und englische Langzeittouristen wollten nicht auf die liebgewonnenen Sportarten verzichten, die auch die Kontaktaufnahme zu anderen Engländern der Umgebung sehr erleichterte. In diesen Jahrzehnten entwickelte sich das reglementierte Fußballspiel vom Schüler- und Studentensport zu einem in der englischen Gesellschaft verankerten Freizeit- und Bewegungsvergnügen.

Deutsche, die in Kontakt zu Engländern standen – beispielsweise Ärzte, Sprachlehrer, Uniprofessoren oder Journalisten – beobachteten den Sport der Engländer, fanden mitunter Gefallen an Fußball und imitierten ihn. Das passiert vor allem in den so genannten Engländerkolonien in Deutschland. Diese befanden sich vor allem in Residenzstädten wie Hannover, Braunschweig, oder Dresden, oder in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Göttingen. Auch in im 19. Jahrhundert beliebten Kurorten – Wiesbaden, Baden-Baden oder Cannstatt sind hier Beispiele – und in Handelsstädten wie Frankfurt, Berlin, Hamburg oder Leipzig waren häufig Engländer anzutreffen.

Soziale Herkunft der Fußball-Liebhaber
In der Forschung wird noch über die soziale Basis der Fußball-Liebhaber diskutiert – waren es Angestellte oder doch Arbeiter, die in Deutschland das Fußballfieber entfachten? Oder waren es Arbeiter, die als verdeckte Bezahlung einen Bürojob erhielten und sind diese dann als Arbeiter oder Angestellte zu zählen? Eggers merkt an, dass die Quellenlage über die Mitgliederstruktur des DFB vor dem ersten Weltkrieg sehr dürftig ist und viele Fußballspieler noch in den 1920er Jahren als Pseudobezahlung eine scheinbare Angestelltenstellung erhielten, aber aus dem Arbeitermilieu stammten. Als Belege nennt er Clubs im Ruhrgebiet und die Mannschaft von Bayern München 1925, deren Spieler vor allem aus dem Arbeitermilieu stammten und die mit Schein-Arbeitsplätzen und der dazu entsprechenden Bezahlung geködert wurden.

Engländer in Deutschland und Konrad Koch

Es waren aber nicht nur die in Deutschland lebenden Engländer, die den Fußball in Deutschland bekannt machten, sondern auch Konrad Koch, der Thomas Arnolds Ideologie und Leben profund während seines Studiums erforscht hatte. Koch muss von Arnold begeistert gewesen sein, denn er kopierte ihn und führte als Lehrer das Fußballspiel 1874 am Martino-Katharineum in Braunschweig ein, um die Jugendlichen fit zu machen und um die Basis für eine athletische Elite zu legen. Wie in England wurde Fußball als Winterspiel in den kalten Monaten des Jahres gespielt, während im Sommer Leichtathletik im Vordergrund stand. Übrigens hat Konrad Koch nicht Assoziationsfußball spielen lassen, sondern Rugby – wie Thomas Arnold als Schulleiter der Privatschule in Rugby. Da jedoch Assoziationsfußball in Deutschland wesentlich mehr und schneller Verbreitung fand als Rugby, unterstützte er diesen ab den 1890er Jahren. Koch versuchte, in Deutschland eine Fußballbegeisterung zu entfachen, wie es in England damals gerade passierte. Aber der Funke sprang in Deutschland nicht über. Als die erste Assoziationsfußballmannschaft in Deutschland gilt der Lüneburg College Football Club, bei dem den Namen der Spieler nach auch aus Deutschland stammende Schüler spielten. 

Vgl. Hock, Hans-Peter: Der Dresden Football Club und die Anfänge des Fußballs in Europa. Hildesheim 2016. S. 18-20. Wer mehr zu Konrad Koch wissen möchte, sei Malte Oberschelps 2015 erschienene Biografie über Koch sehr empfohlen.

Denn in Deutschland war das Turnen die Körperertüchtigung Nummer Eins. Anfang des 19. Jahrhunderts beliebt geworden, war das Turnen eng mit studentischen Verbindungen und dem Einheits- und Nationalgedanken verbunden. Die aus England kommenden Sportarten wie Rugby oder Assoziationsfußball, Tennis oder Cricket wurden argwöhnisch beobachtet, weil sie eben aus England stammten und nicht deutschen Ursprungs, also nicht Teil der deutschen Kultur waren. Dazu kamen die Übersetzungsschwierigkeiten des englischen Begriffs sports, der letztendlich einfach in den deutschen Sprachgebrauch übernommen wurde. Auch Fachbegriffe wie offside, hand, to center oder goal wurden zunächst übernommen.

Die Spielbewegung und der Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen

Im November 1882 erließ der preußische Kultusminister, Gustav von Goßler, den nach ihm benannten Spielerlass. Er ermunterte darin die preußischen Kommunen, Spielplätze zu bauen und Turnen (später auch Bewegungsspiele/Sport) als regelmäßigen Teil des Unterrichts zu integrieren. Gleichzeitig sollten schulfreie Spielenachmittage etabliert werden.

Gustav von Gossler

Neun Jahre später, am 21. Mai 1891, gründeten von Goßler und der preußische Abgeordnete Emil Freiherr von Schenckendorff den Zentralausschuss zur Förderung von Jugend- und Volksspielen (ab 1897 Zentralausschuss zur Förderung von Volks- und Jugendspielen), kurz ZA. Der ZA war dabei kein Zusammenschluss von Fußball-Liebhabern verschiedener sozialer Herkunft, sondern bestand vor allem aus Mitgliedern der Nationalliberalen Partei und dessen Alldeutschen Verbandes (gemeinsame Ziele: Stärkung des deutschen Nationalbewusstsein, Pro-Imperialismus), somit vor allem Politikern, Beamten und Armee-Angehörigen. Ihr vorrangiges Ziel war aber nicht, den Sport politisch zu vereinnahmen, sondern vielmehr eine philanthropische, erzieherische, militärische und sozialdarwinistische Mischung, eine „gesunde“ Elite an sportlichen Deutschen und damit potentiellen Soldaten heranzuziehen. Daher versuchten die engagierten Persönlichkeiten, die Gräben zwischen Turnern und Sportlern aufzufüllen und zwischen ihnen zu vermitteln. Turnen und Sport (zeitgenössisch auch Bewegungsspiele genannt) sollten parallel existieren und sich ergänzen. Um diese Absicht zu erreichen, versuchte der ZA, die einzeln wirkenden Kräfte in Deutschland zu bündeln, um so das gemeinsame Ziel schnell zu erreichen. Dazu gehörte der Zentralverein für Körperpflege in Volk und Schule, der Deutsche Bund für Sport, Spiel und Turnen, das Komitee für die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen zu Athen 1896 und später der 1911 gegründete Jungdeutschlandbund, in dessen Bundesleitung auch viele Mitglieder des ZA vertreten waren und der sich wie der ZA in der vormilitärische Ausbildung engagierte.

Wie versuchte man, die Ziele zu erreichen? Nun, durch einen intensiven Lobbyismus in Militärbehörden und Schul- und Stadtverwaltungen, Englandreisen, regelmäßige und verschiedene Zielgruppen ansprechende Veröffentlichungen und eine enorm große Werbetätigkeit. Die Geldmittel kamen aus dem preußischen Kultusministerium und anderen deutschen Landesregierungen.

Der ZA erreichte letztendlich seine Ziele der Verbreitung der Sportarten und die nationale Ausrichtung dieser.

Der Deutsche Fußballbund

Logo des Deutschen Fußballbundes von 1900

In den 1890er Jahren entstanden eine Reihe von neuen Vereinen und auch erste regionale Fußballverbände, zum Beispiel in Berlin (Bund Deutscher Fußballspieler 1890, Deutscher Fußball- und Cricketbund 1891). Doch während Vereine in England gewachsene Gemeinschaften waren, gab es in Deutschland eine hohe Fluktuation in den Vereinen und daher auch einen geringen Zusammenhalt der Spieler. Die Identifikation mit einem Club war also nicht gewachsen – das kam dem ZA ungelegen. Seine Versuche, einen gesamtdeutschen Verband zu gründen, scheiterten zunächst an Unstimmigkeiten zwischen den Verbänden. Nach einigen Jahren der Vermittlung gab es Ende Januar 1900 in Leipzig einen neuen Versuch, einen deutschen Verband zu gründen. Nun stimmten 60 der 86 Vereine für die Gründung des Deutschen Fußballbundes. Die Gründungsmitglieder waren sowohl regionale Verbände (Verband südwestdeutscher Fußballvereine, beide Berliner Verbände und der Hamburg-Altonaer Fußball-Bund) als auch einzelne Vereine aus Prag, Magdeburg, Dresden, Hannover, Leipzig, Braunschweig, München, Naumburg, Breslau, Chemnitz und Mittweida – also aus dem ganzen damaligen Deutschland. Der Spielausschuss des DFB erstellte in den kommenden Jahren einheitliche Statuten und Spielregeln nach englischem Vorbild (1906 herausgegeben) und es gab einen regelmäßigen Spielbetrieb um die Deutsche Meisterschaft (ab der Saison 1902/1903) und den Kronprinzenpokal (ab der Saison 1908/1909).

Im DFB entschied man sich für die nationale und gegen die kosmopolitische Ausrichtung. Denn so erhielten sie vor den Turnern den Vorzug, um die Exerzierplätze als Spielfeld benutzen zu dürfen. Als Wehrsport wurde der Stereotyp eines Fußballers mit soldatischen Idealen aufgeladen: Kampf und Opfermut bis zur letzten Minute, Pflichttreue und Treue zur eigenen Mannschaft sowie Charakterstärke und Idealismus. An diesem Ideal hat sich bis heute wenig geändert und es ist auch der Grund, weshalb in Deutschland die Legalisierung von entlohntem Fußball noch vehementer abgelehnt und stigmatisiert wurde als in England. Vieles ist in Deutschland wie in England verlaufen, nur etwa 50 Jahre später, aber nicht in diesem Punkt: Während Fußball in England modern wurde, als er legaler Profifußball wurde und viele Menschen direkt oder indirekt durch das Fußballspiel Erwerbsmöglichkeiten fanden, wurde Fußball in Deutschland durch das Militär und das soldatische Ideal, also durch das deutsche Amateurideal, modern. Das änderte sich auch nicht, als der Profifußball etwa 50 Jahre nach der Legalisierung in England auch in Deutschland legalisiert wurde. Das ist vielleicht ein Grund, weshalb in Deutschland das Begriffspaar moderner Fußball mittlerweile stark negativ konnotiert ist und die 50+1-Regelung nicht schon längst über den Haufen geworfen wurde. Es ist aber vielleicht auch der Grund dafür, dass häufig und des Geldes wegen wechselnde Spieler als Söldner(!) beschimpft werden, weil sie nicht bis zu ihrem letzten Atemzug ihrer Mannschaft treu blieben – bewusst sehr pathetisch formuliert.

Währenddessen stieg die Mitgliederzahl des DFB rapide an und versiebzehnfachte sich zwischen 1904 und 1913.

Wie schon gesagt, Goßlers Idee ging also auf, Fußball wurde Wehrsport. Schon vor 1910 spielte die Marine ihre eigene Fußballmeisterschaft aus, ab 1911 auch das Landesheer. Der DFB wurde wie der ZA Mitglied in staatlichen, militärisch geprägten Jugendorganisationen wie dem 1911 gegründeten Jungdeutschland.

Als Wehrsport musste sich Fußball nun aber endgültig von dem Vorwurf des undeutschen Sportes lösen und Sprachbarrieren  beseitigen. Daher gab es ab den 1890er Jahren immer wieder Artikel in Zeitungen, Pamphlete und auch Bücher, die die englischen Begriffe eindeutschten.

Moderner Fußball: Die Fußballbegeisterung wird Teil der deutschen Gesellschaft

Viele deutsche Soldaten lernten das Fußballspiel erst als Wehrsport während des ersten Weltkrieges kennen; liebten und lebten ihn. Die Spiele dienten hier, in dem reinen Stellungskrieg, vor allem zur psychischen Stabilisierung von Truppeneinheiten und zur Hebung deren Stimmung, fand aber auch durch seinen klassennivellierenden Charakter allgemeine Beliebtheit bei den nichtadeligen Milieus. Diese Begeisterung endete nicht mit dem Kriegsende – im Gegenteil. Manche spielten Fußball fortan in Vereinen und viele weitere wurden begeisterte Zuschauer. 1920 hatte der DFB die 500.000er Marke seiner Mitglieder geknackt. Jetzt begann der Fußball, auch in Deutschland ein Massenphänomen zu werden.

In dieser Zeit, in der Weimarer Republik, nahm Fußball eine Mittlerrolle zwischen der deutschen Bevölkerung und der Reichswehr ein. Dabei war die Grenze zwischen zivilem und Militärsport fließend. Das Wort Kampf wurde in den 1920er Jahren zu einem Schlüsselbegriff: Kampfspiele, Kampfbahn, Kampfgemeinschaft, usw. Der Fußball diente als vormilitärisches Feld, um trotz dem Verbot einer Armee, die kommende Generation an die Tugenden der Soldaten heranzuführen. Außerdem tarnten sich viele paramilitärische Vereinigungen als Sportclubs wie die Box- und Sportabteilung der NSDAP. Diese wurde aber schon verhältnismäßig früh, nämlich im November 1921, von Hitler in Sturmabteilung, SA, umbenannt.

Waren Sportarten wie Fußball nach Ende des ersten Weltkrieges ein gutes Ventil, um die psychische Belastung der Kriegsjahre zu kompensieren, bargen sie damit aber in der Zwischenkriegszeit ein deutliches Gewaltpotenzial. Viele, die das Fußballspiel während des Krieges kennengelernt hatten, spielten einen derart unfairen Fußball oder benahmen sich als Zuschauer mit Platzstürmen und Gewaltandrohungen gegen Schiedsrichter und Gegner so rüde, dass Fußball zu Beginn der 1920er Jahre nicht nur breite Beliebtheit erfuhr, sondern gleichzeitig einen sehr schlechten Ruf erlangte. Der sehr angesehene Schiedsrichter Peter Joseph „Peco“ Bauwens legte 1925 wegen des Verhaltens der Spieler und Zuschauer in der Halbzeit des Spieles 1. FC Nürnberg gegen MTK Budapest schlicht sein Amt nieder.

Zu der Problematik von Fußball in der Weimarer Republik und Bauwens vgl. Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999. S. 306-339.

 

Dabei entwickelte sich der Fußball durch die zahlreichen Zuschauer zu einem veritablen Wirtschaftsgut. Diesen verlorenen Respekt versuchte der DFB abermals durch die Verknüpfung mit dem soldatischen Ehrbegriff wiederherzustellen – erfolgreich.

Die ersten Radioübertragungen

Unterstützung erfuhr der Fußball in Deutschland wie in England durch Journalismus, Getränke- und Bauindustrie, Wettbüros, Fotografie und Sportartikelhersteller. Auch Zigarren- und Zigarettenfabriken sowie Schnapsbrennereien profitierten von dem Sport, denn es war auf den Zuschauerrängen üblich, sich zwischendurch mit einem Schluck aus dem Flachmann oder einer Zigarre zu stärken. Neu und in diesem Fall ganz elementar war für Sportinteressierte das moderne Medium Radio, dessen Verkaufszahlen sich zwischen 1923 und 1926 rapide anstiegen. Es war für Sport und Medium eine Win-Win-Situation: Das Radio beflügelte das Interesse, Sport zu verfolgen und die an Sport Interessierten kauften sich Radios. Wann das erste Spiel in Deutschland übertragen wurde, ist umstritten: War es das Spiel Preußen Münster gegen Arminia Bielefeld am 1. November 1925 oder das vom Rundfunkpionier Bernhard Ernst kommentierte DFB-Endspiel zwischen der SpVgg Fürth und Hertha BSC (Ende 1925)? Wie dem auch sei, der DFB unterstützte zunächst die Rundfunkübertragungen von Fußballspielen, um 1928 stark zurückzurudern: Um nicht die Zuschauerzahlen und damit Einnahmen der Vereine zu gefährden, wurden die Übertragungsrechte nur für das DFB-Endspiel sowie drei Länderspiele vergeben. Diese deutlichen Einschränkungen führten zu heftigem Protest der Zuschauer und tatsächlich wurden ab 1932 wieder mehr Fußballspiele via Radio übertragen; vor allem solche Spiele, bei denen eine Reduzierung der Zuschauerzahl nicht zu befürchten war.

Der DFB war kein Einzelfall. U.a. auch England und Schweden ließen die Übertragungen teils verbieten (Schweden) oder diskutierten über ein generelles Verbot (England).

Moderner Fußball: Profifußball wird (zum ersten Mal) legal

Mitte der 1920er Jahre kam es in Deutschland zu den ersten ernsten Anläufen, dass Fußballspieler ein bezahlter Beruf wird. Denn durch den Dawes-Plan (1925) und seine Unterstützungen begannen viele Städte, neue Stadien zu errichten, um mit Hilfe der Fußballbegeisterung die städtischen Kassen zu füllen. Um die Hypotheken schneller zurückzuzahlen und das Stadion auszulasten, musste man attraktive Spiele bieten und daher Fußballergrößen in die Vereine der Stadt locken. Außerdem war ab 1925 die Teilnahme Deutschlands an den Olympischen Spielen wieder möglich. Der Ehrgeiz , eine besonders schlagkräftige Mannschaft nominieren zu können, war deshalb groß. Unter der Hand gezahlte Zuwendungen waren längst die Regel.

Der DFB blieb bei seinem soldatischen Ideal des Fußballers, den der ehrenvolle Verdienst leitete, nicht der finanzielle . Bei Zuwiderhandlung drohte die Disqualifikation aus Meisterschaft und Pokalwettbewerb. Dabei war der Wunsch vieler Vereine, wettbewerbsfähig zu anderen Ländern zu sein. Bereits 1925 hatte der DFB eine Satzungsänderung verabschiedet, die es deutschen Vereinen stark erschwerte, gegen ausländische Profimannschaften zu spielen. (Der Boykott wurde erst 1930 auf Druck der FIFA aufgehoben.)

Durch die finanziellen Verluste der Weltwirtschaftskrise, die insbesondere die untere Mittelschicht (Angestellte, Facharbeiter) traf, gab es ab 1929 erneut deutliche Bemühungen, den Berufsfußball einzuführen. Bezahlungen der Fußballer unter der Hand waren mittlerweile die Regel, aber der DFB blieb weiterhin bei seinen Prinzipien. Mehr noch, im August 1930 sperrte er 14 Schalker Spieler und zudem mehrere Schalker Funktionäre und verhängte eine empfindlich hohe Geldstrafe von 1000 Reichsmark gegen den Verein. Der Grund: Schalker Spitzenspieler waren Arbeiter in der Schachtanlage Consolidation, wurden aber nur mit leichteren Aufgaben betraut und mussten also nicht unter Tage arbeiten, erhielten dafür aber deutlich mehr Lohn als ihre Kollegen. Die Bestrafung als abschreckendes Exempel für alle anderen Vereine ging für den DFB komplett nach hinten los: Viele weitere erfolgreiche Vereine bedrängten den Verband, die Strafen zurückzuziehen und drohten andernfalls mit dem Austritt. Der Westdeutsche Fußballverband forderte die Trennung in Amateurfußball und Berufsfußball. Noch lehnte der DFB ab, aber als es noch 1930 zur Gründung des Deutschen Professionalverbandes innerhalb des Westdeutschen Fußballverbandes und zu einer Reichsliga (gegründet von Sportjournalisten) kam, lenkte er ein. Schalke wurden die drakonischen Strafen erlassen. Aber der Profifußball wurde noch nicht legalisiert. Das Drängen der Vereine blieb und zwei Jahre später fürchtete der DFB die Spaltung des Fußballs wohl so sehr, dass er wie ca. 50 Jahre zuvor Alcock in England den Fußballsport legalisiert, um ihn dann besser kontrollieren zu können. Doch zu der für 1933 geplanten Reichsliga kam es nicht. Daran hatten nicht direkt die Nationalsozialisten Schuld; ihnen wären professionelle Sportler vielleicht sogar entgegengekommen. Nein, Felix Linnemann, seit 1925 Vorsitzender des DFB wurde 1933 mit der Leitung des Fachamts Fußball im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen betraut und machte direkt die in seinen Augen erzwungene Legalisierung des Profifußballs rückgängig.

Moderner Fußball: Profifußball wird (wieder) legal

1950, noch vor der Neugründung des DFB, beschloss die Delegiertenversammlung der Landesverbände, ein Vertragsspielerstatut zur Legalisierung des bezahlten Fußballs. Ein Spieler, der noch einem weiteren Beruf nachging, durfte dennoch nicht mehr als 320 DM monatlich erhalten, d.h. nicht mehr als den Lohn eines Facharbeiters. Aus dem Jahresgehalt errechnete sich die Ablösesumme. Zur der gehörte auch immer ein Gastspiel des neuen Vereines.

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Am Ziel der Träume? Fußball und der Nationalsozialismus

Der Fußball in Deutschland hat es in seinen Anfangsjahren nicht leicht. Gesellschaftliche Vorbehalte, Konkurrenz durch die traditionsreiche Turnerschaft, das unsägliche Geschacher um das Amateurgebot. Unter der Regie des machtbewussten DFB hat sich der Fußball dennoch zum Spiel der Massen entwickelt, wie ich in meinem ersten geschichtlichen Überblick für 120minuten aufgezeigt habe. Ideale Voraussetzungen für die Nationalsozialisten, das Spiel für seine Zwecke zu ge- und missbrauchen? Welche Rolle spielte der DFB dabei? Wie hat der deutsche Fußball auf die verordnete „Gleichschaltung“ reagiert? Und wie ging es in Sachen Profitum weiter?

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1954 wurde Deutschland überraschend Weltmeister. In den Folgejahren nahm die Bedeutung der Nationalmannschaft wegen fehlender Erfolge jedoch spürbar ab. Viele Spieler wechselten zu Vereinen ins Ausland, wo der Profifußball längst etabliert war und sie höhere Gehälter erhielten. Beispielsweise nach Italien, wo Helmut Haller (1962-1968 FC Bologna, 1968-1973 Juventus Turin), Karl-Heinz Schnellinger (1963-1964 AC Mantua, 1964-1965 AS Rom, 1965-1976 AC Mailand) oder auch Horst Szymaniak (1961-1963 CC Catania, 1963-1964 Inter Mailand, 1964-1965 FC Varese) spielten. Um dem Trend entgegenzuwirken, beschloss der DFB auf seinem Bundestag 1962 die Einführung einer Berufsspielerliga, der Bundesliga. Neben Amateurspielern und Vertragsspielern gab es nun auch Lizenzspieler, die ein dreimal so hohes Gehalt wie Vertragsspieler erhalten und einen Teil der Transfersumme kassieren konnte. Aber die Bestimmungen waren in den 1960er Jahren noch recht restriktiv, weshalb in der ersten Bundesligasaison nur 34 Spieler Fußball als Vollzeitberuf ausgeübt haben sollen. Sie brauchten einen guten Leumund, durften aber ihren Namen nicht für Werbezwecke zur Verfügung stellen und so weiteren Lohn erhalten und die Gesamtbezüge aus Lohn, Handgeld, Prämien und Ablösesummen durften nicht 1200 DM monatlich übersteigen.

Für den DFB lohnte sich die Einführung der Bundesliga: Die Nationalmannschaft hatte wieder Erfolg und da in den 1960er Jahren schon viele Haushalte über einen Fernseher verfügten, konnte sich der DFB durch Fernsehübertragungsgebühren, Werbeeinnahmen und Sponsorengelder finanzieren.

Für die Vertrags- und auch Lizenzspieler war das Fußballspiel innerhalb der vom DFB gesetzten Grenzen nicht rentabel und so verwundert es nicht, dass es in der Saison 1970/71 zu einem so großen Bestechungsskandal kam und der DFB abermals zum Umdenken gezwungen wurde. 1972 wurde der Markt geöffnet – seitdem steigen die Einkommen der Fußballprofis kontinuierlich. Die Liberalisierung der elektronischen Medien und das Bosmanurteil vom Dezember 1995 haben diesen Effekt noch einmal deutlich verstärkt.

Fazit: Moderner Fußball durch Eventisierung und Taktik

Doch wann hielt der moderne Fußball nun tatsächlich Einzug in Deutschland? Je nach Betrachtungsweise gibt es dafür drei Möglichkeiten:

  1. Macht man den modernen Fußball an der allgemeinen, nationalen Begeisterung fest, so war es der erste Weltkrieg.
  2. Verbindet man den modernen Fußball mit Profifußball und seinen Folgen, so waren es die 1960er und 1970er Jahren, da die erste Legalisierung 1932 nur wenige Monate Bestand hatte.
  3. Nimmt man den Begriff “moderner Fußball” dagegen als Ausgangspunkt, liegt der Beginn in den 1980er Jahren. Bis 1976 existierte dieser Begriff in der deutschsprachigen Literatur noch gar nicht. Seitdem gab es ein kurzes kleineres Maximum von 1987 bis 1988, das ab 2002 wieder erreicht wurde und mindestens bis 2008 übertroffen wurde.

Lag die erste Häufung des Begriffs Ende der 1980er Jahre an dem Wechsel von Trainer Arrigo Sacchi zum AC Milan und seiner dort etablierten Spielidee? Wurde dieses Ereignis in der deutschsprachigen Literatur tatsächlich so gewürdigt? Oder hat es eine andere Ursache? Darauf habe ich leider keine Antwort.

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Vom Gentlemen- zum Arbeitersport: England und der moderne Fußball https://120minuten.github.io/vom-gentlemen-zum-arbeitersport-england-und-der-moderne-fussball/ https://120minuten.github.io/vom-gentlemen-zum-arbeitersport-england-und-der-moderne-fussball/#comments Wed, 16 May 2018 07:00:10 +0000 https://120minuten.github.io/?p=4668 Weiterlesen]]> „Moderner Fußball“ ist ein Schlagwort. Ein Schlagwort, das in Zeiten von wankendem 50+1, zunehmender Kommerzialisierung, zerstückelter Spieltage etc. vorwiegend negativ konnotiert ist. Aber war der Fußball vorher alt? Antik? Natürlich mitnichten. Etymologisch betrachtet, bedeutet modern nichts anderes als „modisch/nach heutiger Mode“. Synonyme sind Adjektive wie aktuell, neu(artig), zeitgemäß und meinen damit auch fortschrittlich und etwas, das gerade eben („modo“) beliebt geworden ist. Ähnlich definiert es auch der Duden. So gesehen geht es bei der Frage nach modernem Fußball um die Phase, in der Fußball bei der Masse der Bevölkerung und nicht nur ein paar Nerds beliebt und in der die ursprüngliche Form weiterentwickelt wurde.
Es soll hier nur um den Beginn des modernen Fußballs in England und Deutschland (genauer gesagt: im deutschen Kaiserreich) gehen und um die Frage, was oder wer verursachte, dass er modernisiert wurde. Der Beitrag ist ein in Fließtext gebrachtes Brainstorming, das ausdrücklich zum Kommentieren anregen soll. Allerdings geht es hier wirklich nur um die Anfänge des Fußballs, d.h. um etwa die Phase 1820-1900 in England und 1870-1930 in Deutschland.

Dieser erste von zwei Teilen befasst sich mit dem Beginn des modernen Fußballs in England.

Von Petra Tabarelli (nachspielzeiten.de)

Eigentlich. An der Uni habe ich gelernt, dass man möglichst nicht das Wort eigentlich benutzt, weil es eine Aussage so stark abmildert, dass diese ihren Sinn verliert. Aber wir sind hier ja nicht an der Uni. Also, eigentlich war Fußball in England ja schon vor 1820 beliebt. Football, das Fortbewegen eines runden Gegenstandes mit den Füßen, wurde zwischen nahegelegenen Siedlungen gespielt. Allerdings erinnern die Beschreibungen an ein sehr kampfbetontes Rugbyspiel, denn das Transportieren der Kugel mit den Händen war ebenso erlaubt wie gewaltfrohes Einsteigen als Tackling. Sei es mit Füßen und Händen oder mit anderen Mitteln wie Stöcken. Spielen durfte jeder; eine Einteilung in Spieler und Zuschauer gab es nicht. Zwar gab es einzelne Regeln, die jedoch nicht so regulierend in das Spiel eingriffen wie in die heutigen Varianten des Fußballspiels. Darüber hinaus gab es schon während der Frühneuzeit Bemühungen, die Fußballspiele zu regulieren und damit zu kontrollieren (Richard Mulcaster, 1561: Man brauche einen „training master“ und eine Person, die „jugde over the parties and hath authroritie to commaunce“ ), aber sie waren erfolglos.

Nimmt man diese Formen des Fußballspiels als alte, archaische Varianten an, so muss man die regulierten Fußballspiele an englischen Privatschulen zwangsläufig als den modernen Fußball bezeichnen, und zwar als Fußballspiele, die bestimmten Regeln unterworfen waren mit dem Ziel, die aus der Oberschicht (hierunter zähle ich „aristocracy“ und „gentry“) und gutverdienenden Mittelschicht stammenden Privatschüler zu Gentlemen zu machen.

aristocracy, gentry und gentlemen
„aristocracy“ und „gentry“ sind die Bezeichnungen für die beiden Adelsgruppen (der upper class) in England. aristocracy ist der Hochadel, gentry der niedere, auch ländliche Adel. Beide sind qua Geburt adlig und die Männer damit auch qua Geburt Gentlemen.

Die gentry verarmte um 1800 und im 19. Jahrhundert immer mehr im Vergleich zur neu entstehenden Mittelschicht (middle class), zu dem das Bürgertum und insbesondere auch das Wirtschaftsbürgertum gehörte, d.h. Fabrikinhaber und Händler im weitesten Sinne (Börse mit eingeschlossen). Bürger verdienten Geld, in dem sie arbeiteten und Menschen für sich arbeiten ließen. Adlige erhielten Geld von ihren Pächtern, die Land von ihnen bewirtschaften durften. Für einen Adligen war es undenkbar, dass er für seinen Unterhalt selbst arbeitete. Adlige konnten es sich leisten, müßig zu sein.

Zunächst waren nur Adlige, also aristocracy und gentry, Gentlemen und wurden auf Privatschulen, die public schools, geschickt, damit sie die Benimmregeln eines Gentleman (lies: eines Adligen) erlernten. „Gentleman“ war nicht nur die Bezeichnung für eine soziale Schicht, sondern auch für die moralische Komponente, die heute noch mit dem Begriff verwendet wird. Die Schulgebühren waren so hoch, dass nur Adlige es sich leisten konnten, ihre Kinder auf diese Schulen zu schicken. Außerdem konnten sich Kinder so schon frühzeitig mit ihresgleichen vernetzen. Auch die Schulen waren durchaus darauf bedacht, eine Exklusivität zu behalten, auf die Adlige bei der Schulwahl achteten. Im 19. Jahrhundert entstanden die Self-made-Gentlemen, die genug Geld und gesellschaftliches Standing hatten, um ihre Kinder auch auf Privatschulen zu schicken. Manche Schulen verschlossen sich diesen Self-made-Gentlemen, um durch die bewahrte Exklusivität konservative Adlige anzusprechen, andere öffneten sich für die „Neureichen“.

Charaktereigenschaften, die mit Gentlemen verbunden wurden (und werden), sind: Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit, Pflichtbewusstsein, Tugendhaftigkeit, Herzlichkeit, die Fähigkeit, standesgemäße Konversation zu pflegen (darüber gab es ganze Bücher) – das zeitgenössische Männlichkeitsideal. Dazu kamen für den christlichen Gentlemen: Keuschheit, Frömmigkeit, christliche Nächstenliebe und Wohltätigkeit für Bedürftige. Edward Thring, ein Geistlicher und Schulleiter einer Privatschule, war auch Befürworter der so genannten „muscular christianity“ und nahm Sport bewusst in den Tagesablauf für seine Schüler auf. Denn Sport macht müde und lässt die Schüler dann schnell einschlafen und sich nicht „selbst missbrauchen“ (self abuse), wie Masturbation abwertend bezeichnet wurde. Die war nämlich um 1850 gerade total in.

Doch sie waren nur die Basis für das Entstehen eines Massenphänomens, das von Gentlemen in Gang gesetzt wurde. Als vermehrt Arbeiter Fußballspieler wurden, wandten sich die bisherigen Fußballliebhaber entweder vom Fußballsport ab oder unterstützten ihn als wirtschaftliche Gönner. Da die Arbeiter den Sport nicht als reine Muße ausübten, sondern ihn gerne als Nebenverdienst nutzten (dazu später mehr), wurde die Bemühung um einen entlohnten Fußballsport immer größer, denn die Bezahlung der Arbeiter, Bergarbeiter wie Fabrikarbeiter war so gering, dass die Familien mindestens am Existenzminimum, wenn nicht darunter leben mussten.
Ein weiterer Aspekt des modernen Fußballs in England entstand durch die Veränderung der Abseitsregel; der Möglichkeit nämlich, zu kombinieren und mit taktischen Finessen den Gegner auszuspielen. Das war vorher im von „long ball“ und „dribbling game“ geprägten Fußballspiel im 1-2-7-System mit sehr restriktiver Abseitsregel nicht möglich.

Fußballregelwerke und Fußballverbände schaffen die Basis

Thomas Arnold ist in aller Munde, wenn es um die Anfänge der Fußballregeln in England geht, aber das erste Fußballspiel an einer englischen Privatschule wurde 1815 in Eton gespielt, in Thomas Arnolds Schule in Rugby ab 1823. Etwa zur gleichen Zeit wie in Rugby wurde das Spiel an der Aldenham School (Elstree) eingeführt (spätestens 1825) und in den 1830er Jahren im Londoner Stadtteil Harrow sowie in Winchester und in Shrewsbury. Die Idee von Thomas Arnold war nicht so einmalig, wie sie mitunter dargestellt wird. Waren die verschiedenen Fußballregeln teils sehr unterschiedlich (Handspiel, Anzahl der Spieler, Kampfbetontheit, Größe des Spielfeldes, Aussehen des Tores, etc.), hatten die frühen (Schüler-)Fußballmannschaften doch Gemeinsamkeiten: Die Schüler sollten auf diese Weise spielerisch Gentleman-Ideale lernen: Ehrlichkeit, Selbstdisziplin, Verantwortungsbewusstsein, Selbstorganisation; kurz gesagt: Fairplay. So hatten die Teams keinen Trainer oder Manager – die Mannschaft organisierte sich selbst, Lehrer reagierten nur auf Anrufung der Schüler.

Leider sind die Regeln aus diesen Jahren sind nicht überliefert. Die älteste, überlieferte Regel ist das Regelwerk der Universität von Cambridge von 1856, die acht Jahre nach dem ursprünglichen Regelwerk erstellt wurde. Denn an der Cambridger Universität trafen sich fußballliebende, ehemalige Privatschüler, die aus den ihnen bekannten Regelwerken ein neues generierten, die Cambridge Rules. In anderen englischen Universitäten wird ähnliches passiert sein, überliefert ist das aber nicht. Was man weiß, ist, dass zeitgleich innerhalb der Städte Sportclubs der Oberschichten entstanden, die neben Reitsport und Jagd auch an den Fußballformen (Assoziations-)Fußball und Rugby sowie Cricket Freude fanden.

Jeder Club hatte wiederum seine eigenen Regeln. Damit sich die Clubs vor Spielen gegen andere Clubs der Stadt nicht immer einigen mussten, welche Regeln befolgt wurden und welche verboten waren, entstanden Verbände (football associations) in den einzelnen Städten, so 1858 zunächst in Sheffield und 1863 in London. Diese Verbände gingen in den folgenden Jahren ineinander auf, sodass 1877 nur noch die Sheffield FA und London FA verblieben und sich in diesem Jahr zu einer nationalen FA vereinten. Dabei wurde das Regelwerk der London FA übernommen. Zwar wurden in anderen Regionen Englands noch weitere Verbände gegründet – 1875 in Birmingham, 1878 in Lancashire, 1882 in Norfolk, Oxfordshire, Essex und Sussex, 1883 in Berkshire, Buckingham, Walsall, Kent, Nottinghamshire, Middlesex, Liverpool, Cheshire, Staffordshire, Derbyshire und Scarborough -, aber diese traten kurz Zeit nach ihrer Gründung der 1877 geeinten FA bei. Bereits 1871 hatte sich die Rugby Union gegründet. Damit war die Trennung in rugger und soccer (a_socc_iation) endgültig.

Aber nicht nur die einzelnen Stadtverbände, später dann die nationale FA, sorgten für die zunehmende Begeisterung für den Fußballsport und den Zusammenhalt der Clubs, sondern auch der FA-Cup, der ab der Saison 1871/72 durch die London FA ausgetragen wurde. In der ersten Saison nahmen 13 Clubs aus diesem Verband teil, nämlich acht Clubs aus London und fünf aus der Umgebung. Außerdem wurde der Glasgower Club Queen’s Park eingeladen. Die Idee für diesen Wettbewerb hatte Charles William Alcock, der Verbandssekretär der London FA und Mittelstürmer der Wanderers FC, früher Schüler an der Privatschule in Harrow. Den Harrower Wettbewerb mit K.o.-System übernahm er für den FA Cup, dessen ersten Wettbewerb er mit seiner Mannschaft (vorwiegend ehemalige Schüler aus Harrow) auch gewann. Alcocks Ziel mit der Einführung dieses Pokalwettbewerbs war, inoffiziell gezahlte Spielergehälter zu unterbinden, indem für den Sieger ein hoch dotierter Pokal in Aussicht gestellt wurde. Alcock dachte – als Gentleman -, dass der Anreiz des Pokalgewinns das Ehrgefühl der Spieler anspricht und diese sich deswegen fair, also unter gleichen, unbezahlten Umständen, messen würden. Doch dieser Versuch scheiterte nicht nur, er wandte sich in das Gegenteil um, da der Reiz des Wettbewerbs die Ideale des Amateurfußballs umging. Die Teilnahme am (London) FA Cup wurde in den kommenden Jahren beliebter, die Rivalität nahm zu, genau wie der Ehrgeiz, die Spannung und der Wetteifer und damit die Anwerbung von sehr guten Fußballspielern, um den Lokalrivalen im kommenden Spiel besiegen zu können. Außerdem lockten die Spiele durchgehend eine drei- bis vierstellige Anzahl an Zuschauern an, so auch viele Arbeiter, die auf diesem Wege leicht mit unbekannten, gleichgesinnten Menschen in Kontakt kamen – und die Kassen der Clubbesitzer füllten.

Der entlohnte Fußball in England

1850 wurde eine Erweiterung der Factory Acts, der Compromise Act, verabschiedet, der unter anderem den Feierabend um 14 Uhr an Samstagen einführte. So hatten auch Fabrikarbeiter/innen Freizeit. Fußball war eine Sportart, die verhältnismäßig wenig Geld kostete und manche Fabrikinhaber unterstützten die sportliche Freizeitgestaltung ihrer Arbeiter (fußballspielende Spielerinnen sind mir aus dieser Zeit nicht bekannt), stellten die Ausrüstung und bezahlten auch manchmal die Reisen zu Auswärtsspielen. Eine Win-Win-Situation, denn so waren die Inhaber sicher, dass ihre Arbeiter ihre Freizeit nicht bei übermäßigem Alkoholgenuss faulenzend verbrachten und die fußballbegeisterten Arbeiter hatten eine Alternative – auch für Bergarbeiter und ihre physisch und psychisch anstrengende Arbeit unter Tage. Es gab auch viele damalige Werksvereine, von denen manche heute noch existieren, beispielsweise die Munitionsfabrik Dial Square (Arsenal FC), die Thames Iron Works (West Ham) oder die Newton Heath LYR Company (Manchester United).

Auch Pubbesitzer trugen zur Kommerzialisierung des Fußballs bei. Sie nutzten das Interesse ihrer Besucher an Wettspielen und den Ergebnissen des lokalen Clubs. Daher boten sie einen Resultatservice für diejenigen an, die die jeweiligen Spiele nicht besuchen konnten. Via Telegrafen wurden die Ergebnisse durchgegeben und per Zettel an die Wand geheftet. Das Veröffentlichen der Ergebnisse weckte auch die Neugier von bisher nicht an Fußball interessierten Pubbesuchern und steigerte so nochmals das Interesse an der Sportart.

Anders als den Menschen aus der Oberschicht diente Fußball den Arbeitern nicht als gesunder Lebensstil und um Fairplay zu lernen, denn aus ihnen konnten keine Gentlemen werden. Er diente ihnen zur Geselligkeit und als Herausforderung. So veränderte sich die soziale Basis des Fußballsports – von den aus Ober- und Mittelschichten stammenden ehemaligen Privatschülern hin zu Arbeitern, von einem reinen Spiel hin zu einer entlohnten Tätigkeit. Abgesehen vom gesunden Lebensstil wollten viele ihren Einsatz während ihrer schon spärlichen Freizeit nämlich entlohnt haben. Und Clubbesitzer, häufig mit Blick auf das Steigern des eigenen Ansehens, entgolten gute Fußballspieler auch. Das steigerte bei vielen Aktiven die Ambitionen. Dieser wurde zusätzlich durch die Aussicht geschürt, dass man im Fall des Sieges zum lokalen Helden avancierte – eine soziale Anerkennung, die den Arbeitern sonst nicht zuteil werden konnte. Die sprichwörtliche englische Härte war Spiegelbild der sozialen Herkunft der Fußballspieler aus der Arbeiterschicht.

Zwar war eine finanzielle Entlohnung der Fußballer offiziell verboten, aber Clubs umgingen diese Regelung und boten entweder eine Bezahlung in Naturalien und Mobilien an oder eine anspruchslose Tätigkeit bei gleichem Lohn in der Fabrik oder zahlten auch Lohn pro Spiel. Bereits seit den 1850er Jahren gibt es in England den Begriff professional, also kurz nach dem Compromise Act. Den Begriff „amateur“ gibt es in England aber erst seit den 1880er Jahren; er wurde von Gentlemen benutzt, um sich von dem bezahlten Fußballsport, dem von ihnen so genannt „shamateurism“, abzuheben. Bei manchen Gentlemen existierte eine regelrechte Endzeitstimmung durch die “americanisation”, die angeblich zu Verdummung und Verrohung der Großstadtmenschen führte. Oder man stigmatisierte den bezahlten Fußball als Krebs, der den Sport von innen zerstöre. Die Gentlemen in den FAs versuchten, die unter der Hand erfolgten Entlohnungen durch Disqualifikationen und Sperren der Spieler und Clubs zu stigmatisieren. Aber alles Moralisieren hielt nicht den Lauf der Dinge auf.

Die Grenze zwischen Pro-Profifußball und Pro-Amateurfußball war keine Grenze zwischen dem Süden (Amateure) und dem Norden (Profis), wie es bei Lowerson und Koller zu lesen ist. Es war auch keine Grenze zwischen den Reicheren (Ober- und Mittelschichten) und der Arbeiterschicht. Die Trennung ging durch die Mittelschicht und damit auch durch Vereinsgremien und Fußballspieler; nämlich zwischen jenen aus der Mittelschicht, die sich den Gentleman-Idealen verpflichteten, und denen, die in die Einnahmequellen des entstehenden Massensportes investierten, zum Beispiel als Buchmacher, Bau- und Transportunternehmer, Getränkehersteller oder Manager der Sportartikelindustrie. Tendenziell stimmt aber die Trennung in Nord und Süd schon, wenn auch nicht so rigide. Denn in dem im Nordosten Englands liegenden Lancashire war das mehr oder minder verdeckte Zahlen von Löhnen weit verbreitet. Dabei waren es nicht nur englische Arbeiter, die für ihr Fußballspiel entlohnt wurden, sondern vor allem schottische Fußballspieler, die bewusst ihre Heimat verließen, um in England bezahlte Fußballer zu werden, wissentlich, dass in England der Profifußball verboten war (in Schottland wurde der Profifußball später als in England erlaubt). Sie fanden aber auch schnell Anstellung, da ihre spielerische Finesse bekannt war. So kam es, dass immer mehr schottische Fußballspieler zufällig (wer’s glaubt…) in England bleiben mussten, weil sie den Zug nach Hause verpasst hatten… Charles Edward Sutcliffe, J. A. Brierley und F. Howarth, die zum 50jährigen Jubiläum der Football League mit “The Story of the Football League 1888-1938” einen Rückblick veröffentlichten, fassten diese Phase in ihrer Einleitung wie folgt zusammen:

„The first real development follows the appearance in Lancashire – often under mysterious circumstances – of Scottish players who had strayed over the Border or been surreptitiously spirited across, and by others who had conveniently ‚missed the train back‘ home after coming down with Scottish clubs to visit English clubs. The precise reasons which gave rise to this invasion do not matter a great deal to-day. What it is important to remember is that these were the days of amateurism, and that the influx of so many Scotsmen under suspicious circumstances led to a crisis which had far-reaching consequences.“

Diese weitreichende Konsequenz hieß Football League. Denn nachdem Preston North End 1884 aus dem FA Cup ausgeschlossen wurde, weil ihre Entlohnung und Anwerbung von Spielern öffentlich wurde, protestierten 40 Clubs wie Lancashire, Aston Villa, Walsall Swifts und Sunderland und kündigten an, aus der mittlerweile nationalen FA auszutreten und eine British Football Association zu gründen, in der das professionelle Fußballspiel erlaubt war.

Zuvor erkannte Verbandssekretär Alcock, dass die Entwicklung zum Profifußball nicht mehr aufzuhalten war und versuchte, ihn durch Legalisierung zu kontrollieren. Im Juli 1885 wurde der professionelle Fußball erlaubt, wenn auch zunächst mit einer Gehaltsobergrenze und weiteren Bedingungen: Die Spieler mussten bei der FA registriert sein, in einem Radius von sechs Meilen von Spielort entweder geboren worden sein oder dort seit mindestens zwei Jahre leben und durften während einer Saison nicht bei mehr als einem Verein spielen – außer durch eine Sondergenehmigung der FA. Ihren Meinungswandel begründete die FA, in dem sie die Fußerballerlöhne als irrelevante Vergütung (“irrelevant consideration”) bezeichnete, d.h. Fußballwettspiele quasi aus der Realität ausklammerten. Wettspiele seien Teil einer durch die Regeln der Unerheblichkeit (“rules of irrelevance”) abgeschirmten Spielsphäre und daher könnte Amateurfußball neben Profifußball existieren. Viele Gentlemen aber wandten sich mit der Legalisierung des Profifußballs von dieser Sportart ab.

1888 folgte dann die Gründung der englischen Profiliga, der Football League (FL), die zunächst aus vorwiegend nordenglischen Clubs bestand. Die FL war von Beginn an eine Erfolgsgeschichte. Die erste Saison mit 22 Spielen besuchten insgesamt rund 602.000 Zuschauer (ca. 2488 Zuschauer pro Spiel), zehn Jahre später waren es schon über fünf Millionen (ca. 8651 Zuschauer pro Spiel). 1892 wurde die Second Division der FL gegründet, in der sich Clubs messen konnten, die nicht so erfolgreich wie die FL-Clubs waren. Das gesteigerte Interesse am Fußball lag auch an der Routine, die mit den Ligaspielen einherging, denn sie steigerte Qualität – und auch die Ausgaben für immer bessere Spieler. Zum Beispiel erwarb Middlesborough Ironopolis 1893 innerhalb von drei Tagen eine völlig neue Mannschaft, um den verhassten Konkurrenten aus Huddersfield und Preston endlich ebenbürtig zu sein. Alcocks Ziel, die Kontrolle des Profifußballs, war gescheitert.

Nicht wenige Proficlubs gingen an die Börse. Die meisten hatten nicht das Ziel, reich zu werden, sondern versuchten, mit dieser Methode den Bankrott ihres Vereines zu verhindern – nicht immer erfolgreich. Im Fall von Newton Heath LYR FC, Mitglied der Second Division der FL, die wegen 2670 Pfund (heute gut 308.000 Euro) ) Schulden Insolvenz anmelden mussten, ging es glimpflich aus. Lokale Unternehmer investierten insgesamt 2000 Pfund in den neuen Club Manchester United FC, der schnell wieder in die First Division der FL aufstieg und zu einem deren führenden Clubs wurde.

1890 setzte die FA ein Gehaltsmaximum von zehn Pfund pro Monat fest (entspricht etwa 500 heutigen Pfund), aber schon drei Jahre später wurden Starspieler in der Regel mit 50 bis 75 Pfund/Monat bezahlt. Diese waren aber in der starken Minderheit, denn das durchschnittliche Gehalt von Profifußballern belief sich in diesem Jahr auf drei Pfund/Monat im Winter (d.h. während der FL-Saison) und zwei Pfund/Monat im Sommer (außerhalb der FL-Saison). Dazu kamen Siegerboni von maximal zwei Pfund je gewonnenem Spiel. Die Gehälter waren in der Regel nicht verhandelbar und orientierten sich am Erfolg des Spielers. Nur Starspieler hatten Mitspracherecht.
Paul Brown gibt an, dass der durchschnittliche Fußballspieler bis 1890 das Vierfache eines allgemeinen Arbeiters (nicht Facharbeiter) verdiente, Ende des 1890er Jahre bereits das Zehnfache. 1900 setzte die FA gegen Protest ein Gehaltsmaximum von vier Pfund/Monat fest, das bis 1961 gültig blieb, aber schon vom ersten Jahr an durch großzügiges Schwarzgeldzahlungen und Geschenke umgangen wurde.

Ab 1893 bedurfte es für den Wechsel zu einer anderen Mannschaft der Einwilligung des aktuellen Clubs. Auf der anderen Seite konnte jeder Verein jedes Jahr seine Spieler auf die im Sommer vom League Management Committee veröffentliche Transferliste setzen, denn es gab in der Regel nur Jahresverträge. Die Spieler hatten beim Wechsel keinerlei Protestmöglichkeit, weshalb schon zeitgenössische Berichte die Praxis mit einem Viehmarkt verglichen. Auch die FA kritisierte das System deutlich als unfair, aber nicht wegen der Bevormundung der Clubs, sondern weil sich eingebürgert hatte, dass kleinere Clubs junge Spieler entdeckten und sie dann an vermögendere Vereine für möglichst viel Geld verkauften. Was heute als wirtschaftlich kluge Transferpolitik bezeichnet wird, war für die FA damals offenbar Wettbewerbsverzerrung.
Das Transfersystem veranlasste einige führende FL-Spieler zur Gründung der Association Footballs‘ Union (AFU), einer Fußballergewerkschaft, die jedoch keinen Einfluss nehmen konnte und sehr schnell nicht mehr existierte. 1907 konstituierte sich dann in Manchester die bis heute existierende Professional Footballer’s Association (PFA), die vor allem aus Spielern von Manchester United bestand und die die Beseitigung von Gehaltsobergrenzen und die freie Wahl des Arbeitsplatzes forderte.

Der teuerste Wechsel im englischen Profifußball vor dem ersten Weltkrieg waren übrigens die Transfers von Alf Common 1905 von Sunderland zu Middlesbrough für 1000 Pfund, die nach Paul Brown etwa 110.000 heutige Pfund entsprechen.

Unterstützende Gründe für den Aufstieg des Fußballs zum Massenphänomen

Was unterstützte die steigende Beliebtheit von Fußball in England sonst noch? Die meisten von ihnen wurden schon genannt. Zum einen die Pubs, aber es war auch das Eisenbahnnetz, der Journalismus und die Fotografie. Letztere ermöglichte, all denen einen Eindruck vom Spiel zu vermitteln, die es nicht besuchen konnten und diente außerdem dazu, Berichte in den allgemeinen und speziellen Sportzeitungen zu illustrieren. Sportzeitungen entstanden als Weiterentwicklung des Resultatservice in Pubs. Die Journalisten unterstützten dabei häufig das Amateurideal, um die Berufsethik aufzuwerten. Die Presse wurde in den oberen Schichten mit Indiskretion und Korruption in Verbindung gebracht. Die (Sport-)Journalisten versuchten so, sich öffentlichkeitswirksam als Gentlemen zu präsentieren, wenngleich sie nie den sozialen Status eines solchen erlangen konnten. Und die Eisenbahn erweiterte den Einzugsbereich für die Zuschauer von Sportveranstaltungen und verhalf so auch zu einer Steigerung des Zuschaueraufkommens. Bereits vor der Legalisierung des Profifußballs waren Sonderzüge zu Spielen außerhalb der eigenen Stadt üblich. Mit der Legalisierung des Profifußballs wurden sie dringend erforderlich. Auch das Straßenbahnnetz innerhalb der Städte wurde verbessert, um die Erreichbarkeit der Stadien für die Zuschauerströme zu erleichtern und zu beschleunigen.

Die Wiege der Taktik – Das Kombinationsspiel

Bis in die 1870er Jahre war die übliche Spielweise ein Mix aus „long ball“ und „dribbling game“, also aus dem ziellosen, weiten Vollspannstoß nach vorne (in Kontinentaleuropa „Kick and Rush“ genannt) und dem individuellen Spiel unter Mitführen des Balles. Das frühe Fußballspiel war also ein schnelles Spiel, bei dem das individuelle spielerische Können ausschlaggebend war – und es zu vielen Kontern kam, wenn der Schuss nach vorne oder das Dribbling von den Gegenspielern unterbunden wurden.
‚Ein schnelles Spiel durch die long-ball-Variante?‘, mag sich mancher von euch fragen. ‚In der Zeit ist doch auch ein schnelles Kurzpassspiel möglich und meistens auch erfolgreicher als der weite Ball nach vorne.‘ Und genau da ist auch der Knackpunkt: Nur wenige Mannschaften spielten ein Kurzpassspiel und wurden dafür bewundert, die „science of the football“ zu beherrschen.

Im Rugbyfußball war „scientific football“ schon seit den 1850er Jahren ein Buzzword; im Assoziationsfußball dauerte es ein gutes Jahrzehnt länger. Dass das „combination game“ im Assoziationsfußball Ende der 1860er Jahre aufkam, war kein Zufall, da 1866 (London FA) bzw. 1858 (Sheffield FA) die Abseitsregelung gelockert wurde. War vorher jeder im Abseits, der zwischen Ball und gegnerischem Tor stand, wurde nun die 3-Mann-Regel (London) bzw. 2-Mann-Regel (Sheffield) eingeführt. Nun brauchte man nicht mehr den Ball nur nach vorne zu treiben, sondern konnte eine Position auf dem Spielfeld einnehmen.

Der Begriff „combination game“ wurde erstmal von dem hier schon häufig genannten Charles William Alcock 1874 benutzt: „Nothing succeeds better that what I may call a ‚combination game‘“, äußerte er beim Anblick eines Spiel der Fußballmannschaft der Royal Engineers. Viele Sportberichte übernahmen aber zunächst nicht diesen Begriff, sondern versuchten, mit eigenen Worten die Spielweise der Royal Engineers, Shropshire Wanderer, Cambridge University AFC, Derby School, von Nottingham Forest, des Trent Colleges, von Queen’s Park und Mannschaften aus der Sheffield FA zu erklären. Dabei glich sich das combination game der verschiedenen Mannschaften nicht ganz. Der Sheffield style wurde als „passing on“ (direkte Weitergabe des Fußballs) bezeichnet, der Spielstil der Royal Engineers als „backing“ (Angriffsspiel mit Absicherung gegen Konter) und der Queen’s Park-Style als „Scottish style“ bzw. „Scotch style“. Aber alle Spielstile hatten das neuartige Passspiel zwischen mehreren Spielern gemein – Kurzpassspiel statt long ball und individuelles Ballmitführen.

In der zeitgenössischen Spielberichterstattung umschrieb man diese Spielweise in Sheffield und die der Royal Engineers als schnelle („quick piece of play“,„scientific movements“, „scientific play“) und kluge („attracted especial[!] attention by their clever play“, “tactical passing”) Spielweise mit akkuratem Zuspiel („remarkeably neat“, “turned the ball”) und Zusammenspiel (“these three play in concert”, „played beautiful together”, “worked well together”), mit Absicherung (“backed up each other”, “has learned the secrets of football success – backing up”) und wenigen Dribblings (“very little dribbling was displayed”).

Die Spielstile dieser Mannschaften waren aber noch wesentlich statischer als das heutige Kombinationsspiel, denn es beinhaltete kein systematisches, einer bestimmten Taktik folgendes Spiel. Auch blieb das Spielsystem beim 1-2-7.

Das Kombinationsspiel entwickelte zunächst Queen’s Park noch in den 1870er Jahren und ein paar Jahre später entwickelte Cambridge University AFC die schottische Spielart zum heute üblichen Kombinationsspiel weiter, in dem jeder Spieler einem Bereich auf dem Spielfeld zugeteilt ist und nach vorgegebenen Schemata mit seinen Mitspielern spielt. So entwickelten sich auch neue Spielsysteme. Queen’s Park spielte in einem 2-2-6- oder 2-2-3-3-System, Cambridge im 2-3-5-System.

Der Scottish style wurde als “most creditable” und immer wieder als “fine style” bezeichnet. Ihn kennzeichnete ein gutes Zusammenspiel (“worked well together”, “worked […] well together through knowing each other’s play”, “played excellently well together”, “working beautifully to each other’s feet”, “adepts in passing the ball”, “development of scientific passing and cohesion between halfbacks and the forwards as a counter to the traditional dribbling and individuality”) und die Fähigkeit, ein Fußballspiel aufzubauen und zu machen (“drove their opponents before them”, “profound influence in fashioning the technique of the game”). Das Cambridger Spielsystem wurde 1891 so beschrieben: “[It] illustrate[s] the full possibilities of a systematic combination giving full scope to the defense as well as the attack”.

Das kombinationsreichere Spiel von Queen’s Park wurde durch die im Vereinsregelwerk („Rules of the field“, 1867) festgeschriebene 2-Mann-Abseitsregel ermöglicht, die zudem nur 15 yards (= 13,716 Meter) vor dem gegnerischen Tor galt. Außerdem trainierte Queen’s Park das Zuspiel in Gruppen auf Kleinfeldern. Das war völlig neu – wenn es überhaupt Training gab, dann war es reines Ausdauertraining. Der Queen’s Park-Style wurde durch Spiele der Mannschaften gegen andere schottische Vereine bekannt und von diesen imitiert. So wurde aus dem Queen’s Park-Style der „Scottish style“. Beim ersten Aufeinandertreffen der englischen Fußballerauswahl auf die der Schotten im Jahr 1872 konnte das englische Team trotz seiner schnellen und dribblingstarken Spieler dem verzahnten Spiel der Schotten nur wenig entgegensetzen. Spielerisch stand dem damals üblichen 1-2-7 der Engländer die schottische Auswahl im 2-2-6-System gegenüber, was das schottische Spiel zusätzlich agiler machte.

England konnte zwischen 1872 und 1885 nur drei der alljährlichen Spiele zwischen England und Schottland gewinnen. Als England 1882 5:1 gegen den nördlichen Nachbarn verlor, änderte sich auch in England endgültig die Spielart von Fußball. Im Norden Englands hatte sich der „Scottish style“ bereits einen Namen gemacht. Wie schon im Abschnitt zur beginnenden Professionalisierung beschrieben, kamen einige schottische Fußballspieler auf „missionary visits“ nach England, blieben dort und wurden später auch von den nordenglischen Vereinen direkt angeworben. „Scottish professors“ wurden sie genannt, weil sie die „science of the game“ kannten und den englischen Vereinen lehren konnten. Nun begannen immer mehr englische Mannschaften, auf das „combination game“ umzustellen und das Passspiel zu trainieren.

Der englische Fußball revolutionierte sich also konzentriert in den 1880er Jahren durch die Legalisierung des Profifußballs nebst all seinen flankierenden Entwicklungen und durch die Übernahme des als „Scottish style“ bekannten Kombinationsfußballs. Für mich sind diese beiden Umbrüche so tiefgreifend, dass sie aus meiner Sicht die Wendepunkte zum modernen Fußball darstellen. Was in der Folgezeit passierte, waren nur die Konsequenzen aus diesen Ereignissen. Seht Ihr es ähnlich?

Nächsten Monat wird der Fußball in Deutschland unter der gleichen Fragestellung beleuchtet.

Auswahl an Literatur
Mason, Tony: Großbritannien. In: Christiane Eisenberg (Hg.): Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt. München 1997. S. 22-40.

Eisenberg, Christiane: „English Sports“ und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939. Paderborn 1999.

Brändle, Fabian/Koller, Christian: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fußballs. Zürich 2002.

Lowerson, John: Sport and the English middle classes, 1870-1914 (= International studies in the history of sport). Manchester/New York 1993.

Birley, Derek: Land of sport and glory: sport and British society, 1887-1910 (= International studies in the history of sport). Manchester/New York 1995.

Renson, Roland: Fair Play. Its origins and meanings in Sport and society. In: Kinesiology 41 (2009). S. 5-15.

Harvey, Adrian: Football. The First Hundred Years. London 2005.

Wall, Frederick: 50 years of Football 1884-1934. London 2006.

Jonathon, Wilson: Inverting the pyramid. A History of Football Tactics. London 2008.

Sanders, Richard: The Strange Birth of British Football. London 2009.

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Beitragsbild: By Thomas M. Hemy (1852-1937) (Scanné de FIFA 1904-2004) [Public domain], via Wikimedia Commons

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https://120minuten.github.io/vom-gentlemen-zum-arbeitersport-england-und-der-moderne-fussball/feed/ 3 4668 Ein positiver Begriff von Fußball https://120minuten.github.io/ein-positiver-begriff-von-fussball/ https://120minuten.github.io/ein-positiver-begriff-von-fussball/#comments Fri, 23 Mar 2018 08:00:27 +0000 https://120minuten.github.io/?p=4409 Weiterlesen]]> Mal abgesehen von 22 Personen, die einem Ball hinterherjagen, um ihn möglichst oft in das jeweils andere Tor zu schießen: Was genau bestimmt eigentlich das, was wir “Fußball” nennen? Warum ist es so schwierig, über diese Frage Konsens zu erzielen? Und wie kommt es, dass in kommerzkritischen Diskussionen schnell klar wird, was man nicht möchte, es aber weitaus schwieriger zu sein scheint, einen positiven Fußballbegriff zum Ausgangspunkt zu machen? Ausgehend von einer Betrachtung des Trainerberufs, versucht sich der folgende Text an einer grundsätzlichen Untersuchung allgemeiner Strukturen im Fußball. Ein Debattenbeitrag.

von Mischa (Zerstreuung Fußball)

Die ursprüngliche Idee war es, einen Text über die Rolle des Trainers im modernen Fußball zu schreiben. Dabei sollte es weniger um die tatsächlichen Aufgaben und Herausforderungen gehen, mit denen diese Leute konfrontiert werden, sondern vielmehr um das Bild des Profitrainers, das von Fußballfans wahrgenommen wird. Doch der Gegenstand hatte sich ein bisschen gewehrt.

Während dieser Auseinandersetzungen ergaben sich Probleme, die eigentlich die Voraussetzung für das Thema darstellen. Es handelt sich dabei um eine gewisse Verunsicherung bei der Frage, was Fußball eigentlich ist oder sein soll. Verfolgt man die laufenden Debatten, wie zum Beispiel zu den Weltmeisterschaften in Russland und Katar, der Einführung des Videobeweises, steigenden Transfersummen, den Berichten im Umfeld von „Football Leaks“, RB Leipzig, den Vorwürfen an den DFB in Sachen Schiedsrichterei oder Korruption, sinkendes Interesse an der Nationalmannschaft, usw., scheint häufig Einigkeit darüber zu herrschen, was den Fußball angeblich zerstört, aber nicht darüber, was ihn ausmacht.

Der folgende Text kann als Versuch verstanden werden, nicht selbst in die Falle zu gehen, ein positives Bild des Fußballs nur passiv anzudeuten. Einerseits dadurch, dass die Frage gestellt wird, warum es keinen unmittelbaren Konsens unter Fußballinteressierten zu diesem Sport gibt, andererseits durch ein paar Überlegungen, wie man ihn beschreiben könnte.
Trotzdem soll die ursprüngliche Idee nicht ganz unter den Tisch fallen, sondern den Ausgangspunkt zu allgemeineren Fragen darstellen.

Daraus ergibt sich die Untersuchung folgender drei Themen:

  1. Eine nicht ausführlich entfaltete Darstellung grundsätzlicher Thesen zur Rolle des Trainers im modernen Profifußball.
  2. Die sich daraus ergebende Feststellung, wie schwer es ist, beim Thema Fußball allgemeine Aussagen zu treffen. Die weitestgehend bekannten Gründe dafür sollen systematisch angeordnet werden.
  3. Gerade durch das unübersichtliche Chaos der alltäglichen Berichterstattung braucht es ein gewisses Zurücktreten und eine Betrachtung allgemeiner Strukturen im Fußball. Bei diesem letzten Teil handelt es sich auch um ein Plädoyer, gerichtet an die kommerzkritische Szene, grundsätzliche Marxsche Begriffe mehr in den Fokus zu rücken.

1. Das Bild des Trainers

Die Figur des Trainers erfreut sich in letzter Zeit immer größerer Beliebtheit. Als Beleg dafür könnte man die Ausgabe #10 des Socrates Magazins zum Bundesliga-Saisonstart 2017/2018 anführen. Durch längere Texte und einige interessante Interviews werden darin alle 18 Bundesligatrainer porträtiert. Diese Berichte haben, schon allein durch ihre Länge, einen gewissen Tiefgang. Die Trainer, mit all ihren beschriebenen tollen Eigenschaften, kommen darin aber so gut weg, dass die einzelnen Porträts im Nachhinein ineinander zu verschwimmen scheinen.

Auch Fans der einzelnen Vereine fixieren sich mehr und mehr auf ihre Trainer und hoffen auf ein Profil, dass diese Person ihrem Verein geben könnte. Diese Hoffnung wird allerdings meistens enttäuscht. Obwohl die Eigenschaften des Söldners, ohne (Vereins-)Bindung und Loyalität, eher Profifußballern bösartig angehängt werden, verbleiben diese häufig längere Zeit im Verein als die Trainer. Zugegeben, im Gegensatz zu prägenden Spielern geht die Trennung meistens vom Verein und nicht von den Trainern selbst aus. Und trotzdem scheint die Hoffnung auf jemanden, der über mehrere Jahre im Amt bleibt, eher naiv zu sein. Arbeitet ein Trainer mehr als zwei Saisons bei einem Verein, kann man fast schon von einer prägenden Ära sprechen: Klopp, Tuchel (in Mainz), Stöger, Favre, Guardiola, Dardai oder Streich.

Die kurze Verweildauer der Trainer in einem Verein spricht eigentlich gegen dessen Beliebtheit. Die Verehrung einzelner Spieler hat durch jene Normalität des Vereinswechsels sehr gelitten. Durch die Erfahrung, dass Beständigkeit meist eine Illusion ist und sich der Abschied häufig schon in der Ankunft andeutet, wahren Fans eine gewisse emotionale Distanz zu ihnen. Es stellt sich also die Frage, wieso diese Unbeständigkeit bei Trainern nicht den gleichen Effekt hat wie bei Spielern. Offensichtlich muss es starke Gründe geben, die diesen überlagern.

Als Erstes fällt einem dabei die zunehmende Begeisterung für strategische und taktische Aspekte des Fußballs ein. Nebenbei gesagt ist dies eine durchaus sympathische Entwicklung der letzten Jahre. Nicht, weil Taktik an sich viel spannender wäre als andere Momente des Fußballs, sondern weil diese Texte, Beiträge oder Gespräche meist fundiert und recht unaufgeregt sind. Auch hat das Thema Taktik so viel Berührungspunkte, dass man von dort aus mit Leichtigkeit die meisten anderen Felder des Fußballs erreichen kann. Bespricht man Taktik als Wechselwirkung der Spieler einer Mannschaft unter Berücksichtigung des Gegners, ist damit schon einiges abgedeckt. Die Diskussion über einzelne Spieler mit ihren Stärken und Schwächen gehört praktisch dazu. Andersherum ist auch der Aspekt der Kaderplanung nicht weit, der wiederum die allgemeine Entwicklung eines Vereins mit der finanziellen Komponente des Fußballs enthält.

Wie das Thema Taktik auf der Ebene der Diskussion, so scheint auch der Trainer eine zentrale Rolle einzunehmen. Er ist das Verbindungsstück zwischen den verschiedenen Teilen des Vereins. Als Kopf des Trainerteams ist er einerseits in tagtäglicher Arbeit mit diesem Team und den Spielern, andererseits in Verbindung zu den Vereinsverantwortlichen. Die Interviews und Pressekonferenzen ergeben zusätzlich eine zwar einseitige, aber intensive Beziehung zu den Fans.

Durch diese zentrale Rolle des Trainers entsteht ein spezifisches Anforderungsprofil. Die Hauptthese dieses Abschnitts ist es, dass diese Anforderungen erklären könnten, warum Trainer einerseits so beliebt sind und gleichzeitig auch, warum sie trotzdem so häufig in Ungnade fallen.

Es ist es gerade die Überfrachtung an positiven Eigenschaften, die es dem Einzelnen unmöglich machen, diese Rolle dauerhaft befriedigend auszufüllen. Der Trainer soll langfristig wie kurzfristig ein überzeugendes taktisches Konzept ausarbeiten und umsetzen, muss dafür Führungsaufgaben gegenüber den Spielern übernehmen, eher auf Augenhöhe mit seinem Trainerteam zusammenarbeiten und ist in einem untergestellten Verhältnis zur Vereinsführung. Er muss medienwirksam sein, sollte zu dem Verein passen und auch die Fähigkeiten haben, Krisensituationen und andauerndem Druck standzuhalten. Für diese Rolle sollte er leidenschaftlich, aber nicht verbissen, menschenführend, aber nicht autoritär, kreativ und flexibel, aber nicht ohne festes Konzept, kompromissbereit, aber nicht unterwürfig, also selbstbewusst sein. Ein Tuchel, der sich und anderen keine Pause gibt, ist dabei als Trainer ebenso verdächtig wie ein Veh, der sich zu viele davon gönnt. Bei all diesen Forderungen wird aber immer wieder betont, es sei das Wichtigste, dass man authentisch und bei sich selbst und vor allem zur Selbstkritik fähig ist.

Nimmt man diese Anforderungen ernst, leuchtet es ein, dass so ein Konstrukt schon in kleineren Krisensituationen zusammenbricht. Man könnte meinen, die regelmäßigen Entlassungen haben die Einsicht zur Folge, dass niemand diese verschiedensten und viel zu hohen Ansprüche erfüllen kann. Doch im Gegenteil verstärken sie sogar noch diese Problematik.

Selbst wenn der Trainer gerade eine Anstellung hat, rechnet er praktisch schon mit seiner Entlassung in den nächsten Jahren. Er wird dadurch zum ständigen Arbeitssuchenden. Somit erhalten die medialen Auftritte den zusätzlichen Charakter einer öffentlichen Dauerbewerbungssendung. Und wie es bei Bewerbungen üblich ist, versucht der Bewerber sich, mit Blick auf das Anforderungsprofil, möglichst gut zu präsentieren.

Der Zwang, sich immer möglichst gut zu verkaufen, lässt einen nicht unberührt, was man in der sehr guten Dokumentation „Trainer!“ von Aljoscha Pause erahnen kann. André Schubert und Stephan Schmidt offenbaren darin prinzipiell sehr unterschiedliche Charakterzüge. Trotzdem erkennt man gleichermaßen die Selbstzurichtung, die von außen gefordert, mit der Zeit verinnerlicht und von ihnen selbst vollstreckt wird.

„Ich werde in der 1. Liga trainieren. Das ist Fakt.“ (S. Schmidt)

„Mein persönliches Zufriedenheitsgefühl darf einfach nicht mehr von Ergebnissen abhängig sein.“ (A. Schubert)

Das erste Zitat könnte man als Selbstbewusstsein einer zielstrebigen Person interpretieren. Das zweite als die Erkenntnis einer Reflexion nach dem Scheitern. Mit der Zeit ahnt man allerdings, dass es vielmehr Versuche sind, andere und sich selbst davon zu überzeugen, man sei den Anforderungen des Trainerberufs gewachsen. Solche Autosuggestion ist das Gegenteil von Selbstbewusstsein und Reflexion. Vielmehr ist es die Abwehr von gewissen Einsichten, um weiterhin durchzuhalten und sich stabil zu präsentieren. Es sind Mechanismen, die man aus esoterisch angehauchten Büchern für Manager kennt. Man verlegt das Bewerbungsgespräch nach innen, um sich selbst von seinen Stärken und der eigenen Tauglichkeit zu überzeugen. So fällt es leichter, diese Überzeugung auch nach außen zu transportieren. Der Preis dafür ist die Internalisierung der äußerlichen Forderungen des Arbeitsmarktes.

Dass die Trainer ihre Situation, mit dem zugehörigen Druck, selbst verändern könnten, bleibt eher unwahrscheinlich. Sie befinden sich zwar in einem gut bezahlten, aber ständig prekären Arbeitsverhältnis. Die potenziellen Nachwuchstrainer stehen immer schon in den Startlöchern. Hinzu kommt der Zwang, sich ständig gut darzustellen, was es erschwert, eine gewisse Distanz zu sich selbst zu wahren, welche es aber bräuchte, um die eigene Situation zu erkennen. Verstärkt wird dies mit der Vermischung von Professionalität und persönlichen Eigenschaften.

Ein Großteil der geforderten Fähigkeiten fallen in diesen persönlichen Bereich. Ein sympathisches Auftreten, der Umgang mit Erwachsenen und Jugendlichen, Empathie, sogenannte Authentizität und die Hoffnung, dass der ganze Typ zum Verein passt. Bei der möglichst erfolgreichen Suche nach der perfekten Besetzung des Postens ist kein Detail zu privat, um es nicht in die Sphäre des Berufs mit aufzunehmen. Der Trainer ist somit fast das Musterbeispiel des modernen Arbeitnehmers: flexibel, kreativ, belastbar, projektorientiert, teamfähig und ohne Anspruch auf die Trennung von Beruflichem und Privatem, sei es in der zeitlichen Aufteilung des Tages oder in den persönlichen Eigenheiten.

Es ist aber auch diese Vermenschlichung des Berufs – die vielmehr eigentlich umgekehrt das Eindringen der Arbeitssphäre in alle Bereiche der Persönlichkeit ist –, die die Rolle des Trainers bei vielen so beliebt macht. Gerade in einer Zeit, in der die meisten Vereine sich immer offener als das zeigen, was sie sind, nämlich Wirtschaftsunternehmen, hoffen die Fans auf eine persönliche Note. Diese soll mit dem Trainer gefunden werden, weswegen gerade seine individuellen Eigenheiten besonders hervorgehoben werden. Als Musterexemplar eines arbeitsamen Teils der Gesellschaft, das seine ganze Persönlichkeit mit in die Sphäre des Berufs aufnimmt, ist ihm der prinzipielle Zuspruch vieler Fans und der Medien sicher.

Die abschließende These zur Frage, warum die Figur des Trainers so beliebt ist, greift auf den letzten Teil des Textes vor. Darin wird ein sehr problematisches Bild vom Fußball kritisiert, in dem eine nicht existierende Trennung zwischen einer Art echtem Fußball und dem Fußball als Geschäft vollzogen wird. Auch der Trainer hat seine Rolle darin. In ihm wird die Möglichkeit gesehen, durch einen besonders klugen taktischen Kniff und eine außergewöhnliche Trainingsarbeit die Logik vom wirtschaftlich kleinen und großen Verein zu durchbrechen. Jede neue Trainerverpflichtung ist auch mit der Hoffnung verknüpft, sportlich überdurchschnittlich zu performen. Dies wäre die Grundlage, den dauerhaften Aufstieg auf ein anderes Niveau auch ohne die als fußballfremd angesehenen Investoren zu schaffen. Die Beliebtheit des Trainers ist wahrscheinlich auch mit dem Gedanken verbunden, er könne eine Gegenkraft zur Geschäftslogik im Fußball sein.

Doch zeigt diese letzte These auch, dass die Beliebtheit des Trainers im konkreten Fall immer an den Erfolg geknüpft ist. Daran wird besonders deutlich, wie vergänglich das Bild von ihm ist. Im Erfolgsfall wird er als professionell, aber menschlich, authentisch und sympathisch, zum Verein passend, usw. dargestellt. Bleibt dieser Erfolg aus, findet sich immer mindestens eine Differenz zwischen Anforderung und Realität. Diese wird dann als Grund angeführt, weshalb es nicht funktioniert hat. Denn auf Dauer ist es einem Trainer, den Fans und den Medien praktisch unmöglich, die Illusion aufrechtzuerhalten, die überzogenen Anforderungen seien jemals erfüllt worden.

2. Probleme mit allgemeinen Aussagen im Fußball

Der kritische, diskussionsfreudige und etwas spitzfindige Leser dieses ersten Teils hat ein paar Dinge einzuwenden. So zum Beispiel stellt er die Nachfrage, ob tatsächlich alle genannten Anforderungen in jedem Verein vorhanden sind. Ist es nicht eigentlich so, dass überall spezifische Trainerprofile ausgeschrieben werden? Können diese überhaupt miteinander verglichen werden? Dem FC Bayern geht es sicherlich nicht so sehr um eine sogenannte Identifikationsfigur auf der Trainerbank. Sie legen mehr Wert auf Erfolg und Professionalität. Fans und Vereinsverantwortliche in Dortmund kamen mit Thomas Tuchel, auch schon vor dem großen Drama zum Schluss, eher nicht zurecht. In München ist er trotzdem ein ernstzunehmender Nachfolgekandidat für Heynckes.

Die zweite Anmerkung ist fast schon etwas vorwurfsvoll. Es geht darum, dass es bei der Dokumentation „Trainer!“ auch noch eine dritte Hauptfigur gab: Frank Schmidt. In diesem ersten Teil wurde also ausgerechnet die Person ausgelassen, die nicht ständig den Arbeitgeber wechseln muss. Der langjährige Trainer Schmidt wäre ja auch kein Einzelfall. Auf Anhieb fallen einem mit Streich und Lieberknecht weitere aktuelle Beispiele ein. Beide Anmerkungen könnte man länger diskutieren.

Allerdings hat dieser Leser nicht nur berechtigte Spitzfindigkeiten auf Lager, sondern übt auch immanente Kritik. Aufmerksam geht er zurück zum Anfang des Kapitels, in dem behauptet wird, die Figur des Trainers erfreue sich immer größerer Beliebtheit. Dies stünde dem Ende des Kapitels entgegen, wo geschrieben steht, dass der Trainer bei Misserfolg gerne mal öffentlich an den Pranger gestellt wird.

Es gibt eine zusammenfassende Hauptthese des Kritikers, die allen drei Einwänden zugrunde liegt. Der Vorwurf, dass die Argumente in diesem Kapitel etwas zu pauschal und deswegen ungenau wären. Es lohnt sich, auf seine Anmerkungen einzugehen. Allerdings nicht, indem die Widersprüche und Auslassungen des vorherigen Kapitels weiter thematisiert werden. Vielmehr, indem die Frage gestellt wird, warum es eigentlich so schwer ist, beim Thema Fußball allgemeine Aussagen zu treffen?

Dabei ist die zunehmende Atomisierung der Gruppen und Individuen in der Gesellschaft, die auch ihre Auswirkung auf die Sphäre des Fußballs hat, nicht der einzige Grund. Sie ist nur ein verstärkendes Moment des Partikularismus, der grundsätzlich Teil dieses Sports ist. Zwar verschreiben sich im Fußball alle teilnehmenden Mannschaften den gleichen Regeln, unterwerfen sich im Spiel der Autorität des Schiedsrichters und streben alle nach demselben Ziel. Allerdings tun sie dies getrennt voneinander, in gegenseitiger Konkurrenz. Aus der Konkurrenz der einzelnen Vereine folgt die erste von drei Tendenzen, die allgemeine Überlegungen im Fußball erschweren.

Die Vereinsbrille

Dieses auseinanderstrebende Element ist im Fußball so stark, dass Neutralität und Objektivität einigen prinzipiell verdächtig erscheint. So kann kein Schiedsrichter ein Bundesligaspiel leiten, falls eine der beiden Mannschaften demselben Landesverband angehört wie er. Einen ähnlichen Charakter hatten die Vorwürfe gegen Hellmut Krug, er habe ein Spiel mit Schalker Beteiligung manipuliert. In dieser Diskussion ging es viel um seinen Heimatverein SG Eintracht Gelsenkirchen. Selbst überregionale Medien kritisierten, dass der Supervisor der Video-Schiedsrichter, der bei praktisch allen Spielen anwesend war, auch beim Verein seiner Geburtsstadt Entscheidungsbefugnis hatte.

Dabei könnte man von überregionalen Journalisten, Kommentatoren und Moderatoren etwas mehr Sensibilität bei diesem Thema erwarten, wird doch gerade ihnen immer wieder Parteilichkeit vorgeworfen, die sie bei der Bundesliga-Berichterstattung eigentlich nicht haben sollten. Häufig gibt es den Vorwurf, dass der nur angeblich neutrale Berichterstatter X in Wirklichkeit ein glühender Anhänger der Mannschaft Y ist. Manche glauben ihre These dadurch stärken zu können, dass man Wohnort oder Geburtsort des Betreffenden herausplaudert. Obwohl Fußballfans tatsächlich meistens schon als Kind an den Verein ihrer Herzen gebunden werden, ist diese Fixierung auf die Herkunft der Personen schon sehr befremdlich. Bei dem Kurzschluss, Syrer prinzipiell als Moslems wahrzunehmen, wird man vollkommen zu Recht von Freunden korrigiert. Einen Mann, der in München aufgewachsen ist, zu fragen: „Sechz’ger oder Bayern-Fan?“ scheint selbstverständlich zu sein. Der Vergleich hinkt natürlich, da das Thema Fußball nicht ansatzweise so aufgeladen ist wie das Thema Islam. Es ist trotzdem ein erster Hinweis, dass sich bestimmte Denkmuster im Fußball länger halten als in anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Die im Fußball angelegte Partikularität, sich der Sache aus der Perspektive des eigenen Vereins anzunähern, gehört zu diesem Sport. Sie ist eigentlich kein großes Problem, solange bestimmte allgemeine Regeln akzeptiert werden. Es liegt darin allerdings das Potenzial, dass alle objektiven Elemente negiert werden könnten. Das Moment der sich absolut setzenden Subjektivität kennt man vor allem von Fans, die über den Schiedsrichter herziehen. Auch Vereinsangehörige geben gerne mal sehr unangebrachte Interviews. Man denke nur an die häufigen Aussetzer von Rudi Völler oder an Rummenigge, dem vor lauter Wut nach einem verlorenen Champions-League-Spiel die Sprache in Bildern etwas entglitt. Mit dem Ausspruch, Bayern sei im wahrsten Sinne des Wortes beschissen worden, hatte er sich etwas vertan. Das extremste Beispiel der letzten Zeit gab Roger Schmidt ab, der die Entscheidung des Schiedsrichters nach einem Innenraumverweis nicht anerkannte. Nur die Androhung eines Spielabbruchs konnte den Trainer dazu bewegen, sich den allgemeinen Regeln doch noch zu beugen und auf die Tribüne zu gehen. Solche Szenen sind allerdings relativ selten.

Denn man muss sagen, dass Spieler, Trainer oder Journalisten die Spannung zwischen Subjektivität und Objektivität in den meisten Phasen relativ gut aushalten.
Auch haben sich einige Redewendungen in der Fußballsprache eingebürgert, die aufzeigen, dass viele sich dieser Problematik bewusst sind. Man hätte diesen Teil auch etwas flapsiger mit dem beispielhaften Beitrag zusammenfassen können: „Man kann seine Vereinsbrille nicht immer absetzen. Aber so ist halt der Fußball.“
Darin versteckt sich grundsätzlich schon die Erkenntnis, dass man manchmal nur begrenzt für sinnvolle Argumente zugänglich ist, dies aber schon strukturell im Fußball angelegt ist.

Der Zerfall zentraler Berichterstattung

Die Schwierigkeit, allgemeine Aussagen im Fußball zu treffen, entsteht also auch mit der Aufteilung in verschiedene Vereinsperspektiven. Sie wird noch verstärkt durch die zunehmende Differenzierung der Berichterstattung. Diese könnte man in drei Ebenen unterteilen. 1. Die unmittelbare Übertragung der Spiele mit Vor- und Nachberichten; 2. Medien, die Zugang zu Spielern und Vereinen haben; und 3. die Podcast- und Bloggerszene, die gezwungen ist, auf die ersten beiden zurückzugreifen.

Schon bei der Übermittlung der primären Bewegtbilder ist die zunehmende Zersplitterung erkennbar. Man hatte sich seit längerer Zeit daran gewöhnt, dass 1. und 2. Bundesliga, DFB-Pokal und internationale Wettbewerbe komplett bei Sky liefen. ARD und ZDF zeigten Zusammenfassungen und ein paar ausgewählte Live-Spiele, während sich Sport1 das Montagsspiel der 2. Liga und den Europapokal gesichert hatte. Diese eine Zeit lang stabil wirkende Situation scheint sich gerade aufzulösen. Es wurden kleinere Pakete mit Übertragungsrechten geschnürt. Eurosport erstand zur Saison 2017/2018 die Möglichkeit, Freitagsspiele, Montagsspiele und die frühen Sonntagsspiele der 1. Bundesliga zu übertragen. Die restlichen Livebilder der 1. und 2. Bundesliga gibt es noch bei Sky.

Bei den Zusammenfassungen bewegt sich ebenfalls etwas. Das Konzept der Sportschau mit festem Sendetermin, ohne die Möglichkeit, Bilder in der Mediathek abzurufen, ist nicht mehr ganz zeitgemäß. Die kleinen Berichterstattungen zwischen den Zusammenfassungen werden von einigen nicht als Teil einer guten Übertragung angesehen, sondern eher als nerviges Aufblähen einer Sendung, die vier oder fünf Spiele der 1. Bundesliga überträgt, von denen häufig nur zwei oder drei interessieren. Die Konkurrenz mit Eurosport und DAZN zeigt Zusammenfassungen On-Demand, ohne Zwischenberichte und für einen überschaubaren Preis. Dies könnte ein Problem für die immer noch sehr zuschauerstarke Sportschau werden. Dabei ist sie aber eine wesentliche Klammer für 1., 2. und 3. Liga und versucht häufig rote Fäden durch das Treiben im Fußball zu ziehen. Noch ist sie eine der großen Fixpunkte der Fußballfans.

Die Auftrennung der Anstoßzeiten eines Spieltags geht mit der allgemeinen Zersplitterung der Berichterstattung einher. Sollten sich das dritte Sonntagsspiel und das Montagsspiel als feste Bestandteile der Bundesliga durchsetzen, ergäbe ein 18:00-Uhr-Termin am Samstag für die Sportschau immer weniger Sinn. Um den Untergang der Sportschau zu prognostizieren, ist es allerdings trotzdem zu früh. Aber sie wird sich anpassen müssen, möchte sie ihre außerordentliche Stellung in den nächsten Jahren aufrechterhalten.

Bei der sekundären Berichterstattung ergibt sich ein ähnliches Bild. Formate, die ohnehin schon auf starke Meinungen – also im Ton der Überzeugung, aber ohne große Begründung vorgetragene Aussagen – beruhen, wie zum Beispiel der Doppelpass, bekommen nun auch noch Konkurrenz durch Wontorra oder den Kicker-Talk. Dadurch, dass es noch mehr Sendungen gibt, geht der Bezug auf einen Termin und die dort entstehenden Meinungen verloren.

Die Auflagen des Kickers sind, wie bei den meisten Printmedien, eingebrochen. In den vergangenen acht Jahren gab es einen Rückgang der Verkaufszahlen um mehr als ein Viertel. Auch hier kann man die Frage stellen, ob diese feste Institution noch einen allgemeinen Bezugspunkt für Fußballfans darstellt oder nicht schon zu einer einfachen zusätzlichen Quelle für das eine oder andere spannende Interview geworden ist.

Gerade im Bezug auf die Vereinsperspektiven ist noch eine weitere Entwicklung zu berücksichtigen. Die Vereine haben in den letzten Jahren erkannt, dass sie sich in weiten Teilen unabhängig von den Medien machen können. Interviews, Spielberichte und Statements müssen nicht mehr über Zeitungen und Fernsehsendungen laufen, sondern können direkt über den eigenen Vereinskanal oder die Homepage an den Zuschauer gebracht werden.

Den schleichenden Zerfall dieser herkömmlichen Berichterstattung in verschiedenste, relativ unabhängige Einzelteile beobachtet man wohl mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn man braucht auch nicht so zu tun, als ob der Doppelpass oder die Berichterstattung bei Sky eine so überzeugende Qualität hätten, dass sie für sich gesehen besonders schützenswert wären. Andererseits sind auch schlechte zentrale Institutionen Fixpunkte und bilden die Grundlage für allgemeine Diskussionen. Das beste Beispiel hierfür brachte Mehmet Scholl. Seine Aussagen über Laptoptrainer waren zwar sehr flach und teilweise falsch, gaben aber trotzdem den Anstoß für einige interessante Gespräche.

Besonders spannend wird es erst auf der letzten Ebene: der Podcast- und Bloggerszene. Hier ist es auf den ersten Blick besonders leicht, eine Auflösung in verschiedene Perspektiven – gerade mit sogenannter Vereinsbrille – nachzuweisen. Zu (nahezu) jedem Verein gibt es Blogs und zu einigen auch Podcasts. Allerdings ergibt sich gerade mit dem Aufschwung, den diese Szene in den letzten Jahren erfahren hat, auch eine gegenläufige Tendenz. Die drei erfolgreichsten Plattformen Spielverlagerung.de, Collinas Erben und Rasenfunk sind, zumindest für eine bestimmte Szene, zu festen Bezugspunkten geworden. Es wäre zu einfach, sie unter einen allgemeinen Prozess zu subsumieren.

Nimmt man die ersten beiden Beispiele, kann man aber noch etwas Weiteres feststellen: eine zunehmende Gleichzeitigkeit der Spezialthemen.

Egal ob Taktik, Klamottenstil der Fußballer, wirtschaftliche Entwicklung der Vereine, Transfergerüchte, Aktionen der Ultra-Gruppierungen, Fokus auf einzelne Spieler, Kuriositäten, Schiedsrichter, Bundesliga, Premier League, Statistiken, Geschichte des Fußballs, Nationalmannschaft, usw., zu allen Themen gibt es irgendwo eine Plattform, die sich damit beschäftigt. Diese vielseitigen Informationen werden in keiner zentralen Institution gebündelt oder gewichtet. Und trotzdem muss man festhalten, dass ausgerechnet in dieser Sphäre des Internets, die am allermeisten zur Partikularisierung neigt, sich noch am ehesten neue zentrale Bezugspunkte herausbilden, die eine informative Grundlage legen.

Doch Podcasts und Blogs bleiben immer noch eine Randerscheinung. Die kleinen Entwicklungen einer Szene täuschen nicht über die größere Tendenz hinweg, dass klare Bezugspunkte im Fußball mehr und mehr verloren gehen. In der Vergangenheit konnte man noch eine deutliche Veränderung des allgemeinen Charakters der Berichterstattung erkennen, wenn zum Beispiel die Spielzusammenfassungen nicht mehr von der ARD, sondern von RTL übertragen wurden. Heute scheint es fast unmöglich, solche Trends auszumachen. Vielmehr laufen Spaßberichterstattung, Taktikanalysen und alle Graustufen dazwischen gleichzeitig ab. Es fällt schwer zu bestimmen, was gerade dominant ist.

Fußball als Tagesgeschäft

Das letzte Problem, das mit für die Schwierigkeit verantwortlich ist, allgemeine Aussagen im Fußball zu treffen, scheint ebenso bekannt wie die beiden vorherigen.
Trainer wie Spieler werden an Ergebnissen der Mannschaft gemessen. Bei Erfolg hochgelobt, bei Misserfolg getadelt. Es wäre etwas zu einfach, den Grund dafür alleine in einer sehr aufgeregten, skandalorientierten Sportberichterstattung zu suchen. Sie ist zwar mit dafür verantwortlich, aber wahrscheinlich nicht der Ursprung davon.

Man kennt die Phrase, dass Fußball nun mal ein Ergebnissport sei. Schlussendlich bedeutet dies, dass es nach jedem Spiel Punkte für jenes Team gibt, dass mehr Tore geschossen hat und diese Punkte für eine Tabelle zusammenaddiert werden. Dieser einfachen Bestimmung stehen eine Vielzahl von komplexen Faktoren entgegen, die darüber entscheiden, ob eine Mannschaft Spiele gewinnt oder nicht: Kaderplanung, Saisonvorbereitung, Training unter der Woche, Gegneranalyse, Physis, Psyche, Taktik, Form, Spielplan, strukturelle Bedingungen im Verein, finanzielle Möglichkeiten, Trainerwechsel, Zufall, usw.

Es ist die Entgegensetzung von einem einfachen, abstrakten Ergebnis und komplexen Möglichkeiten, wie dieses Ergebnis zustande kommt, die das diffuse Unbehagen des Lesers erklärt, wenn in der Presse über Trainer, Spieler oder Vereinsverantwortliche nach einer Niederlagenserie vernichtend geurteilt wird. Das Argument, dass bei solchen Beurteilungen im konkreten Fall einige Faktoren nicht berücksichtigt werden, ist praktisch immer richtig. Andererseits ist der Verweis auf ausbleibende Ergebnisse, die nicht nur zufällig sein können, häufig ebenfalls schwer zu widerlegen.

Eine ausgewogene Beurteilung, die zum Beispiel einem Trainerteam gerecht wird, ist fast unmöglich. Man müsste die ganzen Zufälle, die langfristige Arbeit und gleichzeitig den kurzfristigen Misserfolg mit unter einen Hut bringen. Diese Schwierigkeit ist natürlich trotzdem keine Entschuldigung dafür, dass dem Trainer häufig alle Fähigkeiten abgesprochen werden, sobald es mal eine schlechtere Phase gibt. Das hat dann nichts mit einer spekulativen Analyse von Journalisten, Bloggern oder Kommentarschreibern zu tun, sondern vielmehr mit dem Bedürfnis, mal dabei sein zu wollen, wenn jemand aus dem Verein gejagt wird.

Die hektische Fußballberichterstattung ist nicht alleine auf den Wettbewerb um Aufmerksamkeit oder Clickbait zurückzuführen. Sie hat ihre Quelle auch in der Struktur des professionellen Fußballs. Für die Vereine geht es schon aus wirtschaftlichen Gründen darum, mit allen Mitteln einen Abstieg in der Saison zu verhindern oder das Erreichen der Champions League zu gewährleisten. Dies fördert häufig einen gewissen Aktionismus, der langfristige Überlegungen in den Hintergrund rücken lässt.

Wie gesagt, ist diese Eigenheit zwar keine Entschuldigung für jeden spekulativen und äußerst unfreundlich formulierten Mist, der publiziert wird, doch ganz unpassend sind Fußball und aufgeregter Journalismus auch nicht.

Überleitung zum letzten Teil

Erinnert man sich noch einmal an den spitzfindigen Leser, der den Vorwurf äußerte, die Aussagen des ersten Teils seien zu pauschal, so muss man ihm zustimmen und widersprechen zugleich.

Zustimmen, da seine Aussage als Analyse und Bestandsaufnahme einer sich verstärkenden Tendenz im Fußball richtig ist. Die Auftrennung in einzelne Vereinsperspektiven behindert den Blick auf Allgemeineres. Die Zersplitterung der Berichterstattung und Sendungen verunmöglichen den klaren Bezug auf feste Institutionen. Und die Tagesaktualität des Fußballs mit der einhergehenden skandalorientierten Presse erschweren eine Beschreibung langfristiger Entwicklungen. Widersprüche sind dabei fast unumgänglich. Wer allgemeine Aussagen zum Thema Fußball trifft, begibt sich auf sehr dünnes Eis.

Widersprechen müsste man ihm in dem Sinne, dass diese Tendenz des Zerfalls in einzelne, unabhängige Perspektiven durchaus problematisch ist. Diskutierte Themen und Meinungen erscheinen immer zufälliger und willkürlicher. Bei einer Kritik oder Analyse bleibt unsicher, ob man gerade einen wesentlichen Punkt trifft oder ein marginales Phänomen beschreibt. Auch, ob man sich gerade gegen eine tatsächlich weit verbreitete Meinung stellt oder im Einklang mit der Masse auf einem längst widerlegten Punkt herumtrampelt.

Für eine konsistente Diskussion bräuchte es eine grundsätzliche Verständigung wesentlicher Punkte zum Thema. Dies gilt nicht nur, aber auch für den Fußball.

3. Die Notwendigkeit einer allgemeinen und positiven Beschreibung des Fußballs

Wenn in der Überschrift des Textes von einer positiven Beschreibung die Rede ist, so hat dies wenig mit einer schönen und guten Beschreibung eines ursprünglichen oder idealtypischen Fußballs zu tun. Vielmehr steckt dahinter der schon erwähnte Gedanke, dass es momentan in der kommerzkritischen Fußballszene zwar einen Konsens darüber gibt, was den Fußball angeblich kaputt macht, aber nicht darüber, was er ist. Vergleichbare Entwicklungen könnte man auch beim Begriff der Gerechtigkeit oder bei sogenannten Werten einer Gesellschaft beobachten. Je weniger ein unmittelbarer inhaltlicher Konsens über einen Begriff besteht, desto eher wird dieser ausschließlich in negativer und verteidigender Form benutzt. Dieser Mangel wird meistens mit zusätzlichem Engagement und einer Selbstüberbietung an drastischen Vokabeln notdürftig überdeckt. So soll der Begriff zumindest passiv eine große Bedeutung erhalten.

Ich möchte kurz einschieben, dass es mir nicht darum geht, Kritik an Entwicklungen im Fußball generell als Quatsch abzutun. Gerade, wenn es um konkrete Forderungen wie niedrigere Eintrittspreise, keine Montagsspiele oder um den Protest gegen Sponsorendeals mit Katar geht, kann man dies nur unterstützen. Doch häufig vermischt sich Protest gegen eindeutige Missstände mit dem ganz großen Wurf, den Fußball an sich zu retten. Auch in dem aktuellen und häufig gelobten Buch “Football Leaks” findet sich diese Herangehensweise und ein weit verbreitetes, aber dennoch falsches Bild.

Die Zerstörung des wahren Fußballs

In diesem Buch von Rafael Buschmann und Michael Wulzinger wird die Motivation der Macher von Football Leaks offengelegt:

„Unser Antrieb ist es, all denen das Handwerk zu legen, die sich zu Unrecht an dem Volkssport Fußball bereichern. Wir wollen zudem eine neue Ära im Fußball einläuten: die Zeit der Transparenz.“[1]

Beginnt man das Zitat von hinten, wäre daran nicht viel auszusetzen. Die Tatsache, dass es im Fußballgeschäft allgemein einige sehr undurchsichtige Verflechtungen, Steuerhinterziehung und Korruption gibt, kann nicht ernsthaft abgestritten werden. Diejenigen deutschen Fußballfans, die diese Vorgänge immer nur im Ausland verorten, wurden vielfach eines Besseren belehrt. Sie muss es besonders geärgert haben, dass ausgerechnet die US-Justiz und das FBI die Korruption der FIFA verfolgte und die Aufklärung des Sommermärchen-Skandals vorantrieb. Ein drastisches Beispiel, welches der ohnehin geringen Glaubwürdigkeit des DFB weiteren Schaden zufügte. Auf den ersten Blick ist also nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand versucht, der Öffentlichkeit gewisse Verflechtungen näherzubringen und dafür ein paar Spielerverträge enthüllt. Vielleicht wird dadurch nicht gleich eine neue Ära der Transparenz eingeleitet, aber man kann ja nie wissen.

Es ist vielmehr der erste Teil des Zitats, der einige Fragen aufwirft. Zum Beispiel, was es bedeutet, sich zu Unrecht am Fußball zu bereichern? Das bürgerliche Recht kann damit nicht gemeint sein. Die Grenze zwischen Steuerbetrug und der bürgerlichen List der Steuervermeidung wird in diesem Buch immer wieder verwischt. Meist werden gerade legale Methoden der Steuervermeidung als noch perfider und bösartiger beschrieben als die dreisten illegalen. Allein die Tatsache, dass Vereine sich mit Leuten einlassen, die ein wirtschaftliches Interesse am Fußball haben, gilt hier als Skandal. Hohe Spielergehälter werden mit der gleichen Empörung verurteilt wie Korruption. Recht und Unrecht sind hier moralische Begriffe.

Das Bild, das durch wenige Signalwörter wie Volkssport, bereichern oder Unrecht dem Leser erscheint, kennt man eher aus Verschwörungstheorien. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die den Fußball als pures Geschäft sehen. Sie quetschen ihn aus, bis nichts mehr davon übrig bleibt, da sie der Sport an sich gar nicht interessiert. Sie haben kein Recht darauf, da ihnen die richtige Gesinnung fehlt.

Wer auf der anderen Seite, also der guten Seite, steht, wird nur angedeutet. Da der Fußball als Volkssport bezeichnet wird, könnten es natürlich die so oft zitierten einfachen Leute aus dem Volk sein. Sie sind die Leidtragenden, da ihr Sport durch gierige Berater, mit Söldnern zu vergleichende Spieler und korrupte Funktionäre zerstört wird. Die Macher von Football Leaks erscheinen in diesem Bild als diejenigen, die sich in Gefahr begeben, um für eine größere Sache, den echten Fußball, zu kämpfen.

Die Auftrennung von wahrem Fußball und zerstörerischen, geldgierigen Funktionären ist in Football Leaks nicht explizit ausgeführt. Trotzdem möchte ich behaupten, dass mit diesem Bild, welches in der kommerzkritischen Fußballszene ohnehin sehr bekannt sein dürfte, immer wieder gespielt wird. Neben der Treffen mit dem Whistleblower und der Beschreibung journalistischer Arbeiten, ist es einer der Grundpfeiler des Buches. Diese Stellen sollten kritisiert werden. Folgende exemplarische Sätze sind wieder ein Zitat, das wohl aus einer Mail von „FL“ stammt:

„Diese Leute kontrollieren den europäischen Fußball und machen dabei unentwegt miteinander Geschäfte unter dem Tisch. Spieler und Vereine werden durch sie zu Marionetten. Wir haben Dokumente, die das belegen. Wenn Du sie liest, wirst Du Dir die Frage stellen, wie man überhaupt noch an diesen Sport glauben kann.“[2]

Welche Dokumente genau damit gemeint sind, wird nicht explizit ausgeführt. Auch lassen die Inhalte der Dokumente in diesem Buch nicht darauf schließen, dass eine einzelne Gruppe den europäischen Fußball kontrolliert. Vielmehr scheinen eine Menge verschiedener Kräfte miteinander zu konkurrieren. Spielerberater, Vereine oder Investoren mit ihren Firmen. Dabei setzt sich mal der eine, mal der andere durch.

Wie schon gesagt, kann man mit gutem Recht einige gängige Praktiken innerhalb des Fußballs scharf kritisieren. Die Third Party Ownership (Die Beteiligung Dritter an Spielerrechten) führt offensichtlich in Zwickmühlen, die den Handlungsspielraum der Vereine und Spieler stark einschränken. Auch wenn diese von der FIFA verboten wurde, scheint es immer noch einige Lücken zu geben, die geschlossen werden könnten. Die Frage, wie weit Verträge in das Privatleben von Spielern eingreifen dürfen, kann ebenfalls diskutiert werden. Der Umgang mit minderjährigen Talenten ist besonders unschön. Zwar bedeutet die frühe Verpflichtung eines größeren Vereins eine besondere Förderung und ermöglicht vielleicht den Durchbruch in den Profifußball. Für die große Masse an Jugendlichen, die diesen Durchbruch aber nicht schaffen, war der Umzug in eine andere Stadt oder ein anderes Land, der andauernde Druck in den Internaten usw., vollkommen sinnlos. Dass Vereine und Spielerberater damit viel Geld verdienen können, macht die Situation äußerst kompliziert. Der zwangsläufigen Tendenz, Talente immer früher entdecken und binden zu wollen, müssten noch klarere Regeln entgegengesetzt werden.

Trotzdem ist das Bild, das in der kommerzkritischen Szene des Fußballs herumgeistert und mit dem bei Football Leaks gespielt wird, problematisch. Es ist keine Zuspitzung einer Kritik, sondern verhindert vielmehr eine Analyse. Es verschleiert, dass im Profifußball selbst schon die Widersprüche angelegt sind, die sich mit der Zeit äußern. Erscheinungen des Fußballs, wie hohe Transfersummen, werden hier vom sogenannten wahren, echten oder ursprünglichen Fußball abgespalten und auf angeblich fußballfremde Mächte wie Investoren, Spielerberater oder Funktionäre projiziert. Daraus erwächst die falsche Vorstellung, dass man doch nur diese fußballfremden Personen aus dem Sport vertreiben müsste, um alle Probleme loszuwerden. Der Gedanke, dass Fußball Teil einer kapitalistischen Totalität in der Gesellschaft ist, die man als Ganzes kritisieren müsste, spielt dabei keine Rolle.

Deshalb entsteht aus dieser Abspaltung auch kein positiver Begriff vom Fußball. Die Forderung lautet, dass er genau so bleiben soll, wie er heute ist, nur ohne die gierigen Spielerberater, die korrupte FIFA und Investoren.

Eine küchenpsychologische These als Einschub: Bei Kommentaren, die in diese beschriebene Richtung gehen, fällt eines auf. Es ist der besonders häufige, positive Bezug auf die ersten Erfahrungen mit dem Fußball. Das Stadion- oder Fernseherlebnis durch die Augen des Kindes. Dabei ist es auch unwichtig, wie alt derjenige, der davon erzählt, heute ist, ob die Fußballsozialisation also in den Siebzigern oder den späten Neunzigern stattfand. Unabhängig davon, wie der Fußball tatsächlich aussah, erscheint er durch die Kinderaugen immer sehr beeindruckend und unmittelbar. Trainer, Manager und Vereinspräsidenten werden vom Kind gar nicht wahrgenommen. Es ist das Spiel, das im Vordergrund steht, und die Spieler, denen man zujubelt. Noch für Jugendliche ist ein Transfer kein genau geplanter Akt als Risikoabwägung einer Investition. Er ist allein die Hoffnung auf den neuen Superstar der Bundesliga.

Wahrscheinlich spielen Kindheitserfahrung eine große Rolle beim zwiegespaltenen Gefühl zum Fußball. Man hält immer noch an diesen ersten Erfahrungen fest, nun aber mit dem Bewusstsein, dass man damals betrogen wurde. Es gehört zu den Entdeckungen des Heranwachsenden, dass der Feuerwehrmann seinen Job nicht nur ausfüllt, um Leben zu retten, der Forscher nicht nur aus Neugierde und der Künstler nicht nur aus Leidenschaft. Beim Profifußball muss man ebenfalls lernen, dass die Spieler auch für Geld spielen[3].

Vor diesem Hintergrund hat die Abspaltung des kommerziellen Aspekts vom Fußball nichts mit einem wahren Kern oder realen vergangenen Zeiten zu tun. Vielmehr geht es um das naive Urbild der Kinderaugen. Zum Erwachsenwerden gehört der schmerzhafte Prozess, die kindlichen Vorstellungen durch die Anerkennung der Realität zu ersetzen. Dieser Prozess wird beim Fußball dadurch erschwert, dass es dabei ja auch darum geht, sich an das kindliche Bild zurückzuerinnern.

Bleibt der zum Scheitern verurteilte Versuch, sich einen Teil seiner Kindheit über den Fußball zu erhalten, unreflektiert, verfestigt sich damit auch die Wut über den Betrug, der an einem vollzogen wurde. Würde sich diese These bestätigen, könnte sie auch ein Erklärungsansatz für die Intensität sein, mit der sich einige für die Erhaltung eines angeblich wahren und schönen Fußballs einsetzen, der niemals existiert hat.

Die Ware Fußball

Kritik an den modernen Entwicklungen des Fußballs wird zumeist unter dem Stichwort Kommerzialisierung gefasst. Dabei passt dieser Begriff nicht wirklich zu der aktuellen Lage. Kommerzialisierung beschreibt einen Prozess, in dem sich die Ökonomie auf Güter oder gesellschaftliche Bereiche ausweitet, die zuvor frei davon waren. Spätestens mit der Einführung des Profisports ist dieser Prozess im Fußball abgeschlossen. In England also im Jahre 1885, in Frankreich 1932 und in Deutschland offiziell 1972. Es ist eine nette Anekdote, dass es im Jahre 1930 noch der FC Schalke 04 war, der mit geheimen Zahlungen an seine Spieler diesen Prozess des Fußballs vorantrieb.

Wer heute noch gegen die Kommerzialisierung kämpft, kommt in England über 100 Jahre und selbst im rückständigen Deutschland fast 50 Jahre zu spät. Als radikaler Kritiker davon ist man, wenn der Begriff ernst genommen wird, für die Abschaffung des Profifußballs. Es scheint recht typisch für Fußballdeutschland zu sein, sich an veraltete Begriffe zu klammern. Damit sind hier nicht die Kommentare innerhalb eines Spiels gemeint (Moral einer Mannschaft, Strategie, Wille zum Sieg, usw.). Es geht eher um die Vokabeln, mit denen der moderne Fußball momentan negativ beschrieben wird: der Verlust von Anstand und Moral, Sittenverfall, Illoyalität, Entwurzelung oder fehlendes Traditionsbewusstsein. Besonders unangenehm ist der Vorwurf gegenüber Spielern, ein Söldner zu sein. Denn das positive Gegenstück dazu ist der Soldat, der die Seiten eben nicht wechseln kann.

Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, dass es als Zynismus wahrgenommen wird, wenn man vom Fußball als Ware spricht. Man möchte Kommerzialisierungskritikern nicht unterstellen, dass sie sich tatsächlich für die Abschaffung des Profisports stark machen, sondern sich nur gegen bestimmte Entwicklungen davon richten. Deswegen liegt bei der Ablehnung dieses Begriffs höchstwahrscheinlich ein Missverständnis vor. Denn eine Ware ist nicht ausschließlich Verkaufsprodukt, sondern fristet ein zwiespältiges Dasein.

Nach Marx (ein Autor, der doch eigentlich gerne von Kapitalismuskritikern gelesen wird) ist die Ware bestimmt durch ihren inneren Widerspruch von Gebrauchswert und Wert. Die Ware als Gebrauchswert ist für ihn „ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt. Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache.“[4] Weiter: „Die Nützlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert.“[5]

Den Wert einer Ware entdeckt Marx bei seiner Untersuchung des Tauschs. Eine Handlung, bei der er zunächst auf den Unsinn aufmerksam macht, dass man zwei qualitativ unterschiedliche Dinge miteinander gleichsetzen kann. Schon in der Grundschule wird einem beigebracht, man solle Äpfel nicht mit Birnen verrechnen. Im Austausch dieser beiden Produkte wäre aber genau diese Gleichung 2 Äpfel = 1 Birne möglich. Es muss also eine Eigenschaft geben, die alle Waren miteinander vergleichbar und somit austauschbar macht. „Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert.“[6]

Der Wert ist eine Abstraktion. Das Absehen von allen qualitativen Eigenschaften der Ware, die sie von anderen Waren unterscheidet. Man könnte eine Parallele zum Gewicht ziehen. Auch hier abstrahiert man von allen Eigenschaften bis auf eine quantitativ vergleichbare Größe, die man mit einer Waage feststellen kann. Der große Unterschied von Wert und Gewicht liegt darin, dass der Wert eine rein gesellschaftliche Größe ist. Sie hat nichts mit den natürlichen Eigenschaften einer Ware zu tun. „Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perle oder Diamant entdeckt.“[7]

Die Ware mit ihrem Doppelcharakter ist die Einheit der beiden Gegensätze: Gebrauchswert als konkrete Nützlichkeit zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, Wert, als leerer Rest, der übrig bleibt, wenn man von genau dieser Nützlichkeit abstrahiert. Gebrauchswert und Wert werden in der Ware immer zusammen gedacht. Die große Stärke von Marx ist, dass er sich nicht an Teilen dieser Bestimmungen festklammert. Die sinnlose Forderung, man müsse den Gebrauchswert vom Wert befreien, liegt ihm fern. Es geht darum, die kapitalistische Produktionsweise als Ganzes zu analysieren und zu kritisieren. Man kann die Ware deshalb isoliert nicht abändern, da die Warenförmigkeit der Produkte elementare Ausdrucksform der herrschenden Verhältnisse ist.

Dass der professionelle Fußball Ware ist, also Wert und Gebrauchswert zugleich, liegt auf der Hand. Der Konflikt, der daraus entsteht, ist typisch für eine widersprüchliche kapitalistische Gesellschaft. Der Verkäufer ist vor allem an der quantitativen Größe des Preises interessiert, der Käufer an der Qualität der bedürfnisbefriedigenden Nützlichkeit. Auch wenn Fußball ein Kulturprodukt ist und am ehesten noch mit Filmen, Musik oder Spielen verglichen werden könnte, bildet er dabei keine Ausnahme. Nochmal zum Gebrauchswert der Ware: „Die Natur dieser Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie entspringen, ändert nichts an der Sache.“[8]

Marx untersucht allerdings nicht nur die Bestimmungen des Kapitalismus, wie er ist, sondern auch, wie sich der Kapitalismus selbst darstellt. Dies könnte helfen, einen zweiten Erklärungsansatz dafür zu liefern, warum das falsche Bild vom wahren Fußball überhaupt existiert.

In der Veräußerung des inneren Gegensatzes der Ware, von Gebrauchswert und Wert, in den äußeren Gegensatz von Ware und Geld, wird der Doppelcharakter der Ware verschleiert. Fälschlicherweise erscheint ausschließlich das Geld als Wert und die Ware als reiner Gebrauchswert. Die Ware wird rein als nützliches Ding ausgemacht, während es so aussieht, als ob es das Geld ist, was die Dinge abstrakt, vergleichbar und austauschbar macht. Der Marxist Moishe Postone denkt diesen falschen Schein des Kapitalismus weiter. Er erklärt damit die verquere Vorstellung, es gäbe einerseits ein produktives schaffendes Kapital der Industrie und ein parasitär raffendes Kapital der Zirkulationssphäre mit Banken und Spekulanten. Ihm ist klar, dass natürlich in beiden Sphären – dieser Logik nach – gerafft wird[9].

Der Gedanke eines eigentlich innerlichen Widerspruchs, der sich als ein Äußerer darstellt, lässt sich leicht auf die gängigen Diskussionen im Fußball übertragen.
Beim allgemeinen Widerspruch des Fußballs, Sport, aber auch Geschäft zu sein, wird zweiteres vom Fußball abgespalten und auf fußballfremde Mächte projiziert. Wahrer Fußball und Geschäftemacherei. Die Fußballklubs, die alle einerseits an einem sportlichen Wettbewerb teilnehmen, aber auch Wirtschaftsunternehmen sind, werden aufgeteilt in Traditionsvereine und Retortenklubs. Der innere Widerspruch des Fußballbegeisterten, einerseits Fan, andererseits gezwungenermaßen Konsument und Käufer zu sein, wird aufgespalten in echten Fan und Eventi. Keine dieser Aufspaltungen lässt sich konsequent begründen, hält sich aber sehr hartnäckig in der Diskussion. Diese Aufspaltungen gilt es zu kritisieren, da sie die Verhältnisse verschleiern und somit einer tatsächlichen Kritik entgegenstehen.

Es ist erstaunlich, dass Marxsche Begriffe praktisch keine Rolle in einem eher linken und kapitalismuskritischen Fußballdiskurs spielen, wären sie doch die Grundlage für eine kritische Analyse des Fußballs, wie auch der verschiedenen ideologischen Formen, die daraus hervorgehen.

Kritik statt Pathos

Wie bereits angedeutet, bleiben einige Kritikpunkte, die es am heutigen Fußball gibt, vom bisher Geschriebenen unberührt. Es geht nicht darum zu sagen, dass alles gut ist, wie es ist.
Die Anerkennung, dass der Fußball auch Geschäft ist, bedeutet nicht, dass die Vereine sich mit bestem Gewissen in die Zusammenarbeit mit kruden Regimen stürzen können, ohne dafür scharf kritisiert zu werden. Mit der Forderung, das falsche Bild vom echten Fußball aufzugeben, ist vielmehr die Hoffnung verbunden, dass sich Diskussionen und Proteste nochmal konkreter und ohne großes Fußballpathos auf spezifische Punkte richten könnten.

Dabei ist der Einsatz für erschwingliche Eintrittspreise, billigeres Stadionbier, aber auch weniger teure Sportabonnements besonders sympathisch. Kritik an regionalen Presseerzeugnissen, die sich schwertun, genug Abstand zum Verein zu wahren, ist genauso angebracht wie an einer skandalorientierten, oft überregionalen Presse, die bei der Bewertung einzelner Spieler und Trainer gerne mal deutlich über die Stränge schlägt. Die Forderung nach mehr Transparenz in den verschiedenen Verbänden und Klubs ist gut. Weitere Diskussionspunkte könnten der Umgang mit Minderjährigen, die Vereinbarung von Stadionerlebnis und Fernsehübertragung, die Frage nach den Außenmikrofonen Richtung Trainer- und Ersatzbank sein usw.

Es gäbe weiterhin verschiedenste Ansatzpunkte für Diskussion und Kritik. Nur die Eindeutigkeit bei manchen Fragen, das klare Schlagwort, das angeblich alle Entwicklungen zusammenfasst und das ganz große Pathos im Stile von „die zerstören unseren Sport und ich werde für den Fußball kämpfen“ ginge verloren. Dies wäre allerdings sehr wünschenswert.

Indem man die Tatsache anerkennt, dass Fußball im Kapitalismus in verschiedenster Hinsicht einer kapitalistischen Logik unterworfen ist, eröffnen sich im Groben zwei Arten, moderne Entwicklungen des Fußballs zu kritisieren. Einerseits in der Form einer allgemeinen Kapitalismuskritik, die Prozesse im Fußball aber nicht als Ursprung, sondern eher als einen von vielen Indikatoren des gesamtgesellschaftlichen Prozesses wahrnimmt, andererseits innerhalb der kapitalistischen Logik, in der man dann aber die Warenförmigkeit des Fußballs als gegebenen Kern voraussetzten muss.

Banalität der positiven Beschreibung des Fußballs

Voraussetzung dieser fundierten Kritik müsste auch ein Bewusstsein für einen positiven Begriff des Fußballs sein. Zunächst gibt es einen sehr angenehmen Grund für dessen Ausbleiben. Im Vergleich zu vergangenen Zeiten sind die Leistungen der Nationalmannschaft größtenteils nicht mehr an einen plumpen deutschen Patriotismus gekoppelt. Allerdings sollte man bei dieser Entwicklung nicht verschweigen, dass es davon noch genügend Überreste gibt. Die Vorfälle rund um das Spiel Energie Cottbus gegen den SV Babelsberg 03, bei denen der Nordostdeutsche Fußballverband eine sehr fragwürdige Rolle einnahm, zeigen, wie aktuell die Probleme mit Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus sind. Die „Sieg Heil!“-Rufe deutscher Fans bei einem Auswärtsspiel in Tschechien im September 2017 sind ein weiteres Beispiel. Und die Probleme mit Sexismus und Homophobie im Fußball sind immer noch sehr weit verbreitet.

Trotzdem wurden die deutsch-nationalistischen Töne tendenziell zurückgedrängt und mit ihnen die unschönen identitären Tugenden eines Männerbundes, wie Gemeinschaft, Kameradschaft, Loyalität, usw. Ohne diese Tugenden bleibt aber nicht mehr viel übrig, was man seinen nicht fußballbegeisterten Freunden erzählen könnte, um ihnen zu erklären, warum man seine Wochenenden mit Fußballschauen verbringt. Es bleiben nur noch recht banale Gründe wie Spaß, eine schöne Art der Anspannung oder Emotionalität, Entladung der Spannung bei einem Tor, usw.

Natürlich gibt es auch ein soziales oder politisches Engagement im Umfeld des Fußballs. Das erklärt aber auch nicht, warum man ausgerechnet dort und nicht in der Kirche oder einer anderen Vereinigung gelandet ist. Was Fußballfans zu ihrem Sport treibt, ist mit den verschiedensten Formen der Zerstreuung benannt: ob singend im Stadion, angetrunken in der Kneipe, alleine vor dem Fernseher oder vielleicht sogar Notizen machend mit der Taktik Cam und Statistiken auf dem Second Screen.

Manchmal ist es schwierig anzunehmen, dass Fußball einfach nur Zerstreuung sein soll, da es sich häufig nach deutlich mehr anfühlt. Es klingt beliebig und passt nicht zu der enormen Menge an Zeit und Mühen, die viele hineinstecken. Andererseits liegt auch Schönes darin, dass man etwas mal nicht für die größere Sache oder eine langfristige Wirkung tut, sondern einfach, weil es eine aufregende und spannende Beschäftigung ist.

Es ist komisch, dass man sich als Fußballfan seine Freizeit ausgerechnet mit dem Zuschauen einer spielerischen Konkurrenz vertreibt. Ist es doch eigentlich die Zeit, in der man mal nicht in ein Konkurrenzverhältnis gezwungen wird. Man könnte ganz allgemein gegen das Fußballschauen einwenden, dass es keine schöne Eigenschaft ist, immer nur zu jubeln, wenn man über den anderen triumphiert. Aber immer konsequent zu sein und keine persönlichen Widersprüche zuzulassen ist eine wesentlich unschönere Eigenschaft als die irrationale Freude, dass die Lieblingsmannschaft gewonnen hat.

Ein Bewusstsein für diese Irrationalität und der Banalität dieses Sports gehört ebenfalls zur Grundlage einer Kritik an verschiedenen Entwicklungen des Fußballs und könnte zusätzlich die ganze Diskussion auch etwas versachlichen.

Fußnoten

[1]Rafael Buschmann und Michael Wulzinger, Football Leaks. Die schmutzigen Geschäfte im Profifußball, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2017, und Spiegel-Verlag, Hamburg. S. 77.

[2]Ebd., S. 79.

[3]Ein ähnlicher Gedanke findet sich im Aphorismus “Kaufmannsladen”.
Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1969. S. 305.

[4]Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie (1867), Marx-Engels-Werke, Band 23, Dietz Verlag, Berlin 2008. S. 49.

[5]Ebd., S. 50.

[6]Ebd., S. 53.

[7]Ebd., S. 98.

[8]Ebd., S. 49.

[9]Siehe: Moishe Postone, Nationalsozialismus und Antisemitismus (1979), übersetzt von Dan Diner/ Renate Schumacher, in: Ders.: Deutschland, die Linke und der Holocaust. Politische Interventionen, Freiburg im Breisgau 2005, S. 165-194.

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Beitragsbild: “Fußballfeld” von flöschen via Flickr, Lizenz: CC BY 2.0

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